Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2017, Az. V ZR 72/16

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 7606

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:210717UVZR72.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
V ZR
72/16
Verkündet am:

21. Juli 2017

Langendörfer-Kunz

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 21.
Juli 2017
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
[X.], die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und die Richter [X.] und Dr.
Hamdorf

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten zu 1 bis 17 wird das Urteil der 29.
Zivilkammer des [X.] vom 28. Januar 2016 auf-gehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die [X.]en sind Mitglieder einer
Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger haben unter Einreichung einer Eigentümerliste Anfechtungsklage gegen mehrere auf einer Eigentümerversammlung gefasste Beschlüsse erho-ben. Die Beklagten zu 1 bis 17 waren erstinstanzlich anwaltlich vertreten, der Beklagte zu 18 hat sich selbst vertreten. Das Amtsgericht hat der Klage [X.] stattgegeben. Im Rubrum dieses Urteils wird als Beklagte (allein)
die WEG A.

erstinstanzli-chen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1
bis 17 im April 2015 [X.]
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n-schaft A.

Das [X.]
hat im Novem-ber 2015 darauf hingewiesen, dass Zweifel an der Person des [X.] bestünden. Nach der Berufungsschrift handele es sich um eine Berufung der Wohnungseigentümergemeinschaft, während Beklagte des erstinstanzli-chen Verfahrens die übrigen Miteigentümer gewesen
seien. Daraufhin haben die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 bis 17
erklärt, die Berufung habe nur für diese
eingelegt werden sollen, nicht aber für den [X.] zu 18
oder die Wohnungseigentümergemeinschaft.

Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zu 1 bis 17
durch Urteil als unzulässig verworfen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision
möch-ten diese
weiterhin die vollständige Abweisung der Klage erreichen.
Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht meint, die Berufungsschrift genüge nicht den An-forderungen des § 519 Abs. 2 ZPO, weil sich aus ihr nicht zweifelsfrei ergebe, dass die Berufung für die Beklagten zu 1 bis 17
habe eingelegt werden sollen. Diese seien weder in der Berufungsschrift aufgeführt noch in dem angegriffenen Urteil, auch nicht in Form einer -
beigefügten oder in Bezug genommenen -
Ei-gentümerliste; es habe daher nicht nahegelegen, dass als Berufungskläger die übrigen Mitglieder der Eigentümergemeinschaft mit Ausnahme des Beklagten zu 18
gemeint gewesen seien.
Dass erstinstanzlich nur die Beklagten zu 1 bis 17 durch Prozessbevollmächtigte vertreten worden seien, habe sich erst aus 2
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der nach Ablauf der Berufungsfrist eingegangenen Gerichtsakte ergeben. Die u-fungsklägern schließen lassen.

Der Antrag der Beklagten zu 1 bis 17 auf Wiedereinsetzung in den [X.] sei unbegründet. Sie könnten sich nicht darauf berufen, dass in dem Rubrum des amtsgerichtlichen Urteils die Wohnungseigentümergemeinschaft als Beklagte angegeben worden sei und sie deshalb diese Bezeichnung in die Berufungsschrift hätten übernehmen können, denn der Rechtsanwalt müsse die [X.] auf die zutreffende Angabe des Rechtsmittelführers hin überprüfen.

II.

Die Revision ist begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten zu 1
bis 17
auf Ge-währleistung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 19 Abs. 4 GG.

1. Das Rechtsstaatsprinzip
garantiert dem Bürger einen effektiven Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt; der Bürger hat Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Dies schließt die normative Ausgestaltung eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich nicht aus, wonach die Geltendmachung eines [X.] an die Beachtung formeller Voraussetzungen gebunden wird. Solche Einschränkungen dürfen aber das Ziel eines wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht aus dem Auge verlieren; sie müssen im Hinblick darauf geeignet und angemessen sowie für den Rechtssuchenden zumutbar sein. Die Gerichte dürfen bei der Auslegung und Anwendung verfah-4
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rensrechtlicher Vorschriften den Zugang zu den in den [X.] eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren ([X.] 74, 228, 234; 77, 275, 284; [X.], NJW 2002, 3534 mwN).

