Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.08.2016, Az. 1 B 44/16

1. Senat | REWIS RS 2016, 6507

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Gegenstand

Zur Frage, ob es sich bei der Verteilentscheidung nach § 15a AufenthG um eine Ermessensentscheidung handelt


Gründe

1

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

2

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist ([X.], Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

3

1. Die Beschwerde hält zunächst die Frage für klärungsbedürftig, "inwieweit ein zwingender Grund für das Absehen von einer Verteilentscheidung auf Gründe gestützt werden kann, die außerhalb der familiären Sphäre des Ausländers liegen" (Beschwerdebegründung S. 5). Sie sieht als Hinderungsgründe, die einer Verteilung eines Ausländers auf die Bundesländer nach § 15a Abs. 1 Satz 6 [X.] entgegenstehen, auch andere als familiäre Gründe an. Zu solchen weiteren Gründen gehöre auch ein im Wege einer Vereinbarung oder aber einer einseitigen Zusage geäußerter [X.], den die Beschwerde aus dem "[X.]" ableitet, das die [X.] Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen sowie einige der auf dem [X.] Oranienplatz in Zelten und Hütten lebenden Ausländer im März 2014 unterzeichnet haben und in dessen Folge das Protestcamp aufgelöst wurde.

4

Die Beschwerde legt nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dar, dass sich die aufgeworfene Frage im vorliegenden Verfahren stellt. Denn das Berufungsgericht hat den Inhalt des Einigungspapiers dahin gewürdigt, das dessen Ziff. 4 keine verbindliche Zusage enthält, von der Verteilung nach § 15a [X.] abzusehen ([X.]). Die Erklärung sei zu unbestimmt, um die konkrete und für den Beklagten verbindliche Rechtsfolge einer Zuständigkeitsübernahme begründen zu können. An diese tatrichterlichen Feststellungen, die die Beschwerde nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffen hat, ist das Revisionsgericht gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Mangels Verbindlichkeit des Einigungspapiers für die Verteilungsentscheidung nach § 15a [X.] lässt sich aus diesem kein "zwingender Grund" ableiten, der der Verteilung entgegensteht. Im Übrigen ist der Begriff des "zwingenden Grundes", der nicht auf bestimmte familiäre Bindungen beschränkt ist, keiner weiteren abstrakten Konkretisierung zugänglich, sondern es bedarf der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall, ob für den Ausländer eine Verteilung an einen anderen Ort generell oder jedenfalls an den behördlich bestimmten Ort unzumutbar ist (vgl. zum zwingenden Grund, der nach § 73 Abs. 1 Satz 3 [X.] einem Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegensteht: [X.], Urteil vom 1. November 2005 - 1 [X.] 21.04 - [X.]E 124, 276, 290).

5

2. Die Beschwerde hält weiterhin für klärungsbedürftig, "ob es sich bei der Verteilentscheidung der hier beteiligten Behörden nach § 15a [X.] um eine gebundene oder eine ein Ermessen eröffnende Entscheidung handelt" (Beschwerdebegründung S. 5). Sie beruft sich darauf, dass das Verwaltungsgericht die Rechtslage insoweit anders sehe als das Oberverwaltungsgericht. Letzteres gehe davon aus, dass die gegenüber dem Ausländer ergehende [X.] nach § 15a Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 [X.] eine gebundene Entscheidung sei und Ermessen nur in dem - hier nicht vorliegenden Fall - auszuüben sei, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer nach § 15a Abs. 2 [X.] verpflichte, sich zu der Behörde zu begeben, die die Verteilung veranlasse (hier noch: [X.]). Zutreffend sei hingegen die hiervon abweichende Auffassung des [X.]. Dieses habe unter Berufung auf einen Beschluss des Hessischen [X.]hofs vom 30. März 2006 festgestellt, dass die Entscheidungen über die Verteilung nach § 15a [X.] nur hinsichtlich der Zahl der jeweils zu verteilenden Ausländer eine an den Königsteiner Schlüssel gebundene Entscheidung darstelle. Hingegen räume die Entscheidung darüber, ob ein Ausländer überhaupt verteilt werde und - wenn ja - welcher Ausländer auf welches Bundesland, der Verwaltung einen Ermessensspielraum ein. Wegen der unterschiedlichen Auslegung des § 15a [X.] sei eine Klärung durch das [X.] geboten.

