Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.06.2006, Az. XII ZR 147/04

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2006, 3036

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.] Verkündet am: 21. Juni 2006 Breskic, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Familiensache Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja BGB § 1603 Abs. 2; BErzGG § 9 Satz 1 und 2 Das an die zweite Ehefrau des seinen Kindern aus erster Ehe unterhaltspflichti-gen Schuldners ausgezahlte Erziehungsgeld berührt dessen Unterhaltspflicht auch dann nicht, wenn der Anspruch der zweiten Ehefrau auf Familienunterhalt mit dem Kindesunterhalt gleichrangig ist und sich im absoluten Mangelfall des-halb auf die Quote des geschuldeten Kindesunterhalts auswirkt (im [X.] an das Senatsurteil vom 12. April 2006 - [X.] - zur [X.] in [X.] bestimmt). [X.], Urteil vom 21. Juni 2006 - [X.] - [X.] [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat im schriftlichen Verfahren nach [X.] bis zum 30. Mai 2006 durch [X.], die Richte-rin [X.], [X.] Dr. [X.], die Richterin [X.] und [X.] für Recht erkannt: Auf die Revision des [X.]n wird das Urteil des 3. [X.] des [X.] vom 2. Juli 2004 - unter Verwerfung der Revision im Übrigen - aufgehoben, soweit der [X.] verurteilt worden ist, an die Kläger zu 1) und 2) in Abänderung der Urkunden des [X.] [X.] vom 23. Januar 1996 - [X.]. 31/1996 und 30/1996 - und des Urteils des Amtsgerichts - Familiengericht - [X.] vom 11. November 2003 mehr als die folgenden Unterhaltsbeträge zu leisten: a) an die Klägerin zu 1) für Dezember 2000 132,36 •, für Januar bis Juni 2001 monatlich 145,96 •, für Juli bis August 2001 monatlich 126,55 •, für September bis Oktober 2001 monatlich 143,84 •, für die [X.] vom 1. bis 21. September 2003 monatlich 128,00 • und für die [X.] ab dem 22. September 2003 monatlich 112,00 •; b) an den Kläger zu 2) für Dezember 2000 132,36 •, für Januar bis Juni 2001 monatlich 145,96 •, für Juli bis August 2001 monatlich 126,55 •, für September bis Oktober 2001 monatlich 121,73 •, für die [X.] vom 1. bis 21. September 2003 monatlich 108,21 • und für die [X.] ab dem 22. September 2003 monatlich 112,00 •. - 3 - Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Tatbestand: Die Parteien streiten um Abänderung zweier [X.] zum Kindesunterhalt. 1 Die am 25. September 1989 geborene Klägerin zu 1 und der am 15. Juni 1991 geborene Kläger zu 2 sind Kinder des [X.]n aus dessen geschiede-ner Ehe. Mit [X.] vom 23. Januar 1996 verpflichtete sich der [X.], monatlichen Unterhalt an die Klägerin zu 1 in Höhe von 425 DM (= 217,30 •) und an den Kläger zu 2 in Höhe von 335 DM (= 171,28 •) zu [X.]. Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehefrau des [X.]n hat das Be-rufungsgericht - inzwischen rechtskräftig - abgewiesen. 2 Der [X.] ist wieder verheiratet. Aus dieser Ehe sind seine Kinder H., geboren am 27. November 1999, und [X.], geboren am 22. September 2003, hervorgegangen. Die zweite Ehefrau des [X.]n erhielt in der hier relevan-ten [X.] ab Dezember 2000 eine anteilige Steuererstattung im Jahre 2000 und Erziehungsgeld nach der Geburt des [X.] bis einschließlich Oktober 2001 in Höhe von monatlich 306,78 • (600 DM) sowie nach der Geburt der Tochter [X.] in der [X.] ab September 2003 in Höhe von monatlich 307 •. 3 - 4 - Der [X.] erzielte aus seiner vollschichtigen Berufstätigkeit als Schlosser ein bereinigtes Einkommen in unterschiedlicher Höhe, zuletzt für die [X.] ab Januar 2002 in Höhe von monatlich 1.358,83 •. 