Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.07.2016, Az. 2 B 54/15

2. Senat | REWIS RS 2016, 8501

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Gründe

1

Die zulässige, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte [X.]eschwerde der Klägerin ist unbegründet.

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1. Die Klägerin war seit 1991 als Lehrerin zunächst im Angestelltenverhältnis im Schuldienst des [X.]eklagten tätig. 1998 wurde sie zur [X.]eamtin auf Probe (Lehrerin zur Anstellung) und im Jahr 2001 zur [X.]eamtin auf Lebenszeit (Lehrerin) ernannt. Nach dem Wortlaut der Ernennungsurkunden erfolgten die Ernennungen jeweils "in Teilzeitbeschäftigung bei einem Umfang von zwei Dritteln der regelmäßigen Arbeitszeit".

3

Im Dezember 2006 beantragte sie, als [X.]eamtin in Vollzeit beschäftigt zu werden. Zum Schuljahr 2008/2009 überführte der [X.]eklagte das [X.]eamtenverhältnis der Klägerin in eines in Vollzeitbeschäftigung.

4

Aufgrund einer im September 2009 geschlossenen Vereinbarung mit dem [X.]eklagten nahm die Klägerin ihren Antrag von Dezember 2006 zurück. Der [X.]eklagte sicherte im Gegenzug zu, mit der Klägerin umgehend ein neues [X.]eamtenverhältnis zu begründen, falls ihre bisherige Ernennung gerichtlich als nicht wirksam erkannt würde.

5

Der im Jahr 2010 durch die Klägerin gestellte Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend die im Zusammenhang mit der Lebenszeitverbeamtung ausgesprochenen [X.] lehnte der [X.]eklagte im Dezember 2010 ab. Mit ihrem Widerspruch stellte die Klägerin zugleich einen Antrag auf rückwirkende besoldungs- und versorgungsrechtliche Gleichstellung mit vollzeitbeschäftigten [X.]eamten. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 2011 zurückgewiesen. Klage und [X.]erufung sind ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat zur [X.]egründung im Wesentlichen ausgeführt:

6

Die Klage sei schon unzulässig. Die Klageerhebung stelle sich als unzulässige Rechtsausübung dar. Das Verhalten der Klägerin sei treuwidrig, weil der [X.]eklagte nach dem Abschluss der Vereinbarung im September 2009 und der daraufhin erfolgten Rücknahme des Widerspruchs darauf habe vertrauen dürfen, dass die Klägerin keinen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens stellen und keinen Leistungsanspruch geltend machen werde. Das tatsächliche Vertrauen des [X.]eklagten sei auch schutzwürdig. Die getroffene rechtliche Vereinbarung unterliege keinen rechtlichen [X.]edenken. Insbesondere verstoße die Vereinbarung nicht gegen § 2 Abs. 3 [X.] und § 3 Abs. 3 [X.] oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Formvorschriften des § 57 VwVfG [X.][X.] sowie des § 62 VwVfG [X.][X.] i.V.m. § 126 Abs. 2 [X.]G[X.] seien gewahrt; der Warn- und [X.]eweisfunktion dieser Vorschriften werde dadurch genügt, dass die beiderseitigen Verpflichtungen im Schreiben des [X.]eklagten an die Klägerin niedergelegt seien und die Klägerin der eigenen Verpflichtung unter [X.]ezugnahme auf dieses Schreiben durch ihre Erklärung, den Widerspruch zurückzunehmen, entsprochen habe. Der [X.]eklagte habe die Klägerin mit dem Angebot der Vereinbarung nicht unsachgemäß unter Druck setzen wollen. Die seinerzeit bestehende Situation habe er nicht gezielt herbeigeführt. Sie sei vielmehr Folge der Rechtsprechung des [X.] gewesen. Der [X.]eklagte habe die Klägerin schließlich nicht arglistig getäuscht oder sich sonst in anstößiger Weise verhalten. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liege ebenfalls nicht vor.

7

Die Klage sei darüber hinaus unbegründet. Den geltend gemachten Ansprüchen der Klägerin stehe die in [X.]estandskraft erwachsene [X.] entgegen. Einem etwaigen Anspruch auf Neubescheidung der Anträge aus dem [X.] stünde ebenfalls der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen.

