Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 08.06.2021, Az. 2 BvE 4/21

2. Senat | REWIS RS 2021, 5237

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Verwerfung eines Eilantrags ua bzgl der Mitwirkung von Bundesregierung und Bundestag am Zustandekommen des Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetzes - Erledigung mit Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes in Folge des Senatsbeschlusses vom 15.04.2021 (2 BvR 547/21)


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird verworfen.

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich im Wege der Organklage gegen die Mitwirkung von Bundesregierung und [X.] am Zustandekommen des [X.] über das Eigenmittelsystem der [X.] und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/[X.], [X.] ([X.] - [X.]) sowie gegen die Mitwirkung der Bundesregierung am Beschluss des Rates der [X.] über die Verordnung ([X.]) 2020/2094 des Rates vom 14. Dezember 2020. Sie beantragt zugleich, dem Bundespräsidenten im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, das Gesetz zum Beschluss des Rates vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der [X.] und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/[X.], [X.] ([X.] - [X.]) auszufertigen, zu unterschreiben und zu verkünden. Ferner soll dem zuständigen [X.] untersagt werden, das Gesetz vor der Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten gegenzuzeichnen.

2

Nach Auffassung der Antragstellerin sind Bundesregierung und [X.] bei der Novellierung des [X.] vom 14. Dezember 2020 ihrer sich aus der Integrationsverantwortung aus Art. 23 in Verbindung mit Art. 38 und Art. 20 GG ergebenden Pflicht, die Souveränität [X.] und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des [X.]es zu wahren, nicht gerecht geworden und haben dadurch die Antragstellerin sowie den [X.], für den sie in Prozessstandschaft handele, in ihren jeweiligen Rechten verletzt.

3

1. Als Fraktion im Deutschen [X.] sei die Antragstellerin Organ im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 [X.] und daher im [X.] beteiligtenfähig. Sie sei durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG sowie durch die Geschäftsordnung des [X.]es mit eigenen Rechten ausgestattet und berechtigt, diese sowie in Prozessstandschaft Rechte, die dem [X.] zustünden, geltend zu machen. Dies gelte auch gegenüber dem [X.] selbst. Bundesregierung und [X.] seien mögliche Antragsgegner im [X.]verfahren. Die Antragstellerin sei auch nach § 64 Abs. 1 [X.] antragsbefugt, weil sie in substantiierter Weise jedenfalls die Möglichkeit dargelegt habe, dass Bundesregierung und [X.] die ihr gegenüber bestehenden Verpflichtungen verletzt sowie ihre Integrationsverantwortung gemäß Art. 23 in Verbindung mit Art. 38 und Art. 20 GG, die Souveränität [X.] und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des [X.]es zu wahren, vernachlässigt hätten. Dies gelte auch für die Zustimmung der Bundesregierung zu der Verordnung ([X.]) 2020/2094 des Rates vom 14. Dezember 2020, die das Wiederaufbauinstrument "Next Generation [X.]" eingerichtet habe. Ebenso verletze das Unterlassen einer Nichtigkeitsklage vor dem Gerichtshof der [X.] gemäß Art. 263 A[X.]V das [X.] Prinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des [X.]es, die Souveränität [X.], das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, die Integrationsverantwortung aus Art. 23 GG und die Identität des Grundgesetzes. Damit hätten die Antragsgegner zugleich Rechte des [X.]es, aber auch ihre eigenen Rechte als stärkster Oppositionsfraktion verletzt. Das Rechtsschutzbedürfnis sei gegeben, da die Antragstellerin im [X.] Initiativen ergriffen habe (unter Hinweis auf BTDrucks 19/18725, 19/24391, 19/25806, 19/26895, 19/27210), die von der Mehrheit des [X.]es aber durchwegs abgelehnt worden seien.

