Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.09.2013, Az. 4 C 8/12

4. Senat | REWIS RS 2013, 2876

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Gegenstand

Zulässigkeit eines bordellartigen Betriebes; Konfliktbewältigung auf der Grundlage des Rücksichtnahmegebots


Leitsatz

1. Eine Konfliktbewältigung auf der Grundlage des Rücksichtnahmegebots (§ 15 Abs. 1 BauNVO) setzt voraus, dass der Bebauungsplan für sie noch offen ist (stRspr).

2. Ein infolge der Anwendung der §§ 214, 215 BauGB als wirksam zu behandelnder Bebauungsplan ist für die Konfliktbewältigung im Genehmigungsverfahren auch dann "noch offen", wenn eine planerische Bewältigung des Konflikts rechtlich geboten war, tatsächlich aber nicht stattgefunden hat.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer Baugenehmigung für einen bordellartigen Betrieb in .... Hilfsweise begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr bei bzw. in einem näher bezeichneten [X.]raum vor dem Inkrafttreten der während des Berufungsverfahrens erlassenen Veränderungssperre ein Anspruch auf Neubescheidung ihres Bauantrags zustand.

2

Auf dem [X.] wurde in den 1960er Jahren ein siebengeschossiges Gebäude errichtet, das als Hauptfiliale einer Handelskette für Foto- und Radiogeräte genutzt wurde. Im Bebauungsplan aus dem Jahre 1993 war das Grundstück als Kerngebiet festgesetzt, Wohnungen oberhalb des ersten Vollgeschosses waren allgemein zulässig. Angestoßen durch Pläne, auf dem Grundstück ein neues Büro- und Geschäftsgebäude zu errichten, beschloss das zuständige Bezirksamt des [X.] im Jahre 1995 die Aufstellung eines [X.], der im Jahre 2006 für rechtsverbindlich erklärt wurde. Er weist das Grundstück ebenfalls als Kerngebiet aus, lässt aber einen geänderten Baukörper mit bis zu acht Vollgeschossen zu. Nach den textlichen Festsetzungen des [X.] sind im Kerngebiet Spielhallen unzulässig, in [X.] unter der Geländeoberfläche sind nur Einzelhandelsbetriebe und Tiefgaragen zulässig, Wohnungen sind oberhalb des sechsten Vollgeschosses allgemein zulässig.

3

Bereits vor Inkrafttreten des [X.] - im Jahre 2005 - meldete die Foto- und Radio-Handelskette Insolvenz an; in das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss des bestehenden Gebäudes zog ein Erotikkaufhaus mit angeschlossenem Kino ein. In der Umgebung des [X.]s findet Straßenprostitution statt.

4

Im Mai 2007 beantragte die Klägerin eine Baugenehmigung für die Änderung der Nutzung des zweiten bis fünften Obergeschosses des bestehenden Gebäudes in ein "Laufhaus/Zimmervermietung/bordellartiger Betrieb". Nach den Eingabeplänen sind [X.] vorgesehen, die an Prostituierte vermietet werden, die in den Öffnungszeiten (11 bis 6 Uhr) jeweils vor den Zimmern auf ihre Kunden warten. Das Bezirksamt lehnte den Bauantrag ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Versagungsgegenklage der Klägerin abgewiesen, weil das Vorhaben im Kerngebiet gegen das in § 15 Abs. 1 [X.] verankerte [X.] verstoße. Es führe zu einem sog. [X.] des gesamten Gebiets mit der Folge einer Verdrängung bereits ansässiger Betriebe und der Wohnbevölkerung. Mit dem Laufhaus komme aufgrund seiner Größe Prostitution in einem Umfang hinzu, der angesichts der bereits vorhandenen Belastung des Baugebiets nicht mehr tragbar sei.

6

Während des Berufungszulassungsverfahrens - im Mai 2011 - beschloss das zuständige Bezirksamt des [X.] die Aufstellung des Bebauungsplans 7-50B, mit dem das [X.] sowie weitere, daran angrenzende Grundstücke nunmehr als Mischgebiet ausgewiesen werden sollten. Im September 2011 erließ das Bezirksamt eine Veränderungssperre für den Geltungsbereich des [X.], die am 1. Oktober 2011 in [X.] trat.

