26. Senat | REWIS RS 2019, 4996
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In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2016 027 205.4
hat der 26. Senat ([X.]) des [X.] am 29. Juli 2019 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin [X.] sowie [X.] und Schödel
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des [X.] vom 11. September 2017 wird aufgehoben.
I.
Das Wortzeichen
[X.][X.]
ist am 21. September 2016 unter der Nummer 30 2016 027 205.4 zur Eintragung in das beim [X.] ([X.]) geführte Register für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 35, 38, 41 und 42 angemeldet worden. Nach der im Beschwerdeverfahren am 17. Juni 2019 erklärten Rücknahme der Anmeldung für den überwiegenden Teil der vom [X.] mit Beschluss vom 11. September 2017 zurückgewiesenen Waren und Dienstleistungen wird die Anmeldung entsprechend dem gerichtlichen Hinweis im Schreiben vom 15. Mai 2019 nur noch aufrechterhalten für Waren und Dienstleistungen der
[X.]: Papier, Pappe [Karton]; Schreibwaren; Büroartikel [ausgenommen Möbel];
[X.]: Werbung.
Mit Beschluss vom 11. September 2017 hat die Markenstelle für Klasse 38 des [X.] durch eine Beamtin des gehobenen Dienstes die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] teilweise zurückgewiesen, nämlich u. a. für die oben genannten Waren und Dienstleistungen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die angemeldete Wortkombination aus der geografischen Herkunftsangabe „[X.]“ und dem [X.] Begriff „[X.]“ für „Gesichter“ bestehe. Neben der ursprünglichen Bedeutung eines menschlichen Körperteils werde damit auch „das [charakteristische] Aussehen“ bzw. „das äußere Erscheinungsbild“ bezeichnet. Das Wort „Gesichter“ finde aber auch im Zusammenhang mit Städtenamen Verwendung, um auf die für die jeweilige [X.] typischen Besonderheiten hinzuweisen. Die Verbindung der beiden Begriffe „[X.]“ und „[X.]“ ergebe daher eine sinnvolle Gesamtaussage im Sinne von „Gesichter [X.]s“. Die zurückgewiesenen Waren der [X.] seien geeignet, die „Gesichter [X.]s“, also stadttypische Besonderheiten oder das äußere Erscheinungsbild dort lebender Personen, darzustellen, während die versagten Dienstleistungen der [X.] sich dazu eigneten, im Zusammenhang mit den für die [X.] [X.] typischen Merkmalen erbracht zu werden. Ferner fehle es an einem ausreichend substantiierten Vortrag für eine (Anfangs-)Glaubhaftmachung der vom Anmelder geltend gemachten Verkehrsdurchsetzung.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei dem angemeldeten Wortzeichen um eine schutzfähige originelle Wortschöpfung, mithin ein Kunstwort, ohne einen im Vordergrund stehenden Sachhinweis auf die noch beanspruchten Waren und Dienstleistungen. Schon der Begriff „[X.]“ führe zu einer schutzbegründenden Mehrdeutigkeit, weil das Wort „face“ auch „Oberfläche, Fassade, Schriftbild, Wand, Miene, Anschein oder Bildseite“ bedeuten könne. Das [X.] habe zudem nicht festgestellt, ob alle Waren und Dienstleistungen üblicherweise im Zusammenhang mit dem Aussehen einer [X.] angeboten würden. Durch die Binnengroßschreibung weise das Anmeldezeichen eine ungewöhnliche Struktur auf. Selbst wenn ein absolutes Schutzhindernis vorläge, sei dieses durch Verkehrsdurchsetzung überwunden, weil die beanspruchte Wortkombination seit 2004 als Titel eines regelmäßig erscheinenden [X.]er [X.]magazins, das auch unter www.berlinfaces.de im [X.] zugänglich sei, benutzt werde.
