8. Senat | REWIS RS 2021, 3969
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Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Verriegelungssystem" – zur Frage der Zulässigkeit von Ansprüchen – kein wörtliches Vorkommen von Begriffen in den ursprünglichen Unterlagen, diese sind aber für den Fachmann aus Zeichnungen entnehmbar
In der Beschwerdesache
…
hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juli 2021 durch den Vorsitzenden [X.]. Dr. phil. nat. [X.], [X.], die Richterin [X.] und den Richter Dipl.-Ing. Brunn
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Auf die am 24. Juni 2004 beim [X.] eingereichte Patentanmeldung, die die Priorität FR 03 07607 vom 24. Juni 2003 in Anspruch nimmt, ist das Patent 10 2004 030 562 mit der Bezeichnung „System zum Verriegeln eines ersten Elementes bezüglich eines zweiten Elementes und mit solch einem Verriegelungssystem ausgestatteter Sitz“ erteilt und die Erteilung am 29. Mai 2013 veröffentlicht worden.
Gegen das Patent hat die [X.] mit [X.] vom 28. August 2013, der am selben Tag beim [X.] eingegangen ist, Einspruch erhoben und vorgetragen, dass die Gegenstände des Patents gemäß Anspruch 1 und gemäß dem nebengeordneten Anspruch 9 nicht patentfähig seien, da sie gegenüber der Druckschrift EP 0 860 317 [X.] (Druckschrift [X.]) nicht neu seien oder zumindest in Verbindung mit der [X.] (Druckschrift [X.]) bzw. [X.] (Druckschrift [X.]) nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten. In der Anhörung vom 15. November 2016 hat sie ergänzend vorgetragen, dass der Gegenstand des Patents unzulässig erweitert sei, da das im Prüfungsverfahren in Anspruch 1 eingefügte Merkmal „verhakt“ nicht ursprungsoffenbart sei.
[X.] ist dem Vorbringen der Einsprechenden entgegengetreten und hat sich im Einspruchsverfahren mit fünf am 2. November 2016 eingereichten Hilfsanträgen verteidigt.
Mit dem in der Anhörung vom 15. November 2016 verkündeten Beschluss hat die [X.] des [X.]s das Streitpatent in vollem Umfang aufrechterhalten. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Streitpatent sei nicht unzulässig erweitert, da das im Prüfungsverfahren eingefügte Merkmal, dass sich der Abschnitt der Falle mit dem Abschnitt der Platine verhakt, in den Anmeldeunterlagen zwar nicht explizit erwähnt, aber für den Fachmann aus den Abbildungen 3 und 5 eindeutig erkennbar sei. Der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik neu, da insbesondere dieses Merkmal von keiner Entgegenhaltung gezeigt werde. Er sei durch den Stand der Technik auch nicht nahegelegt.
Gegen den ihr am 24. November zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden vom 22. Dezember 2016.
Nach einer Übertragung ihrer das Streitpatent betreffenden Vermögensteile (...) im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung auf die jetzige Beschwerdeführerin hat die Einsprechende mit [X.] vom 16. Januar 2017 die Übertragung der Verfahrensbeteiligung auf die jetzige Beschwerdeführerin beantragt. Mit Schreiben vom 29. März 2017 hat die Einsprechende erklärt, aus dem Beschwerdeverfahren zugunsten der neuen Beschwerdeführerin auszutreten. Die jetzige Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom gleichen Tag erklärt, in das Beschwerdeverfahren einzutreten. Die Beschwerdegegnerin hat dem [X.] mit Schreiben vom 2. Juni 2017 zugestimmt.