7

Trotz der Veränderungssperre hielt die Klägerin an der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung fest. Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass die [X.] der rechtswidrigen Verzögerung und Versagung der Baugenehmigung entsprechend § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf die Geltungsdauer der Veränderungssperre anzurechnen sei mit der Folge, dass die Veränderungssperre ihr gegenüber jedenfalls seit Januar 2012 hinfällig geworden sei. Die Klägerin beantragte, den [X.] zu verpflichten, ihr die beantragte Nutzungsänderung zu genehmigen, hilfsweise, unter anderem festzustellen, dass der Beklagte bei bzw. in der [X.] vom 13. Februar 2008 bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre verpflichtet war, über ihren Bauantrag erneut zu entscheiden.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung im Hauptantrag abgewiesen, in den [X.] hat es ihr stattgegeben. Im [X.]punkt der Berufungsverhandlung könne die Klägerin weder die Erteilung der beantragten Baugenehmigung noch eine erneute Entscheidung darüber beanspruchen, denn die Veränderungssperre stehe der beabsichtigten Nutzungsänderung entgegen. Sie sei auch nicht in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB gegenüber der Klägerin unwirksam geworden, weil dies voraussetze, dass die - hier nicht gegebenen - Voraussetzungen für eine förmliche Zurückstellung und der Erlass einer Veränderungssperre vorliegen. Erfolg hätten dagegen die Hilfsanträge der Klägerin. Der Beklagte sei bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre verpflichtet gewesen, die Sache hinsichtlich der noch fehlenden Prüfung des [X.] spruchreif zu machen und auf dieser Grundlage über die Erteilung der Baugenehmigung zu entscheiden. Das in einem Kerngebiet allgemein zulässige und mit dessen Gebietscharakter vereinbare Vorhaben sei nicht nach § 15 [X.] unzulässig. Ein Rückgriff auf § 15 [X.] sei dem [X.] verwehrt, soweit die Unzulässigkeit damit begründet werde, es komme durch das Zusammentreffen des geplanten [X.] mit dem bereits vorhandenen Erotikkaufhaus und -kino sowie der Straßenprostitution zu einer der planerischen Konzeption widersprechenden Strukturveränderung in Richtung auf einen "Rotlichtbezirk". Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift sei nur eröffnet, wenn der Bebauungsplan bestimmte Konflikte in rechtmäßiger Weise habe offen lassen dürfen. Betroffenheiten, die der Plangeber in den Blick habe nehmen müssen, weil sie zum notwendigen Abwägungsprogramm gehören, und die sich als eine typische planbedingte Folge darstellen, könnten demgegenüber nicht mehr Gegenstand einer Nach- bzw. Feinsteuerung durch die Anwendung des § 15 [X.] sein, denn sie seien durch die getroffene [X.] gleichsam aufgezehrt. Die durch die störende Häufung des Prostitutions- und Sexgewerbes möglichen Nutzungskonflikte hätten vorliegend auf der Hand gelegen und zum Gegenstand der planerischen Abwägung gemacht werden müssen.

9

Beide Beteiligte haben von dem - hinsichtlich der Entscheidung über den Hauptantrag vom Oberverwaltungsgericht und hinsichtlich der Entscheidung über die Hilfsanträge vom Senat zugelassenen - Rechtsmittel der Revision Gebrauch gemacht.

