Bundessozialgericht, Urteil vom 02.02.2012, Az. B 8 SO 5/10 R

8. Senat | REWIS RS 2012, 9557

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Gegenstand

(Sozialhilfe - Hilfe zur Pflege - Anforderungen an die Wirksamkeit einer Erhöhung der Pflegevergütung durch die Pflegeeinrichtung - Bindung des Sozialhilfeträgers an die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit trotz fehlender Kenntnis - Anwendbarkeit des § 48 SGB 10)


Leitsatz

1. Die Bindung des Sozialhilfeträgers an Entscheidungen der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit ersetzt nicht die daneben erforderliche Kenntnis von den Leistungsvoraussetzungen, die ihrerseits nicht das jeweilige Ausmaß der Pflegebedürftigkeit umfassen muss.

2. Zur Anwendung des § 48 SGB 10 bei Änderungen des sozialhilferechtlichen Bedarfs.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 27. Januar 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] sind höhere Leistungen der Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]) vom 1.3. bis [X.].

2

Die 1921 geborene Klägerin lebt seit dem 13.10.2004 im [X.], einer nach dem [X.] - ([X.]) zugelassenen Pflegeeinrichtung in [X.] und bezieht hierfür (stationäre) Leistungen nach §§ 61 ff [X.] (bestandskräftiger Bescheid vom [X.]: Leistungen für den [X.]onat [X.]ärz 2008 in Höhe von 816,15 Euro). Zu ihren Gunsten war durch das Versorgungsamt ein Grad der Behinderung von 100 und durch die [X.] die [X.] festgestellt. Am 12.3.2008 beantragte sie die [X.]I, worüber die Beklagte bereits zuvor am 10.3.2008 unterrichtet worden war. Die Pflegekasse bewilligte ab 1.3.2008 Leistungen nach der [X.]I (Bescheid vom 21.5.2008). Die Einstufung in die [X.]I hatte eine Erhöhung des vom Heim gegenüber der Klägerin geltend gemachten Tagessatzes für die stationäre Pflege von 43,11 Euro auf 61,10 Euro zur Folge.

3

Die Beklagte bewilligte höhere Leistungen der Hilfe zur Pflege unter Berücksichtigung der [X.]I erst ab 10.3.2008 und lehnte für die [X.] vom 1. bis zum [X.] höhere Leistungen mit der Begründung ab, dass sie erst ab 10.3.2008 durch die [X.]itteilung über den Antrag auf Höherstufung in der Pflegeversicherung Kenntnis von dem höheren Pflegebedarf gehabt habe (Bescheid vom 14.7.2008; Widerspruchsbescheid vom 15.9.2008). § 62 [X.], der eine Bindung an die Entscheidung der Pflegekasse vorsehe, betreffe nur das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit, nicht den Leistungszeitraum; zudem sei die Abrechnung einer erhöhten Pflegestufe durch die Einrichtung nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) erst ab dem [X.]punkt zulässig, in dem die Änderung des [X.] angeboten bzw die einseitige Anpassung angekündigt worden sei.

4

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts <[X.]> [X.]ünster vom 18.5.2009; Urteil des Landessozialgerichts <[X.]> Nordrhein-Westfalen vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, der in § 18 [X.] verankerte [X.] schließe eine rückwirkende Sozialhilfebewilligung aus. § 62 [X.] lege eine Bindung des Trägers der Sozialhilfe an die Entscheidung der Pflegekasse (nur) über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit fest, lasse aber den Leistungszeitraum, mithin die Einstandspflicht des Trägers der Sozialhilfe, unberührt.