Die Beschwerdeführerin trägt vor, das Patent sei zu widerrufen, weil sein Gegenstand in dem Merkmal betreffend das Verhaken des Abschnitts (15a, 15b) mit dem Abschnitt (1b) der Platine nicht durch die Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung gestützt und somit unzulässig erweitert sei. Der Fachmann werde den in den [X.]uren 3 und 5 gezeigten flächigen bzw. ausgedehnten Kontakt zwischen den genannten Elementen nicht als „Verhaken“ verstehen. „Verhaken sei mehr als ein bloßes „Einhaken“. Zudem erfasse der Begriff „verhaken“ eine Vielzahl von Ausführungsmöglichkeiten, die in den Anmeldeunterlagen jeweils nicht offenbart und ihnen auch nicht als zum Anmeldegegenstand gehörend entnommen werden könnten. Selbst wenn man aber davon ausgehe, dass das Merkmal durch die Anmeldeunterlagen gestützt werde, sei der Gegenstand der Erfindung nicht neu gegenüber der Druckschrift [X.] und beruhe bei einer Zusammenschau der Entgegenhaltungen Druckschrift [X.] und Druckschrift [X.] bzw. Druckschrift [X.] und Druckschrift [X.] nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Einsprechende und Beschwerdeführerin stellt den Antrag,
den angefochtenen Beschluss der [X.] des [X.]es vom 15. November 2016 aufzuheben und das Patent 10 2004 030 562 zu widerrufen.
[X.] und Beschwerdegegnerin stellt die Anträge,
die Beschwerde zurückzuweisen;
hilfsweise, das Patent 10 2004 030 562 mit den Patentansprüchen gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 5, eingegangen am 2. November 2016, in der Reihenfolge ihrer Bezifferung beschränkt aufrechtzuerhalten.
[X.] tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen und ist der Auffassung, dass bereits aus der Darstellung gemäß den [X.]uren 3 und 5 der [X.] eine flächenmäßige Hintergreifung von Falle und Platine und somit ein Verhaken als zur Erfindung gehörig offenbart sei. Darüber hinaus sei der Gegenstand gemäß Anspruch 1 auch patentfähig.
Neben den vorstehend genannten Druckschriften [X.], [X.] und [X.] sind noch die [X.] ([X.] 101 31 978 [X.]) und [X.] (EP 0 709 249 [X.]) im Laufe des Verfahrens genannt worden.
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet (mit einer vom Senat ergänzten Merkmalsgliederung):
1. System zum Verriegeln eines ersten Elementes bezüglich eines zweiten Elementes, wobei das Verriegelungssystem umfasst:
2. zumindest eine Platine (10), die in feststehender Weise an dem ersten Element befestigt ist,
3. eine Falle (15), umfassend eine Kerbe (16), die dazu bestimmt ist, mit einem Verankerungselement (9) des zweiten Elementes wechselzuwirken,
4. wobei die Falle (15) schwenkbar an der Platine (10) bezüglich einer Rotationsachse (12) montiert ist,
5. zwischen einerseits einer [X.], in welcher die Kerbe (16) mit dem Verankerungselement (9) wechselwirkt und andererseits einer Entriegelungsposition,
6. und Steuermittel (19), betätigbar von einem Benutzer, ausgehend von einer [X.], in welcher die Steuermittel (19) die Falle (15) in der [X.] halten, und so die ersten und zweiten Elemente verriegeln, hin zu einer Entriegelungsposition, in welcher die Steuermittel (19) ein Verschwenken der Falle (15) herum um die Rotationsachse (12) erlauben, und so die ersten und zweiten Elemente entriegeln,
dadurch gekennzeichnet, dass
7. die Platine (10) und/oder die Falle (15) zumindest eine verformbare Zone (24; 25; 26) umfasst/umfassen,
7.1. welche sich in Folge einer vorbestimmten Beaufschlagung bzw. eines vorbestimmten Aufpralls verformt,
7.2. erfahren von einem der ersten und zweiten Elemente (4), eine ausreichende Annäherung eines Abschnittes (11a, 11b) der Platine (10) und eines Abschnittes (15b, 15c) der Falle (15) in solch einer Weise veranlassend,
8. dass der Abschnitt (15b, 15c) der Falle in Anschlag gelangt gegen den Abschnitt (11a, 11b) der Platine und sich mit diesem verhakt, wobei ein Verschwenken der Falle (15) hin zur Entriegelungsposition verhindert ist.
