Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.02.2014, Az. 6 AZR 367/13

6. Senat | REWIS RS 2014, 7467

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Gegenstand

Insolvenzanfechtung - Rückforderung unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erlangter Entgeltzahlung - Verfassungskonformität der insolvenzanfechtungsrechtlichen Vorschriften


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 2. November 2012 - 22 [X.] 1238/12 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des [X.] wird das Urteil des [X.] (Oder) vom 21. Juni 2012 - 3 Ca 26/12 - teilweise abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.584,52 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. August 2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, Arbeitsvergütung, die er unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erlangt hat, im Wege der Insolvenzanfechtung an die Masse zurückzugewähren.

2

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 21. März 2011 beantragten und am 29. August 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (künftig: Schuldnerin). Der Beklagte war seit dem 14. März 2005 als Kraftfahrer/Bauwerker bei der Schuldnerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterfiel dem allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe ([X.]). Es endete durch außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 1. Juli 2011. Der Beklagte erhielt Insolvenzgeld für die [X.] von April bis Juni 2011.

3

Die Schuldnerin erstellte zwar stets pünktlich Lohnabrechnungen, zahlte dem Beklagten aber seit Jahren den Lohn nur mit zeitlicher Verzögerung. In den letzten drei Jahren vor der Insolvenzeröffnung bestand stets ein Lohnrückstand von mindestens zwei bis drei Monaten, seit Mitte 2010 kam es zu Zahlungsverzögerungen von bis zu sechs Monaten. Der Beklagte schloss mit der Schuldnerin einen Vergleich über die Zahlung rückständiger Vergütung für die Monate November 2010 bis Februar 2011, dessen Inhalt das [X.] (Oder) am 29. März 2011 feststellte. Am 26. Mai 2011 wurde der Schuldnerin wegen dieser titulierten Forderung ein vorläufiges Zahlungsverbot gemäß § 845 ZPO zugestellt. Darin wurde ua. mitgeteilt, dass die Pfändung bevorstehe. Zu einem nicht näher festgestellten [X.]punkt zahlte die Schuldnerin die Vergütung für November 2010, die nicht streitbefangen ist. Am 9. Juni 2011 überwies die Schuldnerin 3.584,52 Euro auf die Nettoentgeltansprüche des Beklagten für Dezember 2010 bis Februar 2011 an dessen Prozessbevollmächtigten, die der Kläger zur Masse zurückfordert.

4

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der streitbefangene Betrag sei nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] zurückzugewähren. Die Bestimmungen der Insolvenzordnung zum Anfechtungsrecht seien nicht verfassungswidrig, sondern ihrerseits eine Ausformung des Sozialstaatsprinzips. Arbeitnehmer würden auch nicht gegenüber anderen [X.] benachteiligt. Im Gegenteil seien sie durch das Insolvenzgeld besser als andere Gläubiger abgesichert. Der insolvenzrechtliche [X.] keinen tariflichen Ausschlussfristen.

5

Der Kläger hat beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.584,52 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. August 2011 zu zahlen.

6

Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, die erlangte Deckung sei kongruent. Er habe nur bekommen, was ihm zugestanden habe. §§ 129 ff. [X.], insbesondere § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.], seien verfassungswidrig. Das Sozialstaatsprinzip und Art. 3 GG seien verletzt. Wirtschaftlich starke und rechtlich leistungsfähige Gläubiger würden gegenüber abhängig Beschäftigten sozial völlig unausgewogen bevorzugt. Unter Beachtung des Sozialstaatsgebots müsse der Gesetzgeber deshalb Arbeitnehmer aus der Anfechtung ausnehmen. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Schuldner eine Abrechnung erstellt habe und der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ohne Kenntnis der eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Insolvenz erbracht habe. Der Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, der [X.] sei verfallen.

7

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Sie haben angenommen, der Anspruch sei nach § 15 [X.] verfallen.

