Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.10.2012, Az. V ZB 238/11

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2398

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Gegenstand

Abschiebungshaftsache: Notwendige Beschwerdeentscheidung bei einer Beschwerde gegen die Haftanordnung oder einem Antrag auf Haftaufhebung verbunden mit einem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung


Leitsatz

Hat ein sich in Abschiebungshaft befindlicher Ausländer die Beschwerde gegen die Haftanordnung nach §§ 58 ff. FamFG oder den Antrag auf Haftaufhebung nach § 426 FamFG zulässigerweise mit dem Antrag analog § 62 FamFG verbunden, festzustellen, dass er durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist, muss das Beschwerdegericht über beide Anträge entscheiden; die Feststellung nach § 62 FamFG wird mit der Aufhebung der Haftanordnung durch das Beschwerdegericht nicht entbehrlich.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] vom 27. September 2011 aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 8. August 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein senegalesischer Staatsbürger, hielt sich auf Grund einer ihm befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis zur Durchführung eines Studiums in [X.] auf. Im November 2009 wurde eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und der Betroffene unter Androhung seiner Abschiebung in den [X.] aufgefordert, das [X.] bis zum 31. Dezember 2009 zu verlassen. Der Betroffene, der seitdem nicht auffindbar war, wurde im August 2011 bei einer Verkehrskontrolle festgenommen; anschließend ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) Abschiebungshaft gegen ihn an.

2

Der Betroffene hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, verbunden mit dem Antrag auf Feststellung, durch ihn in seinen Rechten verletzt zu sein. Das [X.] hat mit Beschluss vom 6. September 2011 die Haftanordnung aufgehoben und die unverzügliche Entlassung des Betroffenen aus der Haft angeordnet, über den Feststellungsantrag jedoch nicht entschieden. Den danach von dem Betroffenen erneut gestellten Feststellungsantrag hat es mit Beschluss vom 27. September 2011 als unzulässig zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, der Feststellungsantrag sei mangels [X.] unzulässig, da bereits in dem auf die Beschwerde ergangenen Beschluss ausgesprochen worden sei, dass die Abschiebungshaft wegen Fehlens des erforderlichen Einvernehmens der Staatsanwaltschaft (§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) nicht hätte angeordnet werden dürfen. Von daher verstehe es sich von selbst, dass der Betroffene durch den Beschluss des Amtsgerichts in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden sei. Die erstrebte Feststellung würde die Rechtsposition des Betroffenen nicht stärken, da die Entscheidung über die Beschwerde bereits die Feststellung enthalte, dass die Haftanordnung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Diese Feststellung sei auch in einem möglichen Amtshaftungsprozess bindend.

III.

4

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG i.V.m. mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - [X.], [X.] 210, 150, 151 Rn. 9 f.) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

1. Das Beschwerdegericht hat den Antrag des Betroffenen, analog § 62 FamFG die Rechtswidrigkeit des die Abschiebungshaft anordnenden Beschlusses des Amtsgerichts festzustellen, zu Unrecht als unzulässig verworfen.

6

a) Bei rechtswidrigen Freiheitsentziehungen ist ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an der richterlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft anzuerkennen, das weder von dem Ablauf des Verfahrens noch von dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme abhängt (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - [X.], [X.] 2011, 39 Rn. 12). Hat ein sich in Abschiebungshaft befindlicher Ausländer die Beschwerde gegen die Haftanordnung nach §§ 58 ff. FamFG oder den Antrag auf Haftaufhebung nach § 426 FamFG zulässigerweise mit dem Antrag analog § 62 FamFG verbunden, festzustellen, dass er durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - [X.], [X.] 2011, 39 Rn. 13 und vom 26. Mai 2011 - [X.], Rn. 16, juris), muss das Beschwerdegericht über beide Anträge entscheiden.

7

Die Anträge verfolgen nicht dasselbe Rechtsschutzziel. Ziel einer Beschwerde gegen die Haftanordnung oder eines Antrags auf Haftaufhebung ist die Beseitigung der Freiheitsentziehung. Ziel des [X.] ist die Rehabilitierung des Betroffenen in Bezug auf den mit der Haftanordnung verbundenen Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens (Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - [X.] 314/10, [X.] 2012, 44, 45 Rn. 14). Den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz bei Freiheitsentziehungen (Art. 19 Abs. 4 i.V.m. Art 2 Abs. 2 Satz 2 GG) wird bei unrechtmäßigen Inhaftierungen nur entsprochen, wenn dem [X.] umfassend Rechnung getragen wird (vgl. [X.] 104, 202, 235). Vor diesem Hintergrund ist auf einen Antrag des Betroffenen, die Verletzung seiner Rechte durch die Inhaftierung auch dann auszusprechen, wenn das Beschwerdegericht mit der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Haftanordnung die Freiheitsentziehung beendet.

8

b) Darüber hinaus sind die Ausführungen des [X.] zur Bindungswirkung seiner Entscheidung bei einer von dem Betroffenen geltend gemachten Haftentschädigung in der Sache nicht richtig.

9

An die Entscheidung des [X.] ist das über eine Haftentschädigung nach Art. 5 Abs. 5 [X.] entscheidende Gericht nur insoweit gebunden, als es in jenem Verfahren davon ausgehen muss, dass die Haftanordnung in dem Beschwerdeverfahren aufgehoben wurde (vgl. [X.], Urteil vom 11. Februar 1988 - [X.], [X.]Z 103, 242, 245). Dass die Haft von Beginn an rechtswidrig war, steht dagegen nur dann fest, wenn das Beschwerdegericht auch dies gemäß § 62 FamFG im Tenor festgestellt hat (vgl. [X.], Urteil vom 18. Mai 2006 – [X.], [X.], 960, 961 Rn. 7). An die Gründe eines die Haftanordnung aufhebenden Beschlusses ist das über eine Entschädigung befindende Gericht dagegen nicht gebunden, auch wenn es sich in der Regel daran orientieren wird (vgl. [X.], [X.] 2009, 28). Da das aber nicht so sein muss und der Hinweis auf die [X.] deswegen mit Unsicherheiten behaftet ist, hat der Betroffene ein berechtigtes Interesse daran, dass die Rechtsverletzung durch das Beschwerdegericht in einer auch für andere Verfahren und Gerichtsbarkeiten bindenden Form festgestellt wird.

2. In der Sache ist der Feststellungsantrag begründet, da - wie in der Entscheidung über die Beschwerde ausgeführt - die Abschiebungshaft wegen des Fehlens des nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens notwendigen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung (§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) nicht hätte angeordnet werden dürfen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 [X.], Art. 5 [X.]. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 [X.]. Der [X.] hat - soweit über die Kosten bereits im nicht angefochtenen Beschluss des [X.]s vom 6. September 2011 entschieden worden ist - lediglich klarstellende Bedeutung.

[X.]                                           Schmidt-Räntsch

                                Czub                                                Kazele

Meta

V ZB 238/11

11.10.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Stade, 27. September 2011, Az: 9 T 98/11

§ 58 FamFG, §§ 58ff FamFG, § 62 FamFG, § 426 FamFG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 19 Abs 4 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.10.2012, Az. V ZB 238/11 (REWIS RS 2012, 2398)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2398

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