Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2016, Az. 1 StR 399/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 284

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:211216U1STR399.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
1 StR 399/16

vom
21. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen

wegen Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 20. Dezember
2016
in der Sitzung
am 21. Dezember 2016, an denen
teil-genommen haben:
Vorsitzender [X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
der [X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
die [X.]in am Bundesgerichtshof
Cirener
und die [X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. [X.],

[X.],

Staatsanwalt

-
in der Verhandlung
vom 20. Dezember 2016
-,
Staatsanwältin

-
bei der Verkündung
am 21. Dezember 2016
-

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

,
-
in der Verhandlung vom 20. Dezember 2016
-

als Verteidiger des Angeklagten,

Justizangestellte

-
in der Verhandlung
vom 20. Dezember 2016
-,
Justizobersekretärin

-
bei der Verkündung
am 21. Dezember 2016
-

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-

1.
Auf die
Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren
Tatgeschehen.
2.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorge-nannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufge-hoben, soweit das [X.] von einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen hat.
3.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der
beiden Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

4.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird [X.].

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverlet-zung in Tatmehrheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung in Tatein-heit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit zwei tatmehrheitlichen Fällen der Beleidi-gung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Hiergegen 1
-
4
-
richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Mit ihrer auf die [X.] der Unterbringung des Angeklag-ten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts.

I.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wer-tungen getroffen:
1. Der
Angeklagte hatte sich geweigert, in einem gegen Unbekannt ge-führten Ermittlungsverfahren freiwillig eine Speichelprobe abzugeben, weshalb
seine Wohnung am 26.
März 2015 gegen 6.00
Uhr von Spezialkräften der Poli-zei gewaltsam geöffnet
wurde, um eine gerichtlich angeordnete zwangsweise Blutentnahme durchzuführen. In diesem Rahmen beleidigte der zu diesem Zweck fixierte und gesicherte Angeklagte zwei Polizeibeamte und drohte einem Beamten, dass er ihn umbringen werde, wenn er die Möglichkeit dazu [X.].
Nachdem die Blutentnahme durchgeführt,
die Sicherung gelöst worden war
und die eingesetzten Polizeibeamten die Wohnung sukzessive verlassen hatten, verhielt sich der Angeklagte zunächst
ruhig,
versetzte aber an der [X.] unvermittelt einem Polizeibeamten mit der rechten geballten Faust einen sehr wuchtigen Schlag ins Gesicht, so dass dieser in die Hocke ging. Der Beamte erlitt dadurch ein Schwindelgefühl, eine rechtsseitige Gesichtsprellung mit leichter Schwellung sowie
eine leichte Halswirbeldistorsion mit
starken Schmerzen, die mehrere Tage anhielten.

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-
Nach erneuter Sicherung des Angeklagten durch die Polizeibeamten zeigte dieser einem Polizeibeamten seinen ausgestreckten rechten [X.]

