Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.01.2011, Az. V ZR 141/10

5. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 9958

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Gegenstand

Verjährung des Anspruchs auf Beseitigung einer Störung in der Ausübung des Grundstückseigentums; Beseitigungsrecht des Eigentümers


Leitsatz

1. § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB findet auf den Beseitigungsanspruch wegen einer Störung in der Ausübung des Grundstückseigentums keine Anwendung (Bestätigung u.a. von Senat, Urteil vom 23. Februar 1973, V ZR 109/71, BGHZ 60, 235, 238) .

2. Auch nach der Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB bleibt der von dem Störer geschaffene Zustand rechtswidrig; er kann von dem Gestörten daher auf eigene Kosten beseitigt werden .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 10. Juni 2010 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des [X.] vom 28. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist seit Oktober 1986 Eigentümerin eines bebauten Grundstücks, welches an eine [X.] mit erheblichem Gefälle angrenzt. Die [X.] wird seit 1986 oder 1987 durch eine von dem beklagten Markt errichtete Mauer aus Stahlbeton abgestützt. Die Mauer wurde mit einer Deckenplatte, die über das Grundstück der Klägerin verläuft, mit dem Wohngebäude der Klägerin verbunden. Ferner ist auf der Stützmauer ein Geländer errichtet und in die Außenmauer des Gebäudes eingeputzt worden.

2

Die Klägerin macht geltend, durch die Deckenplatte würden erhebliche statische Kräfte auf ihr Gebäude geleitet, was zu Rissen und Schäden führe. Sie verlangt von der Beklagten die Beseitigung der auf ihrem Grundstück befindlichen Deckenplatte sowie eine Gestaltung der Stützmauer derart, dass von dieser keine statischen Kräfte auf ihr Grundstück einwirkten und das Geländer nicht mehr in ihrem Haus verankert sei. Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das [X.] hat ihr stattgegeben. Mit der von dem [X.] zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, möchte der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht meint, der Beklagte sei nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 [X.] verpflichtet, die Stützmauer so umzubauen, dass das Eigentum der Klägerin nicht beeinträchtigt werde. Es gebe keinen Rechtsgrund, der die Klägerin verpflichte, den derzeitigen Zustand zu dulden. Der Beseitigungsanspruch unterliege nach § 902 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht der Verjährung. Die gegenteilige Auffassung des [X.] überzeuge nicht.

II.

5

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der von der Klägerin geltend gemachte Beseitigungsanspruch ist verjährt.

6

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] findet die Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 [X.], wonach Ansprüche aus eingetragenen Rechten nicht der Verjährung unterliegen, auf den Beseitigungsanspruch des § 1004 [X.] keine Anwendung; dieser verjährt daher innerhalb der regulären Frist ([X.], Urteil vom 23. Februar 1973 - [X.], [X.], 235, 238; Urteil vom 8. Juni 1979 - [X.], [X.] § 1004 [X.] Nr. 156; Urteil vom 22. Juni 1990 - [X.], NJW 1990, 2555, 2556 [insoweit in [X.], 1 nicht abgedruckt]; [X.], Urteil vom 1. Februar 1994 - VI ZR 229/92, [X.]Z 125, 56, 63; [X.], Urteil vom 12. Dezember 2003 - [X.], [X.], 1035, 1036; Urteil vom 16. März 2007 - [X.], NJW 2007, 2183 Rn. 14; ebenso: [X.], NJW-RR 2007, 234, 235; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 1004 Rn. 112; [X.]/[X.], [X.], 70. Aufl., § 1004 Rn. 45).

7

An dieser Auffassung ist trotz der gegen sie erhobenen Kritik festzuhalten (vgl. [X.], 338; [X.]/[X.], [X.] [2008], § 902 Rn. 9; [X.]., [X.] [2006], § 1004 Rn. 201; MünchKomm-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 902 Rn. 5; MünchKomm-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 1004 Rn. 121; [X.], [X.], 13. Aufl., § 902 Rn. 1; [X.] in jurisPK-[X.], 4. Aufl., § 902 Rn. 14; [X.], Sachenrecht, 4. Aufl., Rn. 1180; Picker, [X.], 357, 358; [X.], [X.] 1973, 560; [X.], [X.] 1999, 86, 87 f.). Richtig an der Kritik ist allerdings, dass die Anwendbarkeit von § 902 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht davon abhängen kann, ob sich der jeweilige Anspruch aus dem Inhalt des Grundbuchs ergibt (so noch [X.], Urteil vom 23. Februar 1973 - [X.], [X.], 235, 239). Denn das Grundbuch verlautbart nur das dingliche Stammrecht, nicht dagegen die aus diesem Recht folgenden Ansprüche (vgl. [X.]/[X.], [X.] [2005], § 1004 Rn. 201; [X.], [X.] 1973, 560). Auch der Herausgabeanspruch des Grundstückseigentümers nach § 985 [X.], für den § 902 Abs. 1 Satz 1 [X.] nach allgemeiner Meinung gilt ([X.], Urteil vom 16. März 2007 - [X.], NJW 2007, 2183 Rn. 7), lässt sich nicht aus dem Grundbuch ersehen; aus diesem ergibt sich nämlich nicht, wer Besitzer des Grundstücks ist und ob ein den Anspruch hinderndes Recht zum Besitz nach § 986 [X.] besteht.

