Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.12.2020, Az. II S 11/20

2. Senat | REWIS RS 2020, 3715

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Zulässigkeit eines Antrags nach § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO)


Leitsatz

NV: Eine Entscheidung des BFH darüber, ob die Verweigerung der Vorlage von Akten rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das FG die Entscheidungserheblichkeit der fraglichen Akten geprüft und bejaht hat.

Tenor

Der Antrag des [X.] nach § 86 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung wird als unzulässig verworfen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Antragsteller (Kläger) forderte den Beklagten und Antragsgegner (Beklagter) durch Schreiben vom 23.05.2018 unter Hinweis auf die Datenschutzgrundverordnung und das [X.] zur Erteilung einer Auskunft über alle zu ihm gespeicherten Informationen auf.

2

Der Beklagte lehnte am 25.06.2018 den Antrag unter Berufung auf § 32c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) ohne Begründung ab.

3

Die dagegen gerichtete Klage stellte das Finanzgericht ([X.]) dem Beklagten am 10.08.2018 mit folgendem Zusatz zu: "Bitte übersenden Sie alle den Streitfall betreffenden Akten möglichst umgehend ...". Am 25.09.2018 wandte sich das [X.] erneut an den Beklagten, teilte mit, dass Antrag auf Akteneinsicht gestellt worden sei und führte aus: "Bitte übersenden Sie alle den Streitfall betreffenden Akten möglichst umgehend ... An das gerichtliche Schreiben vom 10.08.2018 wird erinnert."

4

Mit Schreiben vom 14.11.2018 beantragte der Beklagte, die Klage abzuweisen, und verweigerte die Übersendung der "den Streitfall betreffenden Akten", da sonst die Hauptsache vorweggenommen würde.

5

Mit Schreiben vom 28.04.2020 stellte der Kläger einen Antrag nach § 86 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), worauf das [X.] mit Beschluss vom 11.05.2020 dem [X.] ([X.]) den Antrag zur Entscheidung vorgelegt hat.

Entscheidungsgründe

II.

6

Der Antrag nach § 86 Abs. 3 Satz 1 [X.]O ist unzulässig.

Die Voraussetzungen für die Durchführung des Zwischenverfahrens sind nicht gegeben.

7

1. Nach § 86 Abs. 1 [X.]O sind Behörden zur Vorlage von Urkunden und Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet, soweit nicht durch das Steuergeheimnis (§ [X.]) geschützte Verhältnisse Dritter unbefugt offenbart werden. Nach Abs. 2 der Vorschrift kann die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung elektronischer Dokumente und die Erteilung von Auskünften verweigert werden, wenn die Vorgänge aus bestimmten Gründen geheim gehalten werden müssen. Nach § 86 Abs. 3 Satz 1 [X.]O stellt der [X.] auf Antrag eines Beteiligten in den Fällen der Abs. 1 und 2 ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder Akten, die Übermittlung elektronischer Dokumente oder die Verweigerung der Erteilung von Auskünften rechtmäßig ist. Der Antrag ist bei dem für die Hauptsache zuständigen Gericht zu stellen (§ 86 Abs. 3 Satz 2 [X.]O).

8

2. Ein Antrag nach § 86 Abs. 3 Satz 1 [X.]O setzt voraus, dass das [X.] im finanzgerichtlichen Verfahren die Vorlage der betreffenden Unterlagen oder die Erteilung von Auskünften konkret angeordnet hatte und die ersuchte Behörde sich daraufhin geweigert hat, dieser Aufforderung nachzukommen ([X.]-Beschlüsse vom 18.07.2006 - X B 65/06, [X.]/NV 2006, 1699, unter [X.]; vom 25.02.2014 - V B 60/12, [X.]E 244, 234, [X.], 478, Rz 6, m.w.N., und vom 12.03.2019 - XI B 9/19, [X.]/NV 2019, 837, Rz 12, m.w.N.).

