Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 31.07.2014, Az. 2 B 20/14

2. Senat | REWIS RS 2014, 3638

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Gegenstand

Beweiswertlosigkeit des Polygraphietests im Disziplinarverfahren


Leitsatz

1. Auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist ein am beklagten Beamten durchgeführter Polygraphietest ein ungeeignetes Beweismittel (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 30. November 2010 - 1 StR 509/10 - NStZ 2011, 474).

2. Die Würdigung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen sowie der Glaubhaftigkeit seiner Aussage ist grundsätzlich Sache des Gerichts. Die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens ist jedenfalls dann geboten, wenn die Aussagetüchtigkeit eines Zeugen durch Umstände, wie etwa bestimmte Erkrankungen, beeinträchtigt sein kann, deren Bedeutung der Richter regelmäßig nicht eindeutig beurteilen kann.

Gründe

1

Die auf die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache sowie auf Verfahrensfehler gestützte [X.]eschwerde des [X.]n (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO und § 67 Satz 1 [X.] NRW) ist unbegründet.

2

1. Der 1945 geborene [X.] stand als Studiendirektor im Dienst des [X.]. Auf seinen Antrag hin versetzte ihn der Kläger zum Ende des Monats Juli 2008 in den Ruhestand. Im Mai 2009 wurde der [X.] wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen im [X.]raum von 1986 bis 1989 zu einer zur [X.]ewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht dem [X.]n das Ruhegehalt aberkannt. Auch im erneuten [X.]erufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht die [X.]erufung des [X.]n zurückgewiesen. Zur [X.]egründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

3

Aufgrund der [X.]eweisaufnahme sei das Gericht davon überzeugt, dass der [X.] an zwei nicht näher bestimmbaren Tagen im [X.]raum zwischen 1986 und 1989 seine 1980 geborene Tochter sexuell missbraucht habe. Die Disziplinarwürdigkeit des sehr schweren außerdienstlichen Dienstvergehens ergebe sich bereits aus dem Strafrahmen für den sexuellen Missbrauch. Die gesetzliche Strafandrohung sei auch Orientierungsrahmen für die [X.]emessung der Disziplinarmaßnahme und reiche hier bis zur Aberkennung des Ruhegehalts. Die Gesamtbewertung des Dienstvergehens des [X.]n, sämtlicher für und gegen ihn sprechenden Umstände sowie seine aus den Akten ersichtliche und in der [X.]erufungsverhandlung erkennbar gewordene Persönlichkeit führe zu der Prognoseentscheidung, dass das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in den [X.]n unwiederbringlich zerstört sei. Die durch sein Verhalten verursachte [X.]eeinträchtigung des Ansehens des [X.]erufsbeamtentums sei bei einer Fortdauer des [X.]eamtenverhältnisses nicht wieder gut zu machen. Wäre der [X.] noch im Dienst, so müsste er, weil untragbar, aus diesem entfernt werden.

4

2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und § 67 Satz 1 [X.] NRW) sind nicht erfüllt.

5

Grundsätzliche [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom [X.]eschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des [X.] erheblich sein wird (stRspr, u.a. [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - [X.]VerwG 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91 f.>). In [X.]ezug auf die in der [X.]eschwerdebegründung aufgeworfene Frage

"ob Sachverständigengutachten bzgl. polygraphischer Untersuchungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein völlig ungeeignetes [X.]eweismittel darstellen",

ist dies nicht der Fall. Die Frage ist bereits durch die Rechtsprechung des [X.], der sich der Senat anschließt, rechtsgrundsätzlich geklärt.

