Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.11.2010, Az. XI R 79/07

11. Senat | REWIS RS 2010, 1533

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Gegenstand

Keine Steuerbefreiung für Umsätze eines gewerblichen Betreibers von Geldspielautomaten - Beteiligtenwechsel durch den Erlass eines Änderungsbescheids von einem anderen Finanzamt während des Revisionsverfahrens


Leitsatz

1. Die Umsätze eines gewerblichen Betreibers von Geldspielautomaten sind aufgrund der am 6. Mai 2006 in Kraft getretenen Neuregelung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG steuerpflichtig .

2. Die in dieser Vorschrift getroffene Regelung, nach der nur bestimmte (Renn-)Wetten und Lotterien von der Steuer befreit und sämtliche "sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz" von der Steuerbefreiung ausgenommen sind, verstößt weder gegen Unionsrecht noch gegen das Grundgesetz .

Tatbestand

1

I. Die Revisionsklägerin ist seit Ende 2008 Rechtsnachfolgerin einer GmbH, die im Jahr 2007 eine Spielhalle mit Geldspielautomaten betrieb.

2

Die GmbH erklärte in ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Januar 2007 steuerpflichtige Umsätze in Höhe von ... € und abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von ... €. Daraus ergab sich eine Zahllast von ... €.

3

Sie legte gegen die --ihrer Erklärung entsprechende-- Festsetzung der [X.] Einspruch ein und machte geltend, ihre Umsätze seien steuerfrei, weil die am 6. Mai 2006 in [X.] getretene Neuregelung des § 4 Nr. 9 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG n.F.) durch das [X.] missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28. April 2006 ([X.], 1095, [X.], 353) gegen das Unionsrecht verstoße.

4

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 256 veröffentlicht.

5

Der Senat hat mit Beschluss vom 17. Dezember 2008 [X.] ([X.], 156, [X.], 434) das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem [X.] ([X.]) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

6

"Ist Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/[X.] dahin auszulegen, dass den Mitgliedstaaten eine Regelung gestattet ist, nach der nur bestimmte (Renn-)Wetten und Lotterien von der Steuer befreit und sämtliche 'sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz' von der Steuerbefreiung ausgenommen sind?"

7

Der [X.] hat diese Frage mit Urteil vom 10. Juni 2010 Rs. [X.]/09 --Leo-Libera-- ([X.], 1590, [X.] --[X.]-- 2010, 884) bejaht.

8

Die Revisionsklägerin ist der Auffassung, unabhängig von der vom [X.] beantworteten Vorlagefrage sei die Erhebung der Umsatzsteuer auf ihre Umsätze aus gewerblichem Automatenspiel zu Unrecht erfolgt, da sie sowohl gegen europäisches Recht als auch gegen innerstaatliches [X.] Recht (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 i.V.m. dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) verstoße.

9

Die Besteuerung sei rechtswidrig, weil die festgesetzte Steuer wesentliche Merkmale der Umsatzsteuer, wie sie der [X.] in seinem Urteil vom 8. Juni 1999 Rs. [X.], 344, 390/97 --Pelzl u.a.-- (Slg. 1999, [X.], [X.] 1999, 853, [X.] --UR-- 1999, 328) zur Abgrenzung von anderen Steuerarten herausgearbeitet habe, nicht erfülle und deshalb in Wahrheit gar keine Umsatzsteuer sei. Insbesondere könne die Umsatzsteuer nicht direkt auf die Endverbraucher abgewälzt werden, was auch nach dem Beschluss des [X.] ([X.]) vom 13. Juni 1997 1 BvR 201/97 ([X.] 1997, 771, Umsatzsteuer- und [X.] --UVR-- 1997, 328) erforderlich sei.

