Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 09.11.2011, Az. 1 BvR 461/08

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2011, 1625

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Zu den Anforderungen des Art 5 Abs 1 S 1 GG an die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Verbreitens" im Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs 2 Nr 1 Buchst a StGB) - hier: Weitergabe einer Schrift iSd § 130 Abs 5, Abs 2 Nr 1 Buchst a StGB an einzelnen bestimmten Dritten ohne Anhaltspunkte für Weiterverbreitung - Gegenstandswertfestsetzung auf 8000 Euro


Tenor

Das Urteil des [X.] vom 10. April 2007 - 101 Js 50935/06 - 5 Ns - und der Beschluss des [X.]vom 14. Januar 2008 - 1 Ss 249/07 (243) - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Damit wird der Beschluss des [X.] vom 11. Februar 2008 - 1 Ss 249/07 (243) - gegenstandslos.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Der im Jahre 1924 geborene Beschwerdeführer [X.]det sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3, Abs. 5 StGB durch das Verbreiten von Schriften.

I.

2

1. Am 15. April 2005 besuchte der Beschwerdeführer die Gaststätte "[X.]" in der Gemeinde [X.] Während des Besuchs wurde in der Gaststätte auf dem Nachrichtenkanal ntv eine Dokumentation über den [X.] gezeigt. Der Beschwerdeführer ereiferte sich laut über den [X.], dessen Folgen und die Umstände der Verursachung.

3

Am 17. April 2005 suchte der Beschwerdeführer die Gaststätte erneut auf. Allein der Gastwirt war zu dem Zeitpunkt in der Gaststube anwesend. Der Beschwerdeführer verwickelte ihn in ein Gespräch über die Geschehnisse in [X.] während des "[X.]". Dabei übergab der Beschwerdeführer dem Gastwirt in einer Mappe Informationsmaterial in Form von zwei [X.] ("Trauermarsch anlässlich des 60. Jahrestages der Bombardierung [X.]" und "Trauermarsch anlässlich des 60. Jahrestages der Zerstörung [X.]"), die der Beschwerdeführer in der Vergangenheit öffentlich gehalten hatte, sowie jeweils eine Kopie mehrerer Aufsätze des "[X.] gegen Unterdrückung der Wahrheit in [X.]", darunter "Die Geschichtslüge des angeblichen Überfalls auf [X.] im Jahre 1939" und "Über die verantwortlichen Staatsmänner, die den [X.] verursachten und die ihn zu verhindern suchten". Im erstgenannten Aufsatz wird unter anderem im Zusammenhang mit dem [X.] behauptet, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass es keine Gaskammern für Menschen gegeben habe. Im zweitgenannten Aufsatz wir der [X.] an den [X.] als "Zwecklüge" bezeichnet.

4

2. Mit Urteil vom 28. Juni 2006 verurteilte das [X.], Zweigstelle [X.], den Beschwerdeführer aufgrund der Geschehnisse vom 15. und vom 17. April 2005 wegen Volksverhetzung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 40,00 [X.].

5

3. Auf Berufung des Beschwerdeführers änderte das [X.] mit angegriffenem Urteil vom 10. April 2007 das Urteil des [X.]dahingehend ab, dass es den Beschwerdeführer gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3, Abs. 5 StGB wegen Volksverhetzung in nur mehr einem Fall (Geschehen vom 17. April 2011) zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 35,00 [X.] verurteilte und ihn im Übrigen (Geschehen vom 15. April 2011) aus tatsächlichen Gründen [X.].

6

Grundlage der Verurteilung wegen des Geschehens vom 17. April 2005 bildeten - wie auch bereits bei der Verurteilung durch das Amtsgericht - die Aussagen, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass es keine Gaskammern für Menschen gegeben habe, und der [X.] an den [X.] sei eine Zwecklüge.

7

In der Würdigung der Beweisaufnahme führte das [X.] insbesondere Folgendes aus:

8

In der mündlichen Verhandlung habe er sich noch daran erinnert, dass der Gastwirt nicht nur sprachlich sehr unbeholfen gewesen sei, sondern auch über keinerlei geschichtliches Wissen, insbesondere über die [X.] sowie über den [X.] und seine Ursachen, verfügt habe; deswegen habe er ihm Informationsmaterial ausgehändigt. Der Gastwirt habe als Zeuge ausgesagt, dass er den Beschwerdeführer an beiden Tagen habe reden lassen und ihm nicht entgegengetreten sei. Der Beschwerdeführer habe ihm die Unterlagen bei einem der beiden Besuche ausgehändigt, damit er sich über die - angeblich - tatsächlich ereigneten historischen Geschehnisse informiere. Er habe die Unterlagen entgegengenommen und sie später auf Anraten seines Bruders der Polizei übergeben und den Vorgang zur Anzeige gebracht, um sich nicht selbst der strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Dass (darüberhinaus) der Beschwerdeführer tatsächlich die Schriftstücke nicht nur dem Gastwirt habe übergeben wollen, um diesen über die angeblich wahren Geschehnisse in der [X.] und im [X.] aufzuklären, sondern dass er es auch für ernstlich möglich hielt, dass diese Schriftstücke einem Personenkreis weitergegeben würden, folge aus dem konkreten Umstand, dass er sie einem Gastwirt übergeben habe, der Zugang zu einem größeren Publikum, nämlich seinen Gästen, habe. Auch [X.]n die Gaststätte in den [X.] [X.]ig frequentiert gewesen sei, so sei doch allgemein bekannt, dass Lokale wie die "[X.]" keine reinen [X.] seien, sondern auch [X.] hätten, und daher insbesondere in den Abendstunden von Leuten frequentiert würden, die sich nur unterhalten und etwas trinken wollten. Die Kammer sei daher davon überzeugt, dass der Beschwerdeführer, der auch heute noch ersichtlich ein glühender Verfechter der [X.] Ideologie und Geschichtsfälschung sei, mit der Hingabe der Schriftstücke an den Gastwirt habe erreichen wollen, dass dieser sie zum Beispiel durch Auslegen im Gastraum weiteren Personen zugänglich mache und ihnen bei Interesse auch übergebe. Dass der Beschwerdeführer den Gastwirt habe überzeugen wollen, folge daraus, dass er in der Gaststätte sowohl am 15. April 2005 als auch am 17. April 2005 ungefragt seine Meinung zu den Geschehnissen kundgetan habe. Da der Gastwirt den Ausführungen nicht Einhalt geboten habe, sei der Beschwerdeführer ersichtlich davon ausgegangen, dass seine Ausführungen auf fruchtbaren Boden gefallen seien, weshalb er sodann das Informationsmaterial bei seinem nächsten Besuch am 17. April 2005 mitgebracht und dem Gastwirt ausgehändigt habe in der Erwartung, [X.]n er diesen einmal überzeugt habe, würde er schon für die weitere Verteilung der Unterlagen sorgen.

9

Rechtlich ging die Kammer davon aus, dass eine Schrift verbreite, wer sie einem größeren Personenkreis zugänglich mache. Entscheidend sei hingegen nicht, aus wie vielen Personen der Kreis bestehe, dem die Schrift tatsächlich übergeben werde, sondern dass der Täter diesen Personenkreis in Bezug auf eine Weitergabe der Schrift nicht kontrollieren könne. Dies sei - vgl. [X.], Beschluss vom 23. Juni 2003 - 1 [X.]/03 -, NStZ 2004, [X.] ff. - dann der Fall, [X.]n mit einer Weitergabe einzelner Exemplare an andere Personen zu rechnen sei. Dieser Fall liege hier vor. Dass zu dem Zeitpunkt der Übergabe außer dem Gastwirt keine weiteren Personen in der Gaststube gewesen seien, sei unerheblich. Entscheidend sei nur, dass der Beschwerdeführer dem Gastwirt die Schriften übergeben habe und er es nicht mehr unter Kontrolle gehabt habe, ob und gegebenenfalls an [X.] der Gastwirt sodann diese Schriften weiterleite. Es komme nicht darauf an, ob die Weitergabe in der Öffentlichkeit oder in einer Versammlung geschehen sei. Der Beschwerdeführer habe eine Verbreitung der übergebenen Schriften mithin zumindest billigend in Kauf genommen. In den verbreiteten Schriften werde auch der [X.] geleugnet. Dieses Leugnen des [X.] sei geeignet gewesen, insbesondere ein aufnahmebereites Publikum aufzuhetzen und damit friedensstörend zu wirken, was der Beschwerdeführer in Kenntnis des Inhalts seiner Schriften ebenfalls zumindest billigend in Kauf genommen habe.

4. Die Revision des Beschwerdeführers verwarf das [X.] mit angegriffenem Beschluss vom 14. Januar 2008 als unbegründet.

Das [X.] habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Sachverhalt das Tatbestandsmerkmal des Verbreitens gemäß [ref=[X.]-9f1e-4cb0-96a4-9381dd9bdbf0]§ 130 Abs. 2 Nr. 1a [X.]] erfülle.

