Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.06.2018, Az. 1 StR 233/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 7179

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Betäubungsmitteldelikt: Berechnung des Grenzwerts der nicht geringen Menge durch das Tatgericht


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Januar 2018 im Schuldspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seinem auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Rechtsmittel, das in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg hat.

I.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der Angeklagte betrieb im Februar und März 2016 einen Onlinehandel mit Betäubungsmitteln. Am 19. April 2016 bewahrte er in dem von ihm bewohnten [X.] 54 [X.] mit einem Wirkstoffgehalt von 2,448 mg und 49,45 g Alpha-Pyrrolidinovalerophenon mit einem Basengehalt von 72 % auf, was einer Menge von 35,6 g Base und 41,3 g [X.] entspricht. Beide Stoffe waren für den Weiterverkauf bestimmt. Auf dem Schreibtisch des [X.]s lag griffbereit ein Dolch mit einer 9,5 cm langen und 2,2 cm breiten feststehenden, beidseitig geschliffenen Klinge und ein Kampfmesser mit einer 16,5 cm langen, einseitig geschliffenen Klinge, das über eine Länge von 9 cm über eine [X.] verfügte. Auf dem Sideboard in unmittelbarer Nähe zur [X.]tür befand sich eine Machete in einer Lederscheide mit einer 36,5 cm langen und 6 cm breiten feststehenden und geschliffenen Klinge. Der Angeklagte wollte sich mit diesen Gegenständen im Falle einer Entdeckung zur Wehr setzen und die im [X.] befindlichen Betäubungsmittel damit verteidigen.

4

2. Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass es sich bei der Menge des [X.] um eine nicht geringe Menge handelt, da der Grenzwert für diesen Wirkstoff bei sechs Gramm anzusetzen sei. Im Rahmen der Strafzumessung hat es das Überschreiten der Grenze zur nicht geringen Menge um das etwa siebenfache strafschärfend gewertet.

II.

5

1. Zwar sind die Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen und haben deshalb Bestand; dennoch konnte der Schuldspruch der auf die Sachrüge hin gebotenen Überprüfung des Urteils nicht standhalten. Die Bestimmung des [X.] zur nicht geringen Menge ist nicht tragfähig begründet, so dass dem Schuldspruch nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG die Grundlage fehlt. Dies zieht die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs nach sich.

6

a) Das [X.] legt der Bestimmung der nicht geringen Menge zugrunde, dass es sich bei [X.] um ein [X.] des früheren Arzneimittelwirkstoffes Pyrovaleron handele und den synthetischen [X.] zuzuordnen sei. Es werde als [X.] oral, intranasal, inhalativ, intravenös und rektal appliziert. Es führe zu einer erhöhten Aktivität des Sympathikus, die zu einer Steigerung der Herzfrequenz, der [X.] und des Blutdrucks führe. Die stimulierenden Wirkungen führten zu Reizbarkeit, Unwohlsein, Verwirrtheit, Angstzuständen, Depressionen, Nervosität, Unruhe, Schlafstörungen und Schwindelgefühl, in körperlicher Hinsicht seien Zähneknirschen, verkrampfte Kiefermuskulatur, Augenzittern, Gänsehaut, Schüttelfrost, Tachykardie, Herzklopfen, Hypertonie, erektile Dysfunktion, Obstipation, Schwitzen, präkardiale Schmerzen die Folge.

7

Da keine gesicherten Erkenntnisse zu einer äußerst gefährlichen oder gar tödlichen Dosis vorliegen, hat das [X.] den Grenzwert ausgehend von einer durchschnittlichen Konsumeinheit bestimmt. Diese hat es anhand von Angaben in Internetforen auf 30 mg bestimmt. Die Maßzahl hat es auf 200 festgelegt und so den Grenzwert auf sechs Gramm bestimmt.

8

b) Diese Berechnung des [X.] ist nicht nachvollziehbar begründet.

9

aa) Das Tatgericht hat nach der vom [X.] in ständiger Rechtsprechung angewandten Methode (vgl. nur [X.], Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134 ff. Rn. 35; Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 366/16 Rn. 7, [X.], 47 und vom 5. November 2015 - 4 [X.], [X.], 37) den Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und -intensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs ([X.], Urteile vom 22. Dezember 1987 - 1 [X.], [X.]St 35, 179 und vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134 ff. Rn. 35). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials zu bemessen ([X.], Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, [X.]St 53, 89). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (vgl. [X.], Urteile vom 24. April 2007 - 1 StR 52/07, [X.]St 51, 318; vom 17. November 2011 - 3 [X.], [X.]St 57, 60 und vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134 ff. Rn. 35).

bb) Zwar hat sich das [X.] an dieser Vorgehensweise orientiert; es hat aber die Bestimmung der durchschnittlichen Konsumeinheit auf keine tragfähige Tatsachengrundlage gestellt und das Vielfache, die sogenannte Maßzahl, ohne weitere auf den Stoff bezogene Begründung festgesetzt.