4 5 Das Amtsgericht hat den [X.]n auf die Klage und dessen Widerkla-ge zur Zahlung restlichen Unterhalts an den Kläger zu 2 für die [X.] von [X.] bis Oktober 2001 in Höhe von insgesamt 487,26 • nebst Zinsen verurteilt. Ferner hat es den beiden Kindern geschuldeten laufenden Unterhalt teils herauf-, im Wesentlichen aber herabgesetzt, zuletzt auf jeweils monatlich 151 • für die [X.] ab September 2003. Auf die Berufung des [X.]n hat das [X.] - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung - den geschuldeten Unterhalt weiter herabgesetzt, zuletzt auf jeweils monatlich 129,88 • für die [X.] ab September 2003. Mit der - vom Berufungsgericht zuge-lassenen - Revision begehrt der [X.] eine weitergehende Herabsetzung des Kindesunterhalts für die [X.] von Dezember 2000 bis Oktober 2001 sowie ab September 2003 in gestaffelter Höhe, zuletzt für die [X.] ab September 2003 auf jeweils monatlich 108,21 •. Entscheidungsgründe: Die Revision ist unzulässig, soweit der [X.] Herabsetzung des [X.] Unterhalts für die Klägerin zu 1 auf monatlich unter 128 • für die [X.] vom 1. bis 21. September 2003 und für beide Kläger auf monatlich unter 112 • für die [X.] ab dem 22. September 2003 verlangt. Denn insoweit ist der [X.] durch das Berufungsurteil nicht beschwert, weil sein Revisionsantrag in [X.] Umfang über den eigenen Berufungsantrag hinausgeht. Im Umfang der 6 - 5 - weiteren Anfechtung führt die Revision zur Aufhebung des angefochtenen Ur-teils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. [X.] 7 Das Berufungsgericht hat unter Berücksichtigung des unterhaltsrelevan-ten Einkommens des [X.]n, seiner berufsbedingten Fahrtkosten und der Höhe der Tilgungsraten für die zum Um- und Ausbau der selbst genutzten Wohnung aufgenommenen Darlehen den Kindesunterhalt der Kläger im Wege der Mangelfallberechnung ermittelt. Bis auf die Berücksichtigung des von seiner zweiten Ehefrau bezogenen [X.] begegnet die Entscheidung kei-nen revisionsrechtlichen Bedenken; insoweit wird sie auch von der Revision nicht angegriffen. 1. Die im Jahre 2000 an den [X.]n und seine zweite Ehefrau erstat-tete Steuer für das [X.] in Höhe von insgesamt 3.727,47 • hat das [X.] entsprechend den anteiligen Steuerzahlungen nur in Höhe von 581,24 • dem Einkommen des [X.]n zugerechnet und im Übrigen als eige-nes Einkommen seiner zweiten Ehefrau für das [X.] berücksichtigt. Da-gegen bestehen aus revisionsrechtlicher Sicht keine Bedenken (vgl. Senatsbe-schluss vom 3. November 2004 - [X.] ZB 165/00 - FamRZ 2005, 104, 105). 8 2. Auch soweit das Berufungsgericht die Fahrtkosten des [X.]n zu seiner 15 Kilometer entfernten Arbeitsstelle entsprechend seinen unterhalts-rechtlichen Leitlinien (zum Stand 1. Juli 2003 siehe [X.], 1250, 1252 Ziff. 10.2.2; vgl. auch [X.]/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterli-chen Praxis 6. Aufl. § 1 [X.]. 97 ff.) mit einer Kilometerpauschale entsprechend 9 - 6 - § 9 Abs. 3 Nr. 2 ZSEG (für die [X.] ab dem 1. Juli 2004 vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 2 [X.]) bemessen hat, bestehen dagegen keine Bedenken. Zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass darin regelmäßig sämtliche [X.] einschließlich derjenigen für Abnutzung und Finanzierungsaufwand enthalten sind (Senatsurteil vom 1. März 2006 - [X.] ZR 157/03 - zur Veröffentli-chung bestimmt). 