Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.10.2015, Az. 1 StR 416/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 4073

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Gegenstand

Strafaussetzung zur Bewährung: Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe als besondere Umstände; Einbeziehung einer langen Verfahrensdauer in die erforderliche Gesamtwürdigung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. April 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe hat es nicht zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat das [X.] den Angeklagten freigesprochen. Daneben hat es als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zwei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat Erfolg, soweit das [X.] die Aussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung versagt hat (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hat - entsprechend dem Antrag des [X.] - keinen Bestand, weil das [X.] bei der Anwendung von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen und zudem die von ihm vorgenommene Gesamtwürdigung lückenhaft ist.

3

a) Besteht - wie hier - beim Angeklagten eine günstige Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB, kann das Tatgericht unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, die [X.] nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen. Erforderlich ist, dass nach einer Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.

4

b) Besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und [X.], der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als den allgemeinen vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Oktober 1980 - 3 [X.], [X.]St 29, 370; [X.], StGB, 62. Aufl., § 56 Rn. 20 mwN). Aus der Anforderung, dass Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB besondere sein müssen, ergibt sich, dass einzelne durchschnittliche Gründe eine Aussetzung nicht rechtfertigten. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] genügt es, dass Umstände, die bei ihrer Einzelbewertung nur durchschnittliche oder einfache Milderungsgründe wären, durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen (vgl. [X.], Urteil vom 25. Februar 1988 - 4 StR 25/88, [X.]R StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 2; [X.], Beschluss vom 1. September 1989 - 2 StR 387/89, [X.]R StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 7; [X.], Beschluss vom 18. August 2009 - 5 [X.], [X.]R StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 9).

5

Das [X.] hat hier zwar berücksichtigt, dass die gegen den nicht vorbestraften Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten der Schwelle von einem Jahr (§ 56 Abs. 1 StGB) angenähert ist. Es konnte allerdings keine besonderen Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB erkennen. Hierbei hat das [X.] die Anforderungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 2 StGB zu hoch angesetzt. Das [X.] hält es für erforderlich, dass Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, wobei es nicht erforderlich sei, dass diese Milderungsgründe der Tat Ausnahmecharakter verliehen. Ob Milderungsgründe gegeben sind, die durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen, hat das [X.] jedoch nicht erörtert. Es hat zwar das „Zusammenspiel“ der Milderungsgründe in den Blick genommen, dabei aber weiterhin auf das Gewicht der einzelnen Umstände und nicht auf das Gesamtgewicht aller Milderungsgründe abgestellt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

6

c) Auch die bei der Prüfung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, vorzunehmende Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten ist hier lückenhaft.

7

Zwar hat das [X.] berücksichtigt, dass der Angeklagte „seit der Begehung der Taten, die bereits einige Jahre zurückliegen, nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten“ ist ([X.]). Den hier ebenfalls erörterungsbedürftigen Umstand der den Angeklagten belastenden ([X.]) langen Verfahrensdauer hat das [X.] hingegen rechtsfehlerhaft nicht in seine Gesamtwürdigung einbezogen. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei Berücksichtigung dieses Umstands eine Strafaussetzung zur Bewährung vorgenommen hätte.

8

2. Die Frage, ob die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, bedarf daher neuer tatrichterlicher Prüfung.

Raum                           [X.]

              Mosbacher                     Bär

Meta

1 StR 416/15

13.10.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 29. April 2015, Az: 35 KLs 302 Js 266/12 - 15/13

§ 56 Abs 2 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.10.2015, Az. 1 StR 416/15 (REWIS RS 2015, 4073)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4073

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