Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.12.2014, Az. IX ZB 65/13

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 98

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 65/13

vom

18. Dezember 2014

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 41 Nr. 6, § 42 Abs. 2
Die Mitwirkung der im Vorprozess mit der Sache befassten Richter bei dem Erlass der Entscheidung im späteren Anwaltshaftungsprozess stellt weder einen gesetzli-chen Ausschlussgrund noch einen Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befan-genheit dar.

BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 -
IX ZB 65/13 -
OLG Hamm

LG Münster

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Der IX.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch
den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Kayser,
den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter Dr.
Fischer
und
Dr. Pape

am 18. Dezember 2014
beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 32.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 21.
August 2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 80.000

festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher Berufspflichten. Die beklagten Rechtsanwälte vertraten den Kläger vor dem Landgericht Münster in einem Arzthaftungsprozess (nachfolgend: Vorprozess). Nach Abweisung der Klage legten sie auftragsgemäß Berufung ein, die sie nicht rechtzeitig begründeten. Der Kläger ist der Auffassung, sein Rechtsmittel wäre begründet gewesen. Er nimmt die Beklagten deshalb auf Schadensersatz in Höhe des im Vorprozess verlangten Schmerzensgeldes von 50.000

Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche weiteren materiellen und immateriel-len Schäden in Anspruch, die er durch die im Vorprozess streitgegenständliche 1
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ärztliche Fehlbehandlung erlitten habe und künftig noch erleiden werde. Nach der Geschäftsverteilung des Landgerichts ist für die Entscheidung des Rechts-streits die Kammer zuständig, die bereits mit dem Vorprozess befasst war. Mit Schriftsatz vom 11.
März 2013 hat der Kläger, soweit noch von Interesse, den Kammervorsitzenden und ein weiteres Mitglied der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgelehnt, dass der Fall demjenigen des gesetzlichen Ausschlusses des mit der Sache vorbefassten Richters nach §
41
Nr. 6 ZPO entspreche. In ihren dienstlichen Äußerungen haben die Richter er-klärt, über die Klage unvoreingenommen urteilen zu können.

Das Ablehnungsgesuch ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers zu-rückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger sein Ablehnungsbegehren weiter.

II.

Die gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 ZPO statthafte und auch im Übri-gen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die abgelehnten Richter seien weder kraft Gesetzes noch wegen Besorgnis der Befangenheit von der Aus-übung ihres Richteramtes ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des § 41 Nr. 6 ZPO seien nicht erfüllt, die Vorschrift führe nur dann zum gesetzlichen Aus-schluss vom Richteramt, wenn ein Richter
in einem
früheren Rechtszug des gleichen Verfahrens an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der Regressprozess bezwecke nicht die Überprü-2
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fung der im Ausgangsverfahren ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung, deren Richtigkeit nur inzidenter im Rahmen des geltend gemachten Schadens zu beurteilen
sei. Einer ausdehnenden Auslegung sei die Vorschrift nicht zu-gänglich. Dem
stehe das verfassungsrechtlich garantierte Recht der Beteiligten auf den gesetzlichen Richter entgegen.

Die Tätigkeit der abgelehnten Richter im Ausgangsverfahren
rechtfertige auch nicht die
Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO. Allein die Mitwirkung der Richter an dem klageabweisenden Urteil des Ausgangsprozes-ses begründe diese Besorgnis nicht.
Die Zivilprozessordnung lasse verschiede-ne Konstellationen -
etwa die Entscheidung über den Einspruch nach Erlass eines Versäumnisurteils oder über den Widerspruch gegen eine im Beschluss-verfahren ergangene einstweilige
Verfügung
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zu, in denen ein Richter im weite-ren Verlauf des Verfahrens eigene Entscheidungen zu überprüfen und gegebe-nenfalls abzuändern habe, ohne dass er deshalb aus der Sicht einer verständi-gen Partei als befangen anzusehen sei. Dies gelte auch für atypische Konstella-tionen prozessrechtlicher Vorbefassung, in denen beispielsweise der Rechts-mittelrichter an das Tatsachengericht wechsele, bei dem er ein unter seiner Mitwirkung im Rechtsmittelverfahren aufgehobenes und zurückverwiesenes Rechtsmittelverfahren fortzuführen habe, oder die Befassung als Zivilrichter mit einer Sache, die er zuvor bereits als Strafrichter zu beurteilen gehabt habe.