8

Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Rückgewähr des gezahlten Betrags zur Masse weiter. Der Beklagte rügt zur Begründung seines Begehrens, die Revision zurückzuweisen, über seine bisherigen Ausführungen zu der von ihm angenommenen Verfassungswidrigkeit der insolvenzanfechtungsrechtlichen Bestimmungen hinaus eine Verletzung seines Rechts aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist bis auf einen geringen Teil des [X.] begründet. Der Beklagte muss das für Dezember 2010 bis Febr[X.]r 2011 von der Schuldnerin am 9. Juni 2011 gezahlte [X.] von 3.584,52 Euro gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 143 Abs. 1 [X.] an die Masse zurückgewähren. Der Rückforderungsanspruch begegnet in der vorliegenden Konstellation keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und unterfällt entgegen der Ansicht des [X.] nicht der tariflichen Ausschlussfrist des § 15 Abs. 2 BRTV-Bau.

I. Die Klage ist zulässig. Sie genügt dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger begehrt den vom Beklagten durch Zahlung der Schuldnerin vom 9. Juni 2011 erlangten Betrag zurück. Wie sich dieser Betrag im Einzelnen auf die drei umfassten Entgeltzahlungsräume (Dezember 2010 bis einschließlich Febr[X.]r 2011) verteilt, ist unerheblich.

II. [X.] ist der Beklagte. Die Anfechtung richtet sich grundsätzlich gegen denjenigen, dem gegenüber die anfechtbare Handlung vorgenommen worden ist, dh. gegen den Empfänger des anfechtbar übertragenen oder begründeten Rechts ([X.] 29. Jan[X.]r 2014 - 6 [X.] - Rn. 11). Das ist hier der Beklagte. Unerheblich ist dabei, dass die streitbefangene Zahlung an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten erfolgte. Hat der Schuldner in anfechtbarer Weise an einen vom Gläubiger mit dem Empfang der Leistung beauftragten [X.] geleistet, trifft die [X.] den Gläubiger und nicht den Empfangsbeauftragten ([X.] 17. Dezember 2009 - [X.]/09 - Rn. 12; 16. Juli 2009 - [X.]/08 - Rn. 2).

III. Der Beklagte hat nach Stellung des Insolvenzantrags eine inkongruente Befriedigung erlangt. Damit ist der Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] erfüllt.

1. Das [X.] hat die Zahlung vom 9. Juni 2011 zu Recht als inkongruente Deckung beurteilt.

a) Eine inkongruente Deckung im Sinne des Anfechtungsrechts liegt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, die mit dem gesetzgeberischen Willen im Einklang steht ([X.] 31. August 2010 - 3 [X.] - Rn. 23), bereits dann vor, wenn der Schuldner während der „kritischen [X.]“ der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag oder in der [X.] nach Stellen des Insolvenzantrags unter dem Druck unmittelbar drohender Zwangsvollstreckung leistet, um diese zu vermeiden. Unerheblich ist, ob die Zwangsvollstreckung im verfahrensrechtlichen Sinne schon begonnen hatte, als die Leistung des Schuldners erfolgte. Die Inkongruenz wird durch den zumindest unmittelbar bevorstehenden hoheitlichen Zwang begründet ([X.] 24. Oktober 2013 - 6 [X.] - Rn. 24 f.; 19. Mai 2011 - 6 [X.] - Rn. 12; [X.] 18. Dezember 2003 - [X.]/02 - zu I 2 a aa der Gründe, [X.]Z 157, 242). Ein die Inkongruenz begründender Druck einer unmittelbaren bevorstehenden Zwangsvollstreckung besteht allerdings noch nicht, wenn der Schuldner nach Zustellung eines Titels die titulierte Forderung erfüllt, ohne dass der Gläubiger die Zwangsvollstreckung zuvor eingeleitet oder angedroht hat ([X.] 20. Jan[X.]r 2011 - [X.] - Rn. 8).

