Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.10.2016, Az. 4 StR 78/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 4105

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:121016B4STR78.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 78/16

vom
12. Oktober
2016
in der Strafsache
gegen

wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und der Beschwerdeführerin
am 12.
Oktober
2016
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 [X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 15.
Oktober 2015 mit den zugehörigen
Feststellungen

ausgenommen die
Feststellungen zu den Tatgeschehen, die aufrecht erhalten bleiben

aufgehoben,
a)
soweit die Angeklagte in den Fällen
[X.] (2),
(4) bis (7) der Urteilsgründe freigesprochen worden ist, sowie
b)
im [X.].
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.] zurück-verwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Straßenver-kehrsgefährdung, unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vor-sätzlicher Trunkenheit im Verkehr und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtgeldstrafe von 70
Tagessätzen zu je 60

1
-
3
-
und sie im Übrigen freigesprochen. Ferner hat es die Unterbringung der Ange-klagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstre-ckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die auf die [X.] beschränkte Revision der Angeklagten mit der [X.] der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat ganz überwiegend Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen leidet die Angeklagte spätestens ab [X.] 2000 an einer paranoiden Schizophrenie, die in der Folgezeit gut [X.] eingestellt war. Nachdem sich im [X.] 2013 ihr langjähriger Lebensge-fährte von ihr getrennt hatte und sie gegen Ende des Jahres gegen ihren Willen als Lehrerin in den Ruhestand versetzt worden war, vernachlässigte die Ange-klagte zunehmend ihre Lebensführung und isolierte sich.
Am 23.
Dezember 2013 befuhr die Angeklagte nach vorangegangenem Alkoholgenuss mit ihrem Pkw die Straße vor ihrem Wohnanwesen. Infolge der für sie erkennbaren alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit ([X.] 0,46

orfahrt eines anderen Pkws und stieß mit diesem zusammen, wodurch ein Fremdschaden in Höhe von 7.082,62

s-ses der Angeklagten dazu ansetzte, die Polizei zu verständigen, entschloss sich die Angeklagte, den Unfallort zu verlassen. Nachdem sie auf Nachfrage ihre Wohnanschrift, nicht aber ihren Namen genannt hatte, fuhr sie unter dem [X.], ihr Auto aus dem Weg räumen zu wollen, mit ihrem stark beschädigten Pkw von der Unfallstelle zu ihrem ca. 50
m
entfernten Wohnhaus, wobei sie sich aufgrund des vorangegangen Unfalls ihrer Fahruntüchtigkeit nunmehr be-2
3
-
4
-
wusst war. Gegenüber
einem sie wenig später in der Wohnung aufsuchenden Polizeibeamten trat sie aufgebracht und cholerisch auf ([X.] (1) der Urteils-gründe). Obwohl ihr Führerschein im [X.] an den Unfall sichergestellt worden war, befuhr die Angeklagte am 3.
Januar 2014 mit einem Mietwagen eine öffentliche Straße in K.

([X.] (3) der Urteilsgründe).
In zwei Telefonaten am 27.
Dezember
2013 und 17.
Januar 2014 be-(2) und (4) der Urteilsgründe). Als ihr am 28.
März 2014 von einer Mitarbeiterin des [X.] die Zulassung eines Pkws verwehrt wurde, äußerte
[X.] (5) der Urteilsgründe).
Nachdem die Angeklagte weiterhin
vergeblich versucht hatte, an ein Fahrzeug zu gelangen, beabsichtigte sie am 8.
April
2014,
bei ihrem Bruder ein Fahrzeug zu entwenden. Zu diesem Zweck ließ sie sich zu dem [X.] fahren und klingelte dort. Als die Haushaltshilfe die Haustür öffnete, stürmte die Angeklagte hinein und ergriff den in der Küche liegenden Fahrzeug-schlüssel und die Geldbörse der Ehefrau ihres Bruders, um diese für sich zu verwenden. Anschließend wollte sie das Haus wieder verlassen, wobei es der Haushaltshilfe gelang, ihr die Geldbörse aus der Hand zu schlagen. Als sie von der Ehefrau und dem
[X.] ihres Bruders, die ihr den in der Hand gehaltenen Fahrzeugschlüssel wieder abnehmen wollten, festgehalten wurde, widersetzte sich die Angeklagte, indem sie unter erheblicher [X.]entfaltung durch nicht ge-gen eine Person gerichtetes Umsichschlagen, Sperren und Winden versuchte
sich loszureißen, um sich den Besitz des Fahrzeugschlüssels zu erhalten. Für Ehefrau und [X.] bedeutete dies einen erheblichen [X.]aufwand. Schließlich gelang es der Ehefrau, die Angeklagte zu Boden zu drücken, woraufhin der 4
5
-
5
-
[X.] ihr den Schlüssel entreißen konnte ([X.] (6) der Urteilsgründe). Am 6.
Juni 2014 wurde der Angeklagten in den Räumlichkeiten der Sparkasse
K.

