Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.06.2020, Az. 2 B 24/20

2. Senat | REWIS RS 2020, 3971

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Gegenstand

Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme; Inaugenscheinnahme von kinderpornographischem Bildmaterial


Tenor

Das Urteil des [X.] vom 14. November 2019 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

1

Die Beschwerde des [X.]n hat mit der Maßgabe Erfolg, dass das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 41 [X.] SH, § 69 [X.] und § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor. Die rechtliche Bewertung der auf den durchsuchten Speichermedien des [X.]n gefundenen Bilder als kinderpornographische Schriften und die Beurteilung des genauen Inhalts der Dateien auf der Grundlage von Ausführungen eines - zur Klärung eines technischen Aspekts - gerichtlich bestellten Sachverständigen anstelle der Einnahme eines Augenscheins durch das Gericht verstößt gegen das in § 4 [X.] SH und § 96 Abs. 1 VwGO verankerte Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.

2

1. Der 1962 geborene [X.] steht als Studienrat im Dienst des klagenden [X.]. Am 26. Juni 2013 wurde der [X.] in [X.] bei der Einreise in die [X.] mit der Begründung verhaftet, zum Zwecke der Aufnahme sexueller Kontakte mit unter 12-jährigen Kindern in die [X.] eingereist zu sein. Anfang Oktober 2014 wurde der [X.] aufgrund eines entsprechenden [X.] durch den [X.] District Court [X.] zu einer Freiheitsstrafe von 189 Monaten verbunden mit einer anschließenden lebenslangen "Führungsaufsicht" verurteilt. Aufgrund der Informationen der [X.] Strafverfolgungsbehörden leitete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen den [X.]n ein. In dessen Rahmen wurden mehrere Speichermedien des [X.]n sichergestellt und auf kinderpornographische Schriften untersucht. Mitte Juni 2016 erhob der Kläger [X.] zum einen wegen des Vorwurfs, der [X.] habe den Versuch unternommen, im Ausland Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren sexuell zu missbrauchen. Für seinen geplanten Aufenthalt in [X.] vom 26. bis zum 30. Juni 2013 habe er für einen Betrag von 1 025 $ mehrere Mädchen für sich "bestellt", die bestimmten Kindern aus kinderpornographischen Serien ähneln sollten. Bei seiner Landung in den [X.] habe er in seinem Gepäck Damenunterwäsche in sehr kleinen Größen, Fesselungsutensilien und eine Augenbinde gehabt. Gegenstand der [X.] ist zum anderen der Vorwurf, in der [X.] vom 9. März 2005 bis zur Beschlagnahme am 8. August 2013 insgesamt 944 kinderpornographische Schriften besessen zu haben.

3

Das Verwaltungsgericht hat den [X.]n aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht das Verfahren aufgrund von § 41 Abs. 1 Satz 1 [X.] SH sowie §§ 56 und 65 Abs. 1 Satz 1 [X.] beschränkt und den Vorwurf, den Versuch unternommen zu haben, im Ausland Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren sexuell zu missbrauchen, sowie den Vorwurf des Besitzes von 256 Posing-Bildern aus dem Verfahren ausgeschieden. Die Berufung des [X.]n hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Durch sein außerdienstliches Verhalten, das den Straftatbestand des vorsätzlichen Besitzes von kinderpornographischen Schriften nach § 184b Abs. 4 StGB in der Fassung vom 31. Oktober 2008 erfülle, habe der [X.] als Lehrer an einer allgemeinbildenden Schule das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren.

4

2. Die Beschwerde beanstandet, das Gericht habe die auf den Speichermedien des [X.]n sichergestellten Fotos nicht selbst in Augenschein genommen und damit nicht selbst bewertet, sondern habe sich Zahl und Inhalt der Dateien lediglich durch den Sachverständigen mitteilen lassen. Die vom [X.]n damit der Sache nach erhobene Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe bei der Würdigung der auf den Speichermedien des [X.]n vorgefundenen Dateien gegen das Gebot der materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 4 [X.] SH und § 96 Abs. 1 VwGO) verstoßen, ist begründet.

5

Das Oberverwaltungsgericht ist in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, der [X.] sei im [X.]raum vom 22. Juli 2006 bis zur Beschlagnahme am 8. August 2013 im Besitz kinderpornographischer Schriften gewesen. Das Verhalten des [X.]n erfülle den Straftatbestand des Besitzes von kinderpornographischen Schriften nach § 184b Abs. 1 StGB in der Fassung vom 31. Oktober 2008. Diese Bestimmung definiert kinderpornographische Schriften als pornographische Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB) zum Gegenstand haben. Dass es sich bei den auf den Speichermedien des [X.]n sichergestellten Dateien (Fotos und [X.]) um solche im Sinne dieser gesetzlichen Begriffsbestimmung handelt, setzt eine Bewertung der Dateien anhand der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen voraus. Zu bewerten ist insbesondere das Alter der betroffenen Personen (Kind i.S.v. § 176 Abs. 1 StGB) und die Art der dargestellten Handlung. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht bei der Ausschöpfung des durch die abstrakte Strafandrohung eröffneten [X.] auch auf die Art und Weise des dargestellten Sexualverkehrs von Erwachsenen mit Kleinstkindern abgehoben.

6

In den Fällen des Besitzes kinderpornographischer Schriften ergeben sich die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme relevanten Feststellungen zum Inhalt und auch zur Zahl der Dateien regelmäßig aus Entscheidungen der Strafgerichte, denen im unterschiedlichen Umfang Bindungswirkung nach § 41 [X.] SH und § 57 [X.] zukommt. Mangels einer strafgerichtlichen Entscheidung muss das [X.] hier die insoweit relevanten Feststellungen selbst treffen.

