Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.07.2011, Az. VI R 62/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 4347

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Gegenstand

Unterhaltszahlungen ins Ausland: Erwerbsobliegenheit


Leitsatz

NV: Bei der Prüfung der Bedürftigkeit eines Unterhaltsempfängers im Ausland trifft den Steuerpflichtigen nach § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Sachaufklärungspflicht. Ob der Unterhaltsempfänger seiner Erwerbsobliegenheit nachgekommen ist, ist durch Vorlage von Beweismitteln darzutun, die einen objektivierten Nachweis der Erwerbsbemühungen ermöglichen .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Aufwendungen für den Unterhalt von in [X.] lebenden Angehörigen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33a des Einkommensteuergesetzes i.d.[X.] (EStG) zu berücksichtigen sind.

2

Die Kläger und [X.] (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr (2005) machten sie Unterhaltszahlungen von insgesamt 5.760 € an die in [X.] lebende Mutter der Klägerin sowie den [X.] und die Tochter der Klägerin geltend. Die im Streitjahr 69-jährige Mutter, der 23-jährige [X.] und die 26-jährige Tochter leben dort 50 km von [X.] entfernt in einer [X.] zusammen. In unmittelbarer Nachbarschaft lebt die vierköpfige Familie des Bruders der Klägerin in einer weiteren [X.]. Die Unterhaltszahlungen erfolgten durch drei Überweisungen, am 4. Januar 2005 in Höhe von 5.814,22 € auf das Konto des [X.]es sowie am 9. Mai 2005 in Höhe von 438,53 € und am 18. August 2005 in Höhe von 322,77 € auf das Konto der Mutter der Klägerin.

3

Die Kläger legten Unterhaltsbescheinigungen der [X.] Gemeindebehörde vor, aus denen hervorgeht, dass die Unterhaltsempfänger über keine eigenen Einkünfte oder eigenes Vermögen verfügen und von keinen anderen Personen Unterhaltszahlungen erhalten. Weiter legten sie ein von der Schwester der Klägerin und deren Ehemann unterzeichnetes Schreiben vor, wonach diese keinerlei Unterhaltsleistungen an die Mutter der Klägerin in [X.] erbracht haben. Darüber hinaus brachten die Kläger eine Bescheinigung über ein Universitätsstudium des [X.]es der Klägerin von Juni 2001 bis Juni 2007 sowie weitere von der Gemeindebehörde und den Kindern sowie der Mutter der Klägerin jeweils unterzeichnete Unterhaltserklärungen bei.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) erkannte die Aufwendungen nur an, soweit sie an die Mutter und den [X.] der Klägerin geflossen waren. Die Zahlungen an die Tochter der Klägerin seien nicht zu berücksichtigen, da diese ihrer Erwerbsobliegenheit nicht hinreichend nachgekommen sei. Dafür, dass sie infolge einer Erkrankung, Behinderung, Kinderbetreuung oder Ausbildung hieran gehindert gewesen sei, lägen keine Anhaltspunkte vor. Die Unterhaltszahlungen wurden zudem auf insgesamt sieben Personen aufgeteilt, da der Bruder der Klägerin mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Mutter und den beiden Kindern der Klägerin wohne und ebenfalls bedürftig sei. Die Zahlungen seien einheitlich nach Köpfen aufzuteilen, auch soweit unterhaltene Personen nicht zu den zum Abzug berechtigenden Unterhaltsempfängern gehörten. Insgesamt erkannte das [X.] Unterhaltszahlungen in Höhe von 1.496 € an. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wandten sich die Kläger dagegen mit der Klage.

5

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1514 veröffentlichten Gründen statt. Die Unterhaltszahlungen an die Tochter der Klägerin wurden anerkannt, da typisierend eine Unterhaltsbedürftigkeit zu unterstellen sei. Die Zahlungen wurden lediglich zwischen der Mutter, dem [X.] und der Tochter der Klägerin aufgeteilt, da sie nicht für den Bruder der Klägerin und dessen Familie bestimmt waren.

6

Mit der Revision rügt das [X.] die unzutreffende Anwendung von § 33a EStG. [X.] der Tochter der Klägerin könne nicht im Wege einer typisierenden Betrachtung festgestellt werden, das Erfordernis der Erwerbsobliegenheit sei nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zu prüfen. Nachweise dafür, dass die Tochter der Klägerin ihrer Erwerbsobliegenheit nachgekommen sei, seien nicht erbracht worden.

7

Das [X.] beantragt,

das Urteil des [X.] Düsseldorf vom 30. Juni 2010  15 K 2115/09 E teilweise aufzuheben und die Klage teilweise abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Unrecht die Bedürftigkeit der in [X.] lebenden Tochter der Klägerin im Wege einer typisierenden Betrachtungsweise unterstellt. Allerdings kann der [X.] nicht abschließend entscheiden, ob die Tochter der Klägerin in ausreichendem Maße ihrer Erwerbsobliegenheit nachgekommen ist und damit als unterhaltsberechtigt anzusehen ist.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 7.680 € im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG). Bei Zahlungen nach [X.] mindert sich der Höchstbetrag von 7.680 € auf 1/4, also auf 1.920 € pro unterhaltener Person (vgl. hierzu [X.]-Urteil vom 2. Dezember 2004 [X.]/03, [X.], 531, [X.] 2005, 483 unter Hinweis auf das Schreiben des [X.] vom 17. November 2003 [X.] 2285- 54/03, [X.], 637). Bei Unterhaltszahlungen an Empfänger im Ausland bestimmt § 33a Abs. 1 Satz 5 2. Halbsatz EStG zusätzlich, dass nach inländischen Maßstäben zu beurteilen ist, ob der Steuerpflichtige zum Unterhalt gesetzlich verpflichtet ist. Dies gilt auch im Fall einer Unterhaltspflicht nach ausländischem Recht, wenn die Unterhaltspflicht nach internationalem Privatrecht (im Streitjahr Art. 18 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch) im Inland verbindlich ist. Die Beschränkung der steuerlichen Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen auf die Fälle, in denen Unterhaltspflichten erfüllt werden, die "inländischen Maßstäben" entsprechen, ist insbesondere aus Gründen der Praktikabilität und Missbrauchsabwehr gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG liegt nicht vor (Beschluss des [X.] vom 24. Mai 2005 2 BvR 1683/02, [X.] 2005, Beilage 4, 361).