3. Ebenfalls zu Recht und im Einklang mit der Rechtsprechung des Se-nats hat das Berufungsgericht dem [X.]n keinen Wohnvorteil hinzugerech-net, weil die monatlichen Tilgungsleistungen für die Darlehen, die er zum Um- und Ausbau der selbst genutzten Wohnung aufgenommenen hatte, jedenfalls deren objektiven Wohnwert erreichen (vgl. Senatsurteil vom 1. Dezember 2004 - [X.] ZR 75/02 - FamRZ 2005, 1159, 1161). Darauf, ob die Wohnung noch im Eigentum seiner Schwiegereltern steht und dem [X.]n der Wohnwert als freiwillige Leistung zur Verfügung gestellt wird oder ob seine zweite Ehefrau Eigentümerin ist, kommt es deswegen nicht an. 10 4. Auch die hier notwendige Mangelfallberechung hat das Berufungsge-richt im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats durchgeführt. Die zweite Ehefrau steht hier sämtlichen minderjährigen Kindern aus den beiden Ehen des [X.]n im Rang gleich, nachdem das Berufungsgericht Unterhaltsansprüche der sonst mit den Kindern gleichrangigen ersten Ehefrau des Klägers rechts-kräftig abgewiesen hat (vgl. insoweit Senatsurteil vom 13. April 2005 - [X.] ZR 273/02 - FamRZ 2005, 1154, 1155 f.). 11 Im Rahmen der gebotenen Mangelfallberechnung hat das Berufungsge-richt entsprechend der Rechtsprechung des Senats für die minderjährigen Klä-ger und die ebenfalls minderjährigen Kinder aus zweiter Ehe [X.] in Höhe von 135 % des [X.] nach der Regelbetragverordnung [X.] - 7 - de gelegt. Für die zweite Ehefrau des [X.]n hat es entsprechend der [X.] Lebenssituation den notwendigen Eigenbedarf als Einsatzbetrag in die Mangelverteilung eingestellt (Senatsurteil vom 22. Januar 2003 - [X.] ZR 2/00 - [X.], 363, 365 f.) und dabei die durch die gemeinsame Haushaltsfüh-rung der Ehegatten erfahrungsgemäß eintretende Ersparnis berücksichtigt ([X.] vom 14. Januar 2004 - [X.] ZR 149/01 - FamRZ 2004, 792, 793). I[X.] Bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs der nach § 1609 Abs. 2 BGB mit den minderjährigen Kindern ranggleichen zweiten Ehefrau des [X.]n (Senatsurteil vom 13. April 2005 aaO), der im Rahmen der [X.] zu berücksichtigen ist, hat das Berufungsgericht das an die zweite Ehefrau gezahlte Erziehungsgeld [X.] berücksichtigt. 13 Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Grundsatz, wonach Erziehungs-geld kein unterhaltsrechtlich erhebliches Einkommen darstelle, erfahre gemäß § 9 Satz 2 BErzGG u.a. eine Ausnahme bei gesteigerter Unterhaltspflicht ge-genüber minderjährigen Kindern. In diesem Rahmen sei das für Kinder aus der neuen Ehe bezogene Erziehungsgeld auch für den Unterhalt minderjähriger Kinder aus einer früheren Ehe einzusetzen, selbst wenn dies auf Kosten der Kinder aus der neuen Ehe gehe. Im Rahmen der gebotenen Gesamtschau könne § 9 Satz 2 BErzGG nicht dahingehend verstanden werden, dass sich die erziehungsgeldberechtigte Ehefrau das Erziehungsgeld nur ihren eigenen [X.] gegenüber als Einkommen anrechnen lassen müsse, nicht aber auf den eigenen Unterhaltsanspruch gegen den beklagten Ehemann im Rahmen der 14 - 8 - Mangelverteilung mit dessen Kindern aus einer früheren Ehe. Eine andere [X.] würde mit Blick auf die Möglichkeit zur Bestimmung des Bezugsberechtig-ten dazu führen, dass die Eltern willkürlich über die unterhaltsrechtliche Anre-chenbarkeit dieser staatlichen Unterstützung entscheiden dürften. Die elterliche Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit, die sich im Familienbudget weder posi-tiv noch negativ auswirke, dürfe aber nicht zu Lasten von minderjährigen, ge-steigert unterhaltsberechtigten Kindern aus erster Ehe führen. Insoweit hält die Entscheidung des Berufungsgerichts den Angriffen der Revision nicht stand. 