Der Anmelder beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des [X.] vom 11. September 2017 aufzuheben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
[X.][X.]“ als Marke für die noch verfahrensgegenständlichen Waren der [X.] und die Dienstleistung der [X.] stehen keine Eintragungshindernisse entgegen, insbesondere fehlt ihm weder jegliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.], noch stellt es eine freihaltebedürftige beschreibende Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] dar.
1. a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unter-scheidet ([X.] [X.] 2015, 1198 [X.]. 59 f. – [X.]/[X.]]; [X.], 932 [X.]. 7 – #darferdas?; [X.] 2018, 301 [X.]. 11 – [X.]; [X.] 2016, 934 [X.]. 9 – [X.]). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten ([X.] [X.] 2010, 228 [X.]. 33 – [X.]/[X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.] – #darferdas?; a. a. O. - [X.]). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden ([X.] – [X.]). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen ([X.] [X.] 2004, 428 [X.]. 53 - [X.]; [X.] [X.]. 15 – [X.]).
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt ([X.] [X.] 2013, 1143 [X.]. 15 – [X.] werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist ([X.] [X.] 2006, 411 [X.]. 24 – Matratzen Concord/[X.]; [X.] [X.] 2014, 376 [X.]. 11 – grill meister).
Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen ([X.] [X.] 2004, 674, [X.]. 86 - Postkantoor; [X.] [X.]. 8 – #darferdas?; [X.] 2012, 270 [X.]. 11 – Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der [X.] oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden ([X.] – #darferdas?; a. a. [X.]. 12 – [X.]; [X.] 2014, 872 [X.]. 21 – [X.]). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchte Ware oder Dienstleistung zwar selbst nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in der Bezeichnung kein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft sieht ([X.] - #darferdas?; a. a. O. – [X.]). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann ([X.] [X.] 2004, 146 [X.]. 32 – [X.]; [X.] [X.] 2014, 569 [X.]. 18 – [X.]); dies gilt auch für ein zusammengesetztes Zeichen, das aus mehreren Begriffen besteht, die nach diesen Vorgaben für sich genommen schutzunfähig sind. Der Charakter einer [X.] entfällt bei der Zusammenfügung beschreibender Begriffe jedoch dann, wenn die beschreibenden Angaben durch die Kombination eine ungewöhnliche Änderung erfahren, die hinreichend weit von der [X.] wegführt ([X.] [X.] 2007, 204 [X.]. 77 f. – [X.]; [X.] [X.] 2014, 1204 [X.]. 16 – DüsseldorfCongress).
[X.][X.]“ für die noch verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden.
aa) Die noch beanspruchten Waren der [X.] richten sich an breite Verkehrskreise, nämlich sowohl an den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher als auch an den Fachhandel für Papier-, Schreibwaren und Bürobedarf sowie Gewerbetreibende jeglicher Art, die auch bei weitgehend elektronischer Unternehmens- und Buchführung Papier, Schreibwaren und Büroartikel benötigen. Die [X.] in [X.] richten sich ausschließlich an Unternehmer und Angehörige der unternehmerischen Führungsebene.
bb) Das Anmeldezeichen setzt sich – schon durch die Binnengroßschreibung erkennbar – aus den beiden Wörtern „[X.]“ und „[X.]“ zusammen.
aaa) „[X.]“ ist der Name der [X.] Hauptstadt und damit als geografische Herkunftsangabe jedermann geläufig.
bbb) Auch das [X.] Substantiv „face“ in der Pluralform „faces“ wird mit der Bedeutung „Gesichter“ von den angesprochenen Verkehrskreisen ohne weiteres verstanden, weil es zum [X.] Grundwortschatz gehört, der schon in einer frühen Phase des [X.] in der Schule gelehrt wird (s. Anlagenkonvolut 1 zum gerichtlichen Hinweis). Ein „Gesicht“ kann die „besonders durch Augen, Nase und Mund geprägte Vorderseite des menschlichen Kopfes vom Kinn bis zum Haaransatz“, die „Vorder- oder Oberseite eines Gegenstands“, seltener „Miene, Gesichtsausdruck“ sein oder „Vision“ bedeuten (www.duden.de).
ccc) Der Wortkombination „[X.][X.]“ kommt aus Sicht des inländischen Publikums die Gesamtbedeutung „[X.]-Gesichter“, „[X.]er Gesichter“ bzw. „Gesichter [X.]s“ zu.
