Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.09.2019, Az. 3 StR 341/19

3. Strafsenat | REWIS RS 2019, 3532

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Gegenstand

(Maßgeblicher Zeitpunkt für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung)


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 20. Februar 2019 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten mit Urteil vom 10. August 2017 der Beihilfe zu drei tateinheitlichen Fällen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zu zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung und mit Beihilfe zur Sachbeschädigung sowie der Bildung bewaffneter Gruppen schuldig gesprochen, hierfür eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Noch am [X.] war diese Verurteilung rechtskräftig geworden.

2

Auf die Revision eines Mitangeklagten hat der Senat mit Urteil vom 14. Juni 2018 (3 StR 585/17) das landgerichtliche Urteil, soweit es den Angeklagten betraf, im Schuldspruch dahin geändert, dass er der Beihilfe zu zwei tateinheitlichen Fällen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zu zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung, mit Beihilfe zur Sachbeschädigung sowie mit Bildung bewaffneter Gruppen schuldig ist, und es im Strafausspruch aufgehoben.

3

Nunmehr hat das [X.] aufgrund des vom Senat geänderten Schuldspruchs auf eine Freiheitsstrafe von elf Monaten erkannt und diese mit der vom [X.] mit Urteil vom 14. November 2017 festgesetzten Einzelstrafe nach Auflösung der dortigen Gesamtstrafe auf eine (unbedingte) Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat zurückgeführt und hierauf vom Angeklagten als Bewährungsauflage geleistete Zahlungen mit 30 Tagen angerechnet. Dagegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

4

Der näheren Betrachtung bedarf allein der Ausspruch über die Gesamtstrafe einschließlich der Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung:

5

1. Das [X.] hat zu Recht gemäß § 55 StGB nachträglich auf eine Gesamtstrafe erkannt.

6

Die Voraussetzungen dieser Norm lagen im Urteilszeitpunkt erstmalig vor: Noch bevor der Senat das erste Urteil des [X.]s im Strafausspruch aufgehoben hat, hatte das [X.] den Angeklagten am 14. November 2017 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (Tatzeit: 21. Juli 2017) unter Einbeziehung der - damals rechtskräftigen - Einzelstrafen aus dem landgerichtlichen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, wobei es für das [X.] eine Freiheitsstrafe von vier Monaten festgesetzt hatte. Auf die Berufung des Angeklagten hatte das [X.] München II am 10. Januar 2018 den Strafausspruch dahin geändert, dass die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden war. Diese Verurteilung ist mittlerweile rechtskräftig.

7

Zur Zeit der der Verkündung des angefochtenen Urteils vorausgegangenen letzten Tatsachenverhandlung lagen sämtliche Voraussetzungen des § 55 StGB vor. Für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Sachentscheidung zur Schuld- oder Straffrage maßgebend, auch wenn eine Sache nach (teilweiser) Aufhebung einer ersten Verurteilung vom Revisionsgericht zurückverwiesen worden ist (s. [X.], Beschluss vom 19. Februar 2014 - 2 StR 558/13, [X.], 242, 243; ferner [X.], Beschluss vom 22. Februar 2012 - 4 StR 22/12, [X.], 7; [X.], StGB, 66. Aufl., § 55 Rn. 37 f.). Lediglich für den [X.] einer für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung in Betracht kommenden Vorstrafe gilt Abweichendes. Diesbezüglich ist auf den Zeitpunkt des früheren, in der Revisionsinstanz (teil-)aufgehobenen Urteils abzustellen, sollte die Strafe später vollstreckt worden sein. Denn dem Angeklagten soll durch sein Rechtsmittel nicht der einmal erlangte Rechtsvorteil der nachträglichen Gesamtstrafenbildung genommen werden (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschlüsse vom 5. Juli 2011 - 3 [X.], juris Rn. 5; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 245/18, juris Rn. 9 mwN).

8

2. Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung erweist sich ebenso wie die Bemessung der Gesamtstrafe als frei von Rechtsfehlern.

