Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.07.2012, Az. VI ZR 222/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4626

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI ZR 222/11
Verkündet am:

17. Juli 2012

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juli 2012 durch den Vorsitzenden [X.], den
[X.] Wellner, die Richte-rinnen
Diederichsen und von [X.] und den [X.] Dr. Remmert
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 5.
Zivilsenats des Oberlandesge-richts Stuttgart
vom 25.
Juli
2011 wird auf Kosten der Beklagten zu-rückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der
Kläger verlangt
von der Beklagten Schadensersatz wegen einer Kapital-anlage.
Nach Eingang der Klage hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Zi-vilkammer des [X.]s
in Zusammenhang mit der Zustellung nach §
183 ZPO durch
Verfügung vom
22. Juni
2009
angeordnet, dass der Beklagten im Hinblick auf das angeordnete schriftliche Vorverfahren eine Notfrist von
vier
Wochen zur Anzeige der [X.] gesetzt werde und dass sie innerhalb von vier
Wochen gemäß §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmäch-tigten zu benennen habe. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen
der Zustellung von Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklag-ten
hat der Vorsitzende hingewiesen.
Diese Verfügung und die Klageschrift sind der Beklagten am 10.
September
2009
nach Maßgabe des [X.] über die Zustellung gerichtlicher und
außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil-
und Handelssachen vom 15.
November 1965 ([X.] 1977 II S.
1452, 1453; im Folgenden [X.]) zugestellt worden. Nach dem Ablauf der Frist zur Anzeige der [X.] hat das [X.] die Sache auf die Einzelrichterin übertra-1
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gen. Diese hat die Beklagte am 16. November
2009
durch Versäumnisurteil [X.] verurteilt.
Das Urteil ist am 21. Januar
2010
unter der Anschrift der Beklagten zur Post gegeben worden. Auf Antrag des
Klägers
ist das Versäumnisurteil am 10. Februar 2011 erneut
im
förmlichen Rechtshilfeweg
zugestellt worden. Am 18.
Febru-ar
2011 hat die Beklagte Einspruch dagegen eingelegt. Mit Urteil vom 21.
März
2011 hat das [X.] den Einspruch als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil und das Urteil des [X.]s vom 21.
März
2011 aufzuheben und den Rechtsstreit an das [X.] zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das [X.] habe den Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Recht ohne Sachprüfung gemäß §
341 Abs.
1 Satz
2 ZPO als unzulässig verworfen, weil er nicht
rechtzeitig eingelegt worden sei.
Nach §
184 Abs.
2 Satz
1 ZPO gelte das Versäumnisurteil zwei Wochen nach der am 21. Januar
2010
erfolgten Aufgabe zur Post, mithin am 4.
Februar 2010, als zugestellt. Gemäß §
339 Abs.
1 ZPO gelte die Einspruchsfrist von
zwei Wochen. Diese
sei bei Einlegung des Einspruchs am 18. Februar 2011 verstrichen gewesen.
Die Regelungen in §
184 ZPO seien weder
verfassungswidrig noch verletzten sie das Recht der Beklagten auf ein faires Verfahren (Art.
6 [X.]) oder verstießen ge-gen
das Diskriminierungsverbot aufgrund der
Staatsangehörigkeit (Art.
14 [X.]). Die Anwendung der §§
183, 184 ZPO verstoße auch nicht gegen die internationalen Zustellungsregelungen des [X.] über die Zustellung gerichtli-cher und außergerichtlicher Schriftstücke ([X.]). Sowohl die Klageschrift als auch die vom Vorsitzenden getroffene Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevoll-mächtigten nach §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO seien ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Beklagte habe danach mit Zustellungen durch Aufgabe zur Post im weiteren Ver-3
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4