Am 21. Dezember 2012 wurde die Verordnung über die Festsetzung des Bebauungsplans 7-50B verkündet. Als [X.]punkt des Inkrafttretens der Verordnung ist der Tag nach der Verkündung bestimmt.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Revisionen der Klägerin und des [X.]eklagten sind jeweils teilweise begründet. Dem [X.]erufungsurteil ist teils aufgrund einer während des Revisionsverfahrens eingetretenen Rechtsänderung die Grundlage entzogen, teils steht es mit [X.]undesrecht nicht im Einklang. Da der [X.] in der Sache nicht selbst entscheiden kann, ist das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

1. Die Revision der Klägerin ist teilweise begründet, weil mit der Verkündung der Verordnung über die Festsetzung des [X.]ebauungsplans 7-50[X.] eine Rechtsänderung eingetreten ist, die zu berücksichtigen der [X.] einerseits verpflichtet ist, auf deren Grundlage er andererseits aber nicht in der Lage ist, über den von der Klägerin geltend gemachten Verpflichtungsanspruch selbst abschließend zu entscheiden.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage im Hauptantrag mit der [X.]egründung abgewiesen, dass die während des [X.]erufungszulassungsverfahrens erlassene Veränderungssperre der begehrten Nutzungsänderung entgegenstehe. Dieser [X.]egründung ist die Grundlage dadurch entzogen, dass der [X.]eklagte den durch die Veränderungssperre gesicherten [X.]ebauungsplan 7-50[X.] während des Revisionsverfahrens in [X.] gesetzt hat. Mit der das Planungsverfahren abschließenden Verkündung der Verordnung über die Festsetzung dieses [X.]ebauungsplans (GV[X.]l [X.]erlin 2012 S. 526) ist die Veränderungssperre gemäß § 17 Abs. 5 [X.]auG[X.] außer [X.] getreten; auf die Wirksamkeit des mit der Verkündung in [X.] gesetzten [X.]ebauungsplans kommt es insoweit nicht an ([X.]eschluss vom 28. Februar 1990 - [X.]VerwG 4 [X.] 174.89 - [X.]uchholz 406.11 § 17 [X.]auG[X.] Nr. 3 ). Eine gegenüber der Klägerin wirksame Veränderungssperre lag folglich im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nicht mehr vor. Diese Rechtsänderung ist vom Revisionsgericht zu beachten, weil sie auch die Vorinstanz berücksichtigen müsste, wenn sie jetzt entschiede (vgl. Urteil vom 29. Januar 2009 - [X.]VerwG 4 C 16.07 - [X.]VerwGE 133, 98 m.w.N.).