Der nebengeordnete Patentanspruch 9 lautet:
[X.], umfassend eine Rückenlehne (4), dazu bestimmt, schwenkbar montiert zu werden mit Bezug auf das Chassis (3) des Fahrzeuges zwischen einer umgeklappten Position und einer aufrechten Benutzungsposition, in welcher die Rückenlehne (4) verriegelt ist bezüglich eines feststehenden Abschnittes (6) des Fahrzeuges mittels eines Verriegelungssystems (7) nach einem beliebigen der vorangegangenen Ansprüche.
Hinsichtlich der abhängigen Ansprüche sowie des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, der Parteiwechsel auf Seiten der Einsprechenden und Beschwerdeführerin war sachdienlich und mit Zustimmung der Beschwerdegegnerin zuzulassen. Die Beschwerde ist jedoch nicht erfolgreich, da die Lehre des Streitpatents in den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörig offenbart ist und die Gegenstände der geltenden Patentansprüche patentfähig sind.
2. Der Patentgegenstand betrifft nach Absatz [0001] der Streitpatentschrift ein System zum Verriegeln eines ersten Elementes bezüglich eines zweiten Elementes, sowie einen Fahrzeugsitz, der mit solch einem Verriegelungssystem ausgestattet ist.
Insbesondere betrifft die Erfindung ein Verriegelungssystem, umfassend:
- zumindest eine in feststehender Weise an dem ersten Element angebrachte Platine,
- eine Falle, die eine Kerbe umfasst, dazu bestimmt, mit einem Verankerungselement des zweiten Elementes wechselzuwirken, wobei die Falle bzw. das Schloss schwenkbar an der Platine montiert ist bezüglich einer Rotationsachse, zwischen einerseits einer [X.], in der die Kerbe oder Nut mit dem Verankerungselement wechselwirkt, und andererseits einer [X.] oder entriegelten Position, sowie
- Steuermittel, die von einem Benutzer betätigbar sind, ausgehend von einer [X.], in welcher die Steuermittel die Falle in ihrer verriegelten Position halten, um die ersten und zweiten Elemente zu verriegeln, hin zu einer Entriegelungsposition, in welcher die Steuermittel ein Verschwenken der Falle herum um die Rotationsachse ermöglichen, um die ersten und zweiten Elemente zu entriegeln.
Nach den Ausführungen in Absatz [0004] der Streitpatentschrift besteht die Hauptfunktion eines solchen Verriegelungssystems darin, den Halt der Rückenlehne des Sitzes in aufrechter Benutzungsposition zu halten, wenn eine Beaufschlagung auftritt, insbesondere, wenn im Kofferraum befindliche Gepäckstücke heftig auf die Heckfläche der Rückenlehne auftreffen.
Nach den Ausführungen in Absatz [0009] der Streitpatentschrift verfügen herkömmliche [X.] dieser Art nicht über einen ausreichenden mechanischen Halt, um in effizienter Weise die Rückenlehne des Sitzes mit Bezug auf das Fahrzeug zu halten, wenn die Rückenlehne relativ heftigen Beaufschlagungen unterliegt.
Daher liegt gemäß den Ausführungen in Absatz [0010] dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, diese vorgenannten Nachteile abzuschwächen. Insbesondere soll, nach den Ausführungen in Absatz [0038] der Streitpatentschrift, im Falle eines heftigen [X.] oder einer heftigen Beaufschlagung von hinten (Pfeil F2; [X.]. 3) die Rotation der Falle 15 hin zur Entriegelungsposition auch dann verhindert werden, wenn das Betätigungs- oder Steuerelement 19 betätigt ist.
Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt gemäß Ausführungen in Absatz [0011] sinngemäß durch ein Verriegelungssystem mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 bzw. durch einen Fahrzeugsitz mit den Merkmalen des Patentanspruchs 9.
Als Fachmann ist vorliegend ein Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit langjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Fahrzeugsitzen und deren Verriegelungen anzusehen.
Die Formulierung „und sich mit diesem verhakt“ im Anspruch 1 ist so zu verstehen, dass sich im [X.] der in Anschlag gelangende Abschnitt der Falle mit dem Abschnitt der Platine in formschlüssiger Weise verhakt. Die weiteren Merkmale des Patentanspruchs 1 sind von sich aus verständlich und bedürfen keiner Auslegung.