-

fahren rechnen müssen. Sie hätte eine rechtzeitige Kenntnisnahme von [X.] Entscheidungen und Rechtsbehelfsmöglichkeiten sicherstellen können.
Die Anordnung nach §
184 ZPO
erfordere
nicht die Form eines
Gerichtsbe-schlusses. Es
genüge die Anordnung durch den
Vorsitzenden. Dafür spreche die Entstehungsgeschichte der
Regelung in
§
184 ZPO. Nach dem Wortlaut der [X.] Vorschrift in §
174 Abs.
1 ZPO a.[X.] hätte zwar die Anordnung
ebenfalls dem
Gericht oblegen. Doch sei aufgrund der Zuständigkeitsübertragung in §
20 Nr.
7 RPflG
a.[X.] der Rechtspfleger dafür zuständig gewesen. Ohne besondere Klarstel-lung, die fehle, könne danach nicht davon ausgegangen werden, dass die Anord-nung nach §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO
durch die Kammer in voller Besetzung erfolgen müsse.
Der Vorsitzende habe sein Ermessen bei der Anordnung, einen [X.] im Inland zu benennen, nicht fehlerhaft ausgeübt. Abgesehen da-von, dass teilweise verlangt werde, der Einfachheit halber sei dieses Verfahren vor-zuziehen und das zeitaufwändigere förmliche Zustellungsverfahren dürfe ohne [X.] gar nicht gewählt werden, zeige der tatsächliche Geschehensablauf, dass die Zustellung durch die Fiktion des §
184 Abs.
2 ZPO wesentlich beschleunigt werde. Weitere besondere Gründe im Einzelfall, um vereinfacht zuzustellen, seien nach dem
Gesetzeswortlaut
nicht erforderlich.
Die Ausführung der Zustellung durch Aufgabe zur Post sei ordnungsgemäß in die Wege geleitet
und aktenmäßig dokumentiert worden. Aus der Verfügung der Geschäftsstelle vom 21.
Januar 2010
und
dem Ver-merk der
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
ergebe sich, dass das [X.] zwecks Übersendung an die Beklagte am selben Tag
zur Post gegeben worden sei. Die auf Antrag des
Klägers
erfolgte
spätere
förmliche Zustellung des [X.] sei nicht missbräuchlich, auch wenn sie erfolgt sei, um die [X.] herbeizuschaffen, ohne dass der Beklagten die Möglichkeit gege-ben werde, sich zu verteidigen. Weshalb eine zweite Einspruchsfrist aufgrund rechtsstaatlicher Grundsätze geboten sei, sei weder dargetan noch ersichtlich, wenn wie hier der tatsächliche Zugang des Urteils durch die Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht bestritten sei. Dass die Beklagte
nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt ha-5
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be, beruhe nicht auf der Form der Zustellung des Versäumnisurteils, sondern auf ih-rem eigenen Entschluss.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass das [X.] gemäß §
184 Abs.
2 Satz 1 ZPO als am 4. Februar 2010 zugestellt gilt. Die [X.]sfrist ist mithin am 18. Februar 2010 abgelaufen. Die für den Eintritt der [X.] erforderliche Aufgabe zur Post unter
der Anschrift der [X.] ist durch den Zustellungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 21. Januar 2010 bewiesen. Der Zustellungsvermerk nach §
184 Abs.
2 Satz 4 ZPO, in dem die Zeit und die Anschrift, unter der das Schriftstück zur Post gegeben wurde, zu ver-merken ist, ersetzt die [X.] gemäß §
182 ZPO ([X.], Beschluss vom 13. Juni 2001 -
V
ZB 20/01, [X.], 345). Das [X.]
hatte
auf den [X.] der Beklagten gegen das Versäumnisurteil gemäß §
341 Abs.
1 Satz
1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und in der ordnungsge-mäßen Form und Frist eingelegt worden ist. Da die Beklagte die Einspruchsfrist nicht gewahrt hat, musste der Einspruch gemäß §
341 Abs.
1 Satz
2 ZPO ohne Sachprü-fung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des [X.] verworfen werden ([X.], Beschluss vom 5.
März 2007 -
II
ZB
4/06, NJW-RR 2007, 1363 Rn.
9
ff.; [X.]/Pukall, ZPO, 4.
Aufl., §
341 Rn.
1).

2.
Zutreffend hat das Berufungsgericht die Anordnung, einen Zustellungsbe-vollmächtigten zu benennen, durch den Vorsitzenden der zuständigen Zivilkammer des [X.]s für wirksam erachtet.
a) Dass die Anordnung nach §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO vom Vorsitzenden [X.] und nicht vom entsprechenden Spruchkörper getroffen worden ist, berührt [X.] nicht deren Wirksamkeit.
7
8
9
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6