9

a) Nach § 71 Abs. 2 [X.]O hat der Beklagte dem [X.] "die den Streitfall betreffenden Akten" zu übermitteln. Dazu gehört jedes Aktenstück, das für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage erheblich und für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sein kann (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 16.01.2013 - III S 38/11, [X.]/NV 2013, 701, Rz 13, und in [X.]/NV 2019, 837, Rz 15, jeweils m.w.N.). Es ist Sache des [X.] zu entscheiden, welche Akten es tatsächlich für entscheidungserheblich hält. In Zweifelsfällen hat das [X.] den konkreten Zusammenhang mit dem Streitfall darzulegen ([X.]-Beschluss vom 16.04.2020 - VII S 35/19, [X.]/NV 2020, 1076, Rz 20, m.w.N.).

Eine Entscheidung des [X.] darüber, ob die Verweigerung der Vorlage von Akten rechtmäßig ist, setzt damit voraus, dass das [X.] die Entscheidungserheblichkeit der fraglichen Akten geprüft und bejaht hat (vgl. zu § 99 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung: Beschluss des [X.] vom 31.08.2009 - 20 F 10/08, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2010, 194, Rz 3, 4).

b) Für die Zulässigkeit des Antrags nach § 86 Abs. 3 Satz 1 [X.]O fehlt es im Streitfall an einer konkreten Aufforderung des [X.] an den Beklagten, entscheidungserhebliche Akten vorzulegen. Das [X.] hat durch die Wiederholung des Wortlauts des § 71 Abs. 2 [X.]O im Rahmen der Übermittlung der Klageschrift weder konkret die als entscheidungserheblich erachteten Aktenteile benannt noch begründet, warum es diese mit Blick auf die Zulässigkeit der Klage, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs oder zu prüfende Ablehnungsgründe im konkreten Fall für entscheidungserheblich erachtet. Es ist daher nicht klar erkennbar, hinsichtlich welcher Akten der Beklagte die Vorlage verweigert hat.

3. Einer Beiladung der obersten Aufsichtsbehörde nach § 86 Abs. 3 Satz 4 [X.]O bedarf es nicht, wenn --wie hier-- der Antrag nach § 86 Abs. 3 [X.]O unzulässig ist und die Interessen der obersten Aufsichtsbehörde daher nicht betroffen sein können ([X.]-Beschluss in [X.]E 244, 234, [X.], 478, Rz 8).

4. Das Verfahren nach § 86 Abs. 3 [X.]O ist jedenfalls dann, wenn --wie hier-- der Antrag erfolglos geblieben ist, ein unselbständiges Zwischenverfahren, so dass es keiner eigenständigen Kostenentscheidung bedarf ([X.]-Beschlüsse in [X.]/NV 2020, 1076, Rz 22, und in [X.]E 244, 234, [X.], 478, Rz 9, jeweils m.w.N.).

Meta

II S 11/20

09.12.2020

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 11. Mai 2020, Az: 15 K 2067/18, Beschluss

§ 71 Abs 2 FGO, § 86 Abs 3 S 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.12.2020, Az. II S 11/20 (REWIS RS 2020, 3715)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3715


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. II S 11/20

Bundesfinanzhof, II S 11/20, 09.12.2020.


Az. 15 K 2067/18

FG München, 15 K 2067/18, 19.05.2022.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII S 35/19 (Bundesfinanzhof)

Anforderung von Steuerakten durch FG - In-camera-Verfahren vor dem BFH


V B 60/12 (Bundesfinanzhof)

Kostenentscheidung bei sog. In-camera-Verfahren - Beiladung


IV S 23/12 (Bundesfinanzhof)

Antrag auf Feststellung unzulässig verweigerter Aktenvorlage - Vertretungszwang


III S 38/11 (Bundesfinanzhof)

(In-camera-Verfahren - Klage auf Ausstellung und Aushändigung einer Bescheinigung nach § 68 Abs. 3 EStG …


XI B 9/19 (Bundesfinanzhof)

(Umfang der dem FG gemäß § 71 Abs. 2 FGO zu übersendenden Akten; kein Antrag …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.