Eine Abwälzung der Umsatzsteuer auf den Endverbraucher werde den Betreibern von Geldspielautomaten durch die ab dem 1. Januar 2006 geltende Neufassung der Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit [X.] n.F.-- ([X.], 3495) rechtlich unmöglich gemacht, weil sie --anders als die davor geltende [X.]-- keine Regelung dahingehend enthalte, dass die Kasseneinnahmen um die Umsatzsteuer erhöht werden dürften. Denn nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] n.F. dürfe die Summe der Verluste eines Spielers "im Verlauf einer Stunde 80 € nicht übersteigen", womit gleichzeitig die Höchsteinnahme des Geldspielautomatenaufstellers geregelt werde. Dagegen habe nach § 13 Nr. 6 der zuvor geltenden [X.] die Summe der Gewinne des Spielers "mindestens 60 vom Hundert der durch den jeweiligen Umsatzsteuersatz verringerten Einsätze betragen" müssen.

Es fehle ferner an dem weiteren für eine Umsatzsteuer charakteristischen Merkmal, dass die Festsetzung ihrer Höhe proportional zu dem Preis erfolge, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für seine Dienstleistung erhalte (Hinweis u.a. auf Art. 1 Abs. 2 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie). Denn Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer für den Betrieb von Geldspielautomaten seien ausschließlich die Kasseneinnahmen, nicht die Einsätze der Spieler.

Zudem verstoße die Steuerfestsetzung gegen den vom [X.] aufgestellten [X.] sowie gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Denn öffentliche Spielbanken, die mit ihrem Automatenspiel gleichartige Leistungen anböten und mit privaten Betreibern von Geldspielgeräten in Wettbewerb stünden, könnten die Umsatzsteuer abwälzen, da sie nicht den Vorschriften der [X.] und damit keiner Preisbindung unterlägen. Außerdem seien zwar auch bei öffentlichen Spielbanken die Kasseneinnahmen die Bemessungsgrundlage; dies sei aber rechtswidrig, weil die in den öffentlichen Spielbanken aufgestellten Geldgewinnspielgeräte nicht über die für die Ermittlung dieser Bemessungsgrundlage erforderlichen technischen Vorrichtungen verfügten.

Während des Revisionsverfahrens erließ das nunmehr zuständig gewordene Finanzamt --[X.]-- (der Revisionsbeklagte) am 4. Dezember 2009 den [X.] für 2007 und setzte die Umsatzsteuer auf einen Überschuss zugunsten der Revisionsklägerin in Höhe von ... € fest.

Die Revisionsklägerin ist der Ansicht, sie habe unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass keine monatliche Umsatzsteuererhebung aus dem Betrieb ihrer Geldspielgeräte erfolgen dürfe.

Sie beantragt,

festzustellen, dass die aufgrund der Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Januar 2007 erfolgte [X.] rechtswidrig war,

hilfsweise, das Verfahren erneut auszusetzen und dem [X.] folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

"1. Ist es den Mitgliedstaaten gestattet, Umsatzsteuer auf bestimmte Dienstleistungen zu erheben, obwohl dem Steuerpflichtigen eine direkte Abwälzung der Steuer auf den Endverbraucher durch aufgrund nationaler Rechtsvorschriften bestehender Preisbindungen nicht möglich ist?

2. Verstößt es gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, wenn die Umsätze der gewerblichen Automatenaufsteller ebenso wie die der öffentlichen Spielbanken der Umsatzsteuer unterworfen werden, obwohl die Umsatzsteuer auf Umsätze aus dem gewerblichen Automatenspiel nicht wie die Umsätze der öffentlichen Spielbanken direkt auf die Endverbraucher abgewälzt werden können?

3. Ist es in den Mitgliedstaaten gestattet, Umsatzsteuer auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen zu erheben, obwohl es nicht möglich ist, den Betrag der auf den Kunden abgewälzten Abgabe bei jedem einzelnen Verkauf oder jeder einzelnen Dienstleistung genau zu bestimmen und es somit an der Proportionalität zwischen der Steuer und den Preisen, die der Steuerpflichtige als Gegenleistung erhält, fehlt?

4. Verstößt es gegen den in Art. 1 Abs. 2 Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie aufgestellten Grundsatz der Proportionalität, wonach auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt werden, eine allgemeine zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist, wenn ein Mitgliedstaat die Umsatzsteuer nach dem monatlichen oder jährlichen Gesamtumsatz aller Kasseneinnahmen eines Steuerpflichtigen ermittelt, weil es ihm nicht möglich ist, den Betrag der bei jedem einzelnen Verkauf oder jeder einzelnen Dienstleistung auf den Kunden abgewälzten Abgabe genau zu bestimmen?"