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aa) Die Frage der Kompetenz für die Anordnung ist in Rechtsprechung und Li-teratur umstritten. Einigkeit besteht zunächst insoweit, dass in originären Einzel-richtersachen (§
348 Abs.
1 Satz 1 ZPO) die Anordnung nach §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO der Einzelrichter trifft, der als Prozessgericht vollständig an die Stelle des Kolle-giums tritt (vgl. [X.], Beschluss vom 28.
April 2011 -
5
U 26/11, BeckRS 2011, 26882; [X.], Urteil
vom 10. August 2011 -
8
U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Ist für den Rechtsstreit ein Kollegialgericht zuständig, sieht eine Auffassung die Anordnung durch den für Verfahren und Entscheidung zuständigen Spruchkörper als Wirksamkeitsvoraussetzung an (vgl. [X.], Beschluss vom 16. März 2009 -
14
W 27/09, NJW-RR 2010, 285; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 70.
Aufl., §
184 Rn.
8; [X.]/Eichele, ZPO, 4.
Aufl., §
184 Rn.
2; [X.], ZPO, 9.
Aufl., §
184 Rn.
1; [X.]/Stöber, ZPO, 29.
Aufl., §
184 Rn.
3). Die [X.] hält auch den Vorsitzenden für zuständig (Hüßtege in [X.], ZPO, 32.
Aufl., §
184 Rn.
3; [X.]/[X.], 3.
Aufl., §
184 Rn.
7; [X.] in [X.]/Schütze, 3.
Aufl., §
184 Rn.
43; [X.] in [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
184 Rn.
5; Kessen in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3.
Aufl., §
184 Rn.
2), zumindest sei die von ihm allein getroffene Anordnung wirksam ([X.], Urteil vom 16. Dezember 2010 -
18
U 55/10, [X.], 1068, 1069). Die zuletzt genannte Auffassung
trifft zu.
(1) Zwar erfolgt nach dem Wortlaut des §
183 Abs.
1 Satz 2 ZPO die [X.] auf Ersuchen des "Vorsitzenden des [X.]", wohingegen §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu [X.], dem "Gericht" überträgt. Hieraus folgt jedoch noch nicht zwingend, dass in letzterem Fall nur ein vom zuständigen Spruchkörper gefasster Beschluss die Zustel-lung wirksam anordnet. Beide Regelungen gehen auf Vorschriften zurück, die früher nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang standen. So geht die Formulierung des geltenden §
183 Abs.
1 Satz 2 ZPO, wonach der "Vorsitzende des [X.]" handelt, auf §
183 Abs.
1 Nr.
2 ZPO in der Fassung des [X.] vom 25. Juni 2001 zurück. Die dortige Formulierung entspricht inhaltlich §
199 ZPO in seiner bis zum Inkrafttreten des [X.] geltenden Fassung (vgl. BT-Drucks. 14/4554, S.
23). Nach dieser Vorschrift erfolgte eine im Ausland zu 12
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bewirkende Zustellung mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden Staates oder des in diesem Staat residierenden Konsuls oder Gesandten des [X.]; dass der "Vorsitzende des [X.]" das Ersuchen verfasst, war damals also noch nicht ausdrücklich geregelt.
Was die Zuständigkeit des "Gerichts" in §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO für die [X.] eines Zustellungsbevollmächtigten betrifft, orientierte sich der Gesetzgeber an §
174 ZPO in der bis zum Inkrafttreten des [X.] geltenden Fassung. In dieser Vorschrift, die weitgehend auf der Regelung des §
160 ZPO in der Fassung vom 30. Januar 1877 ([X.]. 1877, S.
83) beruhte, war von einer Zuständigkeit des "Gerichts" die Rede. Allein der Wortlaut des §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO, wonach das "Gericht"
anordnen kann, dass die im Ausland an-sässige [X.] einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen hat, steht noch nicht der Wirksamkeit der Anordnung des Vorsitzenden entgegen.
(2) Dass unter dem vom Gesetzeswortlaut vorgegebenen Begriff "Gericht" nicht immer alle Mitglieder eines Spruchkörpers zu verstehen sind, sondern auch eine Wahrnehmung der Aufgabe durch den Vorsitzenden gemeint sein kann, ergibt sich aus den Regelungen zur Zuständigkeit der für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zu treffenden Maßnahmen
nach §
273 ZPO. Nach §
273 Abs.
1 ZPO veranlasst diese das "Gericht". Aus §
273 Abs.
2 ZPO folgt aber, dass der "[X.] oder ein von ihm bestimmtes Mitglied des [X.]" die Maßnahmen ergreift. Typischerweise ist der Vorsitzende für die die mündliche Verhandlung vorbe-reitenden Maßnahmen zuständig. Dazu passt nicht, dass die Anordnung, einen [X.] zu benennen, die häufig in die vorbereitende Phase des Prozesses fallen wird, ausschließlich in die funktionelle Zuständigkeit des [X.] fallen soll. Für eine ausschließliche Zuständigkeit des Kollegialgerichts spricht auch nicht entscheidend, dass das [X.] für bestimmte Aufgaben die Zuständigkeitsverteilung zwischen Vorsitzendem und Spruchkörper ausdrücklich regelt. So weist §
168 Abs.
2 ZPO die Befugnis, einen Gerichtsvollzieher oder eine andere Behörde mit einer Zustellung zu beauftragen, ausdrücklich dem "Vorsitzen-den des [X.] oder einem von ihm bestimmten Mitglied" zu. Andere Nor-men regeln die funktionelle Zuständigkeit wiederum nicht ausdrücklich. Beispielswei-13
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se sieht §
166 Abs.
2 ZPO die Möglichkeit vor, dass das "Gericht"
die Zustellung sol-cher Dokumente anordnet, deren Zustellung nicht von Gesetzes wegen erforderlich ist. §