3. Die geltenden Ansprüche gehen nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und sind zulässig.
Der geltende Anspruch 1 enthält nahezu wörtlich sämtliche Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 1.
Lediglich im Merkmal 9 sind nachträglich im Laufe des Prüfungsverfahrens die Worte „und sich mit diesem verhakt“ eingefügt worden.
Die Ansprüche 2 bis 9 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 9.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist das Merkmal, wonach „der Abschnitt 15b, 15c der Falle 15 mit dem Abschnitt 11a, 11b der Platine 10 verhakt“ in den ursprünglich eingereichten Unterlagen hinreichend offenbart. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 geht daher nicht über den Inhalt in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, sodass ein [X.] gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 [X.] nicht gegeben ist.
Zutreffend ist, dass der Begriff „verhaken“ tatsächlich nicht wörtlich in den ursprünglichen Unterlagen vorkommt. Gleichwohl ist das Merkmal jedoch in der Gesamtheit der [X.] offenbart. Gegenstand der Anmeldung ist das, was ein Fachmann dem Gesamtinhalt der ursprünglichen Anmeldung, also Ansprüchen, Beschreibung und Zeichnungen, unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens am Anmeldetag unmittelbar und eindeutig entnimmt. Ein Hinausgehen über den ursprünglichen Anmeldegegenstand ergibt sich nicht ohne weiteres daraus, dass der Gegenstand des Patents mit Begriffen gekennzeichnet wird, die in den [X.] als solche nicht verwendet werden ([X.], 933 Rdnr 18 – [X.]). Entscheidend ist, dass sich alle Merkmale dem Fachmann aus der Gesamtheit der Unterlagen erschließen, wobei zum [X.] auch gehört, was der Fachmann aus den Zeichnungen als zu der angemeldeten Erfindung gehörend erfährt.
Dies trifft vorliegend zu, denn das betreffende Merkmal ist für den Fachmann aus Absatz [0034] der [X.] in Verbindung mit den [X.]uren 3 und 5 ohne weiteres ersichtlich.
Die [X.]uren 3 und/oder 5, auf die in Absatz [0034] der [X.] Bezug genommen wird, zeigen zumindest hinsichtlich der Anschlagpaarung 11b [X.] unmittelbar und eindeutig, dass die Falle 15 bei Bezugszeichen 15c einen deutlich erkennbaren Absatz aufweist, so dass bei einer plastischen Verformung der verformbaren Zone 24 die oberen Kante 11b sowie die innere Seite des Flügels 11 an entsprechend ausgebildeten Flächen der Falle 15 anschlagen und flächig derart hintergreifen, dass die Falle blockiert ist und jegliches Verschwenken der Falle verhindert ist. Hierfür ist ein möglicher fachmännischer Ausdruck der Begriff „verhaken“, der somit für den Fachmann von der in den [X.], zu denen auch die Zeichnungen gehören, offenbarten Lehre umfasst ist.
Zudem stellt die Ergänzung des Merkmals „und sich mit diesem verhakt“ eine Einschränkung gegenüber der ursprünglich offenbarten Lehre dar. Denn von dem ursprünglichen Anspruch 1 waren sämtliche [X.] mit den Merkmalen 1 bis 7.2 umfasst, bei denen im [X.] ein Abschnitt der Falle in Anschlag gegen einen Abschnitt der Platine gelangt, um dadurch ein Verschwenken der Falle hin zur Entriegelungsposition zu verhindern, worunter sämtliche Anschläge, beispielsweise kraftschlüssige oder aber auch verhakende oder nicht verhakende formschlüssige Anschläge fielen. Durch das Einfügen der Worte „und sich mit diesem verhakt“ in den Anspruch 1 wurde folglich der Patentanspruch 1 auf solche [X.] beschränkt, bei denen im [X.] der in Anschlag gelangende Abschnitt der Falle sich mit dem Abschnitt der Platine in formschlüssiger Weise verhakt.