6

Auch im Verwaltungsprozess ist ein [X.]eweismittel ungeeignet, wenn es keinerlei [X.]eweiswert hat und deshalb untauglich ist. Ein entsprechender [X.]eweisantrag kann unter Hinweis auf die entsprechend heranzuziehende [X.]estimmung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt werden ([X.]eschlüsse vom 9. Mai 1983 - [X.]VerwG 9 [X.] 10466.81 - [X.] 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 5 und vom 31. Juli 1989 - [X.]VerwG 7 [X.] 104.89 - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 265). Es bedarf nicht der Durchführung des angestrebten Revisionsverfahrens, um rechtsgrundsätzlich zu klären, dass das beim Kläger durchgeführte polygraphische Testverfahren nichts zur Klärung der Frage beitragen kann, ob der [X.] im [X.]raum zwischen 1986 und 1989 seine 1980 geborene Tochter zweimal sexuell missbraucht hat.

7

Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des [X.] hat die Psychologin, die mit Hilfe eines [X.] die Reaktion des [X.]n auf verdachtsbezogene Fragen getestet hat, einen sog. Kontrollfragentest durchgeführt (vgl. dazu [X.]GH, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 1 [X.] - [X.]GHSt 44, 308 = juris Rn. 20). Nach der ständigen Rechtsprechung der Strafsenate des [X.] kommt diesem Kontrollfragentest kein auch nur geringfügiger indizieller [X.]eweiswert zu ([X.]GH, Urteil vom 17. Dezember 1998 a.a.[X.] Rn. 45 ff. und [X.]eschluss vom 10. Februar 1999 - 3 [X.] - NStZ-RR 2000, 35). Das Kontrollfragenverfahren ist ungeeignet, weil es sich nicht um eine Methode handelt, die in den maßgebenden Fachkreisen allgemein zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestuft wird. Hierfür sind folgende Gründe maßgeblich:

8

Zwischen bestimmten kognitiven oder emotionalen Zuständen eines Menschen und spezifischen Reaktionen des vegetativen Nervensystems, die vom [X.] während der [X.]efragung kontinuierlich gemessen werden, sind keine eindeutigen Zusammenhänge zu erkennen. Dies gilt insbesondere für Reaktionen bei der unwahren [X.]eantwortung von Fragen ([X.]GH, Urteil vom 17. Dezember 1998 a.a.[X.] Rn. 28 und 45 ff.). Damit ist es nicht möglich, aus der Sichtung erzielter Messergebnisse darauf zu schließen, der Proband habe im Rahmen der Untersuchung eine auf die Tat bezogene Frage bewusst falsch beantwortet. Eine derartige Einschätzung kann nur an unterschiedlich starke Reaktionen bei der [X.]eantwortung der tatbezogenen Fragen und der Kontroll- oder Vergleichsfragen anknüpfen. Dieser methodisch zweifelhafte Ansatz gibt dem Gericht keine Möglichkeit zu überprüfen, ob das Testverfahren im konkreten Fall zu zutreffenden Ergebnissen geführt hat. Diese Einschätzung hat der [X.]undesgerichtshof jüngst bestätigt, wobei er sich mit den Einwendungen gegen seine Rechtsprechung auseinander gesetzt hat ([X.]eschluss vom 30. November 2010 - 1 StR 509/10 - NStZ 2011, 474). Für das Zivilverfahren hat der [X.]undesgerichtshof diese Rechtsprechung der Strafsenate übernommen ([X.]eschluss vom 24. Juni 2003 - [X.] - NJW 2003, 2527).

9

Diese [X.]eurteilung des Kontrollfrageverfahrens als ungeeignetes [X.]eweismittel gilt generell. Aus der [X.]eschwerdebegründung ergeben sich keine Anhaltspunkte, die diese [X.]ewertung substantiiert in Frage stellen und eine rechtsgrundsätzliche Klärung auch für den Verwaltungsprozess erforderlich erscheinen lassen.