270 Satz
1 ZPO schreibt die formlose Mitteilung von Schriftsätzen, die keine Sachanträge enthalten, vor, wenn nicht das "Gericht"
die Zustellung anordnet. In den beiden letztgenannten Fällen entscheidet aber regelmäßig der Vorsitzende durch eine Verfügung (vgl. [X.] in [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
166 Rn.
4; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 3.
Aufl., §
166 Rn.
52).
(3) Der Gesetzgeber des am 1. Juli 2002 in [X.] getretenen Zustellungsre-formgesetzes vom 25. Juni 2001 ([X.] I S. 1206) hat sich mit der hier in Rede ste-henden Frage der funktionellen Zuständigkeit des Vorsitzenden oder aller Mitglieder des [X.] nicht befasst. Er hat die in §
20 Nr.
7 RPflG a.[X.] vorgesehene Übertragung der Aufgabe auf den Rechtspfleger gestrichen, weil die Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten (für im Inland ansässige [X.]en) entfallen sei, und die Zuständigkeit des Gerichts für die bei im Ausland ansässigen [X.]en nunmehr im Ermessen stehende Entscheidung, ob die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten angeordnet wird, begründet (vgl. BT-Drucks. 14/4554, S.
27). Im Hinblick auf das Schweigen der Gesetzesbegründung zur Frage der funk-tionellen Zuständigkeit spricht viel dafür, dass sich der Gesetzgeber damit nicht aus-einandergesetzt hat, wer in funktioneller
Hinsicht anstelle des bisher zuständigen Rechtspflegers die in §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO vorgesehene Anordnung treffen soll und ob dies auch durch eine Verfügung geschehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 16. Dezember 2010 -
18
U 55/10, [X.], 1068, 1069).
bb) Nach den vorstehenden Ausführungen ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, durch den Vorsitzenden getroffen worden ist. Im Übrigen wäre die Verletzung der funktionellen Zuständigkeit kein so schwerwiegender Fehler, dass dadurch die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, und die danach erfolgte Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post gegenüber der Beklagten unwirksam wür-den.
Zwar sind an die Einhaltung der Vorschriften über das Zustellungsverfahren insbesondere im Hinblick auf die von §
184 Abs.
2 Satz
1 ZPO ausgelöste Fiktion und die Bedeutung, die der Zustellung für den Beginn der Rechtsmittelfristen zu-15
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kommt, strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1998 -
VI
ZR 243/97, [X.], 510, 512; [X.], Urteil vom 8. März 1979 -
IX
ZR 92/74, [X.]Z 73, 388, 390). Wird eine Vorschrift über das Verfahren bei Zustellungen ver-letzt, ist die Zustellung dennoch nur dann unwirksam, wenn der Zweck der verletzten Verfahrensvorschrift dies erfordert. Bei Verletzung der hier in Rede stehenden funkti-onellen Zuständigkeit innerhalb des Spruchkörpers ist dies nicht der Fall.
Die [X.] über die Zustellung gewährleisten den Anspruch des [X.]en auf rechtliches Gehör, indem sie sicherstellen, dass der Betroffene Kenntnis von dem zuzustellenden Dokument nehmen und seine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidi-gung darauf einrichten kann (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Juli 1984 -
1
BvR 1269/83, [X.]E 67, 208, 211). Wird die Aufforderung, einen Zustellungsbevoll-mächtigten zu benennen, von einem funktionell nicht zuständigen [X.] getroffen, wird dadurch die Möglichkeit des [X.]en, von Dokumenten, die den Rechtsstreit betreffen, Kenntnis zu erlangen und rechtliches Gehör in Anspruch zu nehmen, in keiner Weise erschwert. Auch nach Anordnung durch den Vorsitzenden des Gerichts erhält der [X.] das verfahrenseinleitende Schriftstück, die Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, und die Beleh-rung über die Möglichkeit der Zustellung durch Aufgabe zur Post für den Fall, dass kein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird. Er wird unabhängig davon, wer die Anordnung getroffen hat, jedenfalls über den Inhalt des Rechtsstreits informiert. Ihm wird verdeutlicht, dass er durch Bestellung eines Prozessbevollmächtigten oder durch Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten die Möglichkeit der Kenntnis-nahme von weiteren den Rechtsstreit betreffenden Dokumenten zuverlässig sicher-stellen soll und zur Wahrung seiner Rechte tätig werden muss. Die fehlende funktio-nelle Zuständigkeit des anordnenden [X.]s beeinträchtigt die prozessuale Rechtsposition der im Ausland ansässigen [X.] mithin in keiner Weise. Sie
berührt deshalb auch nicht die Wirksamkeit der Anordnung.
cc) Die Anordnung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie nicht mit Grün-den versehen worden ist. Allein der Mangel der Begründung führt nicht zur Nichtig-keit der Anordnung, zumal diese unanfechtbar ist (MünchKommZPO/[X.], 3.
Aufl., §
184 Rn.
7; [X.] in [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
184 Rn.
5). Aus dem [X.]
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lässigen Unterlassen einer Begründung kann nicht auf einen Ermessensfehler des im Übrigen nicht an die Anregung der [X.] gebundenen [X.]s geschlossen werden.