2. Gegen diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht verstoßen, indem es die Berufung der Beklagten zu 1 bis 17
verworfen hat.

a) Im Ansatz zutreffend geht
das Berufungsgericht davon aus, dass nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] zu dem notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO die Angabe gehört, für und gegen welche [X.] das Rechtsmittel eingelegt wird. Die [X.] muss entweder für sich allein betrachtet oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig erkennen lassen, wer Rechtsmittel-führer und wer [X.] sein soll (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Januar 2013 -
VIII ZB 46/12, NJW-RR 2013, 699 Rn.
9;
Urteil vom 15. De-zember 2010 -
XII ZR 18/09, NJW-RR 2011, 359 Rn. 10 f. jeweils mwN). Daran fehlt es, wenn in der Berufungsschrift anstelle des wirklichen Berufungsklägers ein anderer, mit ihm nicht identischer Beteiligter bezeichnet wird ([X.], [X.] vom 21. Februar 2008
-
III [X.], juris Rn. 4 mwN).

b) Das bedeutet aber nicht, dass die erforderliche Klarheit über die [X.] ausschließlich durch dessen ausdrückliche Be-zeichnung zu erzielen wäre. Vielmehr kann sie -
nicht zuletzt unter Beachtung des Grundsatzes, dass der Zugang zu den Instanzen aus verfassungsrechtli-chen Gründen nicht unzumutbar erschwert werden darf -
auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorhandenen Unterlagen gewonnen werden. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob die Person des 7
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Rechtsmittelführers bis zum Ablauf der Berufungsfrist für das Berufungsgericht und den Gegner in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennbar wird ([X.], Beschluss vom 21. Februar 2008
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III [X.], juris Rn. 4 mwN).

c) Nach diesen Maßstäben durfte das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten zu 1 bis 17 nicht mit der Begründung verwerfen, es habe bis zum Ablauf der Berufungsfrist nicht eindeutig erkennen können, wer
Rechtsmittelfüh-rer sein solle.

aa) Die durch ein Urteil scheinbar beschwerte [X.]
ist stets befugt, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen, um den [X.] eines sie [X.] Urteils zu beseitigen (vgl. Senat, Urteil vom 18.
September 1963

V
ZR
192/61, [X.], 248; [X.], Urteil vom 12. Oktober 1953

III
ZR
379/52, [X.]Z 10, 346, 349; Beschluss vom 16. Oktober 1984

VI
ZR
25/83, [X.], 1192, 1193; Beschluss vom 3.
November 1994

LwZB 5/94, NJW 1994, 404; Urteil vom 4. Februar 1999 -
IX ZR 7/98, NJW
1999).
So ist selbst eine nicht parteifähige Personenvereinigung, die als solche verurteilt worden ist, befugt, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen, und zwar auch dann, wenn die im Urteil enthaltene fehlerhafte [X.]bezeich-nung im Wege der Berichtigung korrigierbar war ([X.], Beschluss vom 13.
Juli
1993 -
III ZB 17/93, NJW 1993, 2943, 2944 für die damals noch nicht als parteifähig anerkannte Wohnungseigentümergemeinschaft).

Da das erstinstanzliche Urteil vorliegend im Rubrum allein die [X.] als Beklagte nennt, durfte diese
folglich mit die-ser Bezeichnung Berufung einlegen.

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bb) Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der falschen Bezeich-nung der Beklagten
als Wohnungseigentümergemeinschaft
um ein offensichtli-ches Versehen des Amtsgerichts gehandelt hat, weil nicht diese, sondern allein die Beklagten zu 1 bis 18 [X.]en des erstinstanzlichen Verfahrens waren.

