Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.09.2003, Az. 2 StR 230/03

2. Strafsenat | REWIS RS 2003, 1687

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[X.]/03vom11. September 2003in der [X.] 2 -Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 11. September 2003 gemäß § 349Abs. 2 und 4 StPO [X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das [X.]eil des [X.] vom 10. Januar 2003 aufgehoben:a) im Einzelstrafausspruch bezüglich des [X.]) im [X.].Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.]szurückverwiesen.2. Die weitergehende Revision wird verworfen.[X.] Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags ([X.]) und wegen Unterschlagung in Tatein-heit mit Erwerb sowie Führen einer Schußwaffe ohne erforderliche Erlaubnis(Einzelfreiheitsstrafe: 1 Jahr und sechs Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafevon zwölf Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einempsychiatrischen Krankenhaus [X.] -Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die [X.] formellen und materiellen Rechtes rügt. Sein Rechtsmittel hat mit derSachrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg: der [X.] wegen Totschlags und damit auch der Gesamtstrafenaus-spruch haben keinen Bestand, da die Ausführungen des Tatrichters bei [X.] eines besonders schweren Falles des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB)rechtlichen Bedenken begegnen. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründetim Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.2. Nach den Feststellungen des [X.]s tötete der Angeklagte [X.] [X.], der ihm den Weg zu Pilzen versperrte, mit einem Messer.Hierbei stach er [X.] auf das Opfer ein, wobei das [X.] zuguns-ten des Angeklagten davon ausging, daß bereits der erste mit direktem [X.] geführte Stich tödlich war. Nach dem Tod des Opfers nahm [X.] dessen Gewehr in [X.] an sich.Der Angeklagte handelte bei der Ausführung der Tat im Zustand erheb-lich verminderter Schuldfähigkeit; seine Steuerungsfähigkeit war erheblich ein-geschränkt, aber nicht aufgehoben. Nach Auffassung des [X.]s weisedie Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten paranoide und schizoide Züge auf,die den schweren anderen seelischen Abartigkeiten zuzuordnen seien und [X.] einer krankhaften seelischen Störung erreichen würden. Dieser Zu-stand sei keineswegs nur vorübergehender Natur, sondern länger andauernd.Das [X.] bejahte die Voraussetzungen des Totschlags, verneinteaber Mordmerkmale im Ergebnis. Es nahm hierbei an, daß der Angeklagte ob-jektiv aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe, er sich aber letztlich [X.] auf seine paranoide Persönlichkeitsstruktur nicht der Umstände [X.] gewesen sei, die den Antrieb zum Handeln sittlich besonders verwerflich- 4 -machen. Deshalb würden die subjektiven Voraussetzungen des Merkmals"niedrige Beweggründe" fehlen. Das Mordmerkmal "grausam" lehnte der [X.] aus objektiven und subjektiven Gründen ab. Objektiv liege [X.] vor, da zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden müsse,daß bereits der erste Messerstich tödlich gewesen sei, so daß das Opfer [X.] starke Schmerzen oder Qualen erlitten habe. Es fehle aber auch anden subjektiven Voraussetzungen, da in Anbetracht der affektiven Erregungund der ursächlichen Persönlichkeitsstörung nicht davon ausgegangen werdenkönne, er habe mit dem Bewußtsein grausamer Tatausführung gehandelt.Im Rahmen der Strafzumessung lehnte das [X.] zunächst einenminder schweren Fall des Totschlags (§ 213 StGB) - auch unter Berücksichti-gung des vertypten [X.] des § 21 StGB - rechtsfehlerfrei ab. Beider Prüfung eines besonders schweren Falles des Totschlags (§ 212 Abs. 2StGB) war sich das [X.] bewußt, daß die Nähe zu einem Mordmerkmalzur Bejahung des § 212 Abs. 2 StGB nicht ausreicht, sondern vielmehr schuld-erhöhende Umstände hinzukommen müssen, die besonderes Gewicht haben.Diese sah der Tatrichter in der Nähe zu zwei [X.] ("grausam" und"aus niedrigen Beweggründen"), um dann auszuführen:"Obwohl damit