b)
Die Regelung des §
184 Abs.
1 Satz
2 ZPO, die eine Zustellung durch [X.] zur Post unter der Anschrift des außerhalb des Bundesgebiets und außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung ([X.]) Nr.
1393/2007 des [X.] und des Rates vom 13.
November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil-
oder Handelssachen in den Mitglied-staaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr.
1348/2000 ([X.]. 2007 L 327, S.
79; im Folgenden: [X.]) ansässigen Zustel-lungsadressaten erlaubt, ist im Streitfall weder durch völkerrechtliche Vereinbarun-gen ausgeschlossen
noch verletzt sie Verfahrensgrundrechte der Beklagten oder verstößt gegen Art.
6 Abs.
1 [X.].
aa) Die Beklagte ist in der [X.] und damit im Ausland außerhalb des An-wendungsbereichs der [X.] (Art.
1 Abs.
1 Satz
1 [X.]) ansässig. Deshalb ist die in §
184 Abs.
1 Satz
2 ZPO vorgesehene Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht durch die vorrangigen Regelungen der [X.] (vgl. §
183 Abs.
5 Satz
1 ZPO) ausgeschlossen (vgl. [X.], Urteil vom 2.
Februar 2011 -
VIII
ZR 190/10, [X.]Z 188, 164 Rn.
17
ff. mit zustimmender Anmerkung [X.]/[X.], [X.] 2011, 441
ff.; a.A. [X.]/[X.], ZPO, 29.
Aufl., §
183 Rn.
79a). Entgegen der Auffassung der Revision kann daraus nicht hergeleitet werden, dass auch die Regelungen des [X.] den [X.] in §§
183, 184 ZPO vorgingen. Der nationale Ge-setzgeber hat nur die von den europäischen [X.] erfassten grenzüberschreitenden Zustellungen nicht in die zur Durchführung von Auslandszu-stellungen aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen getroffenen Regelungen des §
183 ZPO integriert (vgl.
[X.], Urteil vom 2. Februar 2011 -
VIII
ZR 190/10, aaO [X.]). Die von der Revision in den Blick genommene Anwendung über den Wortlaut hinaus widerspräche dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach der Ausnahmecha-rakter einer Regelung einer vom Wortlaut nicht mehr gedeckten Anwendung
wider-spricht.
18
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bb) Die Regelung des
§
184 Abs.
1 Satz
2 ZPO zur Zustellung durch Aufgabe zur Post verletzt auch nicht den Anspruch der ausländischen [X.] auf rechtliches Gehör oder
ihr Recht auf ein faires Verfahren (vgl. zu §§
174, 175 ZPO a.[X.], wonach es nicht einmal einer
Belehrung über die Folgen der Unterlassung der Bestellung eines Prozessbevollmächtigten bedurfte: Senatsurteil vom 10.
November 1998 -
VI
ZR 243/97, [X.], 510, 513 und [X.], Beschluss vom 19. Februar 1997 -
1
BvR 1353/95, NJW 1997, 1772).
Den berechtigten Interessen beider [X.]en ei-nes Rechtsstreits auf effektiven Rechtsschutz wird im Einzelfall hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht obligatorisch, sondern aufgrund einer im pflichtgemäßen
Ermessen des Gerichts stehenden An-ordnung erfolgt. Die nach §
184 Abs.
2 Satz
3 ZPO bestehende Pflicht, über die [X.] zu belehren, stellt außerdem sicher, dass die im Ausland ansässige [X.] sich der drohenden Rechtsnachteile bewusst wird und diese durch Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten vermeiden kann.
Die mit dem Einspruchsverfah-ren verbundenen allgemeinen Erschwernisse für die Inanspruchnahme des rechtli-chen Gehörs, die sich aus der Einhaltung der Einspruchsfrist ergeben, treffen die im Ausland ansässige [X.], wie die Beklagte, grundsätzlich nicht schärfer als die im Inland ansässige [X.]. Auch die inländische [X.] ist an die Einspruchsfrist gebun-den und kann bei [X.] des Einspruchs nicht mehr geltend machen, ihr sei die Ladung zur mündlichen Verhandlung oder auch ein anderes das Verfahren betref-fende Schriftstück nicht oder nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Ist -
wie hier
-
die Klageschrift als verfahrenseinleitendes Schriftstück der beklagten [X.] ord-nungsgemäß zugestellt und die in §
184 Abs.
2 Satz
3 ZPO vorgesehene Belehrung erteilt worden, erfordert die Situation der im Ausland ansässigen Beklagten keinen weitergehenden Rechtsschutz. Das mit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks entstehende Prozessrechtsverhältnis begründet eine Prozessförde-rungspflicht auch des Prozessgegners, die es im Interesse der klagenden [X.] an einem effektiven Rechtsschutz rechtfertigt, der im Ausland ansässigen [X.] aufzu-erlegen, eine inländische Zustellungsmöglichkeit
zu schaffen.
cc)
Art.
6 Abs.
1 [X.] gewährt der Beklagten keine weitergehende [X.]. Die [X.] hat es für Ausländer als 21
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12