15 II[X.] Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Erziehungsgeld der zweiten Ehefrau des [X.]n nicht im Rahmen ihres Anspruchs auf Fami-lienunterhalt [X.] anzurechnen (§ 9 Satz 1 BErzGG). 16 1. Das Erziehungsgeld hat keine Lohnersatzfunktion, sondern wird auch an Eltern gezahlt, die zuvor nicht erwerbstätig waren. Weil das Erziehungsgeld weder tatsächliche Einkommenseinbußen ausgleichen noch für den [X.] Betreuungsaufwand entschädigen soll, wird durch den Bezug die Betreu-ung und Erziehung eines Kindes durch eine nicht oder nicht voll erwerbstätige, sorgeberechtigte Person in der ersten Lebensphase des Kindes allgemein ge-fördert ([X.] FamRZ 1994, 363). Es ermöglicht und erleichtert es somit den Eltern, im [X.] an die Mutterschutzfrist ganz oder teilweise auf eine [X.] zu verzichten. Damit dient es sozialpolitischen Zielen und schafft zugleich einen finanziellen Anreiz für die Kindererziehung (BT-Drucks. 10/3729 17 - 9 - S. 13; Senatsurteil vom 12. April 2006 - [X.] - zur [X.] be-stimmt). 18 Dieses sozialpolitische Ziel wird dadurch unterstützt, dass nach § 9 Satz 1 BErzGG Unterhaltsverpflichtungen nicht durch die Zahlung des Erzie-hungsgeldes und anderer vergleichbarer Leistungen der Länder berührt wer-den. Der Barunterhaltspflichtige soll durch die Zahlung des [X.] an den Unterhaltsberechtigten von seiner Unterhaltsverpflichtung grundsätzlich nicht entlastet werden. Die Leistung nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz soll dem Erziehungsgeldberechtigten also regelmäßig ungeschmälert zugute kommen. Nach übereinstimmender Auffassung ist das Erziehungsgeld deswe-gen im Regelfall nicht als anrechenbares Einkommen bei der Bemessung von Unterhaltsansprüchen zu berücksichtigen ([X.] FamRZ 2000, 1149). Dies gilt nach § 9 Satz 2 BErzGG allerdings nicht in den Fällen des § 1361 Abs. 3, der §§ 1579, 1603 Abs. 2 und des § 1611 Abs. 1 BGB. In diesen Fällen steht die Unterhaltsgewährung in besonderem Maße unter dem Gebot der Billigkeit, und es könnte zu groben Ungerechtigkeiten führen, wenn das [X.] bei der Bemessung des Unterhalts unberücksichtigt bliebe (BT-Drucks. 10/3792 [X.]). 19 2. Ob das Erziehungsgeld nach § 9 Satz 2 BErzGG auch im Rahmen des Anspruchs auf Familienunterhalt zu berücksichtigen ist, wenn es nicht von dem - auch von seinen minderjährigen Kindern aus erster Ehe in Anspruch genom-menen - Unterhaltspflichtigen, sondern von seinem (ebenfalls) unterhaltsbe-rechtigten zweiten Ehegatten bezogen wird und wenn wegen der eingeschränk-ten Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ein absoluter Mangelfall vor-liegt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. 20 - 10 - Teilweise wird vertreten, dass es dem Bezug des [X.] durch den Unterhaltspflichtigen gleichstehe, wenn dessen Ehegatte das Erzie-hungsgeld bezieht und im Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht gegen-über einem minderjährigen Kind der Anspruch auf Familienunterhalt zu prüfen ist ([X.]/[X.] 5. Aufl. [X.]. 6 [X.]. 51). Überwiegend wird in Recht-sprechung und Literatur jedoch die Auffassung vertreten, dass sich ein Ehegat-te sein Erziehungsgeld nur gegenüber den Unterhaltsansprüchen seiner Kinder als Einkommen anrechnen lassen müsse, nicht hingegen bei der Bemessung des eigenen Unterhaltsanspruchs im Rahmen einer Mangelverteilung mit [X.] des unterhaltspflichtigen Ehegatten aus seiner ersten Ehe (vgl. etwa [X.] [X.], 1962, 1963; [X.]