Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.09.2019, Az. 6 AZR 533/18

6. Senat | REWIS RS 2019, 3868

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Gegenstand

TV UmBw - Altersrente - Benachteiligung wegen Behinderung


Leitsatz

Der in § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw vorgesehene Anspruchsausschluss ist unwirksam, soweit er bei schwerbehinderten Beschäftigten die Ausgleichszahlung gemäß § 11 TV UmBw bereits ab dem Zeitpunkt entfallen lässt, ab dem diese vor Erreichen der Regelaltersgrenze die Möglichkeit zum Bezug einer ungekürzten Altersrente (§§ 37, 236a SGB VI) haben. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV UmBw benachteiligt schwerbehinderte Menschen wegen ihrer Schwerbehinderung.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 6. November 2018 - 8 Sa 26/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Anspruch der beklagten Arbeitnehmerin auf eine Ausgleichszahlung nach dem Tarifvertrag über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der [X.] vom 18. Juli 2001 ([X.]). Die Klägerin begehrt insoweit die Rückzahlung der in den Monaten September 2013 bis August 2015 geleisteten Beträge.

2

Die am 5. August 1950 geborene Beklagte war bei der Klägerin seit dem 1. Oktober 1980 als Tarifbeschäftigte im Bereich des [X.] tätig. In einem Zusatzvertrag zum Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien unter anderem die Anwendung der Härtefallregelung gemäß § 11 [X.] ab dem 1. September 2005 unter Verzicht auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung (sog. Ruhensregelung). Der [X.] in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung des 3. [X.] vom 10. Dezember 2010 lautet auszugsweise wie folgt:

        

Abschnitt I

        

…       

        

§ 11   

        

Härtefallregelung

        

(1)     

1Kann einer/einem Beschäftigten … kein Arbeitsplatz nach § 3 angeboten werden …, kann … in gegenseitigem Einvernehmen ein Verzicht auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung (Ruhensregelung) vereinbart werden. 2Die/der Beschäftigte erhält statt des Entgelts eine monatliche Ausgleichszahlung. …

        

(9)     

Der Anspruch auf die Ausgleichszahlung entfällt ferner,

                 

a)    

wenn das Arbeitsverhältnis endet,

                 

b)    

unter den Voraussetzungen des § 17 …

                 
        

Abschnitt III

        

Schlussbestimmungen

                 
        

§ 17   

        

Persönliche Anspruchsvoraussetzungen

        

(1)     

1Ansprüche aus Abschnitt I dieses Tarifvertrages enden mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat, in dem die/der Beschäftigte die Voraussetzungen nach dem SGB VI für den Bezug einer ungekürzten Vollrente wegen Alters … erfüllt.“

3

Ab 15. Juli 2010 wurde bei der Beklagten ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt. [X.] bezieht sie seit dem 1. September 2015 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 1.621,18 Euro monatlich.

4

Die Klägerin leistete in Anwendung der vereinbarten Ruhensregelung auch im Zeitraum September 2013 bis August 2015 noch Ausgleichszahlungen von insgesamt 73.103,10 Euro. Sie forderte die Beklagte zunächst schriftlich zu deren Rückzahlung auf und verfolgt diesen Anspruch nach Überleitung des Mahnverfahrens in das streitige Verfahren und Verweisung des Rechtsstreits an das [X.] im Klageverfahren weiter.

5

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe die Ausgleichszahlung seit September 2013 ohne Rechtsgrund geleistet. Hierzu behauptet sie, gestützt auf eine am 26. März 2010 erteilte Auskunft des Rentenversicherungsträgers, die Beklagte habe bereits seit dem 1. September 2013 eine ungekürzte Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehen können. § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] sei wirksam. Die Tarifnorm benachteilige die Beklagte nicht mittelbar wegen ihrer Behinderung, indem sie ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt des Bezugs einer ungekürzten Vollrente wegen Alters den Anspruch auf die Ausgleichszahlung entfallen lasse. Die Norm wirke sich auf behinderte und nicht behinderte Beschäftigte in gleicher Weise aus. Andere Versichertengruppen seien von dem [X.] ebenfalls betroffen. Daher liege keine Benachteiligung in besonderer Weise vor. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] vom 19. September 2018 (- [X.]/17 - [[X.]]) zur Benachteiligung behinderter Menschen aufgrund des früher möglichen Bezugs einer ungekürzten Altersrente im Zusammenhang mit der Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur [X.] Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der [X.] vom 31. August 1971 ([X.]) sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Der [X.] sehe anders als der [X.] die Möglichkeit einer anderweitigen Erwerbstätigkeit während des Leistungsbezugs nicht vor.