(1) Zwar bestand vorliegend die Möglichkeit, das erstinstanzliche Urteil dahingehend auszulegen, dass nicht die Wohnungseigentümergemeinschaft, sondern die Beteiligten zu 1 bis
18 verurteilt werden. Die Unrichtigkeit der [X.]bezeichnung ist
schon aus dem
Tatbestand
des amtsgerichtlichen Urteils
erkennbar, wonach die [X.]en die Wohnungseigentümergemeinschaft A.

bilden. Hieraus folgt, dass letztere nicht selbst [X.] sein
kann, sondern die übrigen Miteigentümer mit Ausnahme der Kläger verklagt sind.
Der durch die falsche [X.]bezeichnung gesetzte [X.] konnte durch diese Auslegung aber nicht beseitigt werden. Vielmehr bedarf
es hierzu der Be-richtigung des Urteils, die nach § 319 Abs. 1 ZPO
jederzeit von Amts wegen
zulässig ist, da es sich um eine offenbare, aus dem Urteil selbst auch für Dritte erkennbare Unrichtigkeit handelt (vgl. zu dieser Voraussetzung Senat, [X.] vom 9. Februar 1989 -
V [X.], [X.]Z 106, 370, 373). Eine solche Berichtigung ist bislang nicht erfolgt.

Da das Amtsgericht durch die gewählte [X.]bezeichnung den Anschein erweckt hat, die Wohnungseigentümergemeinschaft verurteilt zu haben, durfte die unter dieser Bezeichnung eingelegte Berufung folglich nicht ohne Berichti-gung des amtsgerichtlichen Urteils unter Hinweis auf dessen Auslegungsfähig-keit verworfen werden. Die bloße Möglichkeit der Berichtigung der fehlerhaften [X.]bezeichnung ändert nichts an der Befugnis der
scheinbar verurteilten [X.], Rechtsmittel mit dem Ziel der Beseitigung der scheinbaren Beschwer einzu-13
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legen (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Juli 1993 -
III ZB 17/93, NJW 1993, 2943, 2944).

(2) Der Zulässigkeit der Berufung steht auch nicht entgegen, dass die
Prozessbevollmächtigten
der Beklagten zu 1 bis 17 nach Ablauf der [X.] erklärt haben, die Berufung habe nur für diese und nicht auch für den [X.] zu 18 oder für die fehlerhaft verurteilte [X.] eingelegt werden sollen. Aus der Berechtigung der scheinbar beschwer-ten [X.] zur Rechtsmitteleinlegung folgt, dass es der Klarstellung, welche Personen nach Beseitigung des [X.]s -
etwa durch Berichtigung des erstin-stanzlichen Urteils -

Rechtsmittelkläger sein sollen, nicht schon im Zu-sammenhang mit der Rechtsmitteleinlegung bedarf.
Diese
kann vielmehr auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgen, wie dies hier im [X.] geschehen ist
(vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Juli 1993 -
III ZB 17/93, NJW
1993, 2943, 2944).

III.

Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil die erforderlichen Feststellungen fehlen. Sie ist daher unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Ent-scheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
562 Abs. 1, § 563

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Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Dieses wird nach Berichtigung des amtsgerichtli-chen Urteils, zu der es als Rechtsmittelgericht selbst befugt ist (Senat, [X.] vom 9. Februar 1989 -
V [X.], [X.]Z 133, 370, 373; [X.], Urteil vom 3. Juli 1996 -
VIII ZR 221/95, [X.]Z 133, 184, 191), nunmehr in der Sache über die Berufung der Beklagten zu 1 bis 17 zu entscheiden haben.

[X.] Brückner

Weinland

Kazele Hamdorf

Vorinstanzen:

[X.], Entscheidung vom 23.03.2015 -
202 C 203/14 -

LG [X.], Entscheidung vom 28.01.2016 -
29 [X.]/15 -

Meta

V ZR 72/16

21.07.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2017, Az. V ZR 72/16 (REWIS RS 2017, 7606)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 7606

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VIII ZB 46/12

XII ZR 18/09

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