Höchstvorsorglich regt die Revisionsklägerin an, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem [X.] vorzulegen.

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Das Urteil des [X.] war aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Die Revision hat aber in der Sache keinen Erfolg; sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O---) und die Fortsetzungsfeststellungsklage war abzuweisen.

1. Das Urteil des [X.] musste aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben werden, weil ihm ein nicht mehr existierender Verwaltungsakt zugrunde liegt.

Der während des Revisionsverfahrens ergangene [X.] für 2007 vom 4. Dezember 2009 hat gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 [X.]O den [X.] für Januar 2007, über den das [X.] entschieden hat, ersetzt und ist Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. z.B. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 3. November 2005 [X.], [X.], 161, [X.], 337, unter [X.]).

In einem solchen Fall ist das [X.]-Urteil aufzuheben (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 23. August 2007 [X.], [X.], 332, unter [X.]; vom 12. Februar 2009 [X.], [X.], 467, [X.], 828, unter [X.]).

2. Durch den Erlass des [X.]s ist ferner auf Seiten des Beklagten ein [X.] eingetreten.

Wird --wie hier-- während des Revisionsverfahrens ein Änderungsbescheid von einem anderen [X.] erlassen als der ursprüngliche Bescheid und wird der Änderungsbescheid gemäß § 68 [X.]O Gegenstand des Revisionsverfahrens, so richtet sich die Revision nunmehr gegen das [X.], das den Änderungsbescheid erlassen hat (vgl. [X.] vom 9. November 2004 [X.], [X.], 511, [X.] 2005, 101).

3. [X.] (§ 100 Abs. 1 Satz 4 [X.]O), zu der die Revisionsklägerin übergegangen ist, ist zulässig (vgl. dazu [X.]-Urteil vom 10. Februar 2010 [X.], [X.], 1450, unter II.3., m.w.N.), aber unbegründet; die Umsatzsteuerfestsetzung für Januar 2007 war rechtmäßig.

a) Die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG steuerbaren Umsätze der GmbH waren nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. steuerfrei, wie der Senat in seinem Vorlagebeschluss in [X.], 156, [X.], 434, unter [X.] näher ausgeführt hat. Dass § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. unionskonform ist, hat der [X.] in seinem in diesem Verfahren auf Vorlage des Senats ergangenen Urteil in [X.], 1590, [X.], 884 geklärt.

b) [X.], der [X.] für Januar 2007 sei deshalb rechtswidrig, weil die festgesetzte Steuer nicht auf die Endverbraucher (Spieler) abgewälzt werden könne, vermag der Senat nicht zu folgen.

aa) Entgegen der Ansicht der Revisionsklägerin sind die Ausführungen des [X.] in seinem Urteil --Pelzl-- in [X.]. 1999, [X.], [X.] 1999, 853, [X.] 1999, 328 nicht so zu verstehen, dass die in [X.] 21 dieses Urteils genannten wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Umsatzsteuerfestsetzung sind.

Vielmehr dienen die vom [X.] in [X.] 21 seines Urteils --Pelzl-- in [X.]. 1999, [X.], [X.] 1999, 853, [X.] 1999, 328 genannten vier wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer (vgl. auch [X.]-Urteil vom 11. Oktober 2007 Rs. [X.], 312/06 --Kögaz--, [X.]. 2007, [X.], [X.] Beilage 2008, 44; [X.]-Urteil vom 9. Oktober 2002 [X.], [X.], 507, [X.] 2002, 887, unter II.3.c)

- allgemeine Geltung der Steuer für alle sich auf Gegenstände und Dienstleistungen beziehenden Geschäfte,

- Festsetzung ihrer Höhe proportional zum Preis, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für die Gegenstände und Dienstleistungen erhält,

- Erhebung der Steuer auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe einschließlich der Einzelhandelsstufe, ungeachtet der Zahl der vorher bewirkten Umsätze,

- Abzug der auf den vorhergehenden Stufen bereits entrichteten Beträge von der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Steuer, so dass sich die Steuer auf einer bestimmten Stufe nur auf den auf dieser Stufe vorhandenen Mehrwert bezieht und die Belastung letztlich vom Verbraucher getragen wird,

lediglich der Feststellung, ob eine Steuer, Abgabe oder Gebühr --wie im zugrunde liegenden Fall eine [X.] den Charakter einer Umsatzsteuer i.S. von Art. 33 der [X.]/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern hat (vgl. [X.] 20 sowie [X.] 21: "zu diesem Zweck").