6

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, den überzahlten Betrag in Höhe von 73.103,10 Euro netto nebst den gesetzlichen Zinsen ab Rechtshängigkeit an sie zurückzuzahlen.

7

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie sieht sich als behinderter Mensch durch den [X.] aufgrund des für nicht behinderte Menschen möglichen längeren Leistungsbezugs benachteiligt.

8

Die Vorinstanzen habe die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren unverändert weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB die Rückzahlung der vom 1. September 2013 bis zum 31. August 2015 geleisteten Ausgleichszahlungen beanspruchen. Sie hat diese Leistungen mit Rechtsgrund erbracht. Der in § 11 Abs. 9 Buchst. [X.]. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] für den Fall des möglichen Bezugs einer ungekürzten Vollrente wegen Alters vorgesehene [X.] diskriminiert die Beklagte wegen ihrer Behinderung. Er ist jedenfalls insoweit unwirksam (§ 164 Abs. 2 SGB IX, § 7 Abs. 2 iVm. Abs. 1 [X.]).

I. Die Parteien haben in dem Zusatzvertrag zum Arbeitsvertrag die Anwendung der Härtefallregelung gemäß § 11 TV [X.] ab dem 1. September 2005 vereinbart, was das Ruhen der Arbeitspflicht der Beklagten zur Folge hatte. Die Klägerin hat statt des Arbeitsentgelts Ausgleichszahlungen geleistet. Nach § 11 Abs. 9 Buchst. [X.]. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] enden diese mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat, in dem die/der Beschäftigte die Voraussetzungen nach dem [X.] für den Bezug einer ungekürzten Vollrente wegen Alters erfüllt.

Es kann vorliegend offenbleiben, ob die am 5. August 1950 geborene Beklagte tatsächlich ab dem 1. September 2013 nach § 236a Abs. 2 [X.] eine ungekürzte Altersrente für schwerbehinderte Menschen hätte beziehen können. Das ist im Hinblick auf die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren streitig geblieben.

II. Auch wenn man die Rentenberechtigung der Beklagten zu Gunsten der Klägerin unterstellt, wäre der Anspruch auf die Ausgleichszahlungen nicht nach § 11 Abs. 9 Buchst. [X.]. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] ab dem 1. September 2013 entfallen. Diese Regelung war gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (nunmehr § 164 Abs. 2 SGB IX), § 7 Abs. 2 iVm. Abs. 1 [X.] unwirksam, soweit sie für die Beklagte wegen ihrer Behinderung zu einer gegenüber nicht behinderten Menschen zwei Jahre kürzeren Bezugszeit der Ausgleichszahlungen führte. In der Folge bestand der Anspruch für die Beklagte bis zu dem [X.]punkt, bis zu dem eine vergleichbare nicht behinderte Arbeitnehmerin die Ausgleichszahlung hätte beziehen können, dh. vorliegend jedenfalls bis zum Ende des [X.] am 31. August 2015.

1. Gemäß § 7 Abs. 2 [X.] sind Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 [X.] verstoßen, unwirksam. Darunter fallen auch tarifliche Regelungen ([X.] 12. Mai 2016 - 6 [X.] - Rn. 21 mwN, [X.]E 155, 88; vgl. auch [X.] 6. Dezember 2012 - [X.]/11 - [[X.]] Rn. 34 mwN). § 7 Abs. 1 Halbs. 1 [X.] untersagt unmittelbare sowie mittelbare Benachteiligungen iSd. § 3 [X.] wegen eines in § 1 [X.] genannten Grundes, unter anderem wegen einer Behinderung. Dabei erstreckt sich der Anwendungsbereich des [X.] gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 [X.] auf Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt, insbesondere in kollektivrechtlichen Vereinbarungen bei der Durchführung eines Beschäftigungsverhältnisses. Im Hinblick auf schwerbehinderte Beschäftigte enthält zudem § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (bis zum 31. Dezember 2017 § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) ein an den Arbeitgeber gerichtetes Benachteiligungsverbot. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des [X.] (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX).

