Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.04.2021, Az. 10 C 1/20

10. Senat | REWIS RS 2021, 6548

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Gegenstand

Auskunftsanspruch gegen kommunales Verkehrsunternehmen


Leitsatz

1. Zu den Informationen, die bei einer nach § 5 Abs. 1 Satz 1 MStV informationspflichtigen Stelle vorhanden sind, gehören auch solche, die auf dienstliche Vorgänge und Wahrnehmungen bezogen sind und die nicht verschriftlicht bzw. nicht aktenkundig gemacht wurden.

2. Zur Erstattung von Auskünften über nicht aufgezeichnete Informationen bedarf es gegebenenfalls der Abfrage präsenten dienstlichen Wissens bei der nach der internen Geschäftsverteilung sachlich zuständigen Stelle bzw. bei einem für den abgefragten Sachverhalt sachlich zuständigen Mitarbeiter.

Tenor

Die Revision und die [X.] werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, begehrt von der [X.], einem Verkehrsunternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft mit ganz überwiegender Mehrheitsbeteiligung der [X.] ..., Auskünfte zu den Umständen des Ausscheidens des Beigeladenen, des ehemaligen Vorstandssprechers der [X.].

2

Am 18. Juli 2014 gab die Beklagte bekannt, dass der Beigeladene seine Tätigkeit für das Unternehmen zum 2. August 2014 aus persönlichen Gründen beende. Am 24. Juli 2014 schlossen die Beklagte und der Beigeladene einen Aufhebungsvertrag, in dem vereinbart wurde, dass gegenüber der Öffentlichkeit über das Ausscheiden des Beigeladenen ausschließlich die Erklärung vom 18. Juli 2014 verbreitet werde.

3

Die Klägerin bat die Beklagte um Auskünfte zum Ausscheiden des Beigeladenen. Als diese verweigert wurden, erhob sie Klage beim [X.]. Das [X.] hat den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht verwiesen, das der Klage hinsichtlich fünf der acht gestellten Fragen stattgegeben hat. Auf die Berufungen der Klägerin und der [X.] hat das Oberverwaltungsgericht der Klage hinsichtlich der Fragen 2 und 8 stattgegeben. Hinsichtlich der Fragen 4 und 7 hat es die Klage abgewiesen. ...

4

Zur Begründung ihrer Revision führt die Beklagte aus: Sie sei als privatrechtlich organisierte Aktiengesellschaft keine informationspflichtige Behörde. Die Klägerin verlange zudem Bewertungen, die nicht geschuldet seien. Einer Auskunft stünden auch Vorschriften über die Geheimhaltung und überwiegende schutzwürdige Interessen entgegen. Zum einen müsste die Beklagte ihre Vertraulichkeitspflichten missachten. Zum anderen würde sie mit einer unterstellt bejahenden Auskunft ... sehenden Auges die Reputation des Beigeladenen zerstören. Die Beklagte treffe zudem keine Pflicht zur Ermittlung nicht aktenkundiger Informationen durch Befragung diverser Personen aus ihrem Unternehmen.

5

Die Klägerin hat hinsichtlich Frage 7 Anschlussrevision eingelegt. Der [X.] dieser Frage überwiege, sodass ein Auskunftsanspruch bestehe.

6

...

7

...

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...

9

...

...

Entscheidungsgründe

Revision und [X.] sind unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil beruht auf keinem Verstoß gegen [X.] Recht. Der Auskunftsanspruch der Klägerin besteht in dem vom Berufungsgericht festgestellten Umfang.

1. Die Eröffnung des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten ist im Revisionsverfahren nach § 17a Abs. 5 [X.] nicht zu prüfen, steht im Übrigen aber auch in der Sache gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO außer Zweifel.

Maßgeblicher Bezugspunkt der Prüfung, ob es sich bei einer Streitigkeit um eine öffentlich-rechtliche oder eine [X.] handelt, ist die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der [X.] hergeleitet wird ([X.], Beschlüsse vom 10. April 1986 - [X.] 1/85 - [X.]E 74, 368 <370> und vom 10. Juli 1989 - [X.] 1/88 - [X.], 284 <287>, jeweils m.w.N.; [X.], Beschluss vom 26. Mai 2020 - 10 B 1.20 - NVwZ 2020, 1363 Rn. 9).