Für die [X.]ewertung des [X.] als ungeeignet ist der [X.]efund tragend, dass zwischen bestimmten kognitiven oder emotionalen Zuständen eines Menschen und spezifischen Reaktionen des vegetativen Nervensystems, die vom [X.] während der [X.]efragung kontinuierlich gemessen werden, keine eindeutigen Zusammenhänge zu erkennen sind und dies insbesondere für Reaktionen bei der unwahren [X.]eantwortung von Fragen gilt ([X.]GH, Urteil vom 17. Dezember 1998 a.a.[X.] Rn. 28 und 45 ff.). Diese tragenden Erwägungen stellt die [X.]eschwerdebegründung durch den bloßen Hinweis auf die hohe durchschnittliche Trefferquote bei experimentellen Untersuchungen an realen [X.]eschuldigten nicht in Frage. Die in der [X.]egründung aufgeführten Gerichtsentscheidungen stammen zum Teil noch aus der [X.] vor dem grundlegenden Urteil des [X.] vom 17. Dezember 1998 (1 [X.]) und berücksichtigen deshalb nicht die Erkenntnisse, die der [X.]undesgerichtshof aus den von ihm eingeholten Sachverständigengutachten gewonnen hat. Auch die späteren, in der [X.]egründung angeführten Gerichtsentscheidungen in Sorgerechtsstreitigkeiten ([X.], [X.]eschluss vom 14. Mai 2013 - 21 UF 787/12, 21 UF 0787/12 - juris Rn. 19; AG [X.]autzen, [X.]eschluss vom 28. Januar 2013 - 12 F 1032/12 - juris Rn. 64 ff.) verweisen in erster Linie auf die weltweite Verbreitung und Anerkennung von polygraphischen [X.]efragungsverfahren, nehmen aber nicht ausreichend zur Frage eines festen Zusammenhangs zwischen einem bestimmten [X.] und spezifischen Reaktionsmustern des vegetativen Nervensystems Stellung.

Da das [X.]eweismittel des Kontrollfragenverfahrens mittels eines [X.] kein geeignetes [X.]eweismittel ist, verletzt die Ablehnung des [X.]eweisantrags des [X.]n auf Anhörung der Frau [X.] als Sachverständige zu dem Test vom 8. November 2013 ihn auch nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör.

3. Auch die weiteren von der [X.]eschwerde gerügten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 67 Satz 1 [X.] NRW) liegen nicht vor.

a) Der [X.] macht zunächst geltend, das Oberverwaltungsgericht habe dadurch gegen die ihm nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Verpflichtung zur Klärung des Sachverhalts verstoßen, dass es trotz der Annahme, der von der Zeugin M. vorgelegte Fragebogen sei tatsächlich von zwei verschiedenen Personen ausgefüllt worden, nichts weiter zur Klärung der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage unternommen hat. Diese Verfahrensrüge ist unbegründet.

Derjenige Verfahrensbeteiligte, der einen Verstoß gegen die dem Gericht obliegende Pflicht zur Klärung des Sachverhalts (§ 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW sowie § 3 Abs. 1 [X.] NRW und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) geltend macht, obwohl er - durch eine nach § 67 Abs. 1 VwGO postulationsfähige Person sachkundig vertreten - in der [X.]erufungsinstanz keinen förmlichen [X.]eweisantrag gestellt hat, muss, um den gerügten Verfahrensmangel prozessordnungsgemäß zu bezeichnen, substantiiert darlegen, weshalb sich dem [X.] aus seiner maßgeblichen materiellrechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um - vermeintliche - Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von förmlichen [X.]eweisanträgen, auszugleichen ([X.]eschlüsse vom 2. März 1978 - [X.]VerwG 6 [X.] 24.78 - [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 164 S. 43 f., vom 6. März 1995 - [X.]VerwG 6 [X.] 81.94 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 27. Januar 2012 - [X.]VerwG 5 [X.] 2.12 - juris Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Der [X.]eschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass sich dem Oberverwaltungsgericht die vom [X.]n vermisste [X.]eweisaufnahme durch die erneute Ladung der Zeugin M. und der Konfrontation mit dem Umstand, dass der von ihr vorgelegte Fragebogen tatsächlich von zwei Personen ausgefüllt worden ist, hätte aufdrängen müssen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Aussage der Zeugin M., die Angaben auf dem Fragebogen stammten ausschließlich von der Tochter des [X.]n, entsprechend seiner Wahrunterstellung, der Fragebogen sei tatsächlich von zwei verschiedenen Personen ausgefüllt worden, als objektiv unrichtig bezeichnet. Das Oberverwaltungsgericht hat aber die Glaubwürdigkeit der Zeugin M. und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage, die für die Würdigung der Aussage der Tochter des [X.]n, von [X.]edeutung sind, aufgrund der ihm als [X.] obliegenden [X.]eweiswürdigung ohne erneute [X.]efragung und Konfrontation dieser Zeugin mit der Unrichtigkeit dieses Teils ihrer Aussage beurteilt.