Dg-te auf Grund einer vorläufigen Festnahme zum Polizeipräsidium verbracht [X.] war, bezeichnete er einen am vorherigen Einsatz nicht beteiligten [X.] in das Gesicht sowie auf dessen Kleidung.
2. [X.] ist bisher wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen vorgeahndet und im [X.] zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 30
Euro verurteilt worden. Vor den verfahrensgegenständlichen Taten gab es gegen den Angeklagten
in den Jahren 2012 bis 2014 mehrere Ermittlungs-verfahren, die jeweils nach §
153 oder §
154 StPO eingestellt wurden und [X.] nicht zu weiteren Verurteilungen führten. Insoweit hat das [X.] gleichwohl folgende Feststellungen getroffen ([X.]-75): So hat der Ange-klagte im Rahmen eines Gerangels nach einer Fahrscheinkontrolle einen Mitar-beiter der [X.] beleidigt und so in den Unterarm gebissen, dass die-ser dadurch eine blutende Wunde erlitt. Bei einer weiteren Kontrolle in der
[X.] hat der Angeklagte einem Mitarbeiter einen Schlag ins Gesicht sowie jeweils
links und rechts in den Rumpf versetzt, wodurch dieser eine leichte Prel-lung im Gesicht und Schmerzen erlitt. In weiteren Ermittlungsverfahren setzte der Angeklagte mehrfach Notrufe ab, beleidigte die Beamten, die diese [X.] entgegennahmen, und kündiu-che seine Mutter zu töten, wobei er ein Messer zu Hause habe. Es erfolgten auch Bedrohungen und Beleidigungen eines Mitarbeiters des Kreisverwaltungs-referats. In der Wohnung des Angeklagten konnten bei [X.] für Langwaffen und pyrotechnische Gegenstände sicherge-stellt werden.
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6
-
3. [X.] erkrankte im Jahr 2009 erstmals an Schizophrenie, weshalb eine stationär-psychiatrische Behandlung erforderlich war, wobei er auch medikamentös behandelt wurde. Im [X.] an die stationäre Therapie folgte eine mehrere Monate andauernde weitere ambulante Behandlung. Das sachverständig beratene [X.] geht davon aus, dass der Angeklagte auch im Tatzeitraum an einer paranoiden Schizophrenie mit unvollständiger Remission und damit an einer krankhaften seelischen Störung als [X.]. §
20 StGB litt. Da es sich hierbei um ein Störungsbild handele, welches das Motivationsgefüge und Tatverhalten entscheidend geprägt habe, sei beim Angeklagten von einer erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit [X.]. §
21 StGB auszugehen. Im Rahmen der einstweiligen Unterbringung im zu Grunde liegenden Verfahren verweigerte der Angeklagte jegliche Medikation und zeigte keine Krankheitseinsicht.
4. Im
Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des §
63 StGB für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kommt das [X.] zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte zwar die rechtswidrigen Taten im Zu-stand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Nach umfangrei-cher Gesamtwürdigung verneint das [X.] aber die erforderliche Gefähr-lichkeitsprognose, da es an der notwendigen
Erheblichkeit der für die Zukunft vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten mangele. Zwar rage auch die ver-fahrensgegenständliche vorsätzliche Körperverletzung
grundsätzlich in den Be-reich mittlerer Kriminalität hinein. Ihr könne aber im Rahmen der Gefährlich-keitsprognose nur ein geringes Gewicht beigemessen werden, da die [X.] einer Ausnahmesituation entspringe ([X.] S.
71). Auch aus den jeweils ge-mäß §
153 oder §
154 StPO eingestellten weiteren staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ergebe sich keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für schwere Störungen des Rechtsfriedens durch den Angeklagten.
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-
II.
Die Revision des Angeklagten ist überwiegend begründet. Die [X.] des [X.]s begegnet durchgreifenden rechtlichen Beden-ken.
1. Die Ausführungen des [X.]s zur strafrechtlichen [X.] des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem [X.] Nachprüfung, ob es zu Recht eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ausgeschlossen und eine erhebliche Verminderung der Schuld bejaht hat.
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in §
20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von §
21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig ([X.], Urteil vom 1.
Juli 2015

2
StR
137/15, NJW 2015, 3319 und Beschluss vom 12.
März 2013

4
StR
42/13, [X.], 519 jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Stö-rung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen [X.]e des §
20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die sozi-ale Anpassungsfähigkeit des [X.] zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähig-keit des [X.] bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der [X.] für die Tatsachenbewertung jeweils auf die Hilfe eines Sachverständi-gen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens ei-nes der [X.]e des §
20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beur-9
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8
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teilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat ([X.], Be-schlüsse
vom 28.
Januar 2016

3
StR
521/15, [X.], 135
und vom 19.
Dezember 2012

4
StR
417/12,
[X.], 145, 146).
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nicht gerecht.
Zwar ist das [X.] zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die beim Angeklagten durch den Sachverständigen diagnostizierte paranoide Schizophrenie mit unvollständiger Remission unter das [X.] der krankhaften seelischen Störung [X.]. §
20 StGB eingeordnet werden kann. Die weiteren Ausführungen des [X.]s zu
den Auswirkungen und zum Schweregrad
dieser Erkrankung sind aber widersprüchlich. So wird einerseits davon ausgegangen, dass beim Angeklagten eine wahnhafte Störung [X.] habe, die sowohl zum Vorliegen einer Wahnstimmung als auch zu einer Wahnwahrnehmung geführt habe, so dass letztlich eine konstruktive Auseinan-dersetzung mit ihm nicht möglich gewesen sei. Durch die vom Angeklagten ge-führte Diskussion
habe sich
der Wahn verhärtet und die Erkrankung verstärkt ([X.] S.
42 und 47). Anderseits kommt das [X.] aber letztlich zum Er-gebnis, dass die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit l-

solluS.
46), wobei diese Wertung in einem Spannungsverhältnis zu den Bekundun-gen des Sachverständigen Dr.
Dr.
C.

steht. Dieser hat den nach der Tat inhaftierten Angeklagten aufgesucht und ihn
nicht nur als laut, sondern als