a) Bei der Ausgleichszahlung gemäß § 11 TV [X.] handelt es sich um Arbeitsentgelt iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 2 [X.].

aa) Der Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne der Legaldefinition in Art. 157 Abs. 2 AEUV umfasst insbesondere alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gewährten Vergütungen, vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber sie dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Arbeitsverhältnisses gewährt, sei es aufgrund eines Arbeitsvertrags, aufgrund von Rechtsvorschriften oder freiwillig ([X.] 19. September 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 33 mwN). Das Arbeitsentgelt ist abzugrenzen von Leistungen der Systeme der Sozialversicherung und des [X.] Schutzes, die weder in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78/[X.] (vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 3 Richtlinie 2000/78/[X.]; [X.] 19. September 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 30) noch des [X.] fallen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

bb) Danach sind Ausgleichszahlungen gemäß § 11 TV [X.] Arbeitsentgelt iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 2 [X.], Art. 157 Abs. 2 AEUV. Es handelt sich um eine gegenwärtig in bar gewährte Vergütung, die die Klägerin „statt des Entgelts“ (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 TV [X.]) leistet. Dass dies im Rahmen einer Ruhensregelung erfolgt, aufgrund derer die Klägerin auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung verzichtet, steht dem nicht entgegen. Die Ausgleichszahlung dient der Sicherung des [X.] der Beschäftigten, wenn aufgrund einer Maßnahme der Neuausrichtung der [X.] der Arbeitsplatz der Beschäftigten wegfällt ([X.] 18. Januar 2012 - 6 [X.] - Rn. 17 mwN). Zu den als „Entgelt“ qualifizierten Vergütungen gehören gerade diejenigen vom Arbeitgeber aufgrund bestehender Arbeitsverhältnisse gezahlten Vergünstigungen, die den Arbeitnehmern ein Einkommen sichern sollen, selbst wenn sie in besonderen Fällen keine in ihrem Arbeitsvertrag vorgesehene Tätigkeit ausüben ([X.] 19. September 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 34).

Hinzu kommt, dass sich die Ausgleichszahlung nach den [X.]ngungen des zwischen den Parteien weiterhin bestehenden Arbeitsverhältnisses bestimmt, in seiner Höhe an die allgemeine Entwicklung des Entgelts gekoppelt ist und anhand des während der aktiven [X.] zuletzt gezahlten Einkommens berechnet wird (vgl. § 11 Abs. 2 TV [X.]). Sie hat damit Entgeltersatzfunktion.

b) § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] bewirkt keine unmittelbare Diskriminierung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 [X.] (vgl. hierzu [X.] 12. Oktober 2010 - [X.]/08 - [Ingeniørforeningen/[X.]] Rn. 23; [X.] 21. November 2017 - 9 [X.]/17 - Rn. 21; 12. Mai 2016 - 6 [X.] - Rn. 23, [X.]E 155, 88) wegen einer Behinderung. Die Tarifnorm knüpft - worauf die Revision zu Recht hinweist - nicht unmittelbar an die [X.], sondern an die Voraussetzungen nach dem [X.] für den möglichen Bezug einer ungekürzten Vollrente wegen Alters an. Anspruch auf eine solche Rente haben - unter bestimmten Voraussetzungen - aber sowohl schwerbehinderte Menschen als auch andere Versichertengruppen (vgl. zu § 8 Ziff. 1 Buchst. [X.]. 1 [X.] [X.] 6. Oktober 2011 - 6 [X.] 815/11 - Rn. 8, [X.]E 139, 226). So erhalten zB besonders langjährig Versicherte gemäß §§ 38, 236b Abs. 1 [X.] eine ungekürzte Rente mit 63 Jahren, wobei dieses Alter nach Maßgabe der Staffelung in § 236b Abs. 2 Satz 2 [X.] auf 65 Jahre ansteigt. Ebenso wenig betrifft § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] ausschließlich Träger von Diskriminierungsmerkmalen oder steht in untrennbarem Zusammenhang mit einem der Diskriminierungsmerkmale des § 1 [X.].

c) § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] diskriminiert die Beklagte entgegen der Annahme der Revision jedoch mittelbar iSd. § 3 Abs. 2 [X.] wegen ihrer Behinderung.

aa) Nach § 3 Abs. 2 [X.] liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 [X.] genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Das Verbot der mittelbaren Benachteiligung ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes und setzt daher voraus, dass die benachteiligten und die begünstigten Personen miteinander vergleichbar sind ([X.] 12. Mai 2016 - 6 [X.] - Rn. 39, [X.]E 155, 88; 27. Januar 2011 - 6 [X.] - Rn. 33, [X.]E 137, 80).

bb) Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

(1) Die Beklagte befindet sich mit den nicht behinderten Arbeitnehmern, die ebenfalls die Anwendung der Ruhensregelung nach § 11 TV [X.] vereinbaren und auf dieser Grundlage bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Ausgleichszahlungen erhalten, in einer vergleichbaren Situation. Die in § 11 TV [X.] vorgesehene Ausgleichszahlung soll für die Betroffenen den Besitzstand unter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu veränderten [X.]ngungen wahren (vgl. [X.] 26. Januar 2017 - 6 [X.] - Rn. 23; 18. Januar 2012 - 6 [X.] - Rn. 17 mwN). Dieser Regelungszweck bedingt es, die Vergleichbarkeit retrospektiv, dh. bezogen auf den [X.]punkt des Abschlusses der Ruhensregelung, zu beurteilen. Sowohl bei den behinderten als auch den nicht behinderten Beschäftigten setzt der einvernehmliche Abschluss einer Ruhensregelung nach § 11 TV [X.] voraus, dass der Arbeitsplatz aufgrund einer Maßnahme nach § 1 Abs. 1 TV [X.] weggefallen ist, ohne dass ein gleichwertiger Arbeitsplatz nach § 3 TV [X.] angeboten werden konnte. Vor diesem Hintergrund befinden sich Beschäftigte, die entweder schon bei Abschluss der Ruhensregelung behinderte Menschen sind oder bei denen wie im Fall der Beklagten während des [X.] eine Behinderung eintritt, in Bezug auf den Wegfall des Arbeitsplatzes und ihren Besitzstand in einer vergleichbaren Situation wie nicht behinderte Beschäftigte (vgl. für den Fall einer Vorruhestandsvereinbarung [X.] 21. November 2017 - 9 [X.]/17 - Rn. 28). Ebenso wie diese verlieren sie ihren bisherigen Arbeitsplatz. Und ebenso wie bei diesen tritt an die Stelle des bislang gewährten Arbeitsentgelts die Ausgleichszahlung. Insoweit lassen sich die Überlegungen, die den Senat im Fall der rechtlich anders ausgestalteten Überbrückungsbeihilfe nach dem [X.], bei der es sich der Sache nach um eine Abfindung handelt ([X.]. [X.] 2019, 375, 376), dazu bewogen haben, auf den [X.]punkt der erstmaligen Rentenberechtigung abzustellen ([X.] 6. Oktober 2011 - 6 [X.] 815/11 - Rn. 11, [X.]E 139, 226; vgl. dazu [X.] 19. September 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 56; 6. Dezember 2012 - [X.]/11 - [[X.]] Rn. 62), auf den vorliegenden Fall nicht übertragen.