Rechtsgrundlage des Auskunftsanspruchs von [X.] - hier der Klägerin als öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalt - gegenüber Behörden ist § 5 Abs. 1 des Medienstaatsvertrags vom 15. April 2020 ([X.]. [X.]) - [X.] -, der mit Wirkung vom 7. November 2020 in [X.] getreten und nach § 114 [X.] revisibel ist. Diese Rechtsvorschrift - mit der Vorgängerregelung nach § 9a des [X.] und Telemedien vom 31. August 1991 ([X.]. [X.]) inhaltsgleich - müsste das Berufungsgericht seinem Urteil, wenn es heute zu entscheiden hätte, zugrunde legen (vgl. nur [X.], Urteil vom 29. August 2019 - 7 [X.] 33.17 - [X.] 422.1 Presserecht Nr. 21 Rn. 21).

Der Auskunftsanspruch nach § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] begründet zwischen dem [X.] und dem Auskunftsverpflichteten ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis. Die gesetzliche Verpflichtung, [X.] Auskünfte zu erteilen, knüpft spezifisch an die besondere Pflichtenstellung der auskunftspflichtigen Stelle als Behörde an und verpflichtet diese nicht (nur) als Teilnehmerin am allgemeinen Rechtsverkehr.

2. Die Beklagte ist Behörde im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] und als solche auskunftspflichtige Stelle.

Entsprechend den landesrechtlichen [X.] der Presse ist beim Auskunftsanspruch nach dem Medienstaatsvertrag ein funktionell-teleologisches Verständnis des [X.]s zugrunde zu legen. Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs ist es, den [X.] die durch Art. 5 GG garantierte Funktion im Rahmen der [X.] Meinungs- und Willensbildung zu gewährleisten und es ihnen so zu ermöglichen, ihre Informationen über Geschehnisse von öffentlichem Interesse umfassend und wahrheitsgetreu zu erhalten. Die Berichterstattung über Vorgänge im staatlichen Bereich beschränkt sich hierbei nicht auf die staatliche Eingriffsverwaltung. Die verfassungsrechtlich durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgesicherte Kontroll- und Vermittlungsfunktion der Medien in Bezug auf den Staat und seine Institutionen ist unabhängig von dem Funktionsbereich, der Organisation und der Form staatlichen Handelns. Ein anerkennenswertes Informationsbedürfnis besteht insbesondere auch dann, wenn sich die Exekutive zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben einer privatrechtlichen Organisationsform bedient. Der [X.] erfasst daher auch juristische Personen des Privatrechts, die von der öffentlichen Hand beherrscht und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, namentlich im Bereich der Daseinsvorsorge, eingesetzt werden (vgl. [X.], Urteile vom 10. Februar 2005 - [X.]/04 - NJW 2005, 1720 f. = juris Rn. 12 und vom 16. März 2017 - [X.] - NJW 2017, 3153 Rn. 18 f. m.w.N.; vgl. auch [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 5 [X.]/08 - juris Rn. 2 ff.; [X.], in: [X.] Informations- und Medienrecht, 30. Edition, Stand 1. November 2020, [X.] § 5 Rn. 9 f.).

Auf dieser Grundlage liegen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die tatsächlichen Voraussetzungen der [X.] bei der Beklagten vor. Hiernach werden die Anteile an ihr zu 99 Prozent von der [X.] gehalten, die wiederum vollständig im Eigentum der [X.] ... steht. Die Beklagte betreibt einen Großteil des öffentlichen Nahverkehrs in der [X.] ... und wird damit im Bereich der Daseinsvorsorge eingesetzt.