5

[X.]it ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 62 [X.]. Hieraus ergebe sich eine Bindungswirkung der Beklagten (auch) für die [X.] vom 1. bis [X.]. Der [X.] des § 18 [X.] stehe dem nicht entgegen. Qualifizierte Kenntnis iS des § 18 [X.] habe die Beklagte bereits mit Einsetzen der Hilfe zur Pflege seit 13.1.2004. Auch die Rechtsprechung des [X.] rechtfertige keine andere Entscheidung; ihr liege eine andere Fallgestaltung als vorliegend zugrunde.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] und des [X.] aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.9.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, für die [X.] vom 1. bis [X.] höhere Leistungen der Hilfe zur Pflege zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die Entscheidung des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]>). Das Verfahren leidet an einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel. Das [X.] hätte den Träger des Pflegeheims, in das die Klägerin stationär aufgenommen war, gemäß § 75 Abs 2 1. Alt [X.] notwendig beiladen müssen.

Nach § 75 Abs 2 1. Alt [X.] sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung). Das Erfordernis einer einheitlichen Entscheidung ist ua dann erfüllt, wenn der Hilfebedürftige - wie vorliegend - vollstationär in einem Heim aufgenommen ist und gegenüber dem Sozialhilfeträger die Übernahme (höherer) Heimkosten im Rahmen der Hilfe zur Pflege geltend macht. Die Hilfe zur Pflege wird vom Sozialhilfeträger nämlich nicht als Geldleistung erbracht. Er erklärt mit der Übernahme der Unterbringungskosten im Bewilligungsbescheid vielmehr den Schuldbeitritt zur Zahlungsverpflichtung des Hilfebedürftigen gegenüber dem Heim; "Übernahme" bedeutet in diesem Zusammenhang Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung ([X.], 1 ff Rd[X.] 25 ff = [X.] 4-1500 § 75 [X.]).

Von einer Nachholung der Beiladung hat der [X.] abgesehen. Zwar wäre dies im Revisionsverfahren mit Zustimmung des [X.] zulässig (§ 168 Satz 2 [X.]); zur revisionsrechtlichen Nachholung der Beiladung besteht aber keine Verpflichtung. Die Beiladung ist vielmehr in das Ermessen des [X.] gestellt (vgl nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 168 Rd[X.] 3d mwN). Sie kann insbesondere dann der Tatsacheninstanz überlassen werden, wenn auch nach der Beiladung aus anderen Gründen ohnedies zurückverwiesen werden müsste. Dies ist hier der Fall. Für die Beurteilung, ob und inwieweit ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Übernahme eines höheren Leistungsentgelts (anlässlich eines höheren Pflegesatzes für die stationäre Pflege) im streitbefangenen [X.]raum besteht, fehlen nämlich tatsächliche Feststellungen (§ 163 [X.]), die eine abschließende Entscheidung des [X.]s ermöglichen. Insbesondere fehlen Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen nach § 19 Abs 3 [X.] (in der Neufassung des [X.] an die demographische Entwicklung und Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - [X.]) iVm §§ 61 ff [X.] sowie zum Inhalt der zwischen der Klägerin und dem Heimträger einerseits und dem Heimträger und der Beklagten andererseits geschlossenen Verträge/Vereinbarungen und der sich daraus ergebenden Zahlungsverpflichtung der Klägerin gegenüber dem Heim. Wegen der Zurückverweisung der Sache zur Nachholung der Beiladung ist der [X.] gehindert, über im Zusammenhang mit einem möglichen Anspruch sich ergebende materiellrechtliche Fragen bindend zu entscheiden (§ 170 Abs 5 [X.]), weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 [X.], Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) des [X.] verletzt würde ([X.], 242 ff Rd[X.]7 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]).

Ob ein Anspruch auf höhere Leistungen besteht, ist allerdings an § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ([X.]) zu messen. Danach soll ein Dauerverwaltungsakt mit Wirkung vom [X.]punkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Die Beklagte hat als zuständiger Sozialhilfeträger mit Bescheid vom [X.] Hilfe zur Pflege nach § 61 [X.] für den Monat März 2008 in Höhe von 816,15 Euro bewilligt. Für Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und die Hilfe zur Pflege in einer stationären Einrichtung benötigen, sieht das Landesrecht in [X.] ([X.]) nach § 2 Abs 1 [X.]a der Ausführungsverordnung zum [X.] des Landes [X.] (AV-[X.]) vom 14.12.2004 (GVBl 820) ausdrücklich keine sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe vor, sodass die Beklagte als örtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 1 Landesausführungsgesetz zum [X.] für das Land [X.] vom 16.12.2004 - GVBl 816) für die hier streitgegenständliche Leistung sachlich zuständig ist (§ 97 Abs 1 [X.]). Ihre örtliche Zuständigkeit folgt aus § 98 Abs 2 Satz 1 [X.] (hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - [X.] 2670 - erhalten hat). Die Klägerin hatte vor ihrer Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in M