Somit wurde der Gegenstand des Patents gegenüber der Ursprungsoffenbarung nicht - wie die Beschwerdeführerin meint – erweitert, sondern eindeutig beschränkt.
Nicht überzeugen kann in diesem Zusammenhang das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass der „breite Begriff verhaken“ eine Vielzahl von Möglichkeiten umfasse, die in den Anmeldeunterlagen jeweils nicht offenbart seien und der Anmeldung auch nicht als zum angemeldeten Gegenstand gehörend entnommen werden könne. Denn sämtliche von der Beschwerdeführerin vorgetragenen [X.] waren auch vom ursprünglichen Patentanspruch 1 umfasst, der dieses strittige Merkmal nicht enthielt.
Soweit die Beschwerdeführerin sinngemäß ein Herausgreifen eines einzelnen Merkmals aus einer Vielzahl von in spezifischen, funktionalen Zusammenhang stehenden Merkmalen bemängelt und dies als „eine nicht offenbarte und unzulässige Zwischenverallgemeinerung“ bezeichnet, so ist diesbezüglich auf die langjährige Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Patentinhaber nicht gehalten ist, sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Patentanspruch aufzunehmen, um eine zulässige Beschränkung herbeizuführen ([X.]. v.30.08.2011 – [X.] – Antriebseinheit für [X.], Rdnr. 30, unter Hinweis auf [X.], 123, 126 - [X.]). Mit der Gestaltungsfreiheit des Anmelders im Patenterteilungsverfahren wäre es unvereinbar, nur eine Einschränkung als zulässig anzusehen, bei der alle der Erfindung förderlichen Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Patentanspruch aufgenommen werden (vgl. Senat - [X.] aaO). Da das Merkmal auch allein den Gegenstand der Erfindung fördert, konnte es allein in den Anspruch aufgenommen werden.
Die geltenden Unterlagen einschließlich der erteilten Ansprüche sind also ursprünglich offenbart und somit zulässig.
4. Der unbestritten gewerblich anwendbare Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu, da aus keiner der entgegengehaltenen Druckschriften alle Merkmale des Patentanspruchs 1 entnehmbar sind.
Die Druckschrift [X.] zeigt ein System zum Verriegeln eines ersten Elementes (Rückenlehne) bezüglich eines zweiten Elementes (Bügel 2 an dem karosseriefestem Radhaus).
Das bekannte Verriegelungssystem nach der Druckschrift [X.] hat ein Schloss 1, bestehend aus einer Grundplatte 4, einem [X.] 3, einem [X.] sowie einem [X.] 6 mit Drehzapfen 8 als Lagerung 7.
Die Grundplatte 4 des bekannten Schlosses kann als eine Platine im Sinne des Streitpatents angesehen werden, weil sie Befestigungsöffnungen aufweist, mit denen sie in feststehender Weise an dem ersten Element, hier der klappbaren Rückenlehne (Spalte 3, Zeilen 10 - 19), befestigt werden kann. Weiterhin ist eine Falle in Form des [X.]s 6 mit einer Kerbe ([X.] 13) vorgesehen, die dazu bestimmt ist, mit einem Verankerungselement (Bügel 2) des zweiten Elementes wechselzuwirken (Merkmale 1 bis 3).
Der [X.] 6 (Falle) ist in dem Gehäuse 3 in [X.] des [X.] 10 drehbar gelagert zwischen einerseits einer [X.], in welcher der [X.] 13 (Kerbe) mit dem Bügel 2 (Verankerungselement) wechselwirkt, und andererseits einer Entriegelungsposition (s. [X.]. 1 u. 3; Spalte 3, Zeilen 20-57).
Die Falle ([X.] 6) ist zumindest mittelbar über das [X.] und das Gehäuse 4 an der Platine (Grundplatte 4) schwenkbar bezüglich einer Rotationsachse (Drehzapfen 8) montiert.