6

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Denn die aufgeworfene Frage kann bereits anhand des Gesetzes unter Berücksichtigung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden. Das [X.] unterscheidet klar zwischen der [X.] der die Verteilung veranlassenden Behörde (hier noch: [X.]) nach § 15a Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 [X.] und der an den Ausländer gerichteten Verpflichtung der Ausländerbehörde nach § 15a Abs. 2 Satz 1 [X.], sich zu der die Verteilung veranlassenden Behörde zu begeben. Jedenfalls die [X.] nach § 15a Abs. 4 [X.] ist eine gebundene Entscheidung ("Die Behörde ... ordnet ... an"); nicht zu entscheiden ist, ob die Verpflichtung nach § 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] als Ermessensentscheidung geregelt ist ("können die Ausländer verpflichten") oder es sich insoweit lediglich um eine entsprechende Ermächtigung der Ausländerbehörde handelt (sog. Kompetenz-Kann). Im vorliegenden Fall hat die Ausländerbehörde keine Verpflichtung nach § 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] erlassen, vielmehr hat das [X.] die Verteilung ohne vorausgegangene Verpflichtung des Klägers zur Vorsprache angeordnet.

7

Aus dem Gesetzeswortlaut und dem gesetzgeberischen Zweck ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidung, ob ein vom Gesetz erfasster Ausländer überhaupt verteilt wird und - wenn ja - wohin, eine Ermessensentscheidung darstellen soll. Der Gesetzeswortlaut räumt allenfalls für die hier nicht angeordnete Verpflichtung nach § 15a Abs. 2 [X.] Ermessen ein. Für alle anderen verwaltungsinternen Maßnahmen zur Vorbereitung der Anordnung nach § 15a Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 [X.] (hierzu im Einzelnen: [X.], Beschluss vom 10. März 2016 - 4 Bs 3/16 - juris Rn. 21) sowie die [X.] selbst sieht das Gesetz kein Ermessen vor. Das gilt auch für die Entscheidung, ob eine Verteilung vorzunehmen oder von dieser ausnahmsweise wegen der in § 15a Abs. 1 Satz 6 [X.] normierten Gründe abzusehen ist. Liegen entsprechende Gründe vor, "ist" dem bei der Verteilung Rechnung zu tragen. Die betreffenden Personen sind dann aus dem Verteilverfahren herauszunehmen (so auch [X.], Urteil vom 25. Juni 2014 - 1 [X.] - [X.] 2014, 340, 341). Ermessen besteht jedenfalls insoweit nicht. Dies verkennt das Verwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren, das sich insoweit zu Unrecht auf den auch vom Beschwerdeführer herangezogenen Beschluss des [X.] vom 30. März 2006 (3 TG 556/06, [X.] 2006, 362) beruft. Die Auswahl, welcher Ausländer auf welche Aufnahmeeinrichtung verteilt wird, wird vom [X.] aufgrund eines komplexen, allein durch die Berechnung von Aufnahmequoten für die einzelnen Bundesländer gesteuerten Systems getroffen (hierzu im Einzelnen: [X.], Beschluss vom 10. März 2016 - 4 Bs 3/16 - juris Rn. 21). Auch insoweit wird kein Ermessen ausgeübt (unzutreffend insoweit [X.], Beschluss vom 30. März 2006 - 3 TG 556/06 - [X.] 2006, 362). Die Steuerung der Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer nach objektiven, vorbehaltlich des § 15a Abs. 1 Satz 6 [X.] von subjektiv rechtlichen Ansprüchen freien (§ 15a Abs. 1 Satz 2 [X.]) Kriterien (Quoten) und ohne Ausübung von Ermessen dient auch dem gesetzgeberischen Ziel der Herstellung einer gerechten Lastenverteilung unter den Bundesländern (vgl. die Begründung des [X.] vom 7. Mai 2003, der die Einfügung des § 15a [X.] vorgeschlagen hat - [X.]. 15/955 S. 10 f.).

8

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

9

4. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

1 B 44/16

22.08.2016

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 8. Dezember 2015, Az: OVG 3 B 4.15, Urteil

§ 15a AufenthG, § 15a Abs 1 S 6 AufenthG, § 15a Abs 2 AufenthG, § 15a Abs 2 S 1 AufenthG, § 15a Abs 4 AufenthG, § 15a Abs 4 S 1 Alt 1 AufenthG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.08.2016, Az. 1 B 44/16 (REWIS RS 2016, 6507)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6507

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