/Mitteldorf Der [X.]. [X.]. 6398). 21 Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an, weil nur sie dem Willen des Gesetzgebers entspricht, das Erziehungsgeld grundsätzlich unterhaltsrechtlich unberücksichtigt zu lassen. Die Auslegung der in § 9 Satz 2 BErzGG vorgesehenen Ausnahmen darf diese Zielrichtung des Gesetzes, näm-lich eine zusätzliche Förderung im Interesse der Kindererziehung zu schaffen, nicht aus den Augen verlieren. 22 a) Im Rahmen der Auslegung des § 9 Satz 2 BErzGG ist zwischen zwei Fallgestaltungen mit unterschiedlichem Regelungsinhalt zu unterscheiden. 23 aa) Soweit die Vorschrift des § 9 Satz 2 BErzGG auf § 1579 BGB (ggf. i.V. mit § 1361 Abs. 3 BGB) und auf § 1611 Abs. 1 BGB abstellt, lassen sich die Billigkeitskriterien zur Vermeidung grober Ungerechtigkeiten (vgl. BT-Drucks. 10/3792 [X.]) unmittelbar aus diesen Bestimmungen entnehmen. Wenn we-gen eines sittlichen Verschuldens des Unterhaltsberechtigten eine Herabset-zung, zeitliche Begrenzung oder, bei grober Unbilligkeit, sogar eine vollständige 24 - 11 - Versagung des Unterhalts in Betracht kommt, liegt es nahe, ihm auch sein [X.] nicht anrechnungsfrei zu belassen. Denn diesen Bestimmungen ist gemein, dass sie - bis auf § 1579 Nr. 1 BGB - auf ein sittliches Verschulden des Unterhaltsberechtigten abstellen. In solchen Fällen würde es zu groben Ungerechtigkeiten führen, wenn das Erziehungsgeld - wie im Regelfall nach § 9 Abs. 1 BErzGG - nicht bei der [X.] berücksichtigt, sondern dem Unterhaltsberechtigten in voller Höhe zusätzlich belassen würde. Im Er-gebnis gilt aber auch nichts anderes in Fällen kurzer Ehedauer nach § 1579 Nr. 1 BGB, der den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit beider Ehegatten nach § 1569 BGB betont. Auch in solchen Fällen wäre es mit der Möglichkeit einer Begrenzung, Herabsetzung oder vollständigen Versagung des Unterhalts nicht vereinbar, wenn dem Unterhaltsberechtigten das von ihm bezogene [X.] stets anrechnungsfrei verbliebe. Die in § 9 Satz 2 BErzGG aus Gründen der Billigkeit geregelten Aus-nahmen vom Grundsatz der Nichtanrechnung des [X.], nämlich in den Fällen der §§ 1361 Abs. 3, 1579 und 1611 Abs. 1 BGB, greifen daher nur ein, wenn der Unterhaltsberechtigte das Erziehungsgeld erhält. Bezieht hinge-gen der unterhaltspflichtige Ehegatte das Erziehungsgeld, ist kein Grund dafür ersichtlich, den geschuldeten Unterhalt wegen eines sittlichen Verschuldens des Unterhaltsberechtigten sogar zu erhöhen. Dann bleibt es für den Unter-haltsberechtigten bei dem Grundsatz des § 9 Satz 1 BErzGG, wonach die Un-terhaltspflicht durch das Erziehungsgeld nicht berührt wird. Anderenfalls würde das sittliche Verschulden des Unterhaltsberechtigten bzw. die ihm auferlegte Eigenverantwortlichkeit indirekt zu seinem Vorteil geraten, weil das unterhalts-rechtlich zu berücksichtigende Einkommen des Unterhaltspflichtigen um das diesem gezahlte Erziehungsgeld erhöht würde. 25 - 12 - bb) Nicht vergleichbar ist hingegen der weitere von § 9 Satz 2 BErzGG erfasste Fall der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen oder ihnen nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB gleichgestellten Kindern [X.] FamRZ 2002, 1452 f.). In einem solchen Fall sind grobe [X.] denkbar, wenn das Erziehungsgeld dem Berechtigten anrechnungsfrei (neben sonstigen Einkünften) verbleibt, während gleichrangige minderjährige Kinder, die ihren Unterhalt naturgemäß nicht selbst decken können, im Mangel-fall nicht ihren vollen Unterhalt erhalten. 