Weiterhin ist ein Steuermittel gemäß Merkmal 6 in Form des [X.] vorhanden, das von einem Benutzer betätigbar ist, ausgehend von einer [X.], in welcher das [X.] (Steuermittel) den [X.] 6 (Falle) in der [X.] hält ([X.]ur 1) und so die ersten und zweiten Elemente verriegelt, hin zu einer Entriegelungsposition, in welcher das [X.] (Steuermittel) ein Verschwenken des [X.]s 6 (Falle) herum um die Rotationsachse erlaubt, und so die ersten und zweiten Elemente entriegelt (s. [X.]ur 3; Spalte 3, Zeile 58 – Spalte 4, Zeile 12).
Vorliegend weist das bekannte System zum Verriegeln eines ersten Elements bezüglich eines zweiten Elements auch eine verformbare Zone in Form der verformbaren Lagerung 7 auf. Bei dieser liegt nach den Ausführungen in Spalte 4, Zeilen 19-28 in der dort beschriebenen Ausführungsform die [X.] 23 in unbelasteter Riegel- oder [X.] nicht direkt an der Grundplatte 4 an und kann sich in Folge einer vorbestimmten Beaufschlagung bzw. eines vorbestimmten Aufpralls, erfahren von einem der ersten und zweiten Elemente, verformen, (Merkmale 7.1). Allerdings verformt sich entgegen Merkmal 7 vorliegend weder die Falle noch die Platine, sondern gemäß Spalte 4, Zeilen 24 -28 die Lagerung 7 der Falle, und zwar entweder das [X.] oder das [X.] 3. Durch die Verformung der Lagerung 7 der Falle erfolgt eine ausreichende Annäherung eines Abschnitts der Platine (Grundplatte 4) und zumindest eines Abschnitts der Falle einerseits in Form der Nase 24 des [X.]s 6 sowie andererseits auch in Form der [X.] 23, so dass auch das Merkmal 7.2 bei der Druckschrift [X.] verwirklicht ist.
Anders als nach Merkmal 8 gefordert, gelangt jedoch der Abschnitt der Falle in Form der Nase 24 nicht in Anschlag gegen den Abschnitt der Platine, um auf diese Weise ein Verschwenken der Falle hin zur Entriegelungsposition zu verhindern. Vielmehr wird, wie beispielsweise in Spalte 4, Zeile 7 – 9 sowie insbesondere in Spalte 4, Zeilen 38 – 45 mehrfach in der Druckschrift [X.] beschrieben, ein Verschwenken der Falle in Entriegelungsrichtung dadurch vermieden, dass ein Abschnitt der Falle in Form der Nase 24 gegen eine Keilfläche 25 des [X.] drückt und dadurch eine zusätzliche bzw. höhere Kraftkomponente auf das [X.] in [X.] entsteht. Mangels Kontakt zwischen Falle und Platine können sich diese Bauteile daher auch nicht verhaken.
Dabei ist es unerheblich, ob ein anderer Abschnitt der Falle in Form der [X.] 23 gegen einen Abschnitt der Platine 4 in Anschlag gelangt, weil durch dieses weitere in [X.] ersichtlich kein Verschwenken der Falle hin zur Entriegelungsposition verhindert wird, sondern allenfalls ein Verschwenken der Falle weg von der Entriegelungsposition.
Daher zeigt die Druckschrift [X.] die Merkmale 1 bis 6 sowie 7.1 und 7.2, jedoch nicht die Merkmale 7 und 8, weshalb der [X.] neu ist gegenüber dem Gegenstand der Druckschrift [X.].
Die Druckschrift [X.] hat ein Außenscharnier zum Inhalt und somit ein System zum Verriegeln eines ersten Elementes bezüglich eines zweiten Elementes. Das Außenscharnier der Druckschrift [X.] hat eine Platine 16, die in feststehender Weise an dem ersten Element befestigt ist, sowie eine Sperre 22 in Form eines Hakens 23. Der Haken ist dazu bestimmt, mit einem Verankerungselement des zweiten Elementes (Bolzen 10) wechselzuwirken, wobei der Haken 23 schwenkbar an der Platine bezüglich einer Rotationsachse montiert ist zwischen einerseits einer [X.], in welcher der Haken 23 mit dem Verankerungselement wechselwirkt, und andererseits einer Entriegelungsposition. Ein Steuermittel im Sinne des Merkmals 6 des Streitpatents weist das Außenscharnier der Druckschrift [X.] nicht auf, so dass schon deshalb der [X.] neu ist gegenüber der Druckschrift [X.].