8

Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Anwendung oder Nichtanwendung der Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist vielmehr deren Zweck, den Bestand der im Grundbuch eingetragenen Rechte dauerhaft zu sichern (MünchKomm-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 1004 Rn. 121; [X.]/[X.], [X.] [2008], § 902 Rn. 1). [X.] sind deshalb alle Ansprüche, die der Verwirklichung des eingetragenen Rechts selbst dienen und sicherstellen, dass die Grundbucheintragung nicht zu einer bloßen rechtlichen Hülse wird. Geht es dagegen nur um eine Störung in der Ausübung des Rechts, welche die dem Grundstückseigentümer zustehende Rechtsmacht (§ 903 [X.]) unberührt lässt, steht der Schutzzweck des § 902 Abs. 1 Satz 1 [X.] der Möglichkeit der Verjährung eines auf Beseitigung der Störung gerichteten Anspruchs nicht entgegen ([X.], Urteil vom 22. Oktober 2010 - [X.], NJW 2011, 518 Rn. 21).

9

Letzteres trifft ohne weiteres auf Störungen zu, deren Quelle sich - wie hier - auf dem Grundstück des gestörten Eigentümers befinden, und die deshalb von diesem im Rahmen seiner aus § 903 [X.] folgenden Rechtsmacht beseitigt werden können. Denn der von dem Störer geschaffene Zustand bleibt auch nach der Verjährung des Anspruchs aus § 1004 [X.] rechtswidrig, muss also von dem Eigentümer nicht geduldet werden. Sind auf dem Grundstück beispielsweise fremde Leitungen verlegt, deren Beseitigung der Eigentümer nach § 1004 [X.] verlangen konnte, entsteht nach Verjährung des Anspruchs nicht etwa ein Recht des Störers, die Leitungen auf dem Grundstück zu halten (verkannt von [X.], [X.] 1999, 86, 88). Der Eigentümer ist vielmehr berechtigt, diese von seinem Grundstück zu entfernen; einen damit verbundenen Eingriff in seine Sachen muss der Störer dulden. Die Verjährung des Anspruchs aus § 1004 [X.] hat lediglich zur Folge, dass der Grundstückseigentümer die Störung auf eigene Kosten beseitigen muss. Die Gefahr, dass das eingetragene Recht infolge der Verjährung des Beseitigungsanspruchs „inhaltslos“ (so Picker, [X.], 357, 358) oder ein „Rechtskrüppel“ (vgl. [X.]/[X.], [X.] [2008], § 902 Rn. 1) wird, besteht daher nicht; ebensowenig wird das Grundstückseigentum faktisch mit einer aus dem Grundbuch nicht ersichtlichen Duldungsdienstbarkeit belastet (so aber [X.], [X.] 1973, 560, 561).

2. So liegt es auch hier. Der gegen den Beklagten ursprünglich bestehende Beseitigungsanspruch diente nicht der Verwirklichung des Eigentumsrechts der Klägerin, sondern betraf eine bloße Störung in der Ausübung dieses Rechts. Die Klägerin ist ungeachtet der Verjährung des Beseitigungsanspruchs berechtigt, die auf ihr Grundstück ragende Deckenplatte zu entfernen und die Verankerung des Gelän[X.] in der Außenwand ihres Gebäudes zu lösen (wegen der damit verbundenen Folgen für die Statik der Stützmauer allerdings nur nach entsprechender Ankündigung gegenüber dem Beklagten). Es ist dann Sache des Beklagten, für eine neue, das Eigentum der Klägerin nicht beeinträchtigende Abstützung der [X.] zu sorgen.

III.

Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Verjährung des Beseitigungsanspruchs ist, nachdem die reguläre Verjährungsfrist durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz auf drei Jahre verkürzt wurde (§ 195 [X.]), unter Berücksichtigung der Übergangsvorschrift in Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EG[X.] mit Ablauf des 31. Dezember 2004 und damit vor Erhebung der Klage eingetreten. Dies führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                         Stresemann                               Czub

                   [X.]                                  [X.]

Meta

V ZR 141/10

28.01.2011

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 10. Juni 2010, Az: 8 U 5370/09, Urteil

§ 902 Abs 1 BGB, § 903 BGB, § 1004 Abs 1 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.01.2011, Az. V ZR 141/10 (REWIS RS 2011, 9958)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9958

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