3. Die Einordnung der in Streit stehenden Fragestellungen der Klägerin als auf Tatsachen oder auf - nicht geschuldete - Werturteile gerichtet durch das Berufungsgericht unterliegt keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

Der Auskunftsanspruch nach § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist auf die Mitteilung von Tatsachen gerichtet. Es besteht kein Anspruch auf eine Bewertung oder eine Kommentierung von Sachverhalten durch die auskunftspflichtige Stelle (vgl. [X.], Urteil vom 23. Mai 1995 - 5 A 2875/92 - NJW 1995, 2741 <2742>; [X.], in: [X.], Presserecht, 6. Aufl. 2015, LPG § 4 Rn. 85; [X.], in: [X.] Informations- und Medienrecht, 30. Edition, Stand 1. November 2020, [X.] § 5 Rn. 11 m.w.N.). Wird eine Auskunft über sogenannte innere Tatsachen wie Absichten, Motive und sonstige Überlegungen erbeten, kann die auskunftspflichtige Stelle dem nur nachkommen, wenn diese inneren Vorgänge sich in irgendeiner Form bei dieser manifestiert haben. Fehlt es an einer solchen Manifestation, besteht kein Auskunftsanspruch (vgl. [X.], Urteil vom 23. Mai 1995 - 5 A 2875/92 - NJW 1995, 2741 <2742>).

Mit dem Berufungsgericht ist die Frage der Klägerin, ob es zutrifft, dass der Beigeladene das Unternehmen zum 2. August 2014 aus eigenem Antrieb verlassen wollte (Frage 2), auf einen nach außen betätigten oder geäußerten Willen des Beigeladenen zum Verlassen des Unternehmens zu beziehen. Es handelt sich hierbei um eine nach außen hin manifestierte Tatsache und nicht um rein innerlich gebliebene Gedanken oder Wünsche. Ein Werturteil steht nicht inmitten. Nicht anders liegt es hinsichtlich der Frage 8. Es ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, diese Frage dahingehend auszulegen, dass die Klägerin wissen möchte, ob es Beschwerden von Betroffenen oder [X.] ... gegeben habe ... Die Begründetheit solcher Beschwerden ist angesichts der Fragestellung nicht maßgeblich.

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht die ... Frage 7, als auf ein Werturteil gerichtet ansieht. ...

4. Der Auskunftsanspruch der Klägerin ist auf die bei der Beklagten als informationspflichtiger Stelle tatsächlich vorhandenen Informationen beschränkt.

Das [X.] hat zum verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG entschieden, dass sich der Informationszugang auf die bei der informationspflichtigen Stelle tatsächlich vorhandenen Informationen beschränkt. Das sind diejenigen Informationen, die zum Zeitpunkt des begehrten [X.] tatsächlich vorliegen. Das Auskunftsrecht führt demgegenüber zu keiner Informationsbeschaffungspflicht der Behörde. Müssten Informationen erst durch Untersuchungen generiert werden, sind sie als Gegenstand eines Auskunftsanspruchs noch nicht vorhanden ([X.], Urteil vom 20. Februar 2013 - 6 A 2.12 - [X.]E 146, 56 Rn. 30; Beschluss vom 17. November 2016 - 6 A 3.15 - juris Rn. 12; vgl. auch [X.], in: [X.], Presserecht, 6. Aufl. 2015, LPG § 4 Rn. 86; vgl. zum [X.] [X.], Urteil vom 10. April 2019 - 7 [X.] 22.18 - [X.] 404 [X.] Nr. 32 Rn. 15 m.w.N.). Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs nach § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] gilt nichts Anderes.

Zu den bei der informationspflichtigen Stelle vorhandenen Informationen gehören auch auf dienstliche Vorgänge und Wahrnehmungen bezogene Informationen, die nicht verschriftlicht bzw. nicht aktenkundig gemacht wurden. Der Auskunftsanspruch nach § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist - anders als der [X.]anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (vgl. § 2 Nr. 1 [X.]) - nicht auf Aufzeichnungen beschränkt. Zur Erteilung von Auskünften hinsichtlich nicht aufgezeichneter Informationen bedarf es gegebenenfalls der Abfrage präsenten dienstlichen Wissens bei der nach der internen Geschäftsverteilung sachlich zuständigen Stelle oder bei einem für den abgefragten Sachverhalt sachlich zuständigen Mitarbeiter. Letzteres gilt auch dann, wenn sich die zuständige Stelle oder der Aufgabenbereich von Mitarbeitern innerhalb der informationspflichtigen Stelle zwischenzeitlich geändert hat. Mit einer solchen - internen - Nachfrage wird die Schwelle zur Sachverhaltserforschung nicht überschritten. Hierbei geht es um [X.]. Mangels Informationsbeschaffungspflicht ist demgegenüber eine Befragung ausgeschiedener Behördenleiter, Mitarbeiter oder - bei entsprechender Organisationsform - Organmitglieder nicht geschuldet.

5. Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen [X.] Recht entschieden, dass der Beklagten hinsichtlich der Fragen 2 und 8 der Klägerin kein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht.

a) Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 [X.] können Auskünfte verweigert werden, soweit der Auskunftserteilung Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen. Vorschriften über die Geheimhaltung sind nach der Rechtsprechung des [X.] zum presserechtlichen Auskunftsanspruch Bestimmungen, die den Schutz öffentlicher Geheimnisse bewirken sollen und der auskunftsverpflichteten Behörde als solcher die Preisgabe der in Rede stehenden Information schlechthin untersagen ([X.], Urteil vom 16. März 2017 - [X.] - NJW 2017, 3153 Rn. 48 m.w.N.; dem folgend [X.], in: [X.] Informations- und Medienrecht, 30. Edition, Stand 1. November 2020, [X.] § 5 Rn. 15). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat für das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 [X.] an.

Nicht unter Vorschriften über die Geheimhaltung fallen hiernach vertragliche Vereinbarungen zur Wahrung der Verschwiegenheit, wie sie zwischen Beklagter und Beigeladenem im Rahmen des Aufhebungsvertrags vom 24. Juli 2014 getroffen wurden. Eine Behörde kann nicht durch Vereinbarungen mit [X.] über den Auskunftsanspruch des Rundfunkveranstalters disponieren und sich auf diese Weise der öffentlichen Kontrolle durch unabhängige Medien teilweise entziehen. Soweit im Einzelfall schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen anzuerkennen sind, die nicht bereits durch spezifische Vorschriften über die Geheimhaltung geschützt sind, gewährleistet der Auskunftsverweigerungsgrund der Verletzung eines überwiegenden öffentlichen oder schutzwürdigen privaten Interesses gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 [X.] den gebotenen Schutz.

b) § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 [X.] sieht ein Auskunftsverweigerungsrecht vor, soweit durch die Auskunftserteilung ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde. Stehen private Interessen einer Auskunftserteilung entgegen, sind die widerstreitenden, insbesondere grundrechtlich geschützten Belange in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Bei [X.] ist im Wege praktischer Konkordanz abzuwägen, ob dem Informationsinteresse der Presse aufgrund der Pressefreiheit oder einem schützenswerten Interesse betroffener Dritter der Vorzug zu geben ist ([X.], Urteil vom 27. September 2018 - 7 [X.] 5.17 - [X.] 422.1 Presserecht Nr. 18 Rn. 14 unter Verweis auf [X.], [X.] vom 28. August 2000 - 1 BvR 1307/91 - NJW 2001, 503 <505>; in diesem Sinne auch [X.], Urteil vom 16. März 2017 - [X.] - NJW 2017, 3153 Rn. 52 m.w.N.; [X.], in: [X.] Informations- und Medienrecht, 30. Edition, Stand 1. November 2020, [X.] § 5 Rn. 16). Für die Abwägung schutzwürdiger privater Interessen mit dem Informationsinteresse des [X.], auf dessen grundrechtlichen Schutz gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sich die Klägerin ungeachtet ihrer Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts berufen kann (vgl. [X.], Urteil vom 27. Juli 1971 - 2 [X.], 2 BvR 702/68 - [X.]E 31, 314 <322>), gilt nichts Anderes.

Als dem [X.] der Klägerin gegenläufige Belange sind insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beigeladenen aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie sein Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 [X.] in die Abwägung einzustellen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet Schutz vor einer personenbezogenen Berichterstattung und der Verbreitung von Informationen, die geeignet sind, die Persönlichkeitsentfaltung erheblich zu beeinträchtigen. Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken ([X.], Beschluss vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - [X.]E 152, 152 Rn. 80 m.w.N.). Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist allerdings durch die Einbindung der Person in ihre [X.] Beziehungen relativiert ([X.], Beschluss vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - Rn. 81 m.w.N.).