Die Druckschrift [X.] betrifft ein [X.] mit einer zweistufigen Knautschzone, bei der die Riegel- und Schließstückanordnung sich nicht trennen darf, wenn [X.] ausgeübt wird.
Hierzu weist die Druckschrift [X.] einen verformbaren Stift (pin 40) auf, nicht jedoch eine verformbare Zone der Platine und/oder der Falle. Auch ein Steuermittel im Sinne des Streitpatents weist das bekannte Verriegelungssystem der Druckschrift [X.] nicht auf, wie selbst die Einsprechende und Beschwerdeführerin im [X.] zugesteht.
Die [X.] und [X.] liegen weiter ab vom [X.], weil sie bereits anders gelagerte Aufgabenstellungen haben und in Folge auch anders aufgebaut sind.
Während bei der Druckschrift [X.] eine verformbare Zone Energie bei einem [X.] aufnehmen soll, strebt die Druckschrift [X.] an, durch eine verformbare Zone einen Bruch des [X.] zu vermeiden. Bei keiner dieser beiden Druckschriften gelangt ein Abschnitt der Falle in Anschlag gegen einen Abschnitt der Platine, um - entsprechend Merkmal 8 - ein Verschwenken der Falle hin zur Entriegelungsposition zu verhindern.
5. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Druckschrift [X.] bildet den nächstkommenden Stand der Technik und einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, weil sie – wie vorstehend zur Neuheit ausgeführt - bereits auch schon ein System zum Verriegeln eines ersten Elementes (Rückenlehne) bezüglich eines zweiten Elementes (Bügel 2 an dem karosseriefesten Radhaus) zeigt, wobei das Verriegelungssystem auch ein Steuerelement aufweist.
Bei dem bekannten System zum Verriegeln eines ersten Elementes bezüglich eines zweiten Elementes gelangt zur Verhinderung eines Verschwenkens der Falle hin zur Entriegelungsposition der betreffende Abschnitt der Falle in Form der Nase 24 in Anschlag gegen eine Keilfläche 25 des [X.]. Darüber hinaus wirkt die Falle der Druckschrift [X.] lediglich kraftschlüssig auf das [X.] ein. Der Fachmann mag es hierbei als nachteilig ansehen, dass die kraftschlüssige Verbindung eine weitere Bewegung der Falle nicht sicher verhindert und auch im Falle eines heftigen [X.] oder einer heftigen Beaufschlagung von hinten bei betätigtem Steuermittel ein Verschwenken ersichtlich ohne weiteres möglich ist. Er mag sich daher veranlasst sehen, konstruktive Änderungen mit dem Ziel einer sicheren Verbindung von Falle und [X.] vorzunehmen. Hierzu erhält er jedoch aus [X.] keine Hinweise. Selbst wenn man unterstellt, dass er eine formschlüssige Verbindung auf Grund seines Fachwissens in Erwägung zieht, so würde er diese Verbindung nach wie vor zwischen der Falle und dem [X.] verwirklichen. Eine formschlüssige Verbindung zwischen der Falle und der Platine (Grundplatte 4) zieht er jedenfalls nicht in Betracht, weil dies umfangreiche konstruktive Änderungen erfordern würde.
Anregungen in dieser Richtung erhält der Fachmann auch nicht aus [X.], deren Gegenstand einen Haken 23 an einer Falle (Sperre 22) besitzt. Der Haken weist jedoch keine definierte verformbare Zone auf, so dass eine etwaige Verformung der Sperre 22 auf undefinierte Weise erfolgt. Gemäß der Druckschrift [X.] verbiegt sich der Haken 23 unter einer vom Bolzen 10 ausgehenden hohen Belastung (Absatz [0025]) bis zur Anlage an einer Sicherungsnase (26), um die Position des Bolzens (10) im [X.] (16) zu sichern [0022]. Eine Anregung für ein Verhaken eines Platinenabschnitts mit einem Fallenabschnitt im Sinne des Streitpatents ist der Druckschrift [X.] nicht zu entnehmen, sondern lediglich ein einfacherer Anschlag der beiden Abschnitte.