b) Die Angriffe des Beklagten geben keinen Anlass, diese Rechtsprechung zu ändern. Seine Annahme, der Lohnanspruch sei zugleich ein Schadenersatzanspruch nach §§ 823, 826 BGB und unterliege deshalb keiner insolvenzrechtlichen Anfechtung, ist - unabhängig davon, dass die Tatbestandsvoraussetzungen eines solchen Schadenersatzanspruchs nicht substantiiert dargelegt sind - unzutreffend. Auch Schadenersatzansprüche können der Insolvenzanfechtung unterliegen (vgl. [X.] in [X.] [X.] § 131 Rn. 14). Der Beklagte missversteht § 89 Abs. 2 Satz 2 [X.], wenn er annimmt, er könne einen Schadenersatzanspruch aus dem Rechtsgedanken dieser Vorschrift durchsetzen. Diese Vorschrift belässt einem vor Insolvenzeröffnung zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nur hinsichtlich der nach Insolvenzeröffnung entstehenden Unterhalts- und Schadenersatzforderungen aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung seine Wirkung. Vollstreckungsmaßnahmen von Unterhalts- und Deliktsgläubigern in den gemäß §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO erweitert pfändbaren Teil der Bezüge bleiben insoweit wirksam. Dieser Teil der Einkünfte gehört nicht zur Insolvenzmasse. Deshalb können die von § 89 Abs. 2 Satz 2 [X.] privilegierten Gläubiger auch weiterhin in diesen Teil der Einkünfte vollstrecken ([X.] 17. September 2009 - 6 [X.] - Rn. 16 ff., [X.]E 132, 125). Für die vorliegende Konstellation hat diese Vorschrift keine Bedeutung.

c) Die Schuldnerin hat die angefochtene Zahlung erst auf die am 26. Mai 2011 erwirkte [X.] und damit offenkundig unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet. Sie musste aufgrund des vom Beklagten erwirkten [X.] damit rechnen, dass die Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorstand, wenn sie die titulierte Forderung nicht erfüllte. Dies gilt umso mehr, als im Zahlungsverbot ausdrücklich darauf hingewiesen worden war, dass die Pfändung bevorstehe. Zweck dieser Vollstreckungsankündigung war es auch aus der Sicht des Beklagten, die Schuldnerin durch die Androhung hoheitlichen Zwangs zur Zahlung zu veranlassen. Damit liegt keine freiwillige Zahlung, sondern eine Zahlung unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor. Eine solche Zahlung ist nicht [X.].

2. Sowohl die Zustellung der [X.] als auch die darauf beruhende Zahlung sind nach dem bereits am 21. März 2011 gestellten Insolvenzantrag erfolgt.

3. Weitere Tatbestandsvoraussetzungen hat § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] nicht. Auf die Redlichkeit des Beklagten, auf die dieser sich beruft, kommt es deshalb nicht an.

IV. Die vom Beklagten erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken verfangen in der vorliegenden Konstellation nicht.

1. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.

a) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die §§ 129 ff. [X.] im Allgemeinen und § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] im Besonderen überhaupt in den Schutzbereich dieses Grundrechts eingreifen. Zwar unterfallen diesem auch schuldrechtliche Forderungen ([X.] 7. Dezember 2004 - 1 BvR 1804/03 - zu [X.] 1 a der Gründe, [X.]E 112, 93). Auch im Rahmen der Zwangsvollstreckung sind Forderungen der Gläubiger als private vermögenswerte Rechte von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ([X.] 23. Mai 2006 - 1 [X.] - Rn. 34, [X.]E 116, 1). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass bei einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung die Forderung wieder auflebt, wenn der Empfänger einer anfechtbaren Leistung das Erlangte zurückgewährt (§ 144 [X.]). Zwar ist der wirtschaftliche Wert dieser Insolvenzforderung oft gering. Das [X.] hat einen Eingriff in den Schutzbereich jedoch nur bejaht, wenn die Forderung zwar rechtlich bestehen bleibt, aber ohne jeden wirtschaftlichen Wert ist. Dies hat es für den Ausschluss verspäteter Forderungen durch § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] bejaht, weil der Gläubiger in diesem Fall seine Forderung in aller Regel noch nicht einmal mit der Quote des [X.] durchsetzen könne ([X.] 26. April 1995 - 1 [X.], 1 BvR 1454/94 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 92, 262). Die angefochtenen Forderungen nehmen jedoch als Insolvenzforderungen am Insolvenzverfahren weiter teil (vgl. § 144 Abs. 2 Satz 2 [X.]) und sind damit nicht völlig ohne wirtschaftlichen Wert, sondern mit der Insolvenzquote zu befriedigen.

b) § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ist jedenfalls eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iSv. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ([X.] 31. August 2010 - 3 [X.] - Rn. 27). Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den der Gesetzgeber auch bei einer Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums zu beachten hat, nicht verletzt.