8

Auch die Leistungsklage der Klägerin sei unbegründet. Die [X.] sei zwar wegen eines Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 5 GG und in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage rechtswidrig gewesen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses sei sie jedoch nicht nichtig gewesen. Es liege zunächst kein besonders schwerwiegender Fehler [X.]. § 44 Abs. 1 VwVfG [X.][X.] vor. Dieser ergebe sich nicht daraus, dass eine Ermächtigungsgrundlage für die unfreiwillige antragslose Teilzeitbeschäftigung gefehlt habe. Nur Fälle "absoluter Gesetzlosigkeit" führten bei dem Fehlen einer gesetzlichen Grundlage zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts. Dies sei aber nur der Fall, wenn das Verhalten einer [X.]ehörde jeder gesetzlichen Grundlage entbehre und damit als willkürlich einzustufen sei. [X.]en seien hingegen unter bestimmten Voraussetzungen zulässiges Verwaltungshandeln. Die erforderliche besondere Schwere sei nicht gegeben, weil nicht erkennbar sei, dass der [X.]eklagte wider besseren Wissens oder mit dem Ziel der Rechtsverletzung und somit willkürlich gehandelt habe. Auch der Umstand des Verstoßes gegen das Grundgesetz begründe aus sich heraus nicht die besondere Schwere.

9

Die zu beurteilenden Fehler seien bei verständiger Würdigung aller in [X.]etracht kommenden Umstände jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der [X.] auch nicht offensichtlich gewesen. Das ergebe sich schon daraus, dass eine Vielzahl betroffener [X.]eamter darauf verzichtet habe, gegen die [X.] vorzugehen. Dem stehe auch nicht der Einwand entgegen, die [X.]eamten hätten um die Wirksamkeit ihrer Ernennung zu [X.]eamten gefürchtet, weil eine solche Auffassung in der [X.] Rechtsprechung erst viel später, nämlich im [X.], vertreten worden sei. An der Offensichtlichkeit mangele es auch deswegen, weil sich die Rechtswidrigkeit der [X.]en auch den damit befassten Verwaltungsgerichten nicht erschlossen habe. Klarheit bestehe insoweit erst seit dem Urteil des [X.] vom 17. Juni 2010 - 2 C 86.08 - ([X.]VerwGE 137, 138). Auch das [X.] habe erst mit [X.]eschluss vom 19. September 2007 - 2 [X.] - ([X.] 119, 247) die Verfassungswidrigkeit einer entsprechenden [X.] Regelung festgestellt. Entsprechende Regelungen habe es zudem in zahlreichen Ländern gegeben; in der Literatur sei die Rechtmäßigkeit solcher Regelungen kontrovers diskutiert worden. Ältere Entscheidungen des [X.] vom 6. Juli 1989 etwa - 2 C 52.87 - ([X.]VerwGE 82, 196) seien nicht zu berücksichtigen, weil es dort um die fehlerhafte Anwendung der jeweiligen Rechtsgrundlage gegangen sei, nicht aber deren Verfassungsmäßigkeit im Mittelpunkt gestanden habe.

2. Die Revision ist nicht wegen der von der [X.]eschwerde geltend gemachten grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Eine Rechtssache hat grundsätzliche [X.]edeutung [X.]. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender [X.]edeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 [X.] 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4 und vom 9. April 2014 - 2 [X.] 107.13 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9). Dabei erfordert die gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dem [X.]eschwerdeführer obliegende Darlegungspflicht, innerhalb der [X.]eschwerdefrist mindestens eine in diesem Sinne grundsätzliche Frage konkret zu bezeichnen und einen Hinweis auf den Grund zu geben, der die Annahme der grundsätzlichen [X.]edeutung rechtfertigen soll (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 10. November 1992 - 2 [X.] 137.92 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 6 S. 7).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die [X.]eschwerde mit den Ausführungen unter Ziff. 1 bis 7 der [X.]eschwerdebegründung diesen Darlegungsanforderungen genügt. Dies gilt namentlich, soweit sie lediglich allgemein eine "Auslegung" der Verzichtsverbote gemäß § 2 Abs. 3 [X.] und § 3 [X.] (Ziff. 1 der [X.]eschwerdebegründung) oder die Frage der Nichtigkeit der zwischen den [X.]eteiligten geschlossenen Vereinbarung vom September 2009 aus verschiedenen, von der [X.]eschwerde angeführten Nichtigkeitsgründen (Ziff. 2 bis 6 der [X.]eschwerdebegründung) "in dieser Sachverhaltsgestaltung" ([X.]) oder "in dieser Lesart" (S. 6) für rechtsgrundsätzlich bedeutsam hält. Ähnlich verhält es sich mit der Frage (Ziff. 7 der [X.]eschwerdebegründung), ob die bestandskräftige [X.] "bei einer näher bezeichneten Gesamtschau" der "besonderen Umstände" des Streitfalls (S. 9), die in acht "Teilaspekten" gesehen werden, an einem besonders schweren Fehler [X.]. § 44 Abs. 1 VwVfG [X.][X.] leidet. Ob mit solchen - einerseits nur allgemeinen, andererseits nur einzelfallbezogenen - Ausführungen dem [X.] gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO Genüge getan ist, kann hier dahinstehen.