Für den Ausgleich der widerstreitenden Belange ist von Bedeutung, ob personenbezogene Daten die [X.], die Privat- oder die Sozialsphäre betreffen. In Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dient diese Unterscheidung als Orientierungspunkt für die Beurteilung der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung und für die Gewichtung der diese Beeinträchtigung rechtfertigenden Gründe. Eingriffe in die Sozialsphäre sind unter erleichterten Voraussetzungen zulässig ([X.], Urteil vom 27. September 2018 - 7 [X.] 5.17 - [X.] 422.1 Presserecht Nr. 18 Rn. 33 m.w.N.). Die Sozialsphäre umfasst die Teilnahme des Grundrechtsträgers am öffentlichen Leben und ist naturgemäß weit (vgl. nur [X.], in: [X.] GG, 46. Edition, Stand 15. Februar 2021, Art. 2 Rn. 43). Sie umfasst auch die Teilnahme am Berufsleben.

Ein zu berücksichtigender Abwägungsfaktor kann auch die Zeitspanne sein, die zwischen dem mit einer Fragestellung in Bezug genommenen tatsächlichen Geschehen und der Erteilung der Auskunft verstreicht. Bei Presseberichten über Straftaten verändert sich das Interesse an der öffentlichen Berichterstattung mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Ereignis. Die Rechtfertigung für eine Berichterstattung über Personen verschiebt sich dann von einem auf Tat und Täter konzentrierten Interesse mehr zu einem Interesse an einer Analyse der Voraussetzungen und Konsequenzen der Tat. Das Recht des Betroffenen, "allein gelassen zu werden", gewinnt mit zunehmendem zeitlichen Abstand an Bedeutung ([X.], Beschluss vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - [X.]E 152, 152 Rn. 97 unter Bezugnahme auf Urteil vom 5. Juni 1973 - 1 BvR 536/72 - [X.]E 35, 202 <230 ff.>).

Bei der Gewichtung des Informationsinteresses des [X.] ist ferner in den Blick zu nehmen, dass erteilte Auskünfte nicht automatisch veröffentlicht werden. Insoweit ist zwischen der Auskunftserteilung an ein Presseunternehmen und einer etwaigen anschließenden öffentlichen Berichterstattung auf der Grundlage der erteilten Auskunft zu unterscheiden. Die auch im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht Betroffener ordnungsgemäße journalistische Verwendung und Verarbeitung erteilter Auskünfte fällt grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der Medien. Die hierbei zu beachtenden Sorgfaltspflichten können wegen der Eigenverantwortlichkeit der Medien nicht schon generell zum Maßstab für das Zugänglichmachen von Informationen gemacht werden (vgl. [X.], [X.] vom 14. September 2015 - 1 BvR 857/15 - NJW 2015, 3708 Rn. 22; [X.], Urteil vom 13. Oktober 2020 - 2 [X.] 41.18 - juris Rn. 42). Allein die Möglichkeit einer Persönlichkeitsrechte verletzenden Berichterstattung reicht nicht aus, um den presse- bzw. medienrechtlichen Auskunftsanspruch zu verneinen (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2011 - 10 S 33.11 - NVwZ-RR 2012, 107 <109 f.> m.w.N.). Der [X.] hat gegebenenfalls in eigener Verantwortung von der Berichterstattung abzusehen, wenn die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen hierdurch verletzt würden. Der Grundsatz der Selbstverantwortung stößt allerdings insoweit auf eine Grenze, als die Ermöglichung oder Unterstützung einer voraussichtlich rechtswidrigen Berichterstattung kein legitimes Ziel staatlichen Handelns sein kann; besteht die hohe Wahrscheinlichkeit einer Persönlichkeitsrechte verletzenden Berichterstattung, entfällt schon der Auskunftsanspruch (vgl. [X.], Urteil vom 23. Februar 2012 - 8 A 1303/11 - juris Rn. 47).