aa) Der Gesetzgeber hat erkannt, dass das [X.] zu einer nicht zu rechtfertigenden Bevorzugung des oft nur zufällig schnelleren Gläubigers führt, wenn das haftende Vermögen nicht ausreicht, um alle Gläubiger zu befriedigen ([X.] in [X.] [X.] § 131 Rn. 50). Er hat sich dafür entschieden, im Dreimonatszeitraum des § 131 [X.] und für die [X.] nach Stellen des Insolvenzantrags das Interesse eines einzelnen Gläubigers an der Durchsetzung seines Anspruchs gegenüber dem von der Insolvenzordnung verfolgten Ansatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zurücktreten zu lassen und seine staatlichen Zwangsmittel zur Sicherung und Befriedigung von Forderungen, die einer gleichberechtigten Gläubigerbefriedigung entgegenstehen, nur außerhalb der von § 131 [X.] erfassten [X.]räume [X.] zur Verfügung zu stellen (vgl. [X.] 29. Jan[X.]r 2014 - 6 [X.] - Rn. 81; 24. Oktober 2013 - 6 [X.] - Rn. 29). Ein Gläubiger kann und darf nach der Wertung des Gesetzgebers durch staatlichen Zwang oder Drohung mit einem solchen Zwang in der kritischen [X.] keine Priorität mehr gegenüber anderen Gläubigern erwirken ([X.] aaO Rn. 52).

bb) § 131 Abs. 1 [X.] ist unter Beachtung des dem Gesetzgeber zukommenden [X.] zur Erreichung dieses gesetzgeberischen Ziels geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn. Dabei ist auch zu beachten, dass das Insolvenzverfahren auf den Schutz und die Durchsetzung verfassungsrechtlich geschützter privater Interessen zielt und damit seinerseits Teil der Gewährleistung des Eigentums durch Art. 14 Abs. 1 GG ist (vgl. [X.] 23. Mai 2006 - 1 [X.] - Rn. 34, [X.]E 116, 1). § 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 [X.] bewirken entsprechend der Konzeption des Gesetzgebers eine q[X.]lifizierte Vorverlagerung des der Insolvenzordnung zugrunde liegenden Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung (MünchKomm[X.]/[X.] 3. Aufl. § 131 Rn. 3; vgl. für § 30 KO bereits [X.] 9. September 1997 - [X.] -). Zudem werden mit der erleichterten Anfechtbarkeit von Sicherungen und Befriedigungen, die unter Einsatz von oder Drohung mit staatlichen Zwangsmitteln erlangt worden sind, [X.], die Gläubiger mit Vollstreckungsmöglichkeit erlangen können, beseitigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es von Zufälligkeiten - beispielsweise im gerichtlichen Verfahren - abhängt, ob ein Gläubiger bereits einen vollstreckbaren Titel erlangen konnte oder nicht ([X.] 31. August 2010 - 3 [X.] - Rn. 26).

cc) Entgegen der Auffassung des Beklagten gilt dies auch, soweit § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] keine subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen verlangt, sondern nur auf den zeitlichen Zusammenhang mit dem Insolvenzantrag abstellt und bei Erfüllung dieser Voraussetzungen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners unwiderleglich vermutet. § 131 [X.] soll bei bestimmten Handlungen, die den Verdacht begründen, dass der Schuldner ungerechtfertigte Prioritäten setzen wollte, eine erleichterte Anfechtung ermöglichen (vgl. [X.] in [X.] [X.] § 131 Rn. 52). Erfahrungsgemäß befindet sich der Schuldner regelmäßig schon geraume [X.] vor dem Eröffnungsantrag in einer schwierigen Lage ([X.]/[X.] 13. Aufl. § 131 [X.] Rn. 31; [X.] in [X.] Handbuch des [X.]. 8 Rn. 132). Dem trägt § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] im Interesse der Rechtssicherheit Rechnung ([X.] aaO). Damit hat der Gesetzgeber seine [X.] noch nicht überschritten.

dd) Schließlich verallgemeinert § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] die Wirkungen der [X.] des § 88 [X.] (MünchKomm[X.]/[X.] 3. Aufl. § 131 Rn. 46). Die Vorschriften der Insolvenzanfechtung und die [X.] ergänzen sich insoweit (vgl. [X.] 24. Oktober 2013 - 6 [X.] - Rn. 32). Auch § 88 [X.] verlagert für den von dieser Norm erfassten Bereich der Sicherung durch Zwangsvollstreckung den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung vor und dient wie das Insolvenzanfechtungsrecht dem Erhalt und der Vervollständigung der Masse ([X.]/[X.] 4. Aufl. § 33 Rn. 29; [X.] 2006, 239, 256).