Bei dem Bescheid vom [X.] handelt es sich auch um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; denn er erschöpft sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage, sondern begründet (oder verändert) dadurch, dass der Bewilligungszeitraum in die Zukunft reicht, ein auf Dauer (für den gesamten Monat März) berechnetes Rechtsverhältnis. Eine den Bewilligungszeitraum betreffende wesentliche Änderung (gegenüber dem bereits zugegangenen Bewilligungsbescheid) in den tatsächlichen Verhältnissen für den [X.]raum vom 1. bis [X.] liegt dann vor, wenn die Klägerin als Heimbewohnerin gegenüber dem Heim (auch) für diesen [X.]raum höhere Leistungen zu erbringen hat, sich also ihr vom Sozialhilfeträger zu deckender Bedarf erhöht. Eine wesentliche Änderung liegt aber nicht schon dann vor, wenn das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit sich zwar ändert (in Folge eines verbesserten oder verschlechterten Pflege- und Gesundheitszustandes), der Heimbewohner aber erst später - etwa nach Anpassung des [X.] - ein höheres, vertraglich vereinbartes Heimentgelt zu entrichten hat.

Die Beurteilung der Frage, ob eine solche wesentliche Änderung im streitbefangenen [X.]raum vorliegt, ist von Inhalt und Ausgestaltung der im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis (ausführlich zum sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis [X.]/[X.] in juris [X.] [X.], § 75 [X.] Rd[X.] 24 ff) geschlossenen Verträge/Vereinbarungen und einer sich hieraus ggf ergebenden Zahlungsverpflichtung der Klägerin gegenüber dem Heim abhängig. Ob nämlich, wie die Beklagte meint, das Heim unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 2.10.2007 - [X.]) keine höheren Heimkosten gegenüber der Klägerin geltend machen kann, kann ohne die erforderlichen Feststellungen zu den maßgebenden Verträgen nicht beurteilt werden. Der [X.] hat seine Entscheidung auf § 6 Abs 1 und 2 Heimgesetz ([X.]) gestützt, wonach der Heimträger bei einem erhöhten Betreuungsbedarf des Bewohners eine Anpassung des [X.] verlangen und die hierzu erforderlichen Änderungen des [X.] nach § 6 Abs 2 [X.] anzubieten hat. Nach dem Vortrag in der Revisionsbegründung regelt der Heimvertrag in einer Gleitklausel aber alle Stufen der Pflegebedürftigkeit in seinem Leistungskatalog für den Bewohner, damit im Falle einer Änderung der Pflegebedürftigkeit eines Bewohners keine [X.] entsteht. Jeder Stufe der Pflegebedürftigkeit werden danach auch die entsprechenden Pflegesätze zugeordnet und die Anpassungsvoraussetzungen geregelt. Soweit solche - vom [X.] nicht festgestellten - Regelungen im Heimvertrag wirksam vereinbart worden sind (vgl § 9 [X.]), ist ggf das höhere Entgelt mit der Feststellung der höheren Pflegestufe, also ab 1.3.2008, zu entrichten. Das [X.] wird die Regelungen des [X.] jedoch darauf zu überprüfen haben, ob mit ihnen zu Lasten der Klägerin von den Vorschriften des [X.] abgewichen wird (§ 9 [X.]).