Ausgehend von der Druckschrift [X.] könnte die Druckschrift [X.] dem Fachmann zwar die Anregung geben, im Falle einer höheren Belastung einen formschlüssigen Anschlag vorzusehen. Doch diesen formschlüssigen Anschlag könnte der Fachmann ersichtlich nur zwischen dem [X.] und dem Steuermittel anordnen, weil das [X.] einem Kontakt zwischen Platine und [X.] im Wege steht. Daher müsste der Fachmann auch – wie von der [X.] angeregt - auf das Steuermittel verzichten, was ihn von der streitpatentgemäßen Lösung wegführt.
Das Verriegelungssystem der Druckschrift [X.] weist – wie vorstehend zur Neuheit ausgeführt – weder eine verformbare Zone der Platine und/oder der Falle noch ein Steuermittel im Sinn des Streitpatents auf. Weiterhin ist aus der [X.]ur 4 der Druckschrift [X.] zu entnehmen, dass Falle und Platine miteinander lediglich in Anlage gelangen, sich jedoch nicht verhaken. Somit geht die Druckschrift [X.] nicht über das hinaus, was aus der Druckschrift [X.] bekannt geworden ist und kann schon deshalb den Fachmann aus denselben Gründen nicht in naheliegender Weise ausgehend von dem Gegenstand nach [X.] zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 führen.
Die weiter abliegenden [X.] und [X.], die die Beschwerdeführerin nicht aufgegriffen hat, bringen hinsichtlich der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit keine neuen Gesichtspunkte.
Ausgehend von der Druckschrift [X.] könnte die Druckschrift [X.] den Fachmann allenfalls dazu anregen, ein Steuermittel zwischen Platine und Haken anzuordnen, was ebenfalls wegführt von der streitpatentgemäßen Lösung und eine vollständige Umkonstruktion des Außenscharniers zur Folge hätte.
Die von der Beschwerdeführerin aufgegriffene Kombination Druckschrift [X.] mit der Druckschrift [X.] führt daher ebenfalls nicht zum streitpatentgemäßen Verriegelungssystem.
Die beanspruchte Lehre war somit auch nicht durch einfache fachübliche Erwägungen ohne weiteres auffindbar; vielmehr bedurfte es darüberhinausgehender Gedanken und Überlegungen, die auf erfinderische Tätigkeit schließen lassen, um zur beanspruchten Lösung zu gelangen.
Der geltende Patentanspruch 1 hat daher Bestand.
6. Die geltenden [X.] bis 8 betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen der streitpatentgemäßen Systems zum Verriegeln eines ersten Elementes bezüglich eines zweiten Elementes nach Patentanspruch 1, die über Selbstverständlichkeiten hinausreichen.
Sie haben daher ebenfalls Bestand.
7. Der nebengeordnete Anspruch 9 ist auf einen [X.] gerichtet. Da der Patentanspruch 9 auf Grund seines Rückbezugs auf die Patentansprüche 1 bis 8 auch diejenigen Merkmale umfasst, die diesen Patentansprüchen zugrunde liegen, ist das Vorliegen der erfinderischen Tätigkeit übereinstimmend zu beurteilen. Auf die entsprechenden Ausführungen wird Bezug genommen.
Meta
20.07.2021
Beschluss
Sachgebiet: W (pat)
§ 21 Abs 1 Nr 4 PatG
Zitiervorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 20.07.2021, Az. 8 W (pat) 6/17 (REWIS RS 2021, 3969)
Papierfundstellen: REWIS RS 2021, 3969
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
1 Ni 5/18 (EP) (Bundespatentgericht)
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6 Ni 7/22 (EP) (Bundespatentgericht)
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Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung
7 Ni 7/19 (Bundespatentgericht)