Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.02.2015, Az. 5 StR 258/13

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 14971

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Gegenstand

Strafverfahren: Umfang der Pflicht zur Mitteilung von Verständigungsgesprächen; Beruhen des Urteils auf fehlender Mitteilung


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Dezember 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über das Absehen von der Verfallsanordnung nach § 111i Abs. 2 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betruges in 23 Fällen und versuchten Betruges in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat das [X.] festgestellt, dass dem Verfall von [X.] in Höhe von 2.193.056,40 Euro die Ansprüche der Verletzten entgegenstehen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte der Senat bereits durch Beschluss vom 17. September 2013 (NStZ 2014, 32) hinsichtlich des angefochtenen Schuld- und Strafausspruchs nach § 349 Abs. 2 [X.] als unbegründet verworfen. Diese Entscheidung hat das [X.] auf die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten aufgehoben, weil sie ihn in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt habe ([X.], NJW 2014, 3504). Auch die neuerliche Prüfung des angefochtenen Urteils auf die Revision des Angeklagten, die auf [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt ist, führt lediglich zur Aufhebung der Entscheidung nach § Abs. 2 [X.] (vgl. insoweit Senat aaO).

2

Der Erörterung bedarf allein die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge wegen eines Verstoßes gegen die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.]. Der Angeklagte macht geltend, die [X.]vorsitzende habe in der Hauptverhandlung entgegen § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht bekanntgegeben, ob vor der Hauptverhandlung Erörterungen nach §§ 202a, 212 [X.] stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist. Diese Rüge ist jedenfalls unbegründet:

3

1. Soweit die Revision vorträgt, der mit dem Verfahren befasste Staatsanwalt habe während des Ermittlungsverfahrens mit den beiden Verteidigern des Angeklagten und des (ehemals) Mitangeklagten mehrere Gespräche geführt, in denen er bei geständigen Einlassungen als Verfahrensergebnis (jeweils) eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren und eine Entlassung aus der Untersuchungshaft als angemessen bezeichnet und angekündigt habe, sich beim Gericht durch entsprechende Anträge dafür stark zu machen, handelt es sich um ein Geschehen vor der Anklageerhebung. Schon deshalb werden solche der Regelung des § 160b [X.] unterfallende Erörterungen von der Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht erfasst, die lediglich "Erörterungen nach §§ 202a, 212" [X.] betrifft.

4

Dass zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung nach Anklageerhebung noch weitere auf eine Verständigung abzielende Gespräche stattgefunden haben, von denen das Gericht auch nur beiläufig Kenntnis erlangt hat, teilt weder die Revision mit, noch ergibt sich dies aus den eingeholten dienstlichen Äußerungen. Es kommt mithin nicht auf die eher zu verneinende Frage an, ob bei Gesprächen über [X.], die vor Beginn der Hauptverhandlung von der Staatsanwaltschaft mit der Verteidigung - anders als es die §§ 202a, 212 [X.] vorsehen - ohne Beteiligung des Gerichts geführt werden, eine Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.] allein durch eine Kenntniserlangung des Gerichts begründet werden könnte (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Januar 2014 - 1 StR 523/13, [X.], 115; siehe auch Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11, [X.], 347, 348; ablehnend [X.], [X.], 7. Aufl., § 243 Rn. 36).

5

2. Ebenfalls nicht als mitteilungspflichtige Erörterung einzuordnen ist ein Gespräch des Verteidigers des Mitangeklagten mit dem beisitzenden [X.] vor Beginn der Hauptverhandlung. Nach den Darlegungen der Revision hat der Verteidiger angefragt, ob seitens der [X.] Interesse an einer Verfahrensabsprache bestehe, und über den Inhalt der Gespräche mit dem Staatsanwalt informiert. Hierzu habe der [X.] abweisend reagiert. Dies ist durch die vom Senat im Freibeweisverfahren eingeholte dienstliche Erklärung des beisitzenden [X.]s im Wesentlichen bestätigt und weiter konkretisiert worden. Danach ist die Anfrage des Verteidigers am Rande eines Telefonats zur organisatorischen Abwicklung einer Aktenrückgabe erfolgt und hat sich auf eine generelle Aufgeschlossenheit der [X.] gegenüber Verständigungen nach § 257c [X.] bezogen. Er habe sich "nicht bemüßigt gesehen, Erklärungen namens der Kammer abzugeben", und für seine Person lediglich erklärt, "dem Rechtsinstitut einer Verständigung nach § 257c [X.] wenig abgewinnen" zu können. Er habe auf die Mitteilung des Verteidigers über eine vom Staatsanwalt in Aussicht gestellte Antragstellung im Rahmen seines [X.] vorsorglich darauf hingewiesen, dass die [X.] an Anträge der Staatsanwaltschaft zur Höhe etwaiger Strafen nicht gebunden sei.