Ein sich aus dem Heimvertrag ergebender Vergütungsanspruch der Einrichtung wird auch durch die zwischen Heimträger und den [X.] im Einvernehmen mit der Beklagten geschlossenen Vereinbarungen beeinflusst, weil die Einrichtung eine höhere Vergütung für die nach der (ggf automatischen) Vertragsanpassung zusätzlich erbrachte Leistung nur verlangen kann, wenn diese Erhöhung dem in Vereinbarungen mit den [X.] nach § 75 Abs 5 [X.], §§ 82 ff [X.]I festgelegten Entgelt entspricht. Dies folgt für die [X.] ab dem Inkrafttreten des [X.] über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen ([X.]) vom [X.] ([X.] 2319) am 1.10.2009 aus § 7 Abs 2, § 9 Abs 1, § 15 [X.]. Das für die [X.] bis 30.9.2009 maßgebende [X.] kannte zwar keine dem [X.] völlig entsprechende Regelung zur unmittelbaren Geltung der in den "Leistungserbringungsverträgen" geregelten Vergütungshöhe; eine dem [X.] vergleichbare Schutzwirkung muss aber, soweit sich eine Koppelung mit den "Leistungserbringungsverträgen" nicht bereits aus § 7 Abs 4 und 5 [X.] ergibt, § 32 Sozialgesetzbuch [X.] - ([X.]) entnommen werden, und zwar entweder durch Übernahme der gesetzlichen Wertung (s dazu [X.]/[X.] in jurisPK-[X.], § 75 [X.] Rd[X.]06 ff) oder wegen des Charakters der Verträge nach § 75 ff [X.] als Normverträge (dazu [X.]/[X.], aaO, Rd[X.] 43 mwN) in direkter Anwendung des § 32 [X.] ([X.] in jurisPK-[X.], § 32 Rd[X.] 30 und § 31 Rd[X.] 36).

Soweit danach ein Zahlungsanspruch des Heims ab 1.3.2008 besteht, ist das [X.] zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin für den streitbefangenen [X.]raum vom 1. bis zum [X.] - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für einen Sozialhilfeanspruch - keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Hilfe zur Pflege hat, weil eine Bindung der Beklagten an die Einstufung der Klägerin in die [X.] durch die Pflegekasse erst ab 10.3.2008 eingetreten wäre. Nach § 62 [X.] ist der Entscheidung im Rahmen der Hilfe zur Pflege die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nach dem [X.]I zugrunde zu legen, soweit sie auf Tatsachen beruht, die bei beiden Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Rechtfertigt die durch die Pflegekasse festgestellte höhere [X.] ab 1.3.2008 eine höhere, von der Klägerin an die Einrichtung zu zahlende Vergütung, bedeutet die Bindungswirkung insoweit, dass die Beklagte eine Änderung der Verhältnisse ab 1.3.2008 nicht mit der Begründung verneinen darf, bei der Klägerin lägen die Voraussetzungen der [X.] nicht vor. Der Sozialhilfeträger kann in diesem Fall im Hinblick auf die Bindung an die Entscheidungen der Pflegekasse also nicht einwenden, dass das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit tatsächlich geringer sei.

Anders als die Beklagte und das [X.] meinen, rechtfertigt auch § 18 [X.] keine andere Entscheidung. Zu Recht verweist das [X.] darauf, dass § 18 [X.] und § 62 [X.] unterschiedliche Zielrichtungen haben, weil § 62 [X.] die Bindungswirkung bezüglich des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit und folglich entsprechender Feststellungen der Pflegekasse statuiert, während § 18 [X.] das Einsetzen der Sozialhilfe bestimmt. Deshalb sieht § 62 letzter Halbsatz [X.] eine Bindungswirkung nur vor, soweit die Entscheidung der Pflegekasse auf Tatsachen beruht, die bei beiden Entscheidungen zu berücksichtigen sind, mit der Folge, dass die besonderen Leistungsvoraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe, mithin auch die Kenntnis iS des § 18 [X.], unberührt bleibt. Dies rechtfertigt aber nicht die Annahme, dass erst der Hinweis der Klägerin auf die Beantragung einer höheren Pflegestufe oder gar die Kenntnis von der Entscheidung der Pflegekasse bzw eines höheren Pflegeaufwandes zu einem Einsetzen der "höheren" Leistung führt.