26 Gleichwohl erfasst der Regelungsgehalt dieses Ausnahmetatbestands des § 9 Satz 2 BErzGG lediglich die Fälle, in denen der nach § 1603 Abs. 2 BGB Unterhaltspflichtige das Erziehungsgeld bezieht ([X.] FamRZ 1995, 805, 806; für Ansprüche nach § 1615 l Abs. 2 BGB [X.] FamRZ 2000, 1149). Nur dann entspricht es dem Gebot der Billigkeit, den Unterhaltspflichti-gen wegen seiner gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen [X.] auch auf das Erziehungsgeld zurückgreifen zu lassen (Weinreich/[X.] Familienrecht 2. Aufl. vor § 1360 [X.]. 72; [X.]/[X.] aaO). Erhält hingegen der unterhaltsberechtigte Ehegatte das Erziehungsgeld, rückt der Zweck des [X.] als einkommensunabhängige Sozialleistung mit sozialpolitischen Zielen in den Vordergrund. Nach dem Willen des [X.] soll der Unterhaltspflichtige durch den Bezug des [X.] auf Seiten des Berechtigten gerade nicht entlastet werden, auch wenn dies dazu führt, dass konkurrierende Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder nicht voll befriedigt werden können ([X.] FamRZ 2000, 1149). 27 b) Im vorliegenden Fall wird das Erziehungsgeld nicht an den [X.]n als Unterhaltsschuldner, sondern an seine zweite Ehefrau ausgezahlt, die den Klägern nicht unterhaltspflichtig ist. Deswegen kommt hier zum Tragen, dass das Erziehungsgeld keine Lohnersatzfunktion hat, sondern sozialpolitischen 28 - 13 - Zielen dient und zugleich einen finanziellen Anreiz für die Kindererziehung schaffen soll. Dieser Anreiz steht wegen der Kindererziehung der zweiten Ehe-frau des [X.]n, nicht aber diesem als Unterhaltsschuldner zu. 29 In solchen Fällen könnten sich unbillige Ergebnisse allenfalls dann erge-ben, wenn die zweite Ehefrau mit der Summe ihres im Mangelfall auf eine [X.] reduzierten Unterhalts und des anrechnungsfrei gebliebenen [X.] insgesamt über ihren Bedarf hinausgehende Einkünfte erzielen würde, während der [X.] den Unterhaltsbedarf der gleichrangigen Kläger nicht decken könnte. Nur dann könnte die zweite Ehefrau im Einzelfall ihren eigenen Kindern zusätzlich barunterhaltspflichtig sein (§ 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB), was sich über den [X.] aller Kinder des [X.]n - wie im Rahmen der sog. [X.] entschieden (vgl. Senatsurteil vom 12. April 2006 aaO) - nach § 1356 Abs. 2 Satz 2 BGB auch zu Gunsten des [X.] des [X.]n aus erster Ehe auswirken könnte. Allerdings scheiden solche Fälle im absoluten Mangelfall regelmäßig schon deswegen aus, weil die erziehungsgeldberechtigte zweite Ehefrau auch ihren eigenen Kindern nur in dem Umfang barunterhaltspflichtig ist, in dem ihr Gesamteinkommen den eigenen notwendigen Selbstbehalt übersteigt (Senats-urteil vom 12. April 2006 aaO). Die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme der Ehegatten nach § 1356 Abs. 2 Satz 2 BGB darf aber nicht so weit gehen, dass sie einer Unter-haltspflicht der zweiten Ehefrau des [X.]n gegenüber dessen Kindern aus erster Ehe gleich käme, die nach dem Gesetz nicht besteht. Die Verpflichtung des neuen Ehegatten beschränkt sich vielmehr darauf, dem Unterhalt schul-denden Ehegatten die Erzielung ausreichender Einkünfte durch Erwerbstätig-keit zu ermöglichen. Nur insoweit müssen die beiderseits bekannten Unterhalts-lasten gegenüber Kindern aus früheren Ehen bei der Aufgabenverteilung in der 30 - 14 - neuen Ehe berücksichtigt werden (Senatsurteil vom 18. Oktober 2000 - [X.] ZR 191/98 - FamRZ 2001, 1065, 1066). Hier ist der [X.] aber schon vollschich-tig