2. Entgegen der Auffassung des Beklagten verletzt § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] in seiner vom Gesetzgeber gebilligten Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung auch unter Berücksichtigung des durch Art. 20 Abs. 1 GG gewährleisteten Sozialstaatsprinzips den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht (im Ergebnis ebenso MünchKomm[X.]/[X.] 3. Aufl. § 131 Rn. 26a).

a) Der Beklagte meint, Arbeitnehmer würden durch die Insolvenzanfechtungsvorschriften strukturell benachteiligt, so dass der Gesetzgeber unter Beachtung des Sozialstaatsgebots wertebetont diesen Personenkreis aus der Anfechtung habe ausnehmen müssen.

b) Bereits die Tatsachengrundlagen dieser Behauptung sind vom Beklagten nicht nachvollziehbar dargelegt. Worauf er seine Behauptung stützt, Banken könnten in der Regel ca. 80 % ihrer Forderungen realisieren, hat er nicht angegeben. Auch die Behauptung, Sozialkassen und Fiskus könnten in einer früheren Phase ihre Forderungen [X.] durchsetzen, weil sie sich selbst Vollstreckungstitel geben könnten, ist durch nichts belegt. Im Gegenteil zeigt eine Vielzahl höchstrichterlicher Entscheidungen, die gerade Sozialkassen und Fiskus zur [X.] verpflichten, dass diese Behauptung näheren [X.] bedürfte (vgl. aus jüngerer [X.] [X.] 19. September 2013 - [X.] -; 14. Febr[X.]r 2013 - [X.]/12 -; 5. November 2009 - [X.]/08 -). Zudem unterliegen Zahlungen des Schuldners an Fiskus und Sozialkassen häufig auch der Vorsatzanfechtung nach § 133 [X.], für die der vom Beklagten angenommene [X.]vorsprung dieser [X.] bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche keine Bedeutung hat.

c) Auch rechtlich verfangen die Bedenken des Beklagten nicht. Der Gesetzgeber hat seinem dem Sozialstaatsprinzip zu entnehmenden Auftrag, [X.] Sicherungssysteme gegen die Wechselfälle des Lebens zu schaffen, für Fälle, in denen der Arbeitnehmer in der kritischen [X.] des § 131 [X.] erhebliche Entgeltrückstände im Wege der Zwangsvollstreckung beitreibt, genügt.

aa) Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, in der Insolvenz alle Gläubiger unter Aufgabe aller bisherigen Konkursvorrechte gleichzubehandeln. Seine Annahme, trotz Abschaffung des [X.] aus § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buch[X.]a KO seien für die Arbeitnehmer wegen der Möglichkeit, Insolvenzgeld in Anspruch zu nehmen, keine [X.]n Härten zu erwarten, trifft zwar nicht uneingeschränkt zu (vgl. [X.] 29. Jan[X.]r 2014 - 6 [X.] - Rn. 28 ff.). In der vorliegenden Konstellation besteht aber kein [X.] (im Ergebnis ebenso [X.] [X.], 133, 134). Muss der Arbeitnehmer Entgeltzahlungen, die er unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung erhalten hat, zur Masse zurückgewähren, resultiert der vom Beklagten angenommene „strukturelle Nachteil“ nicht allein aus der Rechtslage. Er erwächst vor allem daraus, dass der Arbeitnehmer bestehende rechtliche und tatsächliche Handlungsmöglichkeiten nicht wahrnimmt, sondern in der Hoffnung, das rückständige Entgelt doch noch gezahlt zu bekommen, am Arbeitsverhältnis festhält. Bei [X.], wie sie hier vorgelegen haben, kann der Arbeitnehmer fristlos kündigen, wie es der Beklagte, wenn auch erst am 1. Juli 2011, getan hat. Der gesetzlichen Regelung liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, der Arbeitnehmer werde im eigenen wirtschaftlichen Interesse von seinem Kündigungsrecht rechtzeitig Gebrauch machen, wenn der Arbeitgeber seine Hauptleistungspflicht in erheblichem Umfang verletzt hat. Der Arbeitnehmer kann dann Arbeitslosengeld beanspruchen. Zudem ist das rückständige Entgelt für die letzten drei Monate vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses über das Insolvenzgeld gesichert. Ist das Arbeitsverhältnis vor dem [X.] bereits beendet, ist für die Berechnung des Dreimonatszeitraums allein die Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich (Küttner/[X.] 2013 Insolvenz des Arbeitgebers Rn. 52). Mit dieser Annahme hat der Gesetzgeber seine [X.] noch nicht überschritten.