In einem laufenden Leistungsfall, bei dem Leistungen der Hilfe zur Pflege gewährt werden, hat der Sozialhilfeträger vielmehr die erforderliche Kenntnis schon vor einer sich auf die Höhe der (laufenden) Leistung auswirkenden Änderung der Verhältnisse; die Sozialhilfe hat insoweit bereits iS von § 18 [X.] "eingesetzt". Die Kenntnis setzt die positive Kenntnis aller Tatsachen voraus, die den Leistungsträger in die Lage versetzen, die Leistung, hier Hilfe zur Pflege, zu erbringen. Da § 18 [X.] zum Schutz des Hilfebedürftigen einen niedrigschwelligen Zugang zum Sozialhilfesystem sicherstellen will (BSG [X.] 4-1300 § 44 [X.]5 Rd[X.] 20; [X.] in jurisPK-[X.], § 18 [X.] Rd[X.]3 f mwN), ist es schon ausreichend (aber auch erforderlich), dass überhaupt die Notwendigkeit der Hilfe erkennbar ist, nicht aber in welchem Umfang die Hilfe geleistet werden muss. Die Kenntnis von der Voraussetzung für die Leistung, die auch durch einen Antrag auf die Leistung vermittelt wird, bezieht sich deshalb nicht auf das jeweilige, ggf sich ändernde Ausmaß der Pflegebedürftigkeit (und damit auf die Höhe der zu erbringenden Leistungen), sondern darauf, dass der erforderliche Pflegebedarf Leistungen der Sozialhilfe nach § 61 [X.] erfordert (BSG, Urteil vom 10.11.2011 - [X.] [X.] 18/10 R - Rd[X.] 21; [X.] aaO, Rd[X.]5; Meßling in jurisPK-[X.], § 62 [X.] Rd[X.] 27, allerdings mit der vorliegend nicht einschlägigen Einschränkung, dass wohl etwas Anderes gelte, wenn der erhöhte Pflegebedarf sich aufgrund einer völlig anderen, nicht zu erwartenden neuen Erkrankung ergebe). Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen (sei es zu Gunsten, sei es zu Lasten des Hilfebedürftigen) ist durch die Regelung des § 48 [X.] Rechnung zu tragen, soweit Leistungen auf Dauer bewilligt werden.

Für die Anwendung von § 48 [X.] ist es unerheblich, dass bzw wenn die maßgebliche Änderung bereits mit Beginn des Bewilligungszeitraums eingetreten ist; denn Voraussetzung ist insoweit nur, dass sie sich nach Zugang des Bewilligungsbescheides ergeben hat (vgl nur: Schütze in von [X.], [X.], 7. Aufl 2010, § 48 Rd[X.]0; Waschull in Lehr- und Praxiskommentar [X.], 3. Aufl 2011, § 28 Rd[X.] 28). Dies gilt auch für Änderungen, die rechtlich (auf den Beginn des Bewilligungszeitraums) zurückwirken (vgl nur Schütze, aaO, mwN zur Rechtsprechung), was vorliegend wohl wegen der erst später festgestellten höheren Pflegestufe anzunehmen sein dürfte.

Seine Bedeutung verliert § 18 [X.] hierdurch nicht. Erst wenn dem Sozialhilfeträger ein tatsächlich bestehender Hilfebedarf, der ein Anspruch auf Leistungen nach § 61 [X.] rechtfertigt, im bezeichneten Sinn bekannt wird, hat er Hilfe zur Pflege zu erbringen. Dabei ist er an eine Entscheidung der Pflegekasse nach § 62 [X.] gebunden, allerdings nicht derart, dass er auch Leistungen für die [X.] vor der Kenntnis erbringen müsste.