Ob der Klägerin nach [X.]ekanntmachung des [X.]ebauungsplans 7-50[X.] ein Anspruch auf Genehmigung der beantragten Nutzungsänderung zusteht (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), kann der [X.] nicht selbst abschließend entscheiden. In dem nunmehr festgesetzten Mischgebiet ist das Vorhaben der Klägerin gemäß § 30 Abs. 1 [X.]auG[X.] bauplanungsrechtlich unzulässig, weil ein bordellartiger [X.]etrieb - unabhängig davon, ob er als sonstiger Gewerbebetrieb im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 4 [X.]auNVO oder als Vergnügungsstätte im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 8 [X.]auNVO einzuordnen ist - mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung unverträglich ist (allgemeine Meinung, vgl. z.[X.]. [X.]/Fieseler, [X.]auNVO, 11. Aufl. 2008, [X.]. 2.1 zu § 6 m.w.N. zur obergerichtlichen Rechtsprechung) und er deshalb den Festsetzungen des [X.]ebauungsplans widerspricht. Voraussetzung dieser Unzulässigkeits-Rechtsfolge ist allerdings, dass die Mischgebietsausweisung wirksam ist. Die [X.]eurteilung der Rechtswirksamkeit eines [X.]ebauungsplans ist grundsätzlich Aufgabe der Tatsachengerichte und dem Revisionsgericht vorliegend verwehrt. Der [X.] kann die Rechtswirksamkeit der Mischgebietsausweisung auch nicht im Sinne einer alternativen Prüfung offen lassen. Wäre die Mischgebietsausweisung rechtswidrig und unwirksam, beurteilte sich die Zulässigkeit der beantragten Nutzungsänderung nach den Festsetzungen des Vorgänger-[X.]ebauungsplans aus dem Jahre 2006. Ob dieser [X.]ebauungsplan seinerseits rechtswirksam ist, kann der [X.] wiederum nicht abschließend beurteilen. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass dieser [X.]ebauungsplan wegen eines Verstoßes gegen das [X.] rechtswidrig, aber "im Hinblick auf die [X.] der §§ 214, 215 [X.]auG[X.] als wirksam zugrunde zu legen" sei. Andere mögliche Rechtsfehler des [X.]ebauungsplans hat es indes nicht geprüft. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass auch der Änderungs-[X.]ebauungsplan aus dem Jahre 2006 wegen anderer Rechtsverstöße unwirksam ist mit der Folge, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach dem [X.]ebauungsplan aus dem Jahre 1993 zu beurteilen wäre. Auch über dessen Rechtswirksamkeit könnte der [X.] - infolge Fehlens entsprechender Feststellungen des [X.] - nicht abschließend befinden. Als [X.] für die beantragte Nutzungsänderung käme deshalb letztlich auch § 34 Abs. 1 oder 2 [X.]auG[X.] in [X.]etracht. Die Anwendbarkeit des [X.] hat das Oberverwaltungsgericht zwar für den Änderungs-[X.]ebauungsplan 2006, nicht aber für den [X.]ebauungsplan 1993 oder für § 34 [X.]auG[X.] ausgeschlossen. Selbst unter Zugrundelegung der - wie sogleich zu zeigen sein wird: unzutreffenden - Rechtsauffassung des [X.], dass § 15 Abs. 1 [X.]auNVO aufgrund einer rechtswidrig unterbliebenen Konfliktbewältigung im Änderungs-[X.]ebauungsplan 2006 "aufgezehrt" worden sei, könnte deshalb die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens von den Maßstäben des [X.] abhängen. Tatsächliche Feststellungen hierzu hat das Oberverwaltungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - nicht getroffen. Auf die vom Verwaltungsgericht festgestellten Tatsachen kann der [X.] nicht zurückgreifen, weil das Oberverwaltungsgericht nicht zu erkennen gegeben hat, dass es sich diese Feststellungen zu Eigen gemacht hätte (vgl. hierzu z.[X.]. [X.], in: [X.], VwGO, 13. Aufl. 2010, § 144 Rn. 18). Der [X.] muss deshalb offen lassen, ob das klägerische Vorhaben auch im Falle der Unwirksamkeit der Mischgebietsausweisung unzulässig ist. Die hierfür erforderlichen Feststellungen wird das Oberverwaltungsgericht nachzuholen haben.

2. Die Revision des [X.]eklagten ist ebenfalls teilweise begründet. Das [X.]erufungsurteil verletzt [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht auf die Hilfsanträge der Klägerin hin festgestellt hat, dass der [X.]eklagte bei bzw. in einem näher bezeichneten Zeitraum vor Inkrafttreten der Veränderungssperre zur [X.]escheidung verpflichtet war. [X.] nicht zu beanstanden ist zwar die Annahme des [X.], die durch eine störende Häufung des Prostitutions- und Sexgewerbes möglichen [X.]e hätten bereits auf der [X.] bewältigt werden müssen. [X.]undesrechtswidrig ist jedoch die hieraus gezogene Schlussfolgerung des [X.], dass dem [X.]eklagten wegen der fehlerhaft unterbliebenen planerischen Konfliktbewältigung ein Rückgriff auf § 15 Abs. 1 [X.]auNVO verwehrt sei.

a) Die Annahme des [X.], die durch eine störende Häufung des Prostitutions- und Sexgewerbes möglichen [X.]e hätten vorliegend auf der Hand gelegen und bereits auf der [X.] bewältigt werden müssen, beruht nicht auf einer Verkennung von [X.]undesrecht.