wegen einer zwischenzeitlich eingerichteten Betreuung die Umbuchung
von Geld für den Kauf eines Autos verwehrt, worüber sich die Angeklagte [X.] aufregte. Als eine Mitarbeiterin der Sparkasse sie beruhigen wollte, schlug die Angeklagte ihr unvermittelt mit der flachen Hand heftig auf die [X.], so dass deren Gesicht zurückschnellte. Die Geschädigte erlitt eine Rötung und Schwellung der linken [X.] ([X.] (7) der Urteilsgründe).
Aufgrund der psychischen Erkrankung der Angeklagten war deren Fä-higkeit, entsprechend der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln, bei den Taten am 23.
Dezember 2013 und 3.
Januar 2014 ([X.] (1) und (3) der
Urteilsgründe) erheblich gemindert. Bei den übrigen Taten ([X.] (2), (4) bis (7) der Urteilsgründe) war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten sicher erheb-lich beeinträchtigt, nicht ausschließbar auch gänzlich aufgehoben.
II.
1.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Die Revision ist entgegen der Ansicht des [X.] gemäß §
344
Abs.
2 Satz
1 [X.] formwirksam mit der Sachrüge begründet, weil den Ausführungen in der [X.] vom 14.
Dezember
2015 mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, dass die Beschwerdeführerin den [X.] in materiell-rechtlicher Hinsicht beanstandet (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20.
August 1997

2
StR
386/97, [X.], 18; vom 21.
August 1991

3
StR
296/91, [X.], 597; vom 17.
Januar 1992

3
StR
475/91, [X.]R [X.] §
344 Abs.
2 Satz
1 Revisions-begründung
2).
So macht die Revisionsbegründung eine unzureichende Darle-6
7
-
6
-
gung der Gefährlichkeitsprognose im Urteil und die Unverhältnismäßigkeit der Unterbringungsanordnung
geltend.
2.
Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiat-rischen Krankenhaus hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil der von der [X.] angenommene symptomatische Zusammenhang zwischen der psychotischen Erkrankung der Angeklagten und der von ihr begangenen [X.] nicht tragfähig begründet ist.
a)
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf die-sem Zustand beruht. Der [X.] muss, um eine [X.] tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrschein-lichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauern-den Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefähr-det werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§
63 Satz
1 StGB in der am 1.
August 2016 in [X.] getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatri-schen Krankenhaus gemäß §
63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung an-derer Vorschriften vom 6.
Juli 2016, [X.]
I 1610). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6.
Juli 2016

4
StR
210/16 Rn.
5; vom 15.
Januar 2015

4
StR
419/14, [X.], 394, 395; vom 29.
April 2014

3
StR
171/14, [X.], 243, 244).
8
9
-
7
-
b)
Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der psychotischen Erkrankung der Angeklagten und den festgestellten Taten nicht gerecht.
Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest län-gere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise
sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsitua-tion und damit auf die Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st.
Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 17.
Juni 2014