9

a) Für die nach § 56 Abs. 1 StGB zu treffende Prognose kommt es auf den für das aktuelle Urteil maßgebenden Zeitpunkt an; dies gilt auch im Fall einer nachträglich zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe (s. [X.], Urteil vom 9. Juli 2003 - 2 [X.], [X.]R StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 33; vgl. auch § 58 Abs. 2 StGB).

Die Strafkammer hat bei ihrer Prognoseentscheidung namentlich die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Vorleben und seine Lebensverhältnisse, die Umstände der den einbezogenen Strafen zugrundeliegenden Taten sowie die zu erwartenden Wirkungen eines Strafvollzugs auf ihn berücksichtigt. Erhebliche Bedeutung hat sie dabei dem Verhalten beigemessen, das der Angeklagte "im Rahmen des Bewährungsverfahrens" aufgrund der Verurteilung durch das [X.] vom 14. November 2017 i.V.m. dem Urteil des [X.]s München II vom 10. Januar 2018 zeigte. So handelte er wiederholt ihm erteilten Weisungen zuwider und entzog sich der Aufsicht und Leitung seiner Bewährungshelferin. Im Wege der gebotenen Gesamtwürdigung ist die Strafkammer zur Überzeugung gelangt, dass ihm insbesondere wegen dieser neuen Umstände gegenwärtig keine günstige Kriminalprognose mehr gestellt werden kann ([X.] ff.). Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.

b) Das Verbot der reformatio in peius nach § 358 Abs. 2 Satz 1 [X.] steht der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung nicht entgegen. Das [X.] durfte eine unbedingte Gesamtfreiheitsstrafe verhängen, obwohl vormals in dem - vom Senat teilaufgehobenen - Urteil vom 10. August 2017 die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt war. Dies fügt sich stimmig in bestehende Rechtsprechung ein:

Das Tatgericht darf grundsätzlich nicht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Urteil absehen und sie dem Beschlussverfahren nach § 460 [X.] überlassen; vielmehr ist die Anwendung des § 55 StGB zwingend. Das gilt auch für das Tatgericht, das nach vom Revisionsgericht angeordneter (teilweiser) Aufhebung und Zurückverweisung mit der Sache befasst ist (s. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2012 - 4 StR 22/12, [X.], 7). Für das Nachverfahren gemäß § 460 [X.] gilt, dass auch dann eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht kommt, wenn in die Gesamtstrafe ausschließlich Freiheitsstrafen einbezogen sind, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt waren (s. [X.], Beschluss vom 3. Juli 1981 - StB 31/81, [X.]St 30, 168, 170; ferner LR/Graalmann-Scheerer, [X.], 26. Aufl., § 460 Rn. 38 f.; [X.]/[X.], [X.], 62. Aufl., § 460 Rn. 17, jeweils mwN). Was indes dem Tatgericht im [X.] erlaubt ist, kann ihm im Fall der - vorrangigen - Entscheidung durch Urteil nicht verwehrt sein (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Juli 2010 - 1 [X.], [X.]St 55, 220, 228 Rn. 36).

Hinzu kommt, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung in dem (teil-)aufgehobenen früheren Urteil die Anwendung des § 55 StGB ebenso wenig hindert, wenn die neu zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe nicht mehr aussetzungsfähig ist (s. [X.], Urteil vom 12. Januar 1993 - 5 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Einbeziehung 2; Beschluss vom 22. November 2001 - 1 [X.], juris Rn. 2; KK-Gericke, [X.], 8. Aufl., § 358 Rn. 19).

Gericke     

        

Berg     

        

Hoch   

        

Anstötz     

        

Erbguth     

        

Meta

3 StR 341/19

17.09.2019

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München II, 20. Februar 2019, Az: 11 Js 32746/15 - 2 KLs (2)

§ 55 Abs 1 S 2 StGB, § 56 Abs 1 StGB, § 358 Abs 2 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.09.2019, Az. 3 StR 341/19 (REWIS RS 2019, 3532)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3532

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