Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.07.2021, Az. V B 34/20

5. Senat | REWIS RS 2021, 4375

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Gegenstand

Belegnachweis beim Vorsteuerabzug


Leitsatz

1. NV: Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO ist anzunehmen, wenn in Bezug auf einen wesentlichen Streitpunkt die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.

2. NV: § 15 UStG enthält neben der Rechnung keine belegartig zu erfüllenden Voraussetzungen. Daher führt die Verletzung einkommensteuerrechtlicher Aufzeichnungspflichten zu keinem Vorsteuerabzugsverbot, da eine Einschränkung des Vorsteuerabzugs wegen nicht eingehaltener Formvorschriften für den Nachweis von Betriebsausgaben im Ertragsteuerrecht für den Bereich der Umsatzsteuer unionsrechtswidrig ist. Dies ist auch für das Fahrtenbuch als sog. Belegnachweis i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG zu beachten.

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 17.06.2020 - 3 K 168/18 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist als Einzelunternehmer Sachverständiger für ... . Im [X.] an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) insbesondere davon aus, dass der Vorsteuerabzug aus Leasingraten für einen [X.] aufgrund einer überwiegenden Privatmotivation auf einen angemessenen Betrag von 1/3 zu kürzen sei, zumal mit einem [X.] ein weiteres unternehmerisch genutztes Fahrzeug vorhanden gewesen sei. Zu berücksichtigen sei dabei auch die geringe Fahrleistung des [X.]. Es ergingen [X.] für die Streitjahre 2011 bis 2013.

2

Im [X.] an seinen Einspruch erhob der Kläger Untätigkeitsklage. Die Einspruchsentscheidung erging erst während des finanzgerichtlichen Verfahrens.

3

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage nur insoweit statt, als es eine Kürzung des Vorsteuerabzugs wegen Unangemessenheit nach § 15 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ablehnte.

4

In Bezug auf die geleasten Fahrzeuge ([X.] und [X.]) ging das [X.] von einer nur teilweisen unternehmerischen Nutzung aus. Der unternehmerische Nutzungsanteil sei zu schätzen. Fahrtenbücher seien nicht mehr vorhanden. Die vom [X.] angefertigten Kopien seien von schlechter Qualität. Die vom Kläger in Kopie vorgelegten Fahrtenbücher seien mangels Lesbarkeit nicht als Nachweis geeignet. Zwar sei die Handschrift in den vom Kläger für beide Fahrzeuge vorgelegten Kopien im Gegensatz zu den vom [X.] angefertigten Kopien optisch hinreichend gut erkennbar. Dabei könne es offenbleiben, ob der Kläger die Originale der beim [X.] eingereichten Fahrtenbücher nicht vorlegen könne, da er sie nicht zurückerhalten habe. Die vom [X.] als Zeugin vernommene Betriebsprüferin habe hierzu ausgesagt, dass sie nicht mehr genau sagen könne, ob sie die Fahrtenbücher zurückgegeben habe. Maßgeblich sei, dass die Handschrift des [X.] in den vorgelegten Kopien für das [X.] nicht lesbar sei. Dass der Kläger vorgebe, seine Aufzeichnungen selbst lesen zu können, genüge zum Nachweis gegenüber dem [X.] nicht. Die sog. 1 %-Methode sei nicht anzuwenden. Daher sei durch das [X.] zu schätzen. Es sei von einem Umfang der Privatnutzung von 50 % auszugehen, wofür die frühere Regelung in § 15 Abs. 1b UStG i.d.F. des [X.] 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 ([X.], 402, BStBl I 1999, 304) --UStG a.F.-- spreche.

5

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, die er auf die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und auf Verfahrensfehler stützt.

Entscheidungsgründe

II.

6

Die Beschwerde des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das Urteil des [X.] leidet an einem vom Kläger zu Recht gerügten Verfahrensmangel, auf dem es beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O), da es nicht mit Gründen versehen ist (§ 119 Nr. 6 [X.]O).

7

1. Nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 [X.]O muss ein finanzgerichtliches Urteil Entscheidungsgründe enthalten. Fehlt es hieran, ist das Urteil als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (§ 119 Nr. 6 [X.]O).

8

a) Eine Entscheidung ist nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) nicht mit Gründen versehen, wenn sie nicht erkennen lässt, welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen für sie maßgeblich waren (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom [X.], [X.]/NV 2021, 31).

9

Der Begründungszwang bezweckt, die Prozessbeteiligten über die das Urteil tragenden Erkenntnisse und Überlegungen des Gerichts zu unterrichten. Dabei muss das [X.] zwar nicht auf alle Einzelheiten des Sachverhalts und auf jede von den Beteiligten angestellte Erwägung näher eingehen. Ein Urteil enthält aber keine hinreichenden Entscheidungsgründe, wenn das [X.] einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergeht oder einen bestimmten [X.] überhaupt nicht berücksichtigt ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2021, 31).