Im Übrigen ist das zuletzt genannte Merkmal einer Umsatzsteuer im Streitfall erfüllt. Denn die GmbH war gemäß § 15 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt.

Darüber hinaus hat der [X.] daraus, dass die Mehrwertsteuer nur den Endverbraucher belasten soll, abgeleitet, dass die Bemessungsgrundlage für die von den Steuerbehörden zu erhebende Steuer nicht höher sein kann als die Gegenleistung, die der Endverbraucher tatsächlich erbracht hat (vgl. [X.]-Urteile vom 24. Oktober 1996 Rs. [X.]/94 --Elida [X.], [X.]. 1996, [X.], [X.] 1997, 111, [X.] 1997, 265, [X.] 19, 24, 28; vom 15. Oktober 2002 Rs. C-427/98 --Kommission gegen [X.], [X.]. 2002, [X.], [X.] 2004, 328, [X.] 29).

Auch insoweit war der ursprünglich angefochtene Vorauszahlungsbescheid rechtmäßig. Denn die Bemessungsgrundlage für die von der GmbH geschuldete Umsatzsteuer war nicht höher als die von den Spielern tatsächlich gezahlten Beträge.

bb) Der Senat folgt ferner nicht der Ansicht der Revisionsklägerin, sie sei durch § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] n.F. rechtlich an einer Überwälzung der Umsatzsteuer an die Endverbraucher (Spieler) gehindert.

Denn die Überwälzbarkeit einer Steuer bedeutet nicht, dass dem Steuerschuldner die rechtliche Gewähr geboten wird, er werde den als Steuer gezahlten Geldbetrag --etwa wie einen durchlaufenden [X.] von der vom Steuergesetz der Idee nach als Steuerträger gemeinten Person auch tatsächlich ersetzt erhalten. Die Steuerüberwälzung ist ein wirtschaftlicher Vorgang; das Gesetz überlässt es dem Steuerschuldner, den Steuerbetrag in die Kalkulation einzubeziehen und die Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens auch dann zu wahren; letztlich hängt es von der Marktlage ab, ob dem Steuerzahler die Überwälzung gelingt (vgl. [X.] vom 10. Mai 1962  1 BvL 31/58, [X.] 14, 76, unter [X.]; vom 3. Mai 2001  1 BvR 624/00, [X.] Beilage 2001, 159, [X.] 2001, 709, unter [X.]b aa).

[X.], diese Aussage des [X.] beschränke sich auf die Vergnügungssteuer, zu der diese Entscheidungen ergangen sind, sie sei deshalb nicht auf die Umsatzsteuer zu übertragen, folgt der Senat angesichts der vom [X.] gewählten allgemeinen Formulierungen nicht. Im Übrigen hat das [X.] diese Grundsätze auch auf die Frage der Abwälzbarkeit anderer Verbrauchsteuern angewandt (vgl. z.B. zur Stromsteuer und zur Mineralölsteuer: [X.]-Urteil vom 20. April 2004  1 BvR 905/00, [X.] 110, 274, [X.] 67; zur [X.]: [X.]-Beschluss vom 4. Februar 2009  1 [X.], [X.] 123, 1, [X.] 2009, 708, unter C.[X.]c).