Das im Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 [X.]auG[X.] wurzelnde Gebot der Konfliktbewältigung verlangt, dass jeder [X.]ebauungsplan grundsätzlich die von ihm selbst geschaffenen oder ihm sonst zurechenbaren Konflikte zu lösen hat, indem die von der Planung berührten [X.]elange zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Die Planung darf nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten [X.]etroffener letztlich ungelöst bleiben ([X.]eschluss vom 14. Juli 1994 - [X.]VerwG 4 N[X.] 25.94 - [X.]uchholz 406.11 § 1 [X.]auG[X.] Nr. 75 S. 11 m.w.N.). Dies schließt eine Verlagerung von Problemlösungen aus dem [X.]auleitplanverfahren auf nachfolgendes Verwaltungshandeln indes nicht aus. Festsetzungen eines [X.]ebauungsplans können auch Ausdruck einer "planerischen Zurückhaltung" sein (Urteil vom 5. August 1983 - [X.]VerwG 4 C 96.79 - [X.]VerwGE 67, 334 <338> m.w.N.). Davon ist grundsätzlich auch im Hinblick auf Interessenkonflikte, die auf der Grundlage der Festsetzungen des [X.]ebauungsplans im Einzelfall auftreten können, auszugehen. Dabei kommt dem in § 15 Abs. 1 [X.]auNVO enthaltenen [X.] eine besondere [X.]edeutung zu. Es ergänzt die Festsetzungen des [X.]ebauungsplans und bewirkt im Ergebnis, dass ein [X.]ebauungsplan nicht schon deshalb als unwirksam angesehen werden muss, weil er selbst noch keine Lösung für bestimmte Konfliktsituationen enthält ([X.]eschluss vom 6. März 1989 - [X.]VerwG 4 N[X.] 8.89 - [X.]uchholz 406.11 § 30 [X.][X.]auG/[X.]auG[X.] Nr. 27 S. 2). Die [X.] kann sich im Rahmen ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung grundsätzlich deshalb auch mit der Festsetzung eines [X.]augebiets begnügen (Urteil vom 11. März 1988 - [X.]VerwG 4 C 56.84 - [X.]uchholz 406.11 § 9 [X.][X.]auG Nr. 30 S. 4 ff.). Die Grenzen zulässiger Konfliktverlagerung auf [X.] des [X.] sind allerdings überschritten, wenn bereits im Planungsstadium absehbar ist, dass sich der offen gelassene Interessenkonflikt in einem nachfolgenden Verfahren nicht sachgerecht wird lösen lassen (Urteil vom 11. März 1988 a.a.[X.] und [X.]eschluss vom 14. Juli 1994 a.a.[X.]). Im Übrigen richtet sich das erforderliche Maß der Konkretisierung der planerischen Festsetzungen danach, was nach den Umständen des Einzelfalls für die städtebauliche Ordnung erforderlich ist und dem Gebot gerechter Abwägung der konkret berührten privaten Interessen und öffentlichen [X.]elange entspricht (Urteil vom 11. März 1988 a.a.[X.]). Je intensiver der Widerspruch zwischen plangemäßer Nutzung und Umgebungsnutzung wird, desto höhere Anforderungen sind auch an die Konfliktbewältigung im Rahmen der [X.]auleitplanung und damit an den Detaillierungsgrad der jeweiligen Festsetzungen zu stellen.

Von diesen rechtlichen Maßstäben hat sich das Oberverwaltungsgericht leiten lassen. Es hat festgestellt, dass der [X.]ebauungsplan Wohnnutzung und kerngebietstypische Nutzungen in mehrfacher Hinsicht unmittelbar nebeneinander zulasse. Zudem seien dem [X.] die bereits seit Jahrzehnten in wechselndem Ausmaß betriebene Straßenprostitution mit entsprechenden [X.]elastungen für die Wohnnutzung sowie die im Jahre 2006 hinzukommende Nutzung des Vorhabengrundstücks durch das [X.] und -kino bekannt gewesen. Hinzu komme, dass das die Planung anstoßende ursprüngliche Vorhaben eines [X.]üro- und Geschäftshauses über Jahre hinweg nicht mehr verfolgt worden sei, und auch andere Pläne nicht weiterverfolgt worden seien. Unter Würdigung dieser Umstände ist das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass eine mögliche Strukturveränderung des Plangebiets zu einem "Rotlichtbezirk" bereits bei der Festsetzung des Änderungs-[X.]ebauungsplans im Jahre 2006 auf der Hand gelegen habe und dass die sich hieraus ergebenden [X.]e deshalb zur Vermeidung eines [X.] bereits im Rahmen der Planung hätten bewältigt werden müssen. Ein bundesrechtswidriges Rechtsverständnis liegt dieser Tatsachenwürdigung nicht zugrunde. Es ergibt sich auch nicht daraus, dass der [X.]eklagte die konkreten Umstände anders würdigt.