(2) § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] führt zu einer mittelbaren Benachteiligung der schwerbehinderten Beschäftigten gegenüber nicht behinderten Beschäftigten. Erstere erwerben gemäß §§ 37, 236a [X.] bis zu zwei Jahre eher Anspruch auf eine ungekürzte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das hat gemäß § 11 Abs. 9 Buchst. [X.]. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] die frühere Beendigung der Zahlung nach § 11 TV [X.] zur Folge. Behinderte mit Anspruch auf eine Altersrente für Schwerbehinderte erhalten die Ausgleichszahlung daher für einen um bis zu zwei Jahre kürzeren [X.]raum als gleichaltrige nicht behinderte Beschäftigte, die Altersrente erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze beziehen können. Dadurch wird die Gruppe der nicht schwerbehinderten Beschäftigten typischerweise finanziell bessergestellt als die Gruppe der Schwerbehinderten. Der Betrag der Ausgleichszahlung liegt - wie auch im Fall der Beklagten - in der Regel deutlich über dem Betrag der Altersrente. Der schwerbehinderte Beschäftigte erhält aufgrund seiner Behinderung im Ergebnis weniger Geld.

Diesen Nachteil können die betroffenen Beschäftigten nicht dadurch vermeiden, dass sie keinen Rentenantrag stellen. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] führt bereits bei der bloßen Berechtigung, ungekürzte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhalten, automatisch zur Einstellung der Ausgleichszahlung. Eine solche Automatik gibt es bei nicht behinderten Beschäftigten erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (im Fall der Beklagten zum 1. September 2015 statt bereits zum 1. September 2013). Beschäftigte, die Anspruch auf Altersrente für Schwerbehinderte haben oder während des Laufs der Ruhensregelung erwerben, können nach Abschluss der Ruhensvereinbarung darum nicht verhindern, dass die Ausgleichszahlung mit Erwerb der Rentenberechtigung vorzeitig endet. Ihnen erwächst ein finanzieller Nachteil, obwohl sie auf die vom Gesetzgeber beabsichtigte sozialversicherungsrechtliche Bevorzugung (zutreffend [X.]. [X.] 2019, 375) verzichten. Anders als nicht behinderten Beschäftigten wird diesem Personenkreis die Chance genommen, das ruhende Arbeitsverhältnis unter Beibehaltung der Ausgleichszahlung fortzusetzen. Aus dem beabsichtigten sozialversicherungsrechtlichen Vorteil wird eine Leistungsbegrenzung des Anspruchs auf die Ausgleichszahlung. Die gesetzlich eröffnete Wahlmöglichkeit wird damit konterkariert und dem schwerbehinderten Beschäftigten faktisch genommen. Darin liegt der Nachteil iSd. § 3 Abs. 2 [X.] (vgl. [X.] 19. September 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 51 ff.; Schlussanträge der Generalanwältin [X.] Mai 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 33; [X.]. [X.] 2019, 375, 380 f.). Dieser Nachteil trifft schwerbehinderte Menschen im Vergleich zu anderen Beschäftigtengruppen, die vorzeitig ungekürzte Altersrente in Anspruch nehmen können, auch überdurchschnittlich hart (vgl. [X.] 19. September 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 75).

(3) Die Benachteiligung ist auch nicht nach § 3 Abs. 2 [X.] gerechtfertigt.

(a) Die Mitgliedstaaten und gegebenenfalls die Sozialpartner verfügen auf [X.] beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weiten Ermessensspielraum ([X.] 19. September 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 59 mwN). Auch unter Beachtung dieses Spielraums diskriminiert § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] Beschäftigte, die Anspruch auf eine ungekürzte Altersrente wegen Schwerbehinderung haben.

(b) Die Ausgleichszahlung nach § 11 TV [X.] hat, wie ausgeführt, Entgeltersatzfunktion und soll, wie das [X.] zutreffend annimmt, den Lebensunterhalt von Arbeitnehmern gewährleisten und damit den im aktiven Arbeitsverhältnis erdienten Besitzstand für die Dauer des ruhenden Arbeitsverhältnisses sichern. Die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft an die vom [X.] betroffenen Arbeitnehmer, die zugleich der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel Rechnung trägt, stellen rechtmäßige Ziele iSd. § 3 Abs. 2 [X.] dar. Sie sind an sich geeignet, eine Ungleichbehandlung wegen der Behinderung sachlich zu rechtfertigen (vgl. [X.] 19. September 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 61 f.; 6. Dezember 2012 - [X.]/11 - [[X.]] Rn. 42 ff.).