5. Mit weiterem, ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 11. Februar 2008 verwarf das [X.] auch die daraufhin erhobene Anhörungsrüge und Gegenvorstellung des Beschwerdeführers.

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer - unter anderem - eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

7. Es wurde dem [X.] des [X.] und dem [X.] Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der [X.] verzichtete auf eine Stellungnahme. Das [X.] des [X.] nahm insoweit Stellung, als es die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich mittelbar auch gegen § 130 Abs. 3 StGB [X.]det, für unsubstantiiert erachtet. Ferner wurde der [X.] gebeten, zum Tatbestandsmerkmal des "Verbreitens" aus seiner Sicht Stellung zu nehmen. Er hat von einer über die bekannte Rechtsprechung hinausgehenden Stellungnahme abgesehen.

II.

1. Soweit der Beschwerdeführer rügt, durch das angegriffene Urteil des [X.]s und den angegriffenen Beschluss des [X.]s vom 14. Januar 2008 in seinen Rechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt zu sein, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c [X.]). Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen der Reichweite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bei der strafrechtlichen Beurteilung von Meinungsäußerungen hat das [X.] bereits entschieden (vgl. [X.] 7, 198 <207 ff.>; 61, 1 <7 ff.>; 90, 1 <14 ff.>; 90, 241 <246 ff.>; 93, 266 <289 ff.>; 124, 300 <320 ff.>).

a) Das Urteil des [X.]s und der Beschluss des [X.]s vom 14. Januar 2008 verletzen den Beschwerdeführer danach in seiner durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit.

aa) Gegenstand des Schutzbereiches des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des [X.] geprägte Äußerungen (vgl. [X.] 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden (vgl. [X.] 90, 241 <247>; 124, 300 <320>). Dementsprechend fällt selbst die Verbreitung [X.] Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus (vgl. [X.] 124, 300 <320 f.>).

Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aber auch [X.] umfasst, da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können (vgl. [X.] 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können (vgl. [X.] 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, [X.]n dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. [X.] 61, 1 <9>; 90, 241 <248>).

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt es insbesondere den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen ergeben. Darunter sind alle Gesetze zu verstehen, die nicht eine Meinung als solche verbieten, sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen (vgl. [X.] 7, 198 <209>; 93, 266 <291>). Darüberhinaus hat das [X.] eine Ausnahme vom Erfordernis der Allgemeinheit meinungsbeschränkender Gesetze für Vorschriften (im konkreten Fall: § 130 Abs. 4 StGB) anerkannt, die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der [X.] Gewalt- und Willkürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 zielen (vgl. [X.] 124, 300 <328 ff.>).

Bei Auslegung und An[X.]dung der die Meinungsfreiheit einschränkenden Vorschriften haben die Gerichte jedoch im Einzelfall ihrerseits wiederum dem eingeschränkten Grundrecht Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung, die in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen führen muss, auch auf der Rechtsan[X.]dungsebene gewahrt bleibt. Zwischen Grundrechtsschutz und Grundrechtsschranken findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich [X.] ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzender Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (vgl. [X.] 7, 198 <208 f.>; [X.] 124, 300 <332 u. 342>). Allein die Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit von Meinungen als solche ist kein Grund, diese zu beschränken. Demgegenüber ist es legitim, [X.]zu unterbinden (vgl. [X.] 124, 300 <332 f.>). Verboten werden darf mithin nicht der Inhalt einer Meinung als solcher, sondern nur die Art und Weise der Kommunikation, die bereits den Übergang zur [X.] greifbar in sich trägt und damit die Schwelle zu einer sich abzeichnenden [X.] überschreitet (vgl. [X.] 124, 300 <342>). In diesem Verständnis sind dementsprechend im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Strafnorm auszulegen als auch der Lebenssachverhalt unter die Strafnorm zu subsumieren (vgl. zu den [X.] des § 130 Abs. 4 StGB ausdrücklich: [X.] 124, 300 <343>).

bb) Diesen Maßstäben halten die angegriffenen Entscheidungen nicht stand.