die Nähe zu zwei [X.] und gleichsam beson-ders schulderhöhende Momente vorlägen, mußte die Annahme einesbesonders schweren Falles des Totschlags bei Gesamtwürdigung allerobjektiven und subjektiven Umstände aus dem Grund scheitern, daßdiese Nähe der Tat zum [X.] Angeklagten beruht, der infolge dessen im Zustand verminderterSchuldfähigkeit gemäß § 21 StGB handelte. Somit können die niedrigenBeweggründe und die brutale Art der Tatausführung dem [X.] -nicht mit dem einen besonders schweren Fall begründenden Gewichtvorgeworfen werden, da der Angeklagte nicht voll umfänglich in der [X.] war, die [X.] Wut- und [X.] zusteuern, denn bei dem Angeklagten war die Steuerungsfähigkeit erheb-lich eingeschränkt. Es würde in der Regel dem Schuldprinzip widerspre-chen, wollte man den Täter, der aus subjektiven Gründen nicht wegenMordes verurteilt werden kann, wegen der Nähe der objektiv vorliegen-den Motive zu den niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 StGBauf dem Umweg über den besonders schweren Fall des Totschlages mitder dem Mörder zugedachten Strafe belegen (vgl. [X.] 1981,258). Ausscheiden mußte schließlich auch die Möglichkeit, den Straf-rahmen des besonders schweren Falles gemäß § 212 Abs. 2 StGB le-diglich nach § 49 Abs. 1 StGB herabzusetzen.Aufgrund der Ablehnung eines besonders schweren Falles wegen dereine andere schwere seelische Abartigkeit darstellenden paranoidenPersönlichkeitsstörung kam nunmehr jedoch eine Milderung des darauf-hin einschlägigen Strafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB nach den §§ 21,49 Abs. 1 StGB nicht mehr in Betracht. Denn der Umstand der erheblichverminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten wurde bereits bei [X.] herangezogen und ist damit für eine weitereStrafrahmenverschiebung verbraucht. Bei Verneinung eines besondersschweren Falles aufgrund der erheblichen Verminderung der [X.] allein oder mit weiteren Umständen kommt entsprechend [X.] des § 50 StGB eine nochmalige Strafrahmenverschie-bung durch Herabsetzung des Regelstrafrahmens nach §§ 21, 49 Abs. 1StGB nicht mehr in Frage (vgl. [X.] 1986, 312; Stree in [X.]/[X.], StGB 26. Aufl. § 50 [X.]. 7; Tröndle/[X.], StGB 51. [X.] -§ 50 [X.]. 2). Denn andernfalls würde eine mit dem Regelungszweckdes § 50 StGB nicht vereinbare Doppelverwertung von [X.] in Bezug auf die [X.] ermöglicht.Zur Ahndung der Tat reichte mithin der Regelstrafrahmen des [X.] aus, so daß gemäß § 212 Abs. 1 StGB für die Tatvon einem Strafrahmen von fünf Jahren bis 15 Jahren auszugehen [X.] Diese Ausführungen des Tatrichters begegnen durchgreifendenrechtlichen Bedenken. Das [X.] hat rechtsfehlerhaft nur unter"Verbrauch" (§ 50 StGB) des vertypten [X.] (§ 21 StGB) einenbesonders schweren Fall des Totschlags verneint. Es kann hierbei [X.], ob im vorliegenden Fall überhaupt grundsätzlich an die Nähe zu zwei[X.] gedacht werden kann, da das Mordmerkmal "grausam" nichtlediglich aus subjektiven Gründen ausscheidet, sondern auch objektiv nichtgegeben ist, wenn man die zugunsten des Angeklagten getroffenen Feststel-lungen, daß bereits der erste Messerstich tödlich war, konsequent beachtet. [X.] auch keiner Entscheidung, ob die Verneinung eines besonders schwe-ren Falles unter Berufung auf einen vertypten [X.] die Anwendungdes § 50 StGB ohne weiteres nach sich zieht (vgl. dazu unter anderem [X.] in [X.]. [X.]. 14 ff. zu § 50 StGB; [X.] NJW 1986, 1699,1700; [X.]R StGB vor § 1/minder schwerer Fall - Gesamtwürdigung, unvoll-ständige 11).Der Rechtsfehler des [X.]s ist darin zu sehen, daß es nicht er-kannt hat, daß hier nicht der vertypte [X.] der erheblich vermin-derten Steuerungsfähigkeit als Folge der Persönlichkeitsstörung an sich [X.] eines besonders schweren Falles des Totschlags führt, [X.] bereits die tatsächlichen Umstände aus dem Umkreis des besonderen ge-- 7 -setzlichen [X.] die Annahme eines besonders schweren Fallesausschließen. Die paranoide Persönlichkeitsstörung des Angeklagten, die [X.] der subjektiven Voraussetzungen der Mordmerkmale geführt hat,läßt auch