4
StR
171/14,
[X.], 305, 306; vom 23.
August 2012

1
StR
389/12, [X.], 98; vom 24.
April 2012

5
StR
150/12, [X.], 239; vom 29.
Mai 2012

2
StR
139/12, [X.], 306, 307).
Feststellungen dazu, ob und in wel-cher Weise die paranoide Schizophrenie der Angeklagten Auswirkungen auf die Begehung der festgestellten Taten hatte, hat das [X.] nicht getroffen. Die von der [X.] allein mitgeteilte Erwägung des Sachverständigen, wonach es für psychisch erkrankte Personen typisch sei, wütend zu werden, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, ist nicht geeignet, eine Beeinflus-sung der von der Angeklagten begangenen Taten
durch deren psychotische Erkrankung tragfähig zu belegen. Soweit sich das [X.] im Übrigen
der gutachterlichen Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen ange-schlossen hat, lässt das Urteil schließlich die gebotene,
für ein Verständnis des Gutachtens und die
Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderliche Wiedergabe der wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sachverständigen 10
11
-
8
-
vermissen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 17.
Juni 2014

4
StR 171/14 aaO; vom 30.
Juli 2013

4
StR
275/13, [X.], 36, 37).
c)
Die Anordnung der Maßregel nach §
63 StGB kann daher nicht [X.] bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des §
358 Abs.
2 Satz
2 [X.] sind auch die
Freisprüche
der Angeklagten in den Fällen
[X.] (2) und (4) bis (7) der
Urteilsgründe aufzuheben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 5.
August 2014

3
StR 271/14, [X.]R [X.] §
358 Abs.
2 Satz
2 Freispruch
1; vom 30.
Juli 2013

4
StR
275/13 Rn.
18 insoweit in [X.], 36 nicht abgedruckt). In diesem Umfang ist die Beschränkung der Revision auf die [X.] wegen des untrennbaren Zusammenhangs zwischen der Entscheidung über die Un-terbringung nach §
63 StGB und den auf §
20 StGB gestützten Freisprüchen unwirksam (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26.
September 2012

4
StR
348/12, [X.], 424; vom 21.
Mai 2013

2
StR
29/13, [X.], 54).
Die zu den Tatgeschehen in objektiver und subjektiver Hinsicht getroffe-nen tatsächlichen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweis-würdigung und können daher bestehen bleiben.
d)
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat zur Tat
[X.] (6) der Urteilsgründe auf Folgendes hin:
Der räuberische Diebstahl gemäß §
252 StGB ist bereits mit dem auf Gewahrsamssicherung gerichteten Einsatz eines [X.] vollendet, ohne dass es darauf ankommt, ob es dem Täter gelingt, sich den Besitz des gestohlenen Guts zu erhalten (vgl. [X.], Urteil vom 22.
August 1984

3
StR 203/84, StV
1985, 13; [X.] in MK-StGB, 2.
Aufl., §
252 Rn.
18). Bei der Ent-wendung von Geldbörse und Fahrzeugschlüssel handelt es sich um eine ein-12
13
14
15
-
9
-
heitliche Diebstahlstat (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Mai 2016

4
StR
487/15, NJW 2016, 2349, 2350 mwN), die wegen des Fehlens des nach §
247 StGB [X.] Strafantrags nicht verfolgt werden kann. Da zwischen dem räuberischen Diebstahl und dem vorangegangenen Diebstahl Gesetzeseinheit besteht [X.] in [X.], 12.
Aufl., §
252 Rn.
77) und eine
Verfahrenseinstellung in-nerhalb einer materiell-rechtlichen Tat nicht in Betracht kommt (vgl. Stucken-berg
in
Löwe/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
260 Rn.
116 mwN), ist insoweit für eine Teileinstellung des Verfahrens kein Raum.
VRin[X.] [X.] ist urlaubsbedingt an der [X.] ge-hindert.
Cierniak
Cierniak
Franke
Bender
Quentin

Meta

4 StR 78/16

12.10.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.10.2016, Az. 4 StR 78/16 (REWIS RS 2016, 4105)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4105

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 78/16

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