Zugunsten des Informationsinteresses fällt bei Fragen nach der Verwendung von Steuermitteln zudem ein gesteigerter Öffentlichkeitsbezug ins Gewicht (vgl. [X.], Urteil vom 27. September 2018 - 7 [X.] 5.17 - [X.] 422.1 Presserecht Nr. 18 Rn. 35).

c) Auf dieser Grundlage ist ein Auskunftsverweigerungsrecht der Beklagten nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 [X.] hinsichtlich der Frage der Klägerin, ob es zutrifft, dass der Beigeladene das Unternehmen zum 2. August 2014 aus eigenem Antrieb verlassen wollte (Frage 2), nicht gegeben. Gegen die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass die Abwägung zugunsten des Informationsinteresses der Klägerin ausfällt, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Nachvollziehbar verweist es hierbei darauf, dass auch dann, wenn die Vertragsaufhebung von Seiten der Beklagten initiiert wurde, keine Interessen des Beigeladenen verletzt würden, die das [X.] der Klägerin überwögen; im [X.] ist es keine Seltenheit, dass ein Unternehmen einem Vorstandsmitglied den Abschluss eines Aufhebungsvertrags vorschlägt.

d) Ebenso frei von Bedenken ist die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass auch hinsichtlich der ... Frage 8, das Informationsinteresse der Klägerin das schutzwürdige private Interesse des Beigeladenen überwiegt und mithin kein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 [X.] besteht.

Dabei hat das Berufungsgericht nicht übersehen, dass die Beantwortung der Frage 8 eine erhebliche stigmatisierende Wirkung zulasten des Beigeladenen haben kann. Andererseits steht das erfragte etwaige Verhalten des Beigeladenen im Kontext der Teilnahme am Berufsleben und unterfällt damit der Sozialsphäre, in die Eingriffe - wie dargelegt - unter erleichterten Voraussetzungen zulässig sind. Der seit dem Ausscheiden des Beigeladenen bei der [X.] eingetretene Zeitablauf fällt nur schwach ins Gewicht.

Zugunsten des Informationsinteresses der Klägerin hat das Berufungsgericht zu Recht gewürdigt, dass deren Recherche in erster Linie dem Handeln kommunaler Stellen im Zusammenhang mit der Auflösung des Vertragsverhältnisses zwischen Beklagter und Beigeladenem, der aus diesem Anlass vereinbarten Abfindung sowie der Verwendung von Steuermitteln gilt, während das persönliche Verhalten des Beigeladenen als solches nicht unmittelbar im Fokus steht.

Weiter hat es zutreffend berücksichtigt, dass der zu prüfende Eingriff in die [X.] des Beigeladenen nicht in der [X.] von Informationen, sondern in ihrer Herausgabe an die Klägerin zu Recherchezwecken besteht. Wie dargelegt, unterfällt die ordnungsgemäße journalistische Verwendung erteilter Auskünfte grundsätzlich dem Verantwortungsbereich der Medien selbst. Für die Annahme, die Klägerin werde dieser ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, gibt es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - wie auch nach den Einlassungen der Klägerin im Revisionsverfahren - keine Anhaltspunkte.

Die Klägerin wird auf der Grundlage der seitens der Beklagten zu erstattenden Auskunft, die eine etwaige Gefahr der Stigmatisierung des Beigeladenen und deren potentielles Gewicht erst erkennbar werden lässt, eigenverantwortlich zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang und in welcher Art und Weise eine [X.] der erlangten Informationen mit ihren journalistischen Sorgfaltspflichten bei der Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Beigeladenen in Einklang steht.

e) Die Prüfung, ob der Beklagten hinsichtlich Frage 8 ein Auskunftsverweigerungsrecht zukommt, steht auch mit dem Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) in Einklang. Das Berufungsgericht hat im Rahmen seiner Überzeugungsbildung nicht gegen Denkgesetze verstoßen (vgl. hierzu etwa [X.], Urteil vom 15. Mai 2019 - 7 [X.] 27.17 - [X.]E 165, 340 Rn. 56 m.w.N.). Der von der Beklagten kritisierte Schluss von der Behauptung eines Zeugen, "wenn ich sagen würde, wer genau meine Quelle gewesen ist, wäre die Diskussion hier schnell beendet", auf eine hochrangige und als vertrauenswürdig einzuschätzende Person als Quelle mag nicht zwingend sein, verstößt aber nicht gegen Denkgesetze.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Meta

10 C 1/20

26.04.2021

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, 30. Oktober 2019, Az: 1 LB 118/19, Urteil

§ 5 MedienStVtr BR, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 40 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.04.2021, Az. 10 C 1/20 (REWIS RS 2021, 6548)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 6548

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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I ZR 13/16

1 BvR 16/13

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