b) Mit [X.]undesrecht nicht im Einklang steht demgegenüber die Auffassung des [X.], dass der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 [X.]auNVO nur eröffnet sei, wenn der [X.]ebauungsplan bestimmte Konflikte im Hinblick auf das Gebot der Konfliktbewältigung in rechtmäßiger Weise offen lassen durfte, während Konflikte, die zum notwendigen Abwägungsprogramm gehören, auch dann nicht über § 15 Abs. 1 [X.]auNVO gelöst werden dürften, wenn sie auf der [X.] tatsächlich unbewältigt geblieben sind.

Eine Konfliktbewältigung auf der Grundlage des [X.] setzt nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s voraus, dass der [X.]ebauungsplan für sie noch offen ist (z.[X.]. [X.]eschluss vom 6. März 1989 a.a.[X.]). Daran fehlt es, wenn der in Frage stehende [X.] bereits auf [X.] des [X.]ebauungsplans abgewogen worden ist; in diesem Fall ist das [X.] bereits in der den Festsetzungen des [X.]ebauungsplans zugrunde liegenden Abwägung aufgegangen, es ist von der planerischen Abwägung gleichsam "aufgezehrt" ([X.]eschluss vom 27. Dezember 1984 - [X.]VerwG 4 [X.] 278.84 - [X.]uchholz 406.11 § 30 [X.][X.]auG Nr. 21 S. 2 f.). Eine Konfliktbewältigung auf der Grundlage des [X.] ist ferner dann ausgeschlossen, wenn planerische Festsetzungen - ungeachtet einer bereits auf [X.] der [X.]auleitplanung beabsichtigten Konfliktbewältigung - so weit konkretisiert sind, dass ein Ausgleich der durch die Planung aufgeworfenen [X.]e im [X.]augenehmigungsverfahren auf eine Korrektur der planerischen Festsetzungen hinausliefe; je konkreter eine planerische Festsetzung, umso geringer ist der Spielraum für die Anwendung des § 15 Abs. 1 [X.]auNVO ([X.]eschluss vom 6. März 1989 a.a.[X.] - Parkhaus -). In beiden Fällen hängen die für die Anwendung des § 15 Abs. 1 [X.]auNVO verbleibenden Spielräume mithin davon ab, inwieweit die [X.] bereits eine positive planerische Entscheidung getroffen hat. Nur für den Fall einer tatsächlich getroffenen planerischen Entscheidung bedarf die [X.] des Schutzes vor einer unzulässigen Korrektur ihrer Entscheidung auf der Vollzugsebene. In allen anderen Fällen ist der [X.]ebauungsplan für eine Konfliktbewältigung im [X.]augenehmigungsverfahren auf der Grundlage des [X.] dagegen noch offen.

Löst der [X.]ebauungsplan - wie vorliegend vom Oberverwaltungsgericht angenommen - von ihm aufgeworfene Konflikte nicht, obwohl ein Konfliktlösungstransfer unzulässig ist, so führt dies zur Fehlerhaftigkeit der [X.] nach § 1 Abs. 7 [X.]auG[X.]. Ein solcher Abwägungsfehler wird - vorbehaltlich der Vorschriften über die [X.] gemäß §§ 214, 215 [X.]auG[X.] - grundsätzlich zur (Voll- oder Teil-)Unwirksamkeit des [X.]ebauungsplans führen. Ein unwirksamer [X.]ebauungsplan kann aber in [X.]ezug auf das [X.] keine Sperrwirkung erzeugen. Es kommt dann darauf an, ob infolge der Unwirksamkeit des [X.]ebauungsplans ein gegebenenfalls früherer [X.]ebauungsplan wieder Geltung beansprucht, ob dieser seinerseits wirksam ist und ob er nunmehr in [X.]ezug auf das Gebot der Rücksichtnahme in der konkreten Situation Sperrwirkung entfaltet. Ist letzteres nicht der Fall oder liegt überhaupt kein wirksamer [X.]ebauungsplan vor, gibt es mithin keine planerische Entscheidung der [X.], die des Schutzes vor einer unzulässigen Korrektur auf der Vollzugsebene bedarf, ist das [X.], nach Maßgabe der vom [X.] entwickelten Grundsätze (z.[X.]. Urteil vom 29. November 2012 - [X.]VerwG 4 C 8.11 - [X.]VerwGE 145, 145 Rn. 16), anwendbar.