Darunter kann zum einen das Aussehen bzw. der äußere Eindruck der [X.] [X.] verstanden werden, etwa die Architektur [X.]s, die unter touristischen und historischen Gesichtspunkten von beachtlichem Interesse ist (s. Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis). Zum anderen können das Antlitz, die Erscheinung oder der Charakter der Einwohner der [X.] [X.] gemeint sein. Die architektonischen Gesichter und die Gesichter der in der [X.] lebenden Menschen werden häufig im Sinne einer gewollten Mehrdeutigkeit thematisch miteinander verknüpft (vgl. z. B. www.michaelaberbner.de/projekte/: „Was [X.] ausmacht, ist nicht nur seine Geschichte oder Architektur, es sind vor allem die Menschen, die in dieser [X.] leben und sie prägen.“). Dementsprechend gibt es auch zahlreiche kulturelle und künstlerische Projekte, bei denen die Gesichter von Einwohnern [X.]s zeichnerisch oder fotografisch porträtiert und diese Bilder in Ausstellungen oder Fotobänden veröffentlicht werden. In den Titeln und Bezeichnungen solcher Ausstellungen und Werke wird häufig auch das Wort „[X.]“ alternativ oder parallel zum [X.] Begriff „Gesichter“ verwendet (s. Anlagenkonvolut 3 zum gerichtlichen Hinweis). Darüber hinaus haben sich sogar umfangreiche Verwendungen der Wortkombination „[X.] [X.]“ im Zusammenhang mit Gesichtern der [X.] Hauptstadt belegen lassen (s. Anlagenkonvolut 4 zum gerichtlichen Hinweis).
cc) Mit der so verstandenen Bedeutung weist die angemeldete Wortverbindung „[X.][X.]“ für die noch verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen weder einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt auf, noch stellt es einen engen beschreibenden Bezug zu ihnen her.
aaa) Die Produkte der [X.] „
Selbst wenn ein sachlicher Bezug von „[X.][X.]“ bzw. von [X.]-Gesichtern zu den Waren noch denkbar wäre, z. B. [X.]er Gesichter als verzierende Gestaltung der Deckel von Heftordnern, [X.] oder Ähnlichem, so bedürfte es mehrerer gedankliche Schritte, um zu einem denkbaren beschreibenden Gehalt zu gelangen. Eine derart analysierende Betrachtungsweise ist jedoch unzulässig, weil sich daraus keine in den Vordergrund drängende, für den Durchschnittsverbraucher ohne weiteres ersichtliche Beschreibung des Inhalts von Waren oder Dienstleistungen ergibt ([X.] [X.] 2012, 270 [X.]. 12 – Link economy; [X.] 2001, 162, 163 – RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).
bbb) Der markenrechtliche Dienstleistungsbegriff „
2. Mangels eines eindeutigen, beschreibenden Sinngehalts der Wortkombination „[X.][X.]“ in Bezug auf die noch verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen ist auch ein Freihaltebedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] nicht gegeben.
Meta
29.07.2019
Beschluss
Sachgebiet: W (pat)
Zitiervorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 29.07.2019, Az. 26 W (pat) 551/17 (REWIS RS 2019, 4996)
Papierfundstellen: REWIS RS 2019, 4996
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
26 W (pat) 508/19 (Bundespatentgericht)
26 W (pat) 560/20 (Bundespatentgericht)
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26 W (pat) 525/20 (Bundespatentgericht)
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