(1) Die Äußerungen, die der Verurteilung zugrunde gelegt wurden, unterfallen noch dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Zwar leugnen sie - wie von den angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen zutreffend erkannt - das historische Gesamtgeschehen des [X.]. Dieses insbesondere gegen die jüdische Bevölkerung gerichtete [X.] ist aber eine geschichtlich erwiesene Tatsache, deren Leugnen folglich als erwiesen unwahr allein für sich betrachtet nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfällt (vgl. [X.] 90, 241 <249>). Im Gesamtkontext der jeweiligen Aufsätze betrachtet sind die den [X.] leugnenden Äußerungen vorliegend jedoch untrennbar mit Meinungsäußerungen verbunden. Der Aufsatz "Die Geschichtslüge des angeblichen Überfalls auf [X.] im Jahre 1939" bestreitet primär die Schuld [X.]s am Ausbruch des [X.]s und stellt insofern die Behauptung auf, dass dies eine Lüge der Nachkriegsgeneration, insbesondere der "[X.]" sei. Die erste, den [X.] leugnende Äußerung benutzt der Beschwerdeführer aber lediglich als Teil eines einleitenden Begründungsversuchs, warum die Nachkriegsgeneration [X.] die alleinige [X.]sschuld zusprach. Auch die zweite, den [X.] leugnende Äußerung der Aufsätze, steht zu den Grundthesen der fehlenden [X.]sschuld [X.]s und der diesbezüglichen "Lügen der Nachkriegsgeneration" in unmittelbarem Kontext. Diese Thesen sind ihrerseits aber als wertende Äußerungen vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst (vgl. [X.] 90, 1 <15 f.>; 241 <249>).

(2) Damit wäre aber bei Auslegung und An[X.]dung des vorliegend von den Strafgerichten für einschlägig erachteten [ref=ea6acfb7-19ff-4df4-a6f6-1e2a8b7a02e7]§ 130 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3, Abs. 5 [X.]] auch der wertsetzenden Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ausreichend Rechnung zu tragen gewesen.

Der Gesetzgeber hat - ungeachtet der Frage, inwieweit § 130 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3, Abs. 5 StGB aus anderen Gründen den verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere etwa im Hinblick auf einen verfassungsrechtlich tragfähigen Rechtsgüterschutz, genügt - dieser wertsetzenden Bedeutung jedenfalls insofern Rechnung getragen, als er in dieser Tatbestandsvariante nicht jede Art der Äußerung unter Strafe gestellt hat, sondern nur das Verbreiten. Hierin sieht er folglich die Grenze zur [X.] überschritten. Entscheidendes Kriterium, ob ein Verbreiten vorliegt, ist nach hergebrachtem Verständnis stets, dass eine Schrift einem größeren, nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis zugänglich gemacht wird (vgl. nur [X.]St 13, 257 <258>; 19, 63 <70 f.> mit jeweiligen Nachweisen aus den Rechtsprechungen des [X.]). Dass bei Unterstrafestellung der Verbreitung von den [X.] leugnenden Schriften durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 ([X.]) ein neues, wesentlich anderes Verständnis des Begriffes zugrunde gelegt werden sollte, ist nicht ersichtlich (vgl. BTDrucks 12/4825, [X.] ff.; 12/6853, S. 23 f.; 12/8588, S. 8). Der Gesetzgeber hat folglich das bloße Austauschen solcher Schriften zwischen zwei Personen - und damit das bloße Äußern der konkreten Meinung als solcher - grundsätzlich von der Strafbarkeit nach § 130 Abs. 2 Nr. 1a StGB ausgenommen. Folgerichtig hat der Zweite Senat des [X.]s in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal "Verbreiten" bei § 130 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3, Abs. 4 (jetzt: Abs. 5) StGB konkreter und restriktiver als der vom [X.] zitierte Beschluss des [X.]s (a.a.[X.]), dem derselbe Sachverhalt wie der Entscheidung des [X.]s zugrunde lag, festgestellt, dass zwar schon die Weitergabe eines Exemplars der Schrift ausreiche, [X.]n dies mit dem Willen geschehe, der Empfänger werde die Schrift durch die körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen oder [X.]n der Täter mit der Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechne, dass aber die Weitergabe an einzelne bestimmte Dritte allein das Merkmal des Verbreitens hingegen nicht zu erfüllen vermöge, [X.]n nicht feststehe, dass der Dritte seinerseits die Schrift an weitere Personen überlassen werde (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 2004 - 2 [X.] -, NJW 2005, S. 689 <690>). Auch der dritte Senat des [X.]s hat - [X.]ngleich bezüglich § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB - betont, dass für ein Verbreiten die regelmäßig ohnehin bestehende abstrakte Gefahr der Weitergabe durch einen [X.] nicht genüge (vgl. [X.], Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09 -, juris, Rn. 27).

