Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.10.2016, Az. XII ZB 152/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 4492

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[X.]:[X.]:BGH:2016:051016BXIIZB152.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]/16

vom

5. Oktober 2016

in der Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 411 a
Beabsichtigt das Gericht, in einem Betreuungsverfahren ein in einem anderen Verfahren eingeholtes
Sachverständigengutachten entsprechend §
411
a ZPO zu verwerten, muss es den Beteiligten zuvor rechtliches Gehör gewähren
(im [X.] an die [X.]sbeschlüsse vom 27.
April 2016

XII
ZB
611/15

FamRZ
2016, 1149 und vom 16.
November 2011

XII
ZB
6/11

FamRZ 2012,
293).
BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2016 -
XII [X.]/16 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 5.
Oktober 2016
durch die
Richter Dr.
Klinkhammer, Schilling, Dr.
Günter und Dr.
Botur und die Richterin Dr.
Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und des weiteren Be-teiligten zu
1 wird der Beschluss der 3.
Zivilkammer des [X.] vom 26.
Februar 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.
[X.]: 5.000

Gründe:
I.
Für die 92-jährige Betroffene wurde ein Betreuungsverfahren im [X.] eingestellt, nachdem sie am 10.
Oktober 2013 eine (notariell beurkun-dete) Vorsorgevollmacht für
ihren [X.],
den Beteiligten zu
1,
errichtet und ein ärztliches Gutachten zuvor bei der Betroffenen zwar bereits beginnende kogni-tive Defizite, aber keine relevante Einschränkung der freien Willensbildung fest-gestellt und ihr Geschäftsfähigkeit für die Errichtung einer Vorsorgevollmacht attestiert
hatte.
Ein weiteres Betreuungsverfahren, in dem das gerichtlich erho-bene Sachverständigengutachten vom 28.
März 2015 bei der Betroffenen eine 1
-
3
-

mittelschwere Demenz ([X.]) feststellte, wurde im Juni 2015 im Hinblick auf die Vorsorgevollmacht für den Beteiligten zu
1 eingestellt. Im Dezember 2015 hat das Amtsgericht auf Anregung der [X.], die eine man-gelhafte Pflegesituation bei der Betroffenen anzeigte, nach Anhörung der Be-troffenen eine Betreuung mit folgenden Aufgabenkreisen
angeordnet:
-
Vermögenssorge
-
Aufenthaltsbestimmung
-
Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages
-
Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber ihrem Bevollmächtigten, insbesondere auch Widerruf der [X.] vom 10.
Oktober 2013
-
Entgegennahme, Anhalten und Öffnen der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise
-
Gesundheitsfürsorge einschließlich hiermit verbundener Auf-enthaltsbestimmung
-
Organisation der ambulanten Versorgung
-
Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten-
und Sozialleistungsträgern.
Das [X.] hat die Beschwerden der Betroffenen und des Beteilig-ten zu 1 zurückgewiesen. Hiergegen richten sich ihre Rechtsbeschwerden.

II.
Die Rechtsbeschwerden sind ohne Zulassung statthaft (§
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig.
2
3
-
4
-

Sie sind auch begründet und führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
1.
Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung aus-geführt, das Amtsgericht habe ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Betroffene persönlich angehört. Die Betroffene leide an einer Demenz in Form einer mittelschweren psychischen Störung. Die Voraussetzungen für eine freie Willensbildung seien bei der Betroffenen nicht mehr gegeben. Dies ergebe sich aus
dem im Vorverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigen-gutachten vom 28.
März 2015. Auch Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungs-bedarf seien gegeben. Der Beteiligte zu
1 sei offensichtlich weder geeignet noch gewillt, die Vollmacht zum Wohl der Betroffenen einzusetzen. Dies ergebe sich aus der Stellungnahme
der Verfahrenspflegerin vom 2.
Februar 2016 und decke sich nachvollziehbar mit der Ansicht des Ausgangsgerichts und der Schil-derung der mangelhaften Pflegesituation seitens der [X.]. Die Anordnung der Betreuung sei auch gegen den Willen der Betroffenen möglich. Denn das psychiatrische Gutachten vom 28.
März
2015 stelle hierzu fest, dass die Betroffene aufgrund ihrer Demenz ihren Willen nicht mehr frei bestimmen könne.
2. Die
angefochtene Entscheidung hält bereits den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerden nicht stand.
Das Beschwerdegericht hätte das Sachverständigengutachten aus dem vorangegangenen Betreuungsverfahren nicht verwerten dürfen, ohne die Be-troffene und den Beteiligten zu
1 auf die beabsichtigte Verwertung hinzuweisen und hierzu ausreichend rechtliches Gehör zu gewähren.
Gemäß §
280 Abs.
1 FamFG hat vor der Bestellung eines Betreuers eine förmliche Beweisaufnahme über die Notwendigkeit der Maßnahme durch Ein-4
5
6
7
8
-
5
-