47 [X.]) geschildert. Damit 12
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-
bleibt auf Grund dieser widersprüchlichen Wertungen letztlich offen, in welchem Umfang sich die vom Sachverständigen attestierte Erkrankung des Angeklagten bei der Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat.
2. Da der Senat deshalb nicht auszuschließen vermag, dass der Ange-klagte im Zustand der Schuldunfähigkeit und nicht nur im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.
3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen beruhen aber auf [X.] mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten [X.] nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§
353 Abs.
2 StPO). Das neue Tatgericht kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

[X.]
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Erfolg. Die
Nichtan-ordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtli-cher Überprüfung nicht stand.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Nichtanord-nung der Maßregel nach §
63 StGB beschränkt

344 Abs.
1 StPO).
2. Die [X.] der Maßregel nach §
63 StGB ist rechtsfehlerhaft. Zwar ist das [X.] von einer zumindest erheblich verminderten Schuldfä-higkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt [X.]. §
21 StGB ausgegangen, [X.] weist die zur Verneinung der Maßregel führende Gefährlichkeitsprognose
des [X.]s durchgreifende [X.] auf.
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a) Eine Unterbringung nach §
63 StGB darf lediglich dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von
erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben
(st. Rspr.; vgl.
nur [X.], Beschluss vom 3.
September 2015

1
StR
255/15, [X.], 198 mwN; [X.],
StGB, 64.
Aufl., §
63 Rn.
15 und 16 mwN). Dies setzt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 13.
Oktober 2016

1
StR
445/16; vom 18.
Juli 2013

4 StR
168/13, NJW 2013, 3383; vom 16.
Juni 2014

4
StR
111/14, [X.], 571; vom 19.
August 2014

3
StR
243/14, [X.], 732; Urteil vom 28.
Oktober 2015

1
StR
142/15, [X.], 40; [X.], Beschluss vom 24.
Juli 2013

2
BvR 298/12, [X.], 305).
Diese durch die Rechtsprechung herausgebildeten Anforderungen sind durch die neue Fassung des §
63 Satz
1
StGB dahingehend konkretisiert [X.],
dass nur die Erwartung solcher erheblicher
rechtswidriger
Taten ausreicht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird.
[X.] ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine
Anordnung der Maßregel gemäß §
63 StGB nicht von vornherein aus-geschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen ([X.], Urteil vom 2.
März 2011

2
StR
550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschlüsse vom 6.
März 2013

1
StR
654/12, [X.], 303, 304
f.; vom 18.
November 2013

1
StR
594/13, [X.], 76
f.).
19
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11
-
b) Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.](en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 13.
Oktober 2016

1
StR
445/16; vom 16.
Januar 2013

4
StR
520/12, [X.], 141; vom 1.
Oktober 2013

3
StR
311/13, [X.], 42; vom 2.
September 2015

2
StR
239/15; vom 3.
Juni 2015

4
StR
167/15, [X.], 724) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von ihm infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt ([X.], [X.] vom 24.
Juli 2013

2
BvR
298/12, [X.], 134; [X.], [X.] vom 7.
Juni 2016

4
StR
79/16, [X.], 306). Diesem schon von der Rechtsprechung entwickelten besonderen
Darlegungserfordernis gibt die seit dem 1.
August 2016 geltende und über §
2 Abs.
6 StGB anzuwendende Neuregelung in §
63 Satz
2 StGB eine klare gesetzliche Fassung (vgl. Gesetz-entwurf
der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften, BT-Drucks. 18/7244, S.
22-24).
c) Diesen aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprog-nose des [X.]s nicht, da sie in sich widersprüchlich ist
und den
festge-stellten Sachverhalt
nur unzureichend würdigt.
Das [X.] hat im Rahmen seiner Erwägungen
zwar auf der einen Seite zutreffend beachtet, dass im Rahmen der Gesamtabwägung zur Gefähr-lichkeit des Angeklagten einer in den Bereich der mittleren Kriminalität hinein-reichenden Tat nur eingeschränktes Gewicht beizumessen sein kann, wenn Auslöser für diese Tat eine vom Angeklagten als äußerst bedrohlich empfunde-ne Ausnahmesituation war ([X.], Urteil vom 8.
Juni 2011

5
StR
134/11, [X.] 21
22
23
-
12
-
2011, 245). Auf der anderen Seite geht das [X.] auch
rechtsfehlerfrei davon aus, dass bei der Gefährlichkeitsprognose im Rahmen der Gesamtwür-digung von Tat und Täter neben den
verfahrensgegenständlichen auch frühere Taten mit zu berücksichtigen sind, selbst wenn die diesbezüglichen Verfahren
nach §
153 oder §
154 StPO eingestellt wurden (vgl. [X.],
Urteil vom 17.
Februar 2004