(3) Indem die angegriffenen Entscheidungen entgegen dieser Wertung das Tatbestandsmerkmal "Verbreiten" überdehnt und letztlich den bloßen Austausch von Schriften zwischen zwei Personen unter den Straftatbestand des [ref=[X.]-2408-4cfd-915e-41c310148ae6]§ 130 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3, Abs. 5 [X.]] subsumiert haben, verkennen sie die Bedeutung der Meinungsfreiheit wesentlich. Sie haben damit in mit [[X.]-42a1-8a5b-4cdb5a6df451]Art. 5 Abs. 1 Satz 1 [X.]] nicht vereinbarer Weise nicht erst die Art und Weise der Kommunikation, die bereits den Übergang zur [X.] in sich trägt, sondern im Ergebnis schon das schlichte Äußern einer konkreten Meinung unter Strafe gestellt. Insbesondere ist auch die vom [X.] angenommene friedensstörende Wirkung, wie sie für einen Eingriff in die Meinungsfreiheit erforderlich wäre (vgl. [X.] 124, 300 <335>), nicht erkennbar.

Denn nach den gerichtlichen Feststellungen haben der Beschwerdeführer und der Gastwirt als Empfänger der Schriften, übereinstimmend ausgesagt, dass der Beschwerdeführer dem Gastwirt die fraglichen Aufsätze deshalb ausgehändigt habe, damit dieser sich über die sich angeblich tatsächlich ereigneten historischen Geschehnisse informiere. Überreicht worden ist auch jeweils nur ein Exemplar der gegenständlichen Schriften. Sonstige Personen waren beim Austausch der Schriften - soweit festgestellt - nicht anwesend. Der Beschwerdeführer hat den Gastwirt auch nicht aufgefordert, die Schriften in der Gaststätte auszulegen, oder in sonstiger Art und Weise auf die Weiterverbreitung eingewirkt. Für ihn bestanden nach den gerichtlichen Feststellungen keinerlei konkrete Anhaltspunkte, dass der Gastwirt die Schriften den sonstigen Gaststättenbesuchern überlassen würde. Dementsprechend hat dieser die Schriften nicht an Dritte weitergereicht und nach den gerichtlichen Feststellungen dies zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, sondern den Vorfall bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Die vom [X.] gezogene und vom [X.] gebilligte Schlussfolgerung, dass der Beschwerdeführer die Weiterverbreitung der Schriften durch den Zeugen zwingend billigend in Kauf genommen habe, da er sie mit dem Zeugen einem Gastwirt übergeben habe und in dessen Gaststätte zwei Tage vorher anlässlich einer TV-Dokumentation über den [X.] in der Gaststätte in nicht näher festgestellter Art und Weise die [X.]sschuld [X.]s geleugnet habe, kann sich damit auf keine unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Meinungsfreiheit hinreichend tragfähigen tatsächlichen Anhaltspunkte stützen.

b) Das Urteil des [X.]s und der Beschluss des [X.]s vom 14. Januar 2008 beruhen auch auf der Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass [X.] und [X.] bei Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

2. Das Urteil des [X.]s und der Beschluss des [X.]s vom 14. Januar 2008 sind demnach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 [X.] aufzuheben. Die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des [X.]s vom 11. Februar 2008 wird damit gegenstandslos.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a [X.]).

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Meta

1 BvR 461/08

09.11.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 11. Februar 2008, Az: 1 Ss 249/07 (243), Beschluss

Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 2 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 130 Abs 2 Nr 1 Buchst a StGB, § 130 Abs 3 StGB, § 130 Abs 5 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 09.11.2011, Az. 1 BvR 461/08 (REWIS RS 2011, 1625)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1625

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 1106/08 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Unverhältnismäßigkeit eines im Rahmen von Führungsaufsicht gem § 68b Abs 1 Nr 4 …


3 StR 109/17 (Bundesgerichtshof)

Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole: Wiedergabe fremder Äußerungen; Bewertung des Inhalts einer Äußerung sowie …


1 BvR 2083/15 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Zu den Anforderungen an die Eignung einer Äußerung zur Störung des öffentlichen Friedens …


1 BvR 369/04, 1 BvR 370/04, 1 BvR 371/04 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Meinungsfreiheit (Art 5 Abs 1 S 1 GG) durch unzureichende …


3 StR 109/17 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

207 StRR 414/23

3 StR 144/16

3 StR 144/16

3 StR 33/12

6 C 12/20

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.