7

Im Berufungsurteil hat das Oberverwaltungsgericht wiederholt auf seinen Beweisbeschluss vom 30. Oktober 2019 (gemeint ist wohl 31. Oktober 2019) verwiesen. Nach diesem Beschluss sollte über das Vorhandensein kinderpornographischer Schriften auf den bei der Durchsuchung des Wohnhauses des [X.]n am 8. August 2013 sichergestellten Datenträgern, aber auch über deren Inhalt durch Verwertung zweier bereits erstellter Gutachten des Sachverständigen S. Beweis erhoben werden. Im Urteil ist ausgeführt, der Umstand, dass sich unter den auf den Speichermedien des [X.]n sichergestellten Dateien auch kinderpornographische Schriften (Bild- und Videodateien) finden, ergebe sich aus der Auswertung der elektronischen Datenträger des [X.]n durch diesen Sachverständigen. Auch hinsichtlich der Feststellungen zum Alter der betroffenen Kinder (0 bis 14 Jahre) sowie zum genauen Gehalt der auf den Dateien dargestellten sexuellen Handlungen wird auf das nach § 4 [X.] SH, § 98 VwGO und § 411a ZPO in das gerichtliche Disziplinarverfahren einbezogene Sachverständigengutachten vom 28. Mai 2015 verwiesen. Auch im Übrigen wird aus dem Berufungsurteil deutlich, dass sich die Beweisaufnahme auf den [X.] beschränkt hat, bei dem es ausschließlich um "technische" Fragen aus dem IT-Bereich ging.

8

Dies genügt nicht den Anforderungen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 4 [X.] SH und § 96 Abs. 1 VwGO). Dieser besagt u.a., dass im Interesse der Richtigkeit der gerichtlichen Entscheidung die Feststellung der zentralen rechtserheblichen Tatsachen durch Mittel zu erfolgen hat, die in größtmöglicher Nähe zu der infrage stehenden Tatsache, d.h. in möglichst direkter Beziehung zu ihr stehen. Das lediglich mittelbare Beweismittel kann zulässigerweise nur verwendet werden, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1989 - 6 [X.] 4/89 - [X.] 1500 § 128 Nr. 40 Rn. 10, BFH, Urteil vom 12. Juni 1991 - [X.]/87 - [X.], 396 Rn. 9 jeweils m.w.N. und [X.], Beschluss vom 13. Oktober 1994 - 8 [X.] - juris Rn. 2).

9

Ein Sachverständiger ist ein Gehilfe eines Gerichts, auf dessen Sachverstand das Gericht zurückgreifen muss, soweit dies zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts geboten ist. Dementsprechend kommt die Beauftragung eines Sachverständigen nur hinsichtlich solcher Umstände in Betracht, für deren Feststellung und Beurteilung dem Gericht die erforderliche Sachkunde fehlt. Für die Feststellung der Zahl (das bloße Zählen) sowie für die Beurteilung des Inhalts der aus den Speichermedien gewonnenen Dateien ist das Gericht selbst sachkundig; deren Inaugenscheinnahme ist originäre Aufgabe des Tatsachengerichts. Die Kenntnisse über den genauen Inhalt der Dateien, die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme entscheidend sind, hätte sich das Oberverwaltungsgericht selbst durch das unmittelbare Beweismittel der Einnahme eines Augenscheins (§ 4 [X.] SH, § 98 VwGO und §§ 371 ff. ZPO) verschaffen müssen.

Hier kann auch nicht auf die ordnungsgemäße Durchführung der Beweisaufnahme durch das Verwaltungsgericht verwiesen werden, dessen tatsächliche Feststellungen sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht hätte. Denn auch das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich des Inhalts der auf den Speichermedien des [X.]n festgestellten Dateien auf die bereits eingeholten Gutachten des Sachverständigen vom 17. November 2014 und vom 28. Mai 2015 verwiesen.

Bei dem erneuten Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht auch zu prüfen haben, ob das Ausscheiden des unter 1. der Klageschrift vorgeworfenen Sachverhalts durch seinen in der Berufungsverhandlung verkündeten Beschluss aufrecht zu erhalten ist.

In seiner bisherigen Rechtsprechung ist der Senat davon ausgegangen, durch § 56 [X.] und die entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen solle dem [X.] die Möglichkeit eröffnet werden, Vorwürfe außer Betracht zu lassen, die eine aufwändige Beweisaufnahme erforderlich machen würden, die aber für das Ergebnis der [X.] nach gegenwärtigem Stand nicht erheblich sein werden. Das Disziplinarverfahren solle damit von überflüssigem Ballast befreit werden können, müsse aber weiterhin die gebotene Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beamten ohne Abstriche ermöglichen ([X.], Beschluss vom 20. August 2013 - 2 B 8.13 - [X.] LDisziplinarG Nr. 22 Rn. 6).

Die Würdigung der Persönlichkeit des [X.]n könnte hier aber auch die Berücksichtigung der schwerer wiegenden Dienstpflichtverletzung, den Missbrauch von mehreren Mädchen im Alter von fünf bis elf Jahren versucht zu haben, erfordern. Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob ein Beamter nur Darstellungen von sexuellem Missbrauch von Kindern durch den Besitz kinderpornographischer Schriften nutzt oder ob er konkrete Schritte unternommen hat, um selbst Kinder sexuell zu missbrauchen.

Die Darlegungen des [X.] zur Möglichkeit, über die Berufung in Abwesenheit des anwaltlich vertretenen [X.]n zu verhandeln, begegnen keinen rechtlichen Bedenken.

Meta

2 B 24/20

18.06.2020

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 14. November 2019, Az: 14 LB 1/19, Urteil

§ 56 BDG, § 4 DG SH, § 96 Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.06.2020, Az. 2 B 24/20 (REWIS RS 2020, 3971)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3971

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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