Der [X.] folgt damit nur im Ansatz (keine Verdrängung des § 18 [X.] durch § 62 [X.]), nicht jedoch in den Anforderungen an die Kenntnis der auf § 5 [X.] ([X.]; heute § 18 [X.]) rekurrierenden Auffassung des [X.] (<[X.]> [X.]E 117, 272 ff). Diese beruhte möglicherweise - weil § 47 [X.] in der Entscheidung des [X.] überhaupt nicht erwähnt ist - auf der vom [X.] in ständiger Rechtsprechung (vgl nur; BSG, Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 20/08 R - Rd[X.]3, [X.], 534 ff; BSG, Urteil vom 10.10.2011 - [X.] [X.] 12/10 R - Rd[X.]2) nicht gebilligten Vorstellung, Sozialhilfe sei keine rentengleiche Dauerleistung und werde dementsprechend regelmäßig nicht durch einen Dauerverwaltungsakt bewilligt, sondern sei gleichsam täglich neu regelungsbedürftig ([X.]E 25, 307, 308 f; 57, 237, 239), sodass deshalb eine Anwendung von § 48 [X.] ausschied. Sie hätte das untragbare Ergebnis zur Folge, dass regelmäßig bei Änderungen des Pflegebedarfs und daraus resultierender höherer finanzieller Belastung des Hilfebedürftigen wegen notwendiger tatsächlicher Ermittlungen eine Bedarfslücke entstünde.

Die entgegenstehende Rechtsprechung des [X.] würde den [X.] nicht dazu verpflichten, das Verfahren auszusetzen und die Sache nach §§ 2 Abs 1, 11 Abs 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes ([X.]) dem Gemeinsamen [X.] der obersten Gerichtshöfe vorzulegen, weil seit dem 1.1.2005 die Sozialgerichte nach § 51 Abs 1 [X.] 6a [X.] allein über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Sozialhilfeangelegenheiten entscheiden, der Verwaltungsrechtsweg also nicht mehr gegeben ist (s zur vergleichbaren Situation im Rahmen des § 41 [X.] [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 41 Rd[X.]1 mwN; vgl auch [X.] 39, 41, 44 = [X.] 1900 § 4 [X.]). Der [X.] hat keine Anhaltspunkte dafür, dass 7 Jahre nach der Änderung des Rechtswegs wegen der sog perpetuatio fori vergleichbare Verfahren nach dem [X.] in der Verwaltungsgerichtsbarkeit anhängig sein könnten (so auch [X.], 1 ff Rd[X.]4 = [X.] 4-1500 § 75 [X.]; Verfahren nach dem [X.] können ohnedies nicht betroffen sein). Schließlich haben sich mit Wirkung ab 1.1.2005 strukturelle Unterschiede gegenüber dem aufgehobenen [X.] ergeben (dazu [X.] 99, 137 ff Rd[X.]9 = [X.] 4-1300 § 44 [X.]1); diese haben auch verfahrensrechtliche Auswirkungen, die mittlerweile der Gesetzgeber durch Einfügung des § 116a [X.] bestätigt hat. Zudem unterscheidet sich der vom [X.] entschiedene ([X.]E 117, 272 ff) Sachverhalt insoweit vom vorliegenden, als der Sozialhilfeträger überhaupt nicht über den Antrag auf Einstufung in eine höhere Pflegestufe informiert war. Hier wurde die Beklagte jedoch bereits vor der Antragstellung in Kenntnis gesetzt.

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 5/10 R

02.02.2012

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Münster, 18. Mai 2009, Az: S 8 (12) SO 154/08, Urteil

§ 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10, § 62 SGB 12, § 75 Abs 5 SGB 12, § 6 Abs 1 HeimG vom 05.11.2001, § 6 Abs 2 HeimG vom 05.11.2001, § 7 Abs 4 HeimG vom 27.12.2003, § 7 Abs 5 HeimG vom 27.12.2003, § 9 HeimG vom 05.11.2001, § 7 Abs 2 WBVG, § 9 Abs 1 WBVG, § 15 WBVG, § 32 SGB 1, § 18 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 02.02.2012, Az. B 8 SO 5/10 R (REWIS RS 2012, 9557)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9557

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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