(1) Soweit sich das [X.] auf die in Internetforen berichteten „szenetypischen Durchschnittsdosierungen ... für die genannten Applikationsformen“ stützt, stellt dies keine geeignete Erkenntnisgrundlage (vgl. Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134 ff. Rn. 51) zur durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Konsum des Stoffes gewöhnten Konsumenten dar. Dies gilt zum einen, weil es sich bei Einträgen in User-Foren nicht um wissenschaftlich gesicherte Daten handelt (vgl. [X.], Urteil vom 4. April 2016 - 2 OLG 8 Ss 173/15 zum Wirkstoff 3,4-Methylendioxypyrovaleron), diese Angaben häufig auf erfahrene Konsumenten zurückgehen, bei denen bereits mit einer Toleranzentwicklung zu rechnen ist und interindividuelle Unterschiede in der Reaktion auf den Wirkstoff unberücksichtigt bleiben. Wieso sich das [X.] vor diesem Hintergrund angesichts der Angaben in den Foren zu „szenetypischen Durchschnittsdosierungen“ in der Lage sah, auf eine durchschnittliche Konsumeinheit als wirksame Dosis für einen „Drogenunerfahrenen“ zu schließen, bleibt unerörtert. Zum anderen beziehen sich ausweislich der Urteilsgründe diese Angaben in den Foren auf die „genannten Applikationsformen“, mithin die orale, intranasale, inhalative, intravenöse und rektale Konsumform. Dies lässt sowohl die [X.] der jeweiligen Konsumform als auch deren jeweiligen Einfluss auf die Wirkungsweise offen. Es ist nicht dargelegt, wieso auf dieser, undifferenziert auf verschiedenste Konsumformen bezogenen Grundlage auf die durchschnittliche Konsumeinheit für die orale und nasale Applikation geschlossen werden kann.

(2) Zur Maßzahl hat das [X.] nur angeführt, dass damit die bekannten pharmakologischen und forensischen Erkenntnisse zu „[X.]“ eingebunden und auch das Gefährdungspotential gewichtet worden sei. An anderer Stelle ist angeführt, die „zentral stimulierenden Wirkungen beträfen u.a. die bekannten psychischen und körperlichen Störungen, die im Zusammenhang mit [X.] ([X.]) beobachtet werden“. Dies ist nicht ausreichend, um die für die Maßzahl relevante Gewichtung der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere das Abhängigkeits- und Gesundheitsschädigungspotenzial (vgl. [X.], Urteile vom 9. Oktober 1996 - 3 StR 220/96, [X.]St 42, 255, 267, dort auch zur Berücksichtigung der die Gefährlichkeit steigernden szenetypischen Begleitumstände des Konsums und vom 17. November 2011 - 3 [X.], [X.]St 57, 60, 64 ff. Rn. 11 ff.) im Vergleich zu anderen Stoffen nachvollziehbar darzulegen.

cc) Da der aufgezeigte Fehler die Feststellungen nicht betrifft, konnten diese bestehen bleiben. Das neu zuständige Tatgericht muss den Grenzwert für die nicht geringe Menge [X.] unter Hinzuziehung eines Sachverständigen klären. Dabei wird es in den Blick zu nehmen haben, dass das [X.] für den Wirkstoff 3,4-Methylendioxypyrovaleron unter ausführlicher Begründung bereits nach der oben aufgezeigten Methode einen Grenzwert festgesetzt hat (vgl. [X.], Urteil vom 4. April 2016 - 2 OLG 8 Ss 173/15 zum Wirkstoff 3,4-Methylendioxypyrovaleron) und ob zwischen diesem Stoff, der große chemisch strukturelle Ähnlichkeiten zum früher als Arzneimittel verwendeten Pyrovaleron aufweisen soll, und [X.] relevante Unterschiede bestehen oder sich neuere Erkenntnisse insoweit ergeben haben.

2. Die allein gegen den Rechtsfolgenausspruch gerichtete Verfahrensrüge erweist sich aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen als unzulässig. Das nun zuständige Tatgericht wird Gelegenheit haben, gemäß § 246a StPO unter Hinzuziehung eines Sachverständigen die Voraussetzungen des § 64 StGB zu prüfen.

[X.] am [X.]
Prof. Dr. Graf ist in den Ruhestand
getreten und daher gehindert zu
unterschreiben.

                                   

Jäger 

        

Jäger   

        

Cirener

        

   Fischer   

        

Hohoff   

        

Meta

1 StR 233/18

26.06.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 18. Januar 2018, Az: 369 Js 176980/16 3 KLs

§ 30a Abs 2 Nr 2 BtMG, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.06.2018, Az. 1 StR 233/18 (REWIS RS 2018, 7179)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7179

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 233/18 (Bundesgerichtshof)


2 OLG 8 Ss 173/15 (OLG Nürnberg)

Grenzwertbestimmung zur nicht geringen Menge JWH-210/MDPV


3 StR 136/21 (Bundesgerichtshof)

Betäubungsmittelhandel: Grenzwertfestlegung zur Bestimmung der nicht geringen Menge bei synthetischen Betäubungsmitteln und psychotrop wirkenden Substanzen


1 StR 52/07 (Bundesgerichtshof)


2 StR 311/20 (Bundesgerichtshof)

Betäubungsmitteldelikt: Bestimmung des Grenzwertes zur nicht geringen Menge bei Opium


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.