Soweit die Revisionsklägerin meint, im Unterschied zu anderen Steuern wie der Vergnügungssteuer, bei der zur Abwälzung ein kalkulatorisches [X.] genüge, werde im Umsatzsteuerrecht unter Abwälzung ausschließlich ein Aufschlagen der Steuer auf den Nettopreis verstanden, d.h. dem Unternehmer solle es zumindest rechtlich möglich sein, die Umsatzsteuer als Preisaufschlag zusätzlich zum Nettopreis zu verlangen, sieht der Senat für diese Differenzierung keine Grundlage. Im Übrigen verbietet § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] n.F. ein Aufschlagen der Steuer auf den Nettopreis nicht. Insbesondere garantiert diese Vorschrift den Betreibern von Geldspielgeräten nicht eine bestimmte Gewinnmarge.

cc) In diesem Zusammenhang beruft sich die Revisionsklägerin ohne Erfolg auf den Beschluss des [X.] in [X.] 1997, 771, [X.] 1997, 328.

In diesem Beschluss hat das [X.] ausgeführt, seine Rechtsprechung zur verfassungsrechtlich gebotenen Berücksichtigung des existenznotwendigen Bedarfs als Untergrenze für den Zugriff durch Einkommensteuer könne auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf die Umsatzsteuer übertragen werden ([X.] 2). Das Umsatzsteuersystem sei im Gegensatz zur Einkommensteuer auf Abwälzung angelegt. Der Unternehmer solle daher in dieser Eigenschaft nicht mit Umsatzsteuer belastet sein; Steuerträger solle vielmehr der Verbraucher sein ([X.] 2a). Da der Endverbraucher materiell mit der Umsatzsteuer belastet sei, stelle sich [X.] überhaupt-- allenfalls bei ihm die Frage der Steuerfreiheit des Existenzminimums auch im Bereich der indirekten Steuern ([X.] 2c).

Entgegen der Ansicht der Revisionsklägerin vermag der Senat dieser Entscheidung nicht zu entnehmen, das [X.] sehe die erforderliche Möglichkeit zur Abwälzung der Umsatzsteuer (nur) dann als gegeben an, wenn die Umsatzsteuer, wie bei den Steuerberatern, zusätzlich zu den gesetzlich vorgeschriebenen Gebühren erhoben werden dürfe. Vielmehr hat das [X.] insoweit ausgeführt ([X.] 3): "So gelingt auch einem Steuerberater die Abwälzung der Umsatzsteuer auf seinen Mandanten, da er im Regelfall die gesetzlich vorgeschriebenen Gebühren abrechnet und die dem Finanzamt geschuldete Umsatzsteuer zusätzlich in Rechnung stellen darf (§ 15 der Gebührenverordnung für Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften)."

Dabei handelt es sich aber um keine verallgemeinerungsfähige Aussage. Vielmehr hat das [X.] hier lediglich beispielhaft die für Steuerberater geltende Gebührenordnung genannt - offenbar deshalb, weil der Kläger Steuerberater war.

Zudem hat das [X.] für seine Aussage, die Umsatzsteuer sei im Gegensatz zur Einkommensteuer auf Abwälzung angelegt, in [X.] 2 seiner Entscheidung in [X.] 1997, 771, [X.] 1997, 328 auf seinen Beschluss vom 19. März 1974  1 [X.], 767, 779/68 ([X.] 37, 38 <46>) verwiesen, wo es heißt: "Die Mehrwertsteuer ist auf Abwälzung angelegt. Für den Unternehmer, der eine Lieferung oder sonstige Leistung ausführt, ist daher weniger die Höhe des Steuersatzes als vielmehr der Grad der Wahrscheinlichkeit entscheidend, die Steuer weitergeben zu können. Die Aussichten dafür sind für Dienstleistungs- und Warenanbieter bei einheitlichem Steuersatz grundsätzlich gleich."

Damit reicht für das Merkmal der Abwälzbarkeit der Umsatzsteuer aus, dass diese Abwälzbarkeit generell möglich ist; sie wird dem einzelnen Unternehmer aber nur durch den Vorsteuerabzug und eine Bemessungsgrundlage garantiert, die nicht höher sein darf als die Gegenleistung, die der Endverbraucher tatsächlich erbracht hat (s. oben unter II.3.b aa).

c) Die Steuererhebung im Vorauszahlungsbescheid für Januar 2007 ist auch nicht wegen fehlender Proportionalität der festgesetzten Steuer zu den Einsätzen der einzelnen Spieler zu beanstanden.