Aufgrund seiner Wertung, die Unterschiedlichkeit der beiden Handschriften auf dem Fragebogen sei offensichtlich, hat das Oberverwaltungsgericht die Annahme ausgeschlossen, die Zeugin M. habe mit ihrer Aussage, die Tochter des [X.]n habe den Fragebogen vollständig selbst ausgefüllt, den [X.]n bewusst irreführend belasten wollen. Ferner hat das Oberverwaltungsgericht dargelegt, dass die Aussage der Zeugin M. glaubhaft ist, die Angaben auf dem Fragebogen stammten sämtlich von der Tochter des [X.]n. Hinsichtlich des Umstands der Niederschrift der Angaben im Fragebogen durch eine andere Person hat es nachvollziehbar dargelegt, dass die Tochter des [X.]n die Angaben im Rahmen der Therapiesitzungen mündlich gemacht und die Zeugin M. diese dann eigenhändig im Fragebogen vermerkt hat. Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht die Zeugin M. trotz der vom [X.]n geäußerten Zweifel an ihren Angaben aufgrund ihres Erscheinungsbildes für glaubwürdig gehalten. Diese Ausführungen stehen im Zusammenhang mit der "ins [X.]laue hinein" aufgestellten Vermutung des [X.]n, die Zeugin M. sei selbst Opfer eines Missbrauchs.

b) Einen Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen nach § 86 Abs. 1 VwGO sieht die [X.]eschwerde ferner darin, dass das Oberverwaltungsgericht den [X.]eweisantrag des [X.]n abgelehnt hat, in [X.]ezug auf die Tochter des [X.]n ein aussagepsychologisches Gutachten zur Frage einzuholen, ob deren Aussage als eine authentische, unbeeinflusste, originale Aussage angesehen werden kann oder ob sie möglicherweise ein unauflösbares Gemisch von ursprünglich eigenen Erinnerungen der Zeugin und späteren Suggestionseffekten darstellt. Auch diese Verfahrensrüge ist nicht begründet.

Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW sowie § 3 Abs. 1 [X.] NRW und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO erhebt das Gericht im Disziplinarklageverfahren die erforderlichen [X.]eweise. Die Ablehnung eines [X.]eweisantrags zu einer unter [X.]eweis gestellten und zu einem Rechtsstandpunkt erheblichen Tatsache verletzt den Anspruch eines [X.]eteiligten auf rechtliches Gehör, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, [X.]eschlüsse vom 12. Mai 1999 - [X.]VerwG 9 [X.] 264.99 - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 3 S. 5, vom 29. Mai 2009 - [X.]VerwG 2 [X.] 3.09 - [X.] 235.1 § 58 [X.]DG Nr. 5 = NJW 2009, 2614 und vom 26. Oktober 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] 69.10 Rn. 19 ff.). Dies ist hier nicht der Fall.

