Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 16.07.2020, Az. 1 BvR 1617/20

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 2918

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

RECHTLICHES GEHÖR WAFFENGLEICHHEIT

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Erfolgloser Eilantrag in einer äußerungsrechtlichen Sache - unter Verletzung der prozessualen Waffengleichheit erstrittener Unterlassungstitel begründet keinen schweren Nachteil iSd § 32 Abs 1 BVerfGG, wenn keine weitere Berichterstattung beabsichtigt wird


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Das Verfahren betrifft die Untersagung von Teilen eines Presseartikels im Wege der einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin hatte in dem Artikel über eine angebliche frühere Mitgliedschaft des ehemaligen Vorsitzenden des [X.] der "Alternative für [X.]", [X.] (nachfolgend: Betroffener), im inzwischen verbotenen rechtsextremen Verein "[X.] ([X.])" berichtet und dabei auch einen "Mitgliedsantrag" erwähnt. Auf die Abmahnung hin hatte die Beschwerdeführerin ohne Abgabe einer Unterlassungserklärung den Artikel in der Online-Ausgabe und in der Printversion berichtigt. Der ursprüngliche Bericht über einen Mitgliedsantrag sei falsch. Richtig sei, dass dem [X.] nach eigenen Angaben ein Beleg für die Mitgliedschaft "Familie [X.]" vorliege.

2

Das [X.] gab dem Antrag des Betroffenen des Ausgangsverfahrens, der damit begründet war, dass eine Wiederholungsgefahr durch die Richtigstellung nicht fortgefallen sei, ohne Anhörung der Beschwerdeführerin statt. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihrer prozessualen Waffengleichheit und begehrt unter Verweis auf die Entscheidungen der Kammer in den Verfahren 1 BvR 1246/20 und 1 BvR 1380/20 eine Außerkraftsetzung der Unterlassungsverfügung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 [X.].

3

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.

4

Zwar spricht vieles dafür, dass das [X.] die Beschwerdeführerin nach den in den Verfahren 1 BvR 1783/17 und 1 BvR 1246/20 konkretisierten Maßstäben zur prozessualen Waffengleichheit in äußerungsrechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren vor Erlass der Verfügung hätte einbeziehen müssen. Angesichts der auf die Abmahnung hin vorgenommenen Richtigstellung musste die Beschwerdeführerin nämlich nicht damit rechnen, dass der Betroffene sein Unterlassungsbegehren weiterverfolgen würde. Sie hatte damit keine Gelegenheit, sich zur Frage einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr zu erklären. Ebenso wenig hatte sie Gelegenheit, zur Frage der Dringlichkeit der Entscheidung Stellung zu nehmen. Vielmehr erfuhr sie erst mit der Zustellung des gerichtlichen [X.]s von der Existenz eines Verfügungsantrags der Gegenseite.

5

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dennoch zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin hat keinen grundrechtlich erheblichen schwerwiegenden Nachteil im Sinne des § 32 [X.] dargelegt. Eine solche Darlegung ist auch im Fall offenkundiger Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde erforderlich (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1378/20 -, Rn. 4). Die fortgesetzte Belastung durch einen einseitig erstrittenen [X.] reicht hierzu nicht aus, wenn die Beschwerdeführerin - wie vorliegend - in der Sache nicht durch die Unterlassungsverpflichtung belastet ist. Hier macht die Beschwerdeführerin gerade geltend, dass sie die ihr untersagte Äußerung bereits richtiggestellt habe, sie diese in Zukunft in dieser Form nicht mehr verbreiten wolle und daher ein Unterlassungsanspruch mangels Wiederholungsgefahr nicht bestanden habe. Die Beschwerdeführerin macht damit nicht geltend, dass ihr durch die einstweilige Verfügung eine Berichterstattung unmöglich wird, die sie tatsächlich noch beabsichtigt. Damit fehlt es jedoch an einem schwerwiegenden inhaltlichen Eingriff in ihre [X.], der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich wäre.

6

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1617/20

16.07.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Hamburg, 22. Juni 2020, Az: 324 O 224/20, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 823 Abs 1 BGB, § 1004 BGB, § 937 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 16.07.2020, Az. 1 BvR 1617/20 (REWIS RS 2020, 2918)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2918

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 1617/20 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zum Erfordernis eines besonderen Interesses an der nachträglichen Feststellung eines Verstoßes gegen die prozessuale …


1 BvR 2740/20 (Bundesverfassungsgericht)

Erfolgreicher Eilantrag in einer äußerungsrechtlichen Eilsache: Verletzung des Anspruchs auf prozessuale Waffengleichheit durch Erlass einer …


1 BvR 2708/19 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf prozessuale Waffengleichheit durch Erlass einer einstweiligen Verfügung in einer …


1 BvR 812/22 (Bundesverfassungsgericht)

Erlass einer einstweiligen Anordnung: Verletzung des Anspruchs auf prozessuale Waffengleichheit (Art 3 Abs 1 GG …


1 BvR 249/21 (Bundesverfassungsgericht)

Erfolgreicher Eilantrag wegen Verletzung des Anspruchs auf prozessuale Waffengleichheit in einem äußerungsrechtlichen eV-Verfahren - Darlegung …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.