berufstätig, was seine zweite Ehefrau ihm durch die Kindererziehung ermög-licht. Auch unter Berücksichtigung des [X.]s aller minderjährigen Kinder ist das von der zweiten Ehefrau des [X.]n bezogene Erziehungsgeld [X.] auch nicht bei der Ermittlung ihres Anspruchs auf Familienunterhalt be-darfsmindernd zu berücksichtigen. Das entspricht auch dem Willen des [X.], mit der Zahlung des [X.] den Eltern die Erziehung ihrer [X.]kinder zu ermöglichen, ohne auf eine eigene Erwerbstätigkeit [X.] zu sein. Wegen einer gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern (§ 1603 Abs. 2 BGB) kommt eine Anrechnung des [X.] nach § 9 Satz 2 BErzGG folglich nur dann in Betracht, wenn das Erziehungs-geld dem Unterhaltsschuldner selbst zusteht. 31 c) Dem steht auch nicht entgegen, dass der [X.] und seine zweite Ehefrau den Erziehungsgeldberechtigten nach § 3 Abs. 2 BErzGG bestimmen können. Denn dieses Wahlrecht setzt die Erfüllung der Anspruchsvorausset-zungen durch jeden der beiden Elternteile voraus. Berechtigt ist also nur derje-nige Elternteil, der u.a. das Kind selbst betreut und erzieht und allenfalls eine Erwerbstätigkeit bis zu 30 Wochenstunden ausübt (§§ 1 Abs. 1, 2 BErzGG). Insoweit sind einer Manipulation durch die Ehegatten aber schon durch die sog. [X.] des Senats Grenzen gesetzt, durch welche die [X.] der neuen Ehegatten im Interesse des [X.]s der [X.] aller minderjährigen Kinder unterhaltsrechtlich nur unter bestimmten Voraussetzungen hinzunehmen ist (vgl. Senatsurteil vom 12. April 2006 aaO). 32 - 15 - IV. 33 Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil die notwendige Neuermittlung des vom [X.]n geschuldeten Unterhalts weitere tatsächliche Feststellungen erfordert. Schon im [X.]punkt der letzten mündli-chen Verhandlung im Juni 2004 durfte das Berufungsgericht seine - dem lau-fenden Unterhalt zu Grunde liegende - Prognose der Einkommensverhältnisse des [X.]n nicht mehr allein auf dessen Einkommen in den Jahren 2001 und 2002 stützen. Denn mit der Klage wird Unterhalt auch für die Zukunft begehrt, weswegen für die Festsetzung des laufenden Unterhalts eine Prognose der künftigen Einkommensverhältnisse unverzichtbar ist. Den Anforderungen an eine möglichst realitätsnahe Prognose tragen die Feststellungen des [X.]s insoweit nicht hinreichend Rechnung, weil sie lediglich die [X.] in den Jahren 2000 bis 2002 berücksichtigen und das [X.] ausklammern. Soweit das Einkommen des [X.]n im [X.]punkt der letzten mündlichen Verhandlung schon konkret feststand, was hier jedenfalls für - 16 - das Jahr 2003 gilt, hätte dieses der Einkommensberechnung und der Progno-seentscheidung für die Folgezeit zu Grunde gelegt werden müssen. [X.] [X.] [X.] Vézina Dose
Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 11.11.2003 - 11 [X.]/01 - [X.], Entscheidung vom 02.07.2004 - [X.] UF 228/03 -

Meta

XII ZR 147/04

21.06.2006

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.06.2006, Az. XII ZR 147/04 (REWIS RS 2006, 3036)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 3036

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZR 197/02 (Bundesgerichtshof)


XII ZR 31/04 (Bundesgerichtshof)


XII ZR 72/06 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 181/14 (Bundesgerichtshof)

Minderjährigenunterhalt: Verstoß gegen die gesteigerte Erwerbsobliegenheit des barunterhaltspflichtigen Elternteils durch Verdoppelung der Bezugsdauer von Elterngeld …


XII ZR 112/05 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.