2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die abgelehn-ten Richter sind wegen ihrer Mitwirkung im
vorausgegangenen Arzthaftungs-prozess weder ausgeschlossen (§ 41 Nr. 6 ZPO) noch befangen (§ 42 Abs. 2 ZPO).
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a) Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteram-tes kraft Gesetzes in Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefoch-tenen Entscheidung mitgewirkt hat. Seine Mitwirkung an einer anderen Ent-scheidung als der angefochtenen reicht hingegen nicht aus (BGH, Urteil vom 5.
Juli 1960 -
VI
ZR 109/59, NJW 1960, 1762 f; vom 5. Dezember 1980
-
V
ZR 16/80, NJW 1981, 1273 f; Beschluss vom 24. Juli 2012 -
II
ZR 280/11, NJW-RR 2012, 1341
Rn. 2; BVerwG, NJW 1975, 1241; NJW 1980, 2722; BFHE 242, 271 Rn. 23). Im Streitfall haben die abgelehnten Richter, die im Anwaltshaftungs-prozess in erster Instanz tätig werden sollen, nur in einem Vorprozess mitge-wirkt, dessen für den Kläger negativer Ausgang den Anlass für die streitgegen-ständliche Haftungsklage gegeben hat. Dieser Fall wird von dem klaren Wort-laut der Vorschrift nicht erfasst.

Eine entsprechende Anwendung des §
41 Nr.
6 ZPO auf den hier gege-benen Fall der Vorbefassung scheidet ebenfalls aus. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde fehlt es schon an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Es geht im Anwaltshaftungsprozess nicht um eine auch nur mittelbare Überprü-fung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung. Die Frage, ob dem Mandan-ten durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts ein Schaden entstanden ist, der vom Ausgang eines anderen Rechtsstreits abhängt, ist da-nach zu beurteilen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre (BGH, Urteil vom 13.
Juni 1996 -
IX
ZR 233/95, BGHZ 133, 110, 111; vom 17.
September 2009 -
IX
ZR 74/08, WM 2009, 2138 Rn. 20). Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zu-grunde gelegt hatte, ist hingegen ohne Belang (BGH, Urteil vom 15.
November 2007 -
IX
ZR 44/04, BGHZ 174, 205, 209 Rn.
9). Die Stellung des Gerichts im 7
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Haftungsprozess entspricht daher eher der eines Instanzgerichts, das nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch das Rechtsmittelgericht erneut über die Sache zu befinden hat. Wie sich aus § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO ergibt, entscheidet nach Zurückverweisung der Sache ein anderer Spruchkör-per nur, wenn das Rechtsmittelgericht eine diesbezügliche besondere Anord-nung trifft. Fehlt eine solche, ist bei den Mitgliedern des vorbefassten Spruch-körpers, die an dem aufgehobenen Urteil mitgewirkt haben, kein Fall der unmit-telbaren oder entsprechenden Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO gegeben (vgl. BVerwG, NJW 1975, 1241 mwN; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 41 Rn.
24
f; Musielak/Heinrich, ZPO, 11. Aufl., § 41 Rn. 13; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 41 Rn. 24). Dieses Beispiel zeigt, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Unvoreingenommenheit des Richters grundsätzlich nicht schon dadurch gefährdet ist, dass
er sich schon früher zu demselben Sachver-halt ein Urteil gebildet hat. In den Regelungen zum Nachverfahren nach einer Entscheidung im Urkundenprozess (vgl. Hk-ZPO/Bendtsen, 5. Aufl., § 41 Rn.
17
f; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO; Musielak/Heinrich, aaO; Zöller/
Vollkommer, aaO; jeweils mwN)
kommt dies ebenfalls zum Ausdruck.