die "Nähe" zu diesen [X.] entfallen. Es fehlt die besonde-re Verwerflichkeit, die die Tat in ihrem Unwert zurechenbar mit Mord auf eineEbene hebt. Der Tatrichter durfte daher nicht zunächst gedanklich die Voraus-setzungen des § 212 Abs. 2 StGB bejahen, um dann in die Prüfung einzutre-ten, ob dieser Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern ist oder,ob mit der Folge des § 50 StGB von einem besonders schweren Fall unter"Verbrauch" eines vertypten [X.] abzusehen ist. Er hätte viel-mehr bedenken müssen, daß bereits die paranoide Persönlichkeitsstörung [X.] hier der Bejahung des § 212 Abs. 2 StGB entgegenstand und daßer dann an einer weiteren Milderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht gehin-dert war (vgl. auch [X.], Festschrift für [X.] 1977 S. 265, 278).Aus der vom Tatrichter angeführten Entscheidung ([X.] 1981,258) ergibt sich nichts anderes. Der [X.] hat dort betont, daß [X.] des objektiven Sachverhalts zum Mord dann kaum zur Anwendung des§ 212 Abs. 2 StGB führen kann, wenn die zur Aburteilung stehende Tötunggerade in einer besonderen die Mordqualifikation ausschließenden Persönlich-keitsstruktur ihre charakteristische Prägung findet, ohne daß in dem Sachver-halt gravierende sonstige Besonderheiten gegeben sind, die eine lebenslangeFreiheitsstrafe nahelegen. Abgesehen davon, daß diese Entscheidung keinenFall betrifft, in dem - wie hier - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21StGB bejaht wurde, macht sie jedoch gerade deutlich, daß die Umstände, diezur Verneinung von [X.] geführt haben, auch die Verneinung derNähe zu [X.] - damit auch des § 212 Abs. 2 StGB - nahe legen.Ansonsten käme man unter Verstoß gegen das Schuldprinzip auf dem [X.] -über die Bejahung der Voraussetzungen des § 212 Abs. 2 StGB zu einem [X.] zugedachten Strafrahmen.Dies zeigt gerade auch der vorliegende Fall. Würde die Auffassung [X.] zutreffen, hätte sich der Angeklagte bei Annahme von Mord bessergestellt; denn der gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des§ 211 StGB beträgt drei bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe und liegt damit unterdem vom [X.] angewandten Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB(fünf bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe). Es ist deshalb auch nicht ohne [X.] verständlich, daß das [X.] - ausgehend von seinem unzutreffendenAusgangspunkt - ohne nähere Begründung die dem Angeklagten gegenüberdem Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB günstigere Möglichkeit einerMilderung des Strafrahmens des § 212 Abs. 2 StGB gemäß §§ 21, 49 Abs. 1StGB (vgl. hierzu auch [X.], [X.]. vom 25. Juli 1978 - 5 StR 331/78) abgelehnthat. Hierauf kommt es aber letztlich nicht entscheidend an, da bereits die Ver-neinung eines besonders schweren Falles (§ 212 Abs. 2 StGB) unter"Verbrauch" des vertypten [X.] (§ 21 StGB) bei der gegebenenSachlage rechtsfehlerhaft war.Der [X.] kann nicht ausschließen, daß die für den Totschlag verhängteFreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten auf diesem Rechtsfehler be-ruht. Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheits-strafe nach sich.Die jeweils zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem [X.] nicht berührt und können daher bestehen [X.] 9 -Der [X.] schließt aus, daß sich der Rechtsfehler auf die weitere [X.] von einem Jahr und sechs Monaten und auf die Anordnung der Un-terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) ausgewirkt hat.Durch die Teilaufhebung des [X.]eils und entsprechende Zurückverwei-sung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung ist die ebenfalls ein-gelegte Kostenbeschwerde gegenstandslos geworden. [X.] Ri[X.] Detter ist [X.] wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert [X.] Rothfuß [X.]

Meta

2 StR 230/03

11.09.2003

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.09.2003, Az. 2 StR 230/03 (REWIS RS 2003, 1687)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 1687

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