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zumutbar erachtet, Anstrengungen zu unternehmen, um sich über den Inhalt ihnen zugestellter amtlicher Schriftstücke Gewissheit zu verschaffen. Dementsprechend muss ein im Ausland lebender Rechtsmittelführer selbst für die Einhaltung der Einle-gungs-
und Begründungsfristen sorgen. Ganz allgemein gilt, dass die prozessrechtli-che Ausgestaltung des [X.] weitgehend den einzelnen [X.] überlassen bleibt. Hierbei bestehen weite Gestaltungsspielräume (vgl. [X.] vom 10.
November 1998 -
VI
ZR 243/97, [X.], 510, 513
f. [X.]). Allerdings sind auch sogenannte versteckte Diskriminierungen verboten, nämlich Regelungen, die die benachteiligende Rechtswirkung zwar nicht ausdrücklich an die [X.] anknüpfen, deren Voraussetzungen jedoch typischerweise nur bei Ausländern gegeben sind. Eine offene oder versteckte Diskriminierung enthält §
184 Abs.
1 Satz 2 ZPO nicht. Eine solche
scheidet schon deshalb aus, weil die [X.] zur Bestellung von Zustellungsbevollmächtigten unter den Voraussetzun-gen von §
184 Abs.
1 ZPO auch Inländer trifft (siehe auch [X.], [X.] 1990, 90, 93). Abgesehen davon kann nur dann eine Diskriminierung vorliegen, wenn die vorge-nommene Differenzierung nicht sachlichen Unterschieden des zu regelnden Sach-verhalts Rechnung trägt ([X.], Urteil vom 10.
Februar 1994 -
Rs. C -
398/92, NJW 1994, 1271 f.). Denn Art.
6 Abs.
1 [X.] ist eine Ausprägung des Gleichheitssatzes, wonach Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart nach verschieden zu behandeln ist. Die in §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO vorgesehene Anknüpfung der Pflicht zur Benen-nung eines Zustellungsbevollmächtigten an den Umstand, dass die [X.] über keine inländische Zustellungsmöglichkeit verfügt, trägt einem sachlichen Unterschied Rechnung. Dieser besteht in der Gefahr der ständigen Verzögerung eines Verfah-rens, an dem eine im Ausland ansässige
[X.] beteiligt ist, wenn für jede gerichtli-che Zustellung im Laufe des Verfahrens der gegenüber dem innerstaatlichen [X.] umständliche und langwierige Weg der internationalen Rechtshilfe beschritten werden muss (vgl. [X.], Beschluss
vom 3.
Februar 1999 -
VIII
ZB 35/98, NJW 1999, 1871, 1872).
dd) Die Zustellung gemäß §
184 Abs.
1 Satz
2 ZPO verstößt auch nicht gegen völkerrechtliche Vereinbarungen, die mit der [X.] hinsichtlich der Zustellung von Schriftstücken bestehen (vgl. [X.], Beschluss vom 28.
April 2011 -
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U 22
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13

