Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.05.2013, Az. V R 23/12

5. Senat | REWIS RS 2013, 5719

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Gegenstand

Bedeutung des Widerrufs einer verbindlichen Auskunft für das Klageverfahren gegen eine Steuerfestsetzung


Leitsatz

Widerruft das FA eine verbindliche Auskunft, ist das Klageverfahren gegen eine Steuerfestsetzung, für die die verbindliche Auskunft ohne den Widerruf bindend wäre, bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Widerruf gemäß § 74 FGO auszusetzen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erbrachte im Streitzeitraum entgeltliche Leistungen durch die Nutzungsüberlassung sog. [X.]. Diese enthielten konzentrierte Salzwasserlösungen, so dass beim sog. Floaten die Last des eigenen Körpergewichts entfiel und sich Muskeln entspannen konnten. Die Tanks waren schallisoliert, wodurch der "sensorische Input" auf ein Minimum reduziert wurde. Die durchschnittliche Dauer einer Anwendung betrug 50 bis 60 Minuten.

2

Die Methode wurde zur Entspannung im Wellnessbereich sowie zu therapeutischen Zwecken wie z.B. zur Heilung stressbedingter Erkrankungen und Bluthochdruck, in der Orthopädie, Dermatologie und Sportmedizin eingesetzt. Es handelte sich --eine medizinische Indikation vorausgesetzt-- um eine physikalische Therapieform.

3

Auf Antrag vom 11. Dezember 2007 hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs am 23. Januar 2008 eine verbindliche Auskunft erteilt, nach der die Floating-Leistungen der Klägerin dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) unterliegen. Mit Schreiben vom 26. Januar 2009 widerrief das [X.] die verbindliche Auskunft. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, über den das [X.] noch nicht entschieden hat.

4

In ihrer Umsatzsteuervoranmeldung I/2009 meldete die Klägerin Umsätze in Höhe von ... € an und beantragte die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Das [X.] lehnte dies ab und setzte mit Bescheid vom 25. September 2009 die Umsatzsteuer auf die Floating-Leistungen nach dem Regelsteuersatz fest.

5

Hiergegen erhob die Klägerin Sprungklage zum Finanzgericht ([X.]) nach § 45 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), der das [X.] mit Schreiben vom 17. Juli 2009 zustimmte.

6

Während des [X.]-Verfahrens änderte das [X.] den Umsatzsteuerbescheid I/2009 durch Bescheid vom 6. Juli 2009, der gemäß § 68 [X.]O Gegenstand des Verfahrens wurde, da die verbindliche Auskunft noch für Januar 2009 Wirkung entfaltet habe und minderte die Umsatzsteuer entsprechend.

7

Mit seinem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2012, 2323 veröffentlichten Urteil wies das [X.] die Klage ab, da die Klägerin nicht den Nachweis erbracht habe, dass das Floating als medizinische Heilbehandlung genutzt werde und damit ein Heilbad vorliege.

8

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie biete Salzwasser-Schwebebäder in speziellen Kapseln (sog. [X.]). Dabei handele es sich um einen wannenartigen Behälter, in dem der Kunde in einer natürlichen Sole aus Wasser und Salz schwebe. Dies habe positive Auswirkungen auf den menschlichen Organismus. So werde z.B. die Wirbelsäule entlastet, hoher Blutdruck gesenkt oder Stress reduziert. Hierzu habe sie dem [X.] zahlreiche Stellungnahmen namhafter Experten vorgelegt. Hieraus ergebe sich, dass ihre Kunden das Floating als medizinische Heilbehandlung nutzten und ein Heilbad i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG vorliege. Die gegenteilige Auffassung des [X.] entspreche nicht der bisherigen Rechtsprechung. Sie habe auch Nachweise durch Kundenbefragungen erbracht.

9

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und den Bescheid zur Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung I/2009 vom 6. Juli 2009 dahingehend abzuändern, dass die Vorauszahlung auf ... € festgesetzt wird.

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens erging der [X.] 2009 vom 5. September 2012.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O).

1. Das Urteil des [X.] war aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil der während des Revisionsverfahrens ergangene [X.] für 2009 vom 5. September 2012 gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 [X.]O den [X.]/2009, über dessen Rechtmäßigkeit das [X.] entschieden hat, ersetzt hat und nunmehr Gegenstand des Verfahrens geworden ist (vgl. z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 3. November 2005 V R 63/02, [X.], 161, [X.], 337, unter [X.], und vom 17. Dezember 2008 XI R 79/07, [X.], 156, [X.], 434, unter [X.]). Da das [X.] über einen nicht mehr existenten Bescheid entschieden hat, kann das Urteil keinen Bestand haben.

