Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2011, Az. IX ZR 56/11

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 887

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 56/11

Verkündet am:

1. Dezember 2011

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

BGB § 826 Gi; ZPO § 767 Abs. 2

Zur Verneinung eines Anspruchs auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung we-gen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, wenn der Schuldner die Titulierung einer im Prozess erfüllten Forderung durch nachlässige Prozessführung mitver-ursacht hat.

[X.], Urteil vom 1. Dezember 2011 -
IX ZR 56/11 -
KG [X.]

LG [X.]

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Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. Dezember 2011
durch [X.] [X.],
[X.], [X.], [X.] und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 28. Februar 2011 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Zivilkammer 27 des Landgerichts [X.] vom 18. November 2010 wird [X.].

Die Klägerin hat die Kosten beider Rechtsmittel
zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich mit dem Einwand der Erfüllung gegen die Zwangsvollstreckung des Beklagten aus einem Versäumnisurteil.

[X.] verpflichtete sich die Klägerin in einem Vergleich, einem vom Beklagten vertretenen Mandanten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 9.611,82

r-klagte die Klägerin im
Januar 2009 auf Zahlung. Am 24.
März 2009 überwies die Klägerin an den Beklagten 13.084,31

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richtsaktenzeichen an, bezeichnete den Mandanten des Beklagten aber richtig. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.
April 2009 erschien für die [X.] Klägerin und damalige Beklagte niemand. Es erging deshalb ein Versäum-nisurteil. Nach Ablauf der Einspruchsfrist ließ der Beklagte der Klägerin am 27.
Juli 2010 ein vorläufiges Zahlungsverbot nach §
845 ZPO zustellen. Der Aufforderung der Klägerin, die Vorpfändung wegen der im März 2009 erfolgten
Zahlung zurückzunehmen, kam der Beklagte nicht nach.

Die Klägerin hat deshalb [X.] erhoben mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 21.
April 2009 für unzulässig zu erklären und den Beklagten zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils an die Klägerin herauszugeben,
hilfsweise den Beklag-ten zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung zu verurteilen. Die Klägerin ist in erster Instanz unterlegen. In zweiter Instanz hatte die Klage mit dem Hauptan-trag Erfolg. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Berufungsge-richt zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat im [X.] an
ein Urteil des [X.] (NJW-RR 2000, 659) ausgeführt, die Klägerin sei mit dem [X.] nicht präkludiert. Entgegen der herrschenden Rechtsauffas-3
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sung zu §
767 Abs.
2 ZPO könne der Einwand der Erfüllung auch dann mit der [X.] geltend gemacht werden, wenn die Erfüllung bereits vor Ablauf der Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil eingetreten sei. Der Schuldner beuge sich mit der Erfüllung dem Verlangen des Gläubigers. Er kön-ne davon ausgehen, dass die Auseinandersetzung damit ein Ende habe, und müsse mit einer Vollstreckung nicht mehr rechnen. Es könne ihm daher nicht zugemutet werden, vorsorglich einen mit Kosten verbundenen Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen, nur um einem
rechtswidrigen
Verhalten des Gläubigers vorzubeugen. Sein Verhalten sei nicht darauf gerichtet, die von §
767 Abs.
2 ZPO geschützte Rechtskraft des Titels zu beeinträchtigen. Es [X.] dabei keinen Unterschied, ob die Erfüllung im Zeitraum zwischen dem Er-lass des Versäumnisurteils und dem Ablauf der Einspruchsfrist eingetreten sei
oder bereits vor dem Erlass des Versäumnisurteils.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Der von der Klägerin erhobene Einwand der Erfüllung ist nach §
767 Abs.
2 ZPO präkludiert.

1. Mit Recht geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Einwand der Erfüllung den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betrifft und des-halb grundsätzlich nach §
767 Abs.
1 ZPO mit der [X.] geltend zu machen ist.

2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist
der Einwand der Erfül-lung
aber hier nach §
767 Abs.
2 ZPO ausgeschlossen. Nach dieser Norm kön-6
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nen Einwendungen im Wege der [X.] nur insoweit erho-ben werden, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den [X.] spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.

a) Sind die Gründe, auf denen eine Einwendung beruht, bereits vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden, in der die Einwendung hätte erhoben werden müssen, ist die Einwendung für das Verfahren nach §
767 ZPO danach in jedem Falle präkludiert. Eine andere Auslegung lässt der ein-deutige Wortlaut des Gesetzes nicht zu. Dieses Verständnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers [X.], [X.]. [X.]/1,
S.
437 f) und dem Zweck der Norm, die [X.] unanfechtbar gewordener Entschei-dungen zu sichern
und Verzögerungen im Vollstreckungsverfahren vorzubeu-gen (vgl. [X.], Urteil vom 18.
November 1993 -
IX
ZR 244/92, [X.]Z 124, 164, 172; vom 30.
März 1994 -
VIII
ZR 132/92, [X.]Z 125, 351, 353; [X.]/K.
Schmidt, 3.
Aufl., §
767 Rn.
73).

So liegt der Fall hier. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die von der Revision nicht angegriffen werden, ist die im Versäumnisurteil vom 21.
April 2009 dem Beklagten zugesprochene Forderung bereits im März 2009 durch Zahlung der Klägerin erfüllt worden. Die Erfüllung ist damit noch vor der mündlichen Verhandlung vom 21.
April 2009 eingetreten, in der das Versäum-nisurteil ergangen ist. In dieser mündlichen Verhandlung hätte die Klägerin den Einwand der Erfüllung erheben können und müssen

282 Abs.
1 ZPO).
Mit der [X