bb) Der Gesetzgeber durfte bei seiner Entscheidung, Erfüllungshandlungen des Schuldners, die durch den Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung vom Gläubiger erzwungen worden sind, als inkongruente Deckungen anzusehen, die bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 131 [X.] an die Masse zurückzugewähren sind, zudem die Ordnungsfunktion des Insolvenzanfechtungsrechts berücksichtigen (vgl. zu dieser Funktion [X.] 29. Jan[X.]r 2014 - 6 [X.] - Rn. 16; [X.]/[X.]/[X.] 4. Aufl. § 15 Rn. 1).

cc) § 130 Abs. 1 Satz 2 [X.] dokumentiert entgegen der Auffassung des Beklagten nicht eine „verfassungsrechtliche Schieflage“. Diese Vorschrift setzt die [X.] 2002/47/[X.] vom 6. Juni 2002 ([X.]. [X.] L 168 vom 27. Juni 2002 S. 43) um. Sie dient [X.]. der Stabilisierung des Finanzsystems der [X.] und damit ebenfalls Gemeinwohlzwecken ([X.] in HK-[X.] 6. Aufl. § 130 Rn. 1, 6; MünchKomm[X.]/[X.] 3. Aufl. § 130 Rn. 5 f.).

d) Allerdings hat der Senat in seiner Entscheidung vom 29. Jan[X.]r 2014 (- 6 [X.] - Rn. 17 ff.) erwogen, ob die §§ 129 ff. [X.] verfassungskonform dahin auszulegen sind, dass das Existenzminimum nicht dem Zugriff des Insolvenzverwalters unterliegt und von diesem deshalb im Wege der Insolvenzanfechtung nicht im Interesse aller Gläubiger zur Masse gezogen werden kann. Eine derartige verfassungskonforme Auslegung der §§ 129 ff. [X.] scheidet aber in Fällen der hier vorliegenden inkongruenten Deckung einer Erfüllung erheblicher Entgeltrückstände unter dem Druck der Zwangsvollstreckung aus. Bei solchen Entgeltrückständen können Arbeitnehmer die zur Absicherung des Existenzminimums vorgesehenen und geeigneten staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen ([X.] 29. Jan[X.]r 2014 - 6 [X.] - Rn. 43).

V. Der insolvenzrechtliche Rückforderungsanspruch des § 143 Abs. 1 [X.] ist als gesetzliches Schuldverhältnis der [X.] der Tarifvertragsparteien entzogen und unterfällt deshalb den tariflichen Ausschlussfristen nicht ([X.] 24. Oktober 2013 - 6 [X.] - Rn. 18 ff., zustimmend [X.]/[X.] 7/2014 [X.]. 1; [X.] [X.], 133). Die Argumente des Beklagten geben keinen Anlass zu einer abweichenden Würdigung.

1. Aus der vom Beklagten angeführten Entscheidung des [X.] vom 9. Juni 2011 (- IX ZB 247/09 -) folgt nichts für die Frage der Anwendbarkeit tariflicher Ausschlussfristen. Der [X.] hat darin lediglich unter Berücksichtigung der Ausführungen des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch für Fälle bejaht, in denen Arbeitsentgelt durch Zwangsvollstreckung erlangt worden und nach erfolgreicher Insolvenzanfechtung an die Masse zurückzuzahlen ist.

2. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung unterfallen im Unterschied zum insolvenzanfechtungsrechtlichen [X.] als Teil des arbeitsrechtlichen Schuldverhältnisses der tariflichen [X.]. Dies übersieht der Beklagte, wenn er geltend macht, es sei nicht ersichtlich, warum der [X.] nach § 143 Abs. 1 [X.] anders zu behandeln sein solle als ein [X.] aus ungerechtfertigter Bereicherung.

VI. Der Beklagte hat das erlangte [X.] an den Kläger zurückzugewähren. [X.] wird nur die Rückgewähr dessen geschuldet, was aus dem Vermögen des Schuldners infolge der angefochtenen Handlung an den Arbeitnehmer geflossen ist. Damit hat der Arbeitnehmer grundsätzlich nur den erhaltenen Nettolohn zurückzuzahlen. Dies wird mittelbar durch die Begrenzung des [X.] auf das [X.] bestätigt ([X.] Z[X.] 2009, 257, 258; MünchKomm[X.]/Kirchhof 3. Aufl. § 143 Rn. 50). Hat der Schuldner die Gesamtsozialversicherungsbeiträge noch abgeführt, kann in der Insolvenz des Schuldners diese Zahlung auch wegen der Arbeitnehmeranteile als mittelbare Zuwendung an die Einzugsstelle gegenüber dieser angefochten werden. Die Regelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV, wonach die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des [X.] als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht gilt, steht dem nicht entgegen. Eine Anfechtung der Abführung des Arbeitnehmeranteils gegenüber dem Arbeitnehmer scheidet wegen des den Arbeitnehmer schützenden Zwecks des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV aus (vgl. die [X.]Rspr. des [X.] seit Urteil vom 5. November 2009 - [X.]/08 - Rn. 15, [X.]Z 183, 86; zuletzt 7. April 2011 - [X.]/10 - Rn. 3).

VII. Der Zinsanspruch folgt aus § 143 Abs. 1 Satz 2 [X.], § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die eingeklagte Forderung ist ab dem 30. August 2011 mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

§ 143 Abs. 1 Satz 2 [X.] enthält eine Rechtsfolgenverweisung auf § 819 Abs. 1 BGB. Aufgrund dieser Anknüpfung ist der [X.] auf anfechtbar erlangtes Geld als rechtshängiger Anspruch zu behandeln, so dass die Regeln über Prozesszinsen anzuwenden sind. Unerheblich ist, dass der Kläger den [X.] erst im Oktober 2011 gegenüber dem Beklagten geltend gemacht hat. Die Insolvenzanfechtung bedarf keiner gesonderten Erklärung. Der [X.] wird - von den Fällen des § 147 [X.] abgesehen - mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig ([X.] 1. Febr[X.]r 2007 - [X.]/04 - Rn. 14, 19 f., [X.]Z 171, 38). Der [X.] beginnt allerdings nicht, wie beantragt, bereits am Tag der Insolvenzeröffnung, sondern erst am Folgetag und damit am 30. August 2011. Die Verzinsungspflicht beginnt nach § 187 Abs. 1 BGB erst mit dem Folgetag der Fälligkeit (vgl. [X.] 17. September 2013 - 9 [X.] - Rn. 20).

VIII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel    

        

        

        

    D. Knauß    

        

    Oye    

                 

Meta

6 AZR 367/13

27.02.2014

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt (Oder), 21. Juni 2011, Az: 3 Ca 26/12, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, § 131 Abs 1 Nr 1 InsO, § 143 Abs 1 InsO, § 129 InsO, § 144 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.02.2014, Az. 6 AZR 367/13 (REWIS RS 2014, 7467)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7467

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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6 AZR 953/12 (Bundesarbeitsgericht)

(Insolvenzanfechtung - Rückforderung unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bzw. durch Zwangsvollstreckung erlangter Entgeltzahlung - Verfassungskonformität …


6 AZR 466/12 (Bundesarbeitsgericht)

Insolvenzanfechtung - Rückforderung durch Zwangsvollstreckung erlangter Lohnzahlung - keine Anwendbarkeit tariflicher Ausschlussfristen auf den Rückforderungsanspruch


Referenzen
Wird zitiert von

6 AZR 631/13

3 Ca 1927/14

16 Sa 852/16

16 Sa 944/15

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