(c) Eine Regelung ist nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, das verfolgte Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen ([X.] 10. März 2009 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 55; [X.] 6. Oktober 2011 - 6 [X.] 815/11 - Rn. 19, [X.]E 139, 226). Die Einstellung der Ausgleichszahlung an Arbeitnehmer, die ungekürzte Altersrente wegen Schwerbehinderung beziehen können, wird jedoch dem Zweck des § 11 TV [X.] nicht in kohärenter Weise gerecht. Vielmehr besteht ein Widerspruch zwischen dem Regelungszweck der Ausgleichszahlung und dem Inhalt der Ausschlussregelung des § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.]. Wie ausgeführt, soll die Zahlung den im aktiven Arbeitsverhältnis erdienten Besitzstand für die Dauer des ruhenden Arbeitsverhältnisses sichern. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] beendet das Arbeitsverhältnis jedoch nicht, sondern lässt nur den Anspruch auf Ausgleichszahlung im weiter fortbestehenden ruhenden Arbeitsverhältnis erlöschen. Das Bedürfnis zur Sicherung des [X.] in diesem Arbeitsverhältnis besteht damit fort. § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] konterkariert damit den Zweck des § 11 TV [X.], den Lebensunterhalt für die Dauer des ruhenden Arbeitsverhältnisses zu sichern. Zudem hängt der erdiente Besitzstand nicht davon ab, ob der Beschäftigte schwerbehindert ist und deshalb vorzeitig ungekürzte Altersrente in Anspruch nehmen kann. Dieser Besitzstand ist vielmehr unabhängig von einer etwaigen Schwerbehinderung.

2. Da § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 [X.] verstößt, ist er nach § 7 Abs. 2 [X.] unwirksam. Die Tarifnorm ist im Fall eines Arbeitnehmers, der - wie die Beklagte - die Voraussetzungen für den Bezug einer ungekürzten Altersrente für schwerbehinderte Menschen erfüllt, nicht anzuwenden. Aus diesem Grund hat die Beklagte die Ausgleichszahlungen, die sie als nicht behinderter Mensch im [X.]raum von September 2013 bis August 2015 unstreitig zu Recht hätte beziehen können, auch als schwerbehinderter Mensch mit Rechtsgrund bezogen. Ein Rückforderungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB besteht nicht.

3. Aufgrund des Vorstehenden kann offenbleiben, ob der Rückforderungsanspruch der Klägerin nach § 37 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst ([X.]) - Allgemeiner Teil - (teilweise) verfallen oder nach § 242 BGB verwirkt ist bzw. ob sich die Beklagte erfolgreich auf eine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen kann.

III. Der Senat braucht in der vorliegenden Konstellation nicht zu entscheiden, ob er zur Wahrung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) verpflichtet ist, § 17 Abs. 1 Satz 1 TV [X.] insgesamt die Durchsetzung zu verweigern, weil sich auch der Anspruchsausschluss weiterer Versichertengruppen wie beispielsweise der besonders langjährig Versicherten, die ebenfalls vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine ungekürzte gesetzliche Altersrente beanspruchen können, als systemwidrig darstellt und deshalb das von den Tarifvertragsparteien verfolgte tarifliche Regelungskonzept insgesamt nicht mehr trägt, oder ob die Regelung unter Berücksichtigung des Grundrechts der Tarifvertragsparteien aus Art. 9 Abs. 3 GG insoweit Bestand hat.

IV. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel    

        

    Heinkel    

        

        

        

    Brand    

        

    [X.]    

                 

Meta

6 AZR 533/18

05.09.2019

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Koblenz, 21. Dezember 2017, Az: 7 Ca 1320/17, Urteil

§ 37 SGB 6, § 236a SGB 6, § 164 Abs 2 SGB 9 2018, § 7 Abs 1 AGG, § 7 Abs 2 AGG, § 2 Abs 1 Nr 2 AGG, Art 157 Abs 2 AEUV, § 1 TVG, § 3 Abs 2 AGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.09.2019, Az. 6 AZR 533/18 (REWIS RS 2019, 3868)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 356-357 REWIS RS 2019, 3868

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1 Ca 38/10 (Arbeitsgericht Rheine)


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