Ein wesentlicher Verfahrensmangel [X.] des § 119 Nr. 6 [X.]O ist somit dann anzunehmen, wenn dem Kläger in Bezug auf einen wesentlichen Streitpunkt die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dagegen liegt kein derartiger Verfahrensmangel vor, wenn noch zu erkennen ist, welche Feststellungen und Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren ([X.]-Beschlüsse vom 21.07.2017 - X B 167/16, [X.]/NV 2017, 1447; vom 08.05.2018 - XI B 5/18, [X.]/NV 2018, 958, und in [X.]/NV 2021, 31).

b) Im Streitfall hat das angefochtene Urteil ein selbständiges Angriffs- und Verteidigungsmittel des [X.] zur Frage einer privaten Mitnutzung der beiden Fahrzeuge übergangen. Der Kläger hatte geltend gemacht, die beiden Fahrzeuge ([X.] und [X.]) insbesondere im Hinblick auf einen privat gehaltenen [X.] ausschließlich unternehmerisch genutzt zu haben. Dem Urteil des [X.] ist nicht zu entnehmen, auf welcher Grundlage es dennoch von einer privaten Mitverwendung ausgegangen ist. Aus dem Urteil ergibt sich nicht, welche Feststellungen und Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren, eine private Mitverwendung, die auch Voraussetzung für die Anwendung von § 15 Abs. 1b UStG a.F. war, dem Grunde nach anzunehmen. Es enthält auch keine Ausführungen dahingehend, dass das angenommene Fehlen eines anzuerkennenden Fahrtenbuchs bereits für sich allein auch im Umsatzsteuerrecht die Vermutung einer privaten Mitverwendung beider Fahrzeuge rechtfertigt (s. hierzu auch nachstehend unter 2.).

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Fahrtenbücher unstreitig beim [X.] eingereicht hatte, während sich der weitere Verbleib der Fahrtenbücher nicht aufklären lässt, so dass von einem Verlust im Verantwortungsbereich des [X.] auszugehen ist.

c) Das Fehlen von Entscheidungsgründen [X.] von § 105 Abs. 2 Nr. 5 [X.]O ist ein Verfahrensmangel, auf dem das [X.]-Urteil beruhen kann (§ 119 Nr. 6 [X.]O). Dies stellt für sich allein eine Verletzung von Bundesrecht dar und führt grundsätzlich unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2021, 31). Eine Ausnahme hiervon lässt die Rechtsprechung nur zu, wenn ein übergangenes Angriffs- oder Verteidigungsmittel zur Begründung oder zur Abwehr des Angriffs ungeeignet war und eine erneute Entscheidung des [X.] deshalb nur zu einer Bestätigung des Urteils führen könnte ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2021, 31). Um einen solchen Sachverhalt handelt es sich im Streitfall indes nicht (s. hierzu nachstehend unter 2.).

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass § 15 UStG neben der Rechnung keine belegartig zu erfüllenden Voraussetzungen enthält. Der Senat hat in diesem Zusammenhang bereits entschieden, dass die Verletzung einkommensteuerrechtlicher Aufzeichnungspflichten zu keinem Vorsteuerabzugsverbot führt, da eine Einschränkung des Vorsteuerabzugs wegen nicht eingehaltener Formvorschriften für den Nachweis von Betriebsausgaben im Ertragsteuerrecht für den Bereich der Umsatzsteuer unionsrechtswidrig ist ([X.]-Urteil vom 13.12.2018 - V R 52/17, [X.]E 263, 381, BStBl II 2019, 345). Dies ist auch für das Fahrtenbuch als sog. Belegnachweis [X.] des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes von Bedeutung.

Im zweiten Rechtsgang wird es daher darauf ankommen, ob das [X.] zu der tatrichterlichen Überzeugung kommt, dass der Steuerpflichtige seine "Unternehmens-PKWs" zumindest nicht nahezu ausschließlich für eigene unternehmerische Zwecke genutzt hat. Dabei kann zwar --im Einzelfall-- im Rahmen eines Anscheinsbeweises davon auszugehen sein, dass ein Kfz typischerweise nicht nur vereinzelt und gelegentlich für private Zwecke genutzt wird, so dass es dann Sache des Steuerpflichtigen ist, einen derartigen Anscheinsbeweis durch geeigneten Sachvortrag zu erschüttern oder zu entkräften. Die Frage, ob die Entkräftung des für eine private [X.] sprechenden Anscheinsbeweises im Streitfall gelungen ist oder nicht, hat das [X.] aber aufgrund einer umfassenden Beweiswürdigung als Tatsachengericht zu klären (vgl. [X.]-Beschluss vom 30.11.2007 - V B 58/07, juris). Für die Entkräftung dieses Anscheinsbeweises bedarf es dabei nicht des Beweises des Gegenteils. Es genügt vielmehr, dass ein Sachverhalt dargelegt wird, der die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs ergibt. Allerdings wird der Anscheinsbeweis privater Mitbenutzung nicht durch die bloße Behauptung des Steuerpflichtigen entkräftet, ein PKW, für den der Vorsteuerabzug beansprucht wird, werde nicht für Privatfahrten genutzt oder Privatfahrten würden ausschließlich mit anderen Fahrzeugen durchgeführt. An der erforderlichen Beweiswürdigung ([X.]-Beschluss vom 16.06.2009 - V B 131/08, [X.]/NV 2009, 1678) fehlt es bislang.

Dabei ist der Verlust des vom Steuerpflichtigen geführten Fahrtenbuches im Machtbereich des [X.] ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass von einer Unlesbarkeit von Handschriften in Kopien nicht zwingend auf die Unlesbarkeit der Handschrift im Original zu schließen ist.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V B 34/20

02.07.2021

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 17. Juni 2020, Az: 3 K 168/18, Urteil

§ 116 Abs 6 FGO, § 119 Nr 6 FGO, § 15 UStG 2005, § 6 Abs 1 Nr 4 S 3 EStG 2009, UStG VZ 2011, UStG VZ 2012, UStG VZ 2013, EStG VZ 2011, EStG VZ 2012, EStG VZ 2013

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.07.2021, Az. V B 34/20 (REWIS RS 2021, 4375)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4375

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