1
StR 437/03).
Die diese
beiden Gesichtspunkte berücksichtigenden Wertungen des [X.]s dürfen jedoch nicht

wie hier

in Widerspruch zueinander ste-hen.
Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem verfahrensgegenständli-chen Polizeieinsatz bereits um eine
derartige Ausnahmesituation für den Ange-klagten handelte, belegen die Feststellungen
des [X.]s
zu den weiteren Ermittlungsverfahren, dass der Angeklagte durch die Begehung vorsätzlicher Körperverletzungen im Bereich der mittleren Kriminalität in Erscheinung getre-ten ist.
Bei beiden Vorfällen im Zusammenhang mit Fahrscheinkontrollen han-delte es sich jedenfalls um keine Ausnahmesituationen im Sinne
der oben dar-gestellten Rechtsprechung, sondern um ganz gewöhnliche Geschehnisse im Alltag. Alle bisherigen Taten des Angeklagten stellen sich damit

wie vom Sachverständigen auch ausgeführt

als unmittelbare Reaktion auf eine be-i-ches Unrecht empfundener

68)
und belegen den vom [X.] von ähnlicher Schwere zu erwarten sind, wie sie vom Angeklagten auch in der Vergangenhe

67). Das einseitige Abstellen des [X.]s
n
verfahrensge-genständlichen
Taten
zur Verneinung der Gefährlichkeitsprognose steht damit in
Widerspruch zu den Feststellungen des [X.]s in Bezug auf die übri-gen Taten, denen nur eine völlig untergeordnete Bedeutung beigemessen wird. Völlig unberücksichtigt im Rahmen der Gesamtabwägung bleibt
zudem, dass 24
-
13
-
der Angeklagte auch u-, wobei sich in seiner Wohnung Munition und pyrotechnische
Gegenstände befanden. Gleiches gilt für die Fest-stellung des [X.]s, dass der Angeklagte im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen ein Klappmesser mit sich
führte, dieses aber nicht als Waffe verwendete, sondern auf den Tisch legte ([X.] S.
74).
Ausgehend von den beim Angeklagten festgestellten Wahngedanken mit inadäquaten Affekten in Form von erheblich verminderter Impulskontrolle ([X.] S.
44) sind die ab-schließenden Wertungen des [X.]s, dass beim Angeklagten zwar mit erneuten Beleidigungen und Bedrohungen zu rechnen sei, aber nicht mit
weite-ren schwerwiegenderen Straftaten ([X.] S.
76), nicht tragfähig.
Dies gilt umso mehr als das [X.] auch im Rahmen der Prognoseentscheidung zur Ab-lehnung der Strafaussetzung zur Bewährung
ebenfalls davon ausgeht, dass der Angeklagte krankheitsbedingt weitere Straftaten begehen wird
([X.] S.
63).
Mit aufzuheben sind auch die
insoweit getroffenen Feststellungen
des [X.]s, um dem neuen Tatrichter eine umfassende und widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen.

IV.
Für die neue Hauptverhandlung, die auch das bis dahin gezeigte Verhal-ten des Angeklagten in den Blick zu nehmen hat,
weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: Da sich der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen des [X.]s in der [X.] vom 26.
März 2015 bis zum 15.
Februar 2016 über zehn Monate in der einstweiligen Unterbringung nach §
126a StPO befunden hat, ist diese Freiheitsentziehung gemäß
§
51 Abs.
1 Satz 1
StGB auf eine et-waige im neuen Verfahren zu verhängende Freiheitsstrafe anzurechnen, so 25
26
-
14
-
dass
eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung schon begriff-lich ausscheidet. Ohne
dass es auf die bedenklichen Ausführungen des Land-gerichts zur Sozialprognose oder Verteidigung der Rechtsordnung (§
56
Abs.
3 StGB) ankäme, müsste die dann bereits vollzogene Freiheitsstrafe als unbe-dingte ausgeurteilt werden
([X.], Beschluss vom 12.
Februar 2014

1
StR 36/14, [X.], 138).
Im Fall der Anordnung einer Maßregel nach §
63 StGB hätte der Angeklagte [X.]. §
67b Abs.
1 Satz

i-, weil diese durch Anrechnung des erlittenen [X.] nach §
51 Abs.
1 Satz
1 StGB erledigt wäre ([X.], Beschluss vom 25.
August 1993

5
StR
500/93, [X.] 1994, 260).

Raum
Jäger
Rin[X.]
Cirener ist [X.] an der [X.] gehindert.
Raum

[X.]
Bär

Meta

1 StR 399/16

21.12.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2016, Az. 1 StR 399/16 (REWIS RS 2016, 284)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 284

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 579/15

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