6

Damit hatte das Telefonat - auch ungeachtet der Frage, ob es sich um eine Erörterung des "Gerichts" handelte (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 1 [X.], [X.], 592, 593) - keinen verständigungsbezogenen Gesprächsinhalt, der eine Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.] hätte auslösen können [X.], NStZ 2014, 192, 198). Der beisitzende [X.] hat keinen Standpunkt zu einem möglichen Ergebnis des Verfahrens vertreten und kein Verhalten gezeigt, das als Vorbereitung von [X.]n oder gar als Eintritt in ein solches hätte (miss)verstanden werden können. Vielmehr hat er sich für seine Person vorbehaltlos Gesprächen mit dem Ziel einer Verständigung nach § 257c [X.] abgeneigt gezeigt und ist auf ein diesbezügliches Ansinnen des Verteidigers, wollte man es in der aus Sicht der Revision "vorfühlenden" Anfrage überhaupt erkennen, jedenfalls nicht eingegangen.

7

3. a) Zwar erfordert § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.] eine so genannte [X.], wenn keine auf eine Verständigung abzielenden Gespräche stattgefunden haben ([X.], NJW 2014, 3504 f.; anders noch Senat, Beschluss vom 17. September 2013 im [X.] an [X.], Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 47/13, [X.]St 58, 315). Ein zur Aufhebung des Urteils nötigender Verfahrensfehler liegt aber nur vor, wenn das Urteil auf der fehlenden Mitteilung beruht. Dies kann auszuschließen sein, wenn zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, "in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand" ([X.]E 133, 168, 223 Rn. 98; [X.], NJW 2014, 3504, 3506; siehe auch [X.], Beschlüsse vom 22. Mai 2013 - 4 StR 121/13, [X.], 541, vom 3. September 2013 - 1 StR 237/13, [X.] [X.], 724, vom 29. Januar 2014 - 1 StR 523/13, [X.], 115 und vom 25. November 2014 - 2 [X.], NJW 2015, 266, 267).

8

So verhält es sich hier. Der Senat hat [X.] dienstliche Erklärungen von der Vorsitzenden [X.]in und dem Berichterstatter sowie dem staatsanwaltschaftlichen [X.] eingeholt. Danach hat es über den dargestellten Kontakt zwischen dem beisitzenden [X.] und dem Verteidiger des Mitangeklagten keine Gespräche gegeben, die eine Verständigung zum Gegenstand gehabt hatten. Der Wahrheitsgehalt dieser dienstlichen Erklärungen steht für den Senat außer Zweifel, zumal auch die Revision keinerlei Anhaltspunkte für weitere im Vorfeld der Hauptverhandlung geführte und die Frage einer Verständigung berührende Erörterungen vorgetragen hat. Mithin schließt der Senat sicher aus, dass das angefochtene Urteil auf dem Verstoß gegen die [X.]spflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.] beruht.

9

b) Ein Beruhen lässt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht damit begründen, dass der Beschwerdeführer sich in dem Glauben befunden habe, es hätten [X.] stattgefunden, und ihn eine [X.] möglicherweise von der Abgabe seines Geständnisses abgehalten hätte. Den Angeklagten vor dem behaupteten Irrtum zu bewahren, dass eine von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren in den Raum gestellte Straferwartung mit dem Gericht abgestimmt worden sei, unterfällt - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. [X.], NJW 2014, 3504, 3506) - nicht dem Schutzzweck des § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.]. Die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.] sichert über das Transparenzgebot neben der Kontrolle eines Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2015 - 2 BvR 2055/14) auch den [X.] sämtlicher Verfahrensbeteiligter über Erörterungen in den nicht öffentlich geführten Verfahrensstadien des Zwischen- und des Hauptverfahrens vor Beginn der Hauptverhandlung. Insoweit hat der Gesetzgeber mit der in der öffentlichen Hauptverhandlung zu erfüllenden Mitteilungspflicht die Konsequenz aus der in §§ 202a, 212 [X.] zugelassenen Möglichkeit von Vorgesprächen über eine Verständigung gezogen (siehe [X.]. 16/12310 S. 12), jedoch keine weitergehende Informationspflicht jenseits der von diesen Regelungen erfassten Erörterungen begründet (vgl. auch [X.], Beschluss vom 30. August 2011 - 32 Ss 87/11, [X.], 285, 286).

Der Schriftsatz vom 23. Februar 2015 hat dem Senat vorgelegen.

[X.]                     König

               Berger                    [X.]

Meta

5 StR 258/13

25.02.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BVerfG, 29. Januar 2015, Az: 2 BvR 2400/13, Entscheidung

§ 243 Abs 4 S 1 StPO, § 257c StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.02.2015, Az. 5 StR 258/13 (REWIS RS 2015, 14971)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 1546 REWIS RS 2015, 14971


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 5 StR 258/13

Bundesgerichtshof, 5 StR 258/13, 25.02.2015.

Bundesgerichtshof, 5 StR 258/13, 17.09.2013.


Az. 2 BvR 2400/13

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 2400/13, 29.01.2015.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 2400/13, 26.08.2014.


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