Denn unabhängig davon können die unter Ziff. 1 bis 7 der [X.]eschwerdebegründung angesprochenen Fragen aus einem anderen Grund nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache führen: Ist eine [X.]erufungsentscheidung - wie hier - selbstständig tragend auf mehrere Gründe gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn gegenüber jeder der [X.]egründungen ein durchgreifender [X.] geltend gemacht wird (stRspr, [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 15. Juni 1990 - 1 [X.] 92.90 - [X.] 11 Art. 116 GG Nr. 20 S. 11 f. und vom 2. März 2016 - 2 [X.] 66.15 - Rn. 6 ).

Das [X.]erufungsgericht hat die [X.]erufung der Klägerin zurückgewiesen, weil die Klage unzulässig und unbegründet sei. Die Unbegründetheit der Klage führt es darauf zurück, dass zwei Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 VwVfG [X.][X.], welche kumulativ für die Annahme der Nichtigkeit der angegriffenen [X.] vorliegen müssten, nämlich die Schwere des Rechtsverstoßes und dessen Offensichtlichkeit, nicht gegeben seien. Die Ausführungen der [X.]eschwerde befassen sich aber allein mit der Zulässigkeit der Klage und der Schwere des Rechtsverstoßes. Zu dem selbstständig tragenden [X.] der fehlenden Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes wird von der [X.]eschwerde dagegen kein durchgreifender [X.] vorgebracht. Soweit unter Ziff. 7 der [X.]eschwerdebegründung eine Reihe von "Teilaspekten" aufgelistet werden und anschließend eher beiläufig, weil im Zusammenhang mit Ausführungen zur Schwere des Rechtsverstoßes stehend, behauptet wird, diese begründeten das "Verdikt der Evidenz" des Fehlers, genügt dies nicht den oben dargestellten Darlegungsanforderungen.

3. Die von der [X.]eschwerde geltend gemachte Divergenz (Ziff. 8 und 9 der [X.]eschwerdebegründung) liegt ebenfalls nicht vor.

Der Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist gegeben, wenn die [X.]eschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des [X.] aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des [X.] tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 9. April 2014 - 2 [X.] 107.13 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 3 m.w.N.). Dies zeigt die [X.]eschwerdebegründung nicht auf.

a) Die Klägerin beruft sich zum einen auf eine - angebliche - Abweichung von dem [X.]eschluss des [X.] vom 28. Januar 2010 - 9 [X.] 46.09 - ([X.] 316 § 57 VwVfG Nr. 5). Das [X.]erufungsurteil weiche von dem dort aufgestellten Rechtssatz ab, wonach vom Grundsatz der [X.] nur abgewichen werden dürfe, wenn unter [X.]erücksichtigung des Sinngehalts des § 57 VwVfG die getrennten Erklärungen jeweils die Anforderungen an die Warn- und [X.]eweisfunktion erfüllen. Dem widerspricht das [X.]erufungsgericht nicht. Es betont in seiner Argumentation vielmehr, dass die zwischen den [X.]eteiligten geschlossene Vereinbarung der Warn- und [X.]eweisfunktion des § 57 VwVfG [X.][X.] genügt.

b) Die weiter geltend gemachte Abweichung von dem Urteil des [X.] vom 20. März 2008 - 1 C 33.07 - ([X.] 402.242 § 54 AufenthG Nr. 5) ist ebenfalls nicht gegeben. Dem von der Klägerin dieser Entscheidung entnommenen Rechtssatz, wonach es einer [X.]ehörde verwehrt sei, sich auf die Unanfechtbarkeit einer Verfügung zu berufen, wenn sich dieses Verhalten selbst als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben darstellt, widerspricht das Oberverwaltungsgericht nicht. An keiner Stelle deutet es auch nur an, dass es einen Verstoß gegen Treu und Glauben in diesem Zusammenhang für unbeachtlich halte. Dass die Klägerin - abweichend vom [X.]erufungsgericht - einen solchen Verstoß im konkreten Fall als gegeben ansieht, betrifft die Anwendung des geltenden Rechts auf den Einzelfall, jedoch nicht eine im Rahmen des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO allein relevante Rechtssatzabweichung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes folgt aus § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 3 GKG.

Meta

2 B 54/15

08.07.2016

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 28. Mai 2015, Az: OVG 4 B 29.14, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.07.2016, Az. 2 B 54/15 (REWIS RS 2016, 8501)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8501

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