Im Übrigen führt §
41 ZPO die Ausschließungsgründe abschließend auf. Schon wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen (Art.
101 Abs.
1 Satz 2 GG), ist die Vorschrift einer erweiternden Auslegung im Sinne der Rechtsbeschwerde nicht zugänglich (vgl.
BGH, Urteil
vom
5.
Dezember 1980, aaO; vom
4. Dezember 1989 -
RiZ(R) 5/89, NJW 1991, 425; Beschluss vom 20.
Oktober 2003 -
II
ZR 31/02, NJW 2004, 163; vom 24. Juli 2012, aaO Rn. 3; BVerfGE 30, 149, 155; BVerfGE 30, 165, 168 f; BVerfG, NJW 2001, 3533).
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b) Die bloße Mitwirkung an der im Vorprozess ergangenen Entscheidung stellt im nachfolgenden Haftungsprozess auch keinen Ablehnungsgrund nach §
42 Abs. 2 ZPO dar. Begründete bereits die Mitwirkung im Vorprozess die Be-sorgnis der Befangenheit, führte dies auf dem Umweg über §
42 ZPO im End-ergebnis zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 ZPO, die -
wie ausgeführt
-
aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlos-sen ist.

aa) Nach §
42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis
der Befan-genheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrau-en gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Unerheblich ist, ob der Richter sich befangen fühlt oder tatsächlich befangen ist. Entscheidend ist vielmehr, ob aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei die Besorgnis be-steht, der zur Entscheidung berufene Richter stehe der Sache nicht unvorein-genommen und unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 30.
Januar 1986 -
X
ZR 70/84, NJW-RR 1986, 738;
vom 14.
März 2003 -
IXa
ZB 27/03,
WM 2003, 946;
st. Rspr.; s. ferner BVerfG NJW 1993, 2230 mwN; Prütting/
Gehrlein/Mannebeck, ZPO, 6.
Aufl., §
42 Rn.
5; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO § 42 Rn. 4; Zöller/Vollkommer, aaO § 42 Rn. 9). Der nach §
44 Abs. 2 Satz
1 ZPO glaubhaft zu machende Ablehnungsgrund kann, wenn wie hier kei-ner der Ausschlusstatbestände des § 41 ZPO vorliegt, nur in konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen liegen.

bb) Daran fehlt es hier. Allein der Umstand, dass es einem Richter bei einer Zweitbefassung mit einem Sachverhalt zugemutet wird, sich von dessen früherer rechtlichen Beurteilung zu lösen und den Fall neu zu durchdenken, reicht hierfür nicht aus (a.A. LG Darmstadt, NJW-RR 1999, 289, 290; Baur in 10
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Festschrift Larenz, 1973, S. 1063, 1073
f). Aus objektiver Sicht ist es dem in typischer oder atypischer Weise vorbefassten Richter grundsätzlich zuzutrauen, dass er auch den neuen Fall ausschließlich nach sachlichen Kriterien löst (vgl. MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO §
42 Rn. 15
f). Besondere Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergeben könnte, dass die hier abgelehnten Richter aus der Sicht einer verständigen Partei gehindert sein könnten, den sich aus dem von ihnen seiner Zeit entschiedenen Arzthaftungsprozess ergebenden Anwaltshaftungsfall objektiv und
angemessen
zu beurteilen, hat der Kläger nicht dargetan und nicht glaubhaft gemacht.

Kayser
Vill
Lohmann

Fischer
Pape

Vorinstanzen:
LG Münster, Entscheidung vom 13.06.2013 -
111 O 11/13 -

OLG Hamm, Entscheidung vom 21.08.2013 -
32 W 11/13 -

Meta

IX ZB 65/13

18.12.2014

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.12.2014, Az. IX ZB 65/13 (REWIS RS 2014, 98)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 98

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