Die [X.]eurteilung der Glaubwürdigkeit vernommener Zeugen sowie der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen unter [X.]erücksichtigung der vom [X.]n erhobenen Einwände ist grundsätzlich Sache des Gerichts (Urteil vom 29. Juli 2010 - [X.]VerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 158). Ausnahmen können dann gerechtfertigt sein, wenn besondere, in erheblicher Weise von den [X.] abweichende, Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht. Dies kommt bei Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung oder einer anderen, die Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigenden Erkrankung in [X.]etracht, deren mögliche Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit eines Zeugen spezifisches Fachwissen erfordert, das nicht Allgemeingut von Richtern ist (stRspr des [X.]GH, vgl. [X.]eschluss vom 28. Oktober 2009 - 5 [X.] -, [X.], 100 m.w.N. und Urteil vom 18. August 2009 - 1 [X.] - [X.], 51; vgl. auch [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 7. Juli 1999 - [X.]VerwG 9 [X.] 401.99 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 304 = juris Rn. 4 m.w.N.).

Auch den [X.]eweisantrag des [X.]n zur Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens hat das Oberverwaltungsgericht rechtsfehlerfrei abgelehnt. Der [X.] legt zur [X.]egründung der Verfahrensrüge dar, der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs sei erstmals aufgekommen, als seine Tochter 15 oder 16 Jahre alt gewesen sei und erhebliche Mengen an Marihuana konsumiert habe. Zuvor habe es allenfalls vage Hinweise gegeben. Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs habe sich erst im Rahmen jahrelanger Therapiesitzungen verfestigt.

Damit gibt die [X.]eschwerdebegründung des [X.]n die maßgeblichen Erwägungen des [X.] zur Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens hinsichtlich der Zeugin [X.] nur lückenhaft wieder.

Die Feststellungen hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs beruhen hier, anders als in einigen vom [X.]undesgerichtshof entschiedenen Fällen, nicht allein auf der Aussage des Opfers, die diese erst mit einem Abstand von etwa zehn Jahren nach dem Missbrauch gemacht hat. Denn die Zeugin D. hat nicht erstmals im Alter von 15 oder 16 Jahren vom Missbrauch durch den [X.]n berichtet. Vielmehr ergibt sich aus der - vom Oberverwaltungsgericht als glaubhaft gewürdigten - Aussage der Zeugin E., die die Tochter des [X.]n in diesem [X.]raum betreut hat, dass diese ihr gegenüber bereits im [X.] entsprechende Angaben gemacht hat. Diese waren so konkret, dass sich die Zeugin E. nach ihren Angaben mit der Mutter des Opfers in Verbindung gesetzt und zudem mehrfach bei der Tochter des [X.]n nachgefragt hat, ob sich die Vorfälle wiederholt hätten.

Zudem ergibt sich aus der Aussage der weiteren Zeugin Dr. [X.]., die der [X.] nach ihrer Aussage im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren im [X.]ereich der Schamlippen gestreichelt hat, dass der [X.] in [X.]ezug auf seine Tochter gesagt hat, diese möge solche [X.]erührungen. Auch hatte sich die Tochter des [X.]n im Sexualkundeunterricht in der Grundschule so auffällig verhalten, dass die Lehrerin die Mutter der Zeugin kontaktierte.

Ferner hat das Oberverwaltungsgericht mit einer eingehenden [X.]egründung eine suggestive [X.]efragung der Tochter des [X.]n hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs durch die Zeugin M. ausgeschlossen.

Meta

2 B 20/14

31.07.2014

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 16. Dezember 2013, Az: 3d A 2670/10.O, Urteil

§ 244 Abs 3 StPO, § 86 Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 31.07.2014, Az. 2 B 20/14 (REWIS RS 2014, 3638)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3638

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Erforderlichkeit eines aussagepsychologischen Gutachtens; Beurteilung einer Zeugenaussage als originäre tatrichterliche Aufgabe


Referenzen
Wird zitiert von

29 K 8461/18

12 Sa 705/21

Zitiert

1 StR 509/10

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x

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