Nichts anderes kann gelten, wenn ein abwägungsfehlerhafter [X.]ebauungsplan - wie hier vom Oberverwaltungsgericht, allerdings ohne jegliche [X.]egründung, angenommen - im Hinblick auf die [X.] der §§ 214, 215 [X.]auG[X.] wirksam bleibt. Auch im Falle der Unbeachtlichkeit des [X.] hat eine planerische Konfliktbewältigung, durch die das [X.] "aufgezehrt" worden sein könnte, nicht stattgefunden. Auch in diesem Fall existiert keine planerische Entscheidung über die [X.]ewältigung des Konflikts, die des Schutzes vor einer unzulässigen Korrektur auf der Vollzugsebene bedürfte. Die unterbliebene planerische Konfliktlösung wird durch die [X.] auch nicht etwa fingiert. Ein mangels planerischer Konfliktbewältigung zwar rechtsfehlerhafter, aber in seiner Geltung erhaltener [X.]ebauungsplan ist deshalb für eine Konfliktbewältigung auf der Vollzugsebene grundsätzlich ebenfalls noch offen. Die vom Oberverwaltungsgericht vertretene gegenteilige Auffassung liefe zudem auf einen Wertungswiderspruch hinaus: Ist ein [X.]ebauungsplan in beachtlicher Weise abwägungsfehlerhaft und deshalb unwirksam, ist das [X.] - wie dargelegt - grundsätzlich anwendbar mit der Folge, dass der [X.] im [X.]augenehmigungsverfahren bewältigt werden kann. Ist der Abwägungsfehler demgegenüber aufgrund der [X.] unbeachtlich, bliebe der [X.] unter Zugrundelegung der Auffassung des [X.] gänzlich unbewältigt. Das im [X.] aufgefangene nachbarschaftliche [X.] kann indes nicht von dem aus Sicht des betroffenen Nachbarn gleichsam zufälligen Umstand der [X.] abhängen.

Einer Konfliktbewältigung im [X.]augenehmigungsverfahren steht vorliegend auch der [X.] der planerischen Festsetzungen nicht entgegen, denn der [X.] hat hinsichtlich der streitgegenständlichen Nutzung - bordellartiger [X.]etrieb - keine Festsetzungen getroffen, sondern es schlicht bei dem Nutzungskatalog des § 7 [X.]auNVO belassen. Die Annahme des [X.], dem [X.]eklagten sei vorliegend ein Rückgriff auf § 15 Abs. 1 [X.]auNVO verwehrt, ist deshalb unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mit [X.]undesrecht vereinbar.

c) Auch insoweit kann der [X.] nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 VwGO). Dies gilt bereits deshalb, weil die Erfolgsaussichten der Hilfsanträge vom Erfolg des [X.] abhängen, über die das Oberverwaltungsgericht erneut zu entscheiden hat. Im Übrigen fehlen - wie dargelegt - auch hinreichende tatrichterliche Feststellungen, die eine abschließende Prüfung des [X.] erlauben.

Meta

4 C 8/12

12.09.2013

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 7. Juni 2012, Az: OVG 2 B 18.11, Urteil

§ 113 Abs 1 S 4 VwGO, § 1 Abs 7 BauGB, § 17 Abs 5 BauGB, § 30 Abs 1 BauGB, § 34 Abs 1 BauGB, § 34 Abs 2 BauGB, § 214 BauGB, § 215 BauGB, § 6 BauNVO, § 7 BauNVO, § 15 Abs 1 BauNVO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.09.2013, Az. 4 C 8/12 (REWIS RS 2013, 2876)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2876

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