Denn der [X.] hat in seinem Urteil vom 5. Mai 1994 Rs. [X.]/93 --Glawe-- ([X.]. 1994, [X.], [X.] 1994, 548) entschieden, bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt seien, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt werde, bestehe die vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltene Gegenleistung nur in dem Teil der Einsätze, über den er effektiv selbst verfügen könne; bei solchen Automaten gehöre der gesetzlich zwingend festgelegte Teil der Gesamtheit der Spieleinsätze, der den an die Spieler ausgezahlten Gewinnen entspreche, nicht zur Besteuerungsgrundlage.

Eine Proportionalität der Umsatzsteuer zu dem Einsatz jedes einzelnen Spielers, die nach dem Vorbringen der Revisionsklägerin deshalb nicht gegeben ist, weil Besteuerungsgrundlage nicht diese einzelnen Einsätze, sondern die monatlichen bzw. jährlichen Kasseneinnahmen seien, hat der [X.] in seinem Urteil in [X.]. 1994, [X.], [X.] 1994, 548 --das die Betreiber von Geldspielautomaten nicht beschwert-- nicht gefordert. Dies ist auch nach der Rechtsprechung des [X.] nicht erforderlich (vgl. z.B. Urteil vom 22. April 2010 [X.], [X.]E 229, 429, [X.] 2010, 883).

d) Die Steuerfestsetzung im [X.] für Januar 2007 verstieß entgegen der Ansicht der Revisionsklägerin auch nicht gegen den Neutralitätsgrundsatz.

Der [X.] hat in seinem in diesem Verfahren auf Vorlage des Senats ergangenen Urteil in [X.], 1590, [X.], 884 einen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz verneint ([X.] 34 ff.) und dabei u.a. ausgeführt, dass dieser Grundsatz auf eine nicht harmonisierte Abgabe keine Anwendung findet ([X.] 38). Es ist deshalb unerheblich, dass nach dem Vortrag der Revisionsklägerin öffentliche Spielbanken --anders als gewerbliche Automatenaufsteller-- den Vorschriften der [X.] nicht unterliegen.

Jedenfalls behandelt "die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung" --nämlich § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F.-- gleichartige Glücksspiele mit Geldeinsatz, die als miteinander im Wettbewerb stehend betrachtet werden können, mehrwertsteuerlich nicht unterschiedlich (vgl. [X.] 36 des [X.]-Urteils).

e) Aus den vorstehend genannten Gründen scheidet auch der von der Revisionsklägerin geltend gemachte Verstoß von § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 i.V.m. dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG aus.

Das ergänzende, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellte Vorbringen der Revisionsklägerin, zwar würden auch bei in öffentlichen Spielbanken aufgestellten Geldspielgeräten die Kasseneinnahmen als Bemessungsgrundlage herangezogen, das verstoße aber gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil diese Geldspielgeräte nicht über die für die Ermittlung dieser Bemessungsgrundlage erforderlichen technischen Vorrichtungen verfügten, bleibt ohne Erfolg. Denn abgesehen davon, dass es sich dabei um im Revisionsverfahren unzulässiges neues Vorbringen handelt, ist nicht ersichtlich, weshalb ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliegen soll, wenn für Umsätze aus dem Betrieb gleichartiger Geldspielgeräte die gleiche Bemessungsgrundlage gilt.

4. Angesichts der bereits vorliegenden und vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung des [X.] und des [X.] sieht der Senat für die von der Revisionsklägerin hilfsweise beantragte erneute Vorlage der Sache an den [X.] ebenso wenig eine Grundlage wie für eine Vorlage nach Art. 100 GG an das [X.].

Meta

XI R 79/07

10.11.2010

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 18. Oktober 2007, Az: 5 K 137/07, Urteil

§ 4 Nr 9 Buchst b UStG 2005 vom 28.04.2006, Art 135 Abs 1 Buchst i EGRL 112/2006, § 68 FGO, § 57 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.11.2010, Az. XI R 79/07 (REWIS RS 2010, 1533)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1533

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

9 B 80/11

9 B 81/11

V B 80/10

Zitiert

1 BvL 8/05

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