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26/11, BeckRS 2011, 26882; [X.], Urteile vom 10.
August 2011 -
I-8
U 3/11, juris Rn.
20
ff. und -
8
U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 63). Die Zustellung durch Aufgabe zur Post ist keine Auslandszustellung, sondern eine fingierte Form der Zustellung im Inland (vgl. Senatsurteil vom 10.
November 1998 -
VI
ZR 243/97, [X.], 510, 511; Senatsbeschluss vom 13.
November 2001 -
VI
ZB 9/01, [X.], 345, 346; [X.], Urteil vom 2.
Februar 2011 -
VIII
ZR 190/10, [X.]Z 188, 164 Rn.
10; [X.], Urteil vom 26.
September 2011 -
5 [X.], juris Rn.
55; [X.], [X.] 2006, 235, 236; a.A. [X.] in [X.]/[X.], [X.] 2002, §
184 Rn.
2). Das [X.] steht der Anwendbarkeit des §
184 ZPO danach schon [X.] nicht entgegen, weil dort nur die Modalitäten einer Auslandszustellung geregelt sind (vgl. Art.
1 Abs.
1 [X.]), nicht aber die Frage, ob überhaupt eine förmliche Zu-stellung im Ausland vorzunehmen ist. Letzteres ist vielmehr durch das nationale Recht autonom
zu beantworten (vgl. Senatsurteil vom 10.
November 1998 -
VI
ZR 243/97, [X.], 510, 511).
3. Die erneute förmliche Zustellung am 10. Februar
2011 vermag die bereits eingetretene Rechtskraft des Versäumnisurteils nicht zu durchbrechen. Die Anord-nung der erneuten
Zustellung
lässt die Wirkung der zuvor erfolgten Zustellung ge-mäß §
184 Abs.
2 ZPO unberührt; sie setzt
eine Frist nicht nochmals in Lauf (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20.
Oktober 2005 -
IX
ZB 147/01, NJW-RR 2006, 563, 564; vom 20.
November 2006 -
NotZ
35/06, juris Rn.
7; Urteil vom 15.
Dezember 2010 -
XII
ZR 27/09, [X.], 522 Rn.
20; [X.], Beschluss vom 11.
Mai 2011 -
5
W 8/11, NJW-RR 2011, 1631, 1632; [X.],

23
-

14

-

Urteile vom 10.
August 2011 -
I-8
U 3/11, juris Rn.
40 und -
8
U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Dass das am 21. Januar 2010 zur Post gegebene Urteil der Beklagten tatsächlich im Februar 2010 zugegangen ist, steht nicht in Frage.
Galke
Wellner
Diederichsen

von [X.]
Remmert

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 21.03.2011 -
5 [X.]/09 Sx -

[X.], Entscheidung vom 25.07.2011 -
5 [X.] -

Meta

VI ZR 222/11

17.07.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.07.2012, Az. VI ZR 222/11 (REWIS RS 2012, 4626)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4626

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