Auch wenn der Änderungsbescheid den Streitstoff nicht berührt hat, wie die Klägerin mitgeteilt hat, scheidet im Streitfall eine Sachentscheidung des [X.] aus, weil das Urteil an einem Verfahrensmangel leidet. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O)

2. Verfahrensfehlerhaft hat das [X.] das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzung nicht gemäß § 74 [X.]O ausgesetzt, bis über den Einspruch gegen den Widerruf der verbindlichen [X.] abschließend entschieden ist, denn die Entscheidung über die Wirksamkeit des Widerrufs der am 23. Januar 2008 erteilten Zusage ist vorgreiflich für die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr 2009.

a) Unterlässt das [X.] eine gebotene Aussetzung des Verfahrens nach § 74 [X.]O, liegt darin ein Verfahrensfehler im Sinne eines Verstoßes gegen die Grundordnung des Verfahrens ([X.]-Entscheidungen vom 17. Dezember 2003 I R 47/02, [X.]/NV 2004, 771; vom 9. Februar 2005 [X.], [X.]/NV 2005, 1235; vom 16. November 2006 XI B 156/05, [X.]/NV 2007, 401, und vom 31. Mai 2010 X B 162/09, [X.]/NV 2010, 2011, jeweils m.w.N.), der von Amts wegen zu berücksichtigen ist ([X.]-Urteile vom 9. September 2010 IV R 31/08, [X.]/NV 2011, 413; vom 14. Februar 2008 IV R 44/05, [X.]/NV 2008, 1156, m.w.N.).

b) Voraussetzung für die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 [X.]O ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Eine Abhängigkeit zwischen zwei anhängigen Verfahren in diesem Sinne besteht, wenn der Ausgang des einen (möglicherweise auszusetzenden) Rechtsstreits (hier des Verfahrens gegen die [X.] für 2009) von dem anderen (möglicherweise vorgreiflichen) Verfahren (hier dem Einspruchsverfahren gegen den Widerruf einer bereits erteilten Zusage in Bezug auf die dem geänderten Umsatzsteuerbescheid zugrunde liegende Streitfrage, ob auf die [X.] der Klägerin der ermäßigte Umsatzsteuersatz anzuwenden ist) in der Sache beeinflusst werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn ein Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer erteilten verbindlichen [X.] gestritten wird, ist wegen der Bindung an eine erteilte [X.] --anders als ein Verfahren über einen erfolglosen Antrag auf Erteilung einer verbindlichen [X.] ([X.]S. des § 74 [X.]O vorgreiflich für das entsprechende Festsetzungsverfahren.

aa) Nach § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) kann der Steuerpflichtige aus Gründen der Planungs- und Entscheidungssicherheit eine verbindliche [X.] (Zusage) darüber verlangen, wie ein in der Zukunft liegender Besteuerungstatbestand steuerrechtlich zu beurteilen ist. Nach § 2 Abs. 1 der ab dem 8. Dezember 2007 geltenden Verordnung zur Durchführung von § 89 Abs. 2 [X.] ([X.]) ist die von der nach § 89 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] zuständigen Finanzbehörde erteilte verbindliche [X.] für die Besteuerung des Antragstellers bindend, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der [X.] zugrunde gelegten Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht. Die verbindliche [X.] ist nur dann nicht bindend, wenn sie --anders als im Streitfall, in dem das [X.] zugunsten der Klägerin zugesagt hat, dass die [X.] nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterlägen -- zuungunsten des Steuerpflichtigen dem geltenden Recht widerspricht.

bb) Die positive verbindliche [X.] ist ein Verwaltungsakt und enthält die für die betreffende Steuerart verbindliche Feststellung über eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung des der [X.] zugrundeliegenden Sachverhalts (vgl. [X.]-Urteil vom 30. April 2009 VI R 54/07, [X.]E 225, 50, [X.], 996 zur Anrufungsauskunft nach § 42e des Einkommensteuergesetzes). Das [X.] kann die [X.], insbesondere sofern sich ihre Rechtswidrigkeit herausstellt, im Besteuerungsverfahren zwar nach § 2 Abs. 3 [X.] ex nunc aufheben oder ändern (vgl. [X.]-Urteile vom 2. September 2009 I R 20/09, [X.]/NV 2010, 391; vom 29. Februar 2012 IX R 11/11, [X.]E 237, 9, [X.], 651 zu den Kriterien für die Ermessensentscheidung). Die Bindungswirkung der verbindlichen [X.] entfällt dann nach § 2 Abs. 2 [X.] ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die [X.] beruht, aufgehoben oder geändert werden. Liegen diese Voraussetzungen aber nicht vor, bindet die erteilte [X.], wenn sie wie --im [X.] zugunsten des Steuerpflichtigen wirkt, bei identischem Sachverhalt selbst dann, wenn sie dem geltenden Recht widerspricht. Dem [X.] ist daher in Bezug auf diese positive Feststellung in der [X.] eine Rechtmäßigkeitsprüfung im Rahmen der entsprechenden Steuerfestsetzung verwehrt. Ist aber bei einer verwaltungsaktbezogenen Klage die Prüfung der Rechtmäßigkeit ausgeschlossen, besteht insoweit eine Abhängigkeit i.S. des § 74 [X.]O (z.B. [X.]-Urteil vom 20. September 1989 [X.], [X.]E 158, 205, [X.] 1990, 177; [X.]-Beschluss vom 11. März 2011 II B 152/10, [X.]/NV 2011, 1008).

Meta

V R 23/12

16.05.2013

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 23. Juli 2012, Az: 9 K 2780/09, Urteil

§ 74 FGO, § 89 Abs 2 AO, § 2 Abs 1 StAuskV, § 2 Abs 2 StAuskV

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.05.2013, Az. V R 23/12 (REWIS RS 2013, 5719)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5719

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