a) Nach der neuen Rechtsprechung des [X.] (Urteil des erkennenden [X.]s vom 5. Mai 2010 [X.], [X.]E 230, 12, [X.] 2011, 116) knüpft die gesetzliche Unterhaltsberechtigung i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG an die zivilrechtlichen Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs --Anspruchsgrundlage, Bedürftigkeit, [X.] an und beachtet auch die Unterhaltskonkurrenzen (§§ 1606, 1608 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Die Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers i.S. des § 1602 BGB ist daher Voraussetzung für die Annahme einer Unterhaltsberechtigung i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG. Sie kann nicht im Wege einer typisierenden Betrachtungsweise unterstellt werden, sondern ist konkret festzustellen (vgl. zur näheren Begründung Urteil des erkennenden [X.]s in [X.]E 230, 12, [X.] 2011, 116).

b) Die Bedürftigkeit ist beispielsweise gegeben, wenn die unterhaltene Person weder Vermögen hat noch Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit erzielt. Personen im arbeitsfähigen Alter, die die zum Bestreiten des Lebensunterhalts zur Verfügung stehenden Quellen, insbesondere ihre Arbeitskraft nicht ausschöpfen, sind nicht unterstützungsbedürftig. Selbst wenn am Wohnort Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung geherrscht hat, darf daraus nicht ohne nähere Ermittlungen geschlossen werden, die unterstützte Person habe trotz Bemühens keine Arbeitsstätte, zumindest in der Form von Gelegenheitsarbeit, gefunden ([X.]-Urteile vom 20. Januar 1978 VI R 123/77, [X.]E 124, 513, [X.] 1978, 340; vom 13. März 1987 [X.]/82, [X.]E 149, 532, [X.] 1987, 599; vom 18. Juni 1997 [X.], [X.] 1998, 293; [X.]-Beschluss vom 28. Mai 1998 [X.], [X.] 1998, 1352). Den Steuerpflichtigen treffen dabei nach § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) erhöhte Mitwirkungspflichten zur Aufklärung des Sachverhaltes und für die Vorsorge sowie Beschaffung von Beweismitteln ([X.]-Urteil in [X.], 531, [X.] 2005, 483).

2. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben.

a) Entgegen der geänderten Rechtsprechung des [X.]s (vgl. Urteil des erkennenden [X.]s in [X.]E 230, 12, [X.] 2011, 116) hat das [X.] die Unterhaltsbedürftigkeit der Tochter der Klägerin im Wege einer typisierenden Betrachtung bejaht und damit im Ergebnis nicht auf das Bestehen einer konkreten zivilrechtlichen Unterhaltspflicht abgestellt. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben.

b) Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Das [X.] hat zwar einen hinreichenden Nachweis dafür, dass die Tochter der Klägerin im Streitjahr in ausreichendem Maße ihrer Erwerbsobliegenheit nachgekommen ist, als nicht erbracht angesehen. Zu der Überzeugung ist das [X.] jedoch nur "hilfsweise" gelangt, da es die Bedürftigkeit der Tochter der Klägerin typisierend unterstellt hat und damit gerade nicht eine zivilrechtliche Unterhaltspflicht konkret geprüft hat. Letztlich ist nach Überzeugung des [X.]s nicht auszuschließen, dass das [X.] bei einem Abstellen auf eine konkrete zivilrechtliche Unterhaltspflicht weitere Feststellungen getroffen hätte.

Im zweiten Rechtsgang wird das [X.] entsprechende Feststellungen zu treffen und auf deren Grundlage erneut und umfassend zu würdigen haben, ob die Tochter der Klägerin in ausreichendem Maße ihrer Erwerbsobliegenheit nachgekommen ist. Allerdings trifft die Kläger vorliegend gemäß § 90 Abs. 2 [X.] eine erhöhte Sachaufklärungspflicht. Sie haben deshalb nicht nur die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen, sondern auch die ihnen bekannten Beweismittel (§ 81 Abs. 1 Satz 2 [X.]O) zu beschaffen. Angesichts der sich aus § 90 Abs. 2 [X.] ergebenden gesteigerten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen weist der [X.] darauf hin, dass Beweismittel vorgelegt werden müssen, die einen objektivierten Nachweis der Erwerbsbemühungen ermöglichen. Kann dies nicht durch eine entsprechende Bescheinigung der für den jeweiligen Arbeitsmarkt zuständigen ausländischen Behörde geschehen, sind entsprechende Bewerbungsunterlagen vorzulegen.

Meta

VI R 62/10

27.07.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 30. Juni 2010, Az: 15 K 2115/09 E, Urteil

§ 33a Abs 1 EStG 2002, § 33b Abs 3 S 3 EStG 2002, § 90 Abs 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.07.2011, Az. VI R 62/10 (REWIS RS 2011, 4347)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4347

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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