4

Zur Begründetheit der Organklage trägt die Antragstellerin vor, die Zustimmung des [X.]es zum Eigenmittelbeschluss genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Zwar habe der [X.] mit mehr als zwei Dritteln seiner Abgeordneten zugestimmt, diese Mehrheit sei aber nicht in einem den Anforderungen des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG entsprechenden Verfahren zustande gekommen. Die [X.] sei nicht befugt, die [X.] von Krediten - zumal in einer Höhe von 750 Milliarden Euro - zu ermächtigen. Eine solche Ermächtigung ergebe sich weder aus Art. 122 A[X.]V noch aus Art. 311 Abs. 3 A[X.]V. Sie erfolge ultra vires, was auch Art. 17 Abs. 2 der Haushaltsordnung der [X.] bestätige. Die [X.] könne die Kreditaufnahme nicht rechtfertigen. Eine allgemeine Befugnis der [X.], in Notlagen den Mitgliedstaaten finanzielle Hilfestellung zu geben, sei den [X.] nicht zu entnehmen. Die [X.] sei kein Staat, der aus dem [X.] eine Notstandsbefugnis herzuleiten vermöge, sondern nur ein Staatenverbund. Art. 136 Abs. 3 A[X.]V entfalte eine Sperrwirkung für eine Kreditfinanzierung der [X.]. Es lägen zudem ein Verstoß gegen das Bail-out-Verbot des Art. 125 A[X.]V und eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen vor. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung werde grob und strukturwidrig missachtet. Ebenso missachtet werde der [X.]. Die vertragswidrige Ermächtigung der [X.] zur Kreditaufnahme im Umfang von 750 Milliarden Euro sei auch mit der Identität des Grundgesetzes unvereinbar. Sie bedeute eine Belastung zukünftiger Generationen mit hohen Schulden, zu der der gegenwärtige [X.] nicht berechtigt sei. Der [X.] trage weniger dem Ausgleich der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen der Coronakrise Rechnung, sondern [X.] vornehmlich Ressourcen von den finanzstärkeren zu den finanzschwächeren Mitgliedstaaten der [X.]. Dies gehe vor allem zulasten [X.], das mit 25 % den größten Anteil der Kosten der [X.] trage. Darüber hinaus werde [X.] durch das Wiederaufbauinstrument zusätzlich in Anspruch genommen, wenn andere Mitgliedstaaten Verpflichtungen aus dem Eigenmittelbeschluss nicht erfüllten, was angesichts der hohen Verschuldung der meisten Mitgliedstaaten mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Die Verletzung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung und damit des [X.]n Prinzips durch das [X.] sei - in Anbetracht eines Volumens von zirka 800 Milliarden Euro und derzeit nicht überblickbarer Haftungsfolgen - offensichtlich. Die Haushaltsordnung der Verträge sei verletzt. Schließlich lege die Übersicherung der auszureichenden Kredite mit etwa 1200 % die Vermutung nahe, dass Kreditausfälle einiger Mitgliedstaaten bereits einkalkuliert seien.

5

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei ebenfalls zulässig und begründet, weil die einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile für das gemeine Wohl dringend geboten sei (§ 32 Abs. 1 [X.]). Nach Inkrafttreten des [X.]es und des [X.] werde sich die [X.] am Markt zügig mit Krediten ausstatten und die Mittel schnell verausgaben. Wenn die ausgereichten Darlehen - wie zu erwarten - nicht beglichen würden, könne dies zu einer Belastung [X.] in Höhe der gesamten Kreditsummen von 750 Milliarden Euro führen, was untragbar sei und dem [X.] jede Möglichkeit nehme, seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung wahrzunehmen. Die finanzielle Notlage der Mitgliedstaaten sei keinesfalls so groß, dass sie diese nicht auch ohne die finanziellen Hilfen der [X.] durchstehen könnten. Sie könnten selbst Kredite aufnehmen; zudem biete der [X.] Stabilitätsmechanismus im Zusammenhang mit der [X.] ohne strenge Auflagen an. Die Unvereinbarkeit der Kreditaufnahme und damit des [X.] mit den [X.] und dem Grundgesetz sei so augenfällig, dass der Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig geregelt werden müsse. Das solle verhindern, dass sich das [X.] bei der Entscheidung über die Hauptsache vollendeten Tatsachen gegenübersehe, nämlich dass Kreditmittel bereits verteilt und verausgabt seien.

6

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig. Voraussetzung für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.]s (vgl. [X.] 23, 33 <39 f.>; 23, 42 <48 f.>; 150, 163 <167 Rn. 12>). Daran fehlt es hier. Mit der auf den Beschluss des Senats vom 15. April 2021 (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 15. April 2021 - 2 BvR 547/21 -) folgenden Ausfertigung des [X.]es durch den Bundespräsidenten und seiner Verkündung im [X.] (vgl. [X.] 2021 [X.]) hat sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt (vgl. [X.] 126, 158 <167>).

7

Im Übrigen wäre dem Antrag, unabhängig von der Frage, ob und inwieweit die Anträge im Hauptsacheverfahren von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind, aus den im Beschluss des Senats vom 15. April 2021 dargelegten Gründen (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 15. April 2021 - 2 BvR 547/21 -, Rn. 95), die sich auf das vorliegende Verfahren entsprechend übertragen lassen, der Erfolg in der Sache auch von vornherein zu versagen gewesen.

Meta

2 BvE 4/21

08.06.2021

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvE

nachgehend BVerfG, 31. Oktober 2023, Az: 2 BvE 4/21, Beschluss

§ 32 Abs 1 BVerfGG, GII210322

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 08.06.2021, Az. 2 BvE 4/21 (REWIS RS 2021, 5237)

Papier­fundstellen: WM2021,1304 REWIS RS 2021, 5237

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