holung eines Gutachtens stattzufinden. Die förmliche Beweisaufnahme muss sich auch auf die fehlende Fähigkeit zur freien Willensbildung beziehen, wenn ein Betreuer gegen den Willen des Betroffenen bestellt werden soll ([X.]sbe-schluss vom 27.
April 2016

XII
ZB
611/15

FamRZ 2016, 1149 Rn.
14). [X.] der gesetzlich angeordneten Förmlichkeit der Beweisaufnahme
(§§
280 Abs.
1, 30 Abs.
2 FamFG) kann das in einem anderen Verfahren eingeholte Gutachten nur dann verwertet werden, wenn es gemäß §
411
a ZPO in das Verfahren eingeführt und dem Betroffenen Gelegenheit gegeben worden ist, zu den Ausführungen des zu verwertenden Gutachtens in dem vorliegenden Ver-fahren Stellung zu nehmen. Beabsichtigt das Gericht von der Möglichkeit des §
411
a ZPO Gebrauch zu machen, muss es den Beteiligten vor der Anordnung der Verwertung rechtliches Gehör gewähren ([X.]sbeschlüsse
vom 27.
April 2016

XII
ZB
611/15

FamRZ 2016, 1149 Rn.
15 und vom 16.
November 2011

XII
ZB
6/11

FamRZ 2012, 293 Rn.
24).
Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Die Rechtsbeschwerdeführer rügen zu Recht, dass ihnen hinsichtlich der aus dem Sachverständigengutachten
vom 28.
März 2015 verwerteten Feststellungen kein ausreichendes rechtliches Ge-hör gewährt worden ist. Weder das Amts-
noch das [X.] haben die be-absichtigte Verwertung des Sachverständigengutachtens angekündigt oder den Beteiligten rechtliches Gehör zu der beabsichtigten Verwertung gewährt. Dass dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen Einsicht auch in die Beiakte gewährt wurde, in der sich das Gutachten befindet, vermag das für ein [X.] nach §
411
a ZPO erforderliche rechtliche Gehör nicht zu ersetzen.
3.
Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen Bestand haben.
Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da nach ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs zunächst tragfähige aktuelle 9
10
11
-
6
-

Feststellungen über die Notwendigkeit einer Betreuung
in den angeordneten Aufgabenkreisen
und die Fähigkeit der Betroffenen zur freien Willensbildung
(insbesondere hinsichtlich ihres seit Einleitung des ersten [X.] konsequent und durchgehend geäußerten Wunsches, beim Beteiligten zu
1 zu leben und von diesem versorgt zu werden)
zu treffen sind. Die Sache ist deshalb an das [X.] zurückzuverweisen. Soweit die Rechtsbeschwer-den darüber hinaus die Erforderlichkeit einer Betreuung trotz der [X.] für den Beteiligten zu
1 in Frage stellen, da weder die Stellungnahme der Betreuungsbehörde vom 23.
November 2015 noch das Gutachten des medizi-nischen Dienstes der Krankenversicherung in [X.] vom 10.
November 2015 noch das Anhörungsprotokoll des Amtsgerichts vom 17.
Dezember 2015 bestä-tigt
hätten, dass der Beteiligte zu
1 der Pflegesituation seiner Mutter nicht nach-komme(n könne), wird das [X.] dies ebenfalls zu prüfen haben.
Im Üb-rigen setzt eine Betreuung, die sich (auch) auf die Befugnis zum Widerruf erteil-ter Vorsorgevollmachten erstrecken soll, tragfähige Feststellungen voraus, dass
-
7
-

das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls der Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt (vgl. im Einzelnen [X.]sbeschluss
vom
13.
Juli 2016

XII
ZB
488/15

NJW-RR 2016, 1095).
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeu-tung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung beizutragen (§
74 Abs.
7 FamFG).

Klinkhammer

Schilling

Günter

Botur

Krüger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 30.12.2015 -
407 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 26.02.2016 -
32 [X.]/16 -

12

Meta

XII ZB 152/16

05.10.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.10.2016, Az. XII ZB 152/16 (REWIS RS 2016, 4492)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4492

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 152/16

407 XVII 469/15

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