Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2022, Az. 4 StR 321/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2022, 5448

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Gegenstand

Ausspruch über Gesamtfreiheitsstrafe bei Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus Vorverurteilung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. Mai 2022 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zu treffen ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der es zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer einen Monat als vollstreckt erklärt hat. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt einen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. [X.] hat keinen Bestand.

3

a) Ist die neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 Abs. 1 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abzuurteilende Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 26. Februar 2020 – 4 [X.]/19 Rn. 3; Beschluss vom 10. April 2019 – 4 StR 25/19 Rn. 11; [X.]. [X.]). Einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB steht in diesem Fall die von der ersten Vorverurteilung ausgehende Zäsurwirkung entgegen. Diese entfiele nur, wenn die der ersten Vorverurteilung zugrundeliegende Strafe bereits vor der zweiten Vorverurteilung – etwa infolge vollständiger Vollstreckung der Strafe – erledigt wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Juni 2013 – 3 [X.], [X.]R StPO § 460 Anwendung 1). Ist dies nicht der Fall, so kommt der zweiten Vorverurteilung, wenn die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2013 – 4 [X.] Rn. 5). Dies gilt unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juni 2016 – 4 StR 73/16 Rn. 3 [X.]).

4

b) Eine nach diesen Maßgaben rechtsfehlerfreie Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

5

Das [X.] hat Taten des Angeklagten vom 16. März 2020 und 1. Mai 2020 abgeurteilt und in die Gesamtfreiheitsstrafe die mit Strafbefehl des [X.] vom 1. Juli 2020 verhängte Bewährungsstrafe einbezogen, der eine Diebstahlstat vom 26. Oktober 2015 zugrunde liegt. Die Urteilsgründe teilen jedoch den Vollstreckungsstand der in den Jahren 2018 und 2019 gegen den Angeklagten festgesetzten Geldstrafen und insbesondere der am 17. Februar 2020 nachträglich gebildeten Gesamtgeldstrafe nicht mit. Der [X.] vermag daher nicht zu überprüfen, ob einer der früheren Vorverurteilungen eine Zäsurwirkung beizumessen ist. Eine solche stünde der Einbeziehung der rechtskräftigen Bewährungsstrafe in die hier verhängte Gesamtfreiheitsstrafe entgegen, sollte beim Erlass des Strafbefehls am 1. Juli 2020 eine Gesamtstrafenlage mit einer damals nicht erledigten Geldstrafe oder mit den Einzelstrafen aus der noch unerledigten Gesamtgeldstrafe bestanden haben.

6

2. Der [X.] macht von § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch, der die Möglichkeit eröffnet, das Tatgericht auf eine Entscheidung im [X.] nach §§ 460, 462 StPO zu verweisen (vgl. [X.], Beschluss vom 27. August 2020 – 4 [X.] Rn. 7; Beschluss vom 12. März 2018 – 4 [X.] Rn. 6). Diesem Beschlussverfahren bleibt auch die abschließende Kostenentscheidung vorbehalten. Von der Teilaufhebung unberührt ist die Entscheidung der [X.] über die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.

[X.]     

      

Sturm     

      

Maatsch

      

Scheuß     

      

Messing     

      

Meta

4 StR 321/22

27.09.2022

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 23. Mai 2022, Az: 27 KLs 1/22

§ 55 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2022, Az. 4 StR 321/22 (REWIS RS 2022, 5448)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5448

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