Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 27.04.2021, Az. 1 BvR 2731/19

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2021, 6488

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Subsidiarität der auf eine Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG gestützten Verfassungsbeschwerde bei unterbliebener Anregung einer Vorlage gem Art 267 Abs 3 AEUV im fachgerichtlichen Verfahren - zudem Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage gem §§ 578, 579 ZPO, § 134 FGO bei Rüge einer willkürlichen Verletzung der Vorlagepflicht an den EuGH


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie unzulässig ist.

2

1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügt, weil der [X.] seine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV unhaltbar gehandhabt habe, ist bereits zweifelhaft, ob die Verfassungsbeschwerde dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität genügt. Danach müssen [X.] die Beseitigung des Hoheitsaktes, durch den sie sich in ihren Grundrechten verletzt sehen, zunächst mit den ihnen durch das Gesetz zur Verfügung gestellten anderen Rechtsbehelfen zu erreichen suchen (vgl. [X.] 22, 287 <290 f.>; 73, 322 <325>; 77, 275 <282>). Der Grundsatz der Subsidiarität gebietet, dass [X.] im Ausgangsverfahren alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. [X.] 112, 50 <60>; 129, 78 <92>; 142, 268 <280 Rn. 44>). Dies gilt insbesondere bei der Geltendmachung der Verletzung von Verfahrensgrundrechten wie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. [X.] 112, 50 <62>).

3

a) Dazu gehört zunächst, dass [X.] bereits im Ausgangsverfahren die Durchführung eines [X.] anregen müssen, auch wenn die Beteiligten des Ausgangsverfahrens dies nicht formell beantragen können (vgl. [X.] 73, 339 <369>). Diese Möglichkeit, die geltend gemachte Verletzung des Rechts auf [X.] zu verhindern, ist wahrzunehmen, um dem Grundsatz der Subsidiarität zu genügen (vgl. [X.], 303 <311>).

4

b) Wird eine Verfassungsbeschwerde auf die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützt, so gehört aber auch die Wiederaufnahme des Verfahrens mit Hilfe einer Nichtigkeitsklage, soweit sie statthaft ist, zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 [X.] (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 22. Januar 1992 - 2 BvR 40/92 -, Rn. 3; Beschluss der [X.] des [X.] vom 31. Juli 2001 - 1 BvR 304/01 -, Rn. 6). Dem steht nicht entgegen, dass es sich dabei um einen außerordentlichen Rechtsbehelf handelt (vgl. [X.] 34, 204; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 22. Januar 1992 - 2 BvR 40/92 -, Rn. 3).

5

§ 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sehen für die Finanzgerichtsbarkeit über § 134 FGO den außerordentlichen Rechtsbehelf der Nichtigkeitsklage ausdrücklich für den Fall vor, dass das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist ein Gericht insbesondere auch dann im Sinne von § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn es willkürlich seine Vorlagepflicht an den [X.] verletzt (vgl. [X.], 410 <416 Rn. 21>; [X.], 481 <486 f. Rn. 16, 26 f.>; Beschluss vom 4. September 2009 - [X.] -, Rn. 3 f.). Der [X.] ist für die Auslegung des Unionsrechts in Fragen der Umsatzsteuer [X.] im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. [X.] 75, 223 <233 f.>; [X.], 410 <416 Rn. 21>). Eine Nichtigkeitsklage vor dem [X.] mit der Rüge der Verletzung der Vorlagepflicht an den [X.] wäre daher grundsätzlich statthaft.

6

2. Vorliegend ist schon nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer in dem Verfahren vor dem [X.] eine Vorlage an den [X.] angemahnt und insofern dem Grundsatz der Subsidiarität genügt hat. Aus den knappen Ausführungen im Revisionsurteil und in der Verfassungsbeschwerde geht insoweit lediglich hervor, dass er die Steuerfreiheit seiner Dirigentenumsätze nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG in Abrede gestellt und die Versagung des Vorsteuerabzugs als mit dem unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbar angesehen hat. Die Revisionsschrift selbst wurde nicht vorgelegt.

7

Ob der Beschwerdeführer daher jedenfalls spätestens durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach § 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 134 FGO gehalten gewesen wäre, zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität geltend zu machen, dass die von ihm in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Umsatzsteuerfragen dem [X.] zur Vorabentscheidung vorzulegen seien, braucht vorliegend jedoch nicht abschließend geklärt zu werden, da die Verfassungsbeschwerde insgesamt nicht den Substantiierungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] genügt.

8

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2731/19

27.04.2021

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BFH, 22. August 2019, Az: V R 14/17, Urteil

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, Art 267 Abs 3 AEUV, § 134 FGO, § 4 Nr 20 Buchst a UStG, § 578 Abs 1 ZPO, § 579 Abs 1 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 27.04.2021, Az. 1 BvR 2731/19 (REWIS RS 2021, 6488)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 6488


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2731/19

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2731/19, 27.04.2021.


Az. V R 14/17

Bundesfinanzhof, V R 14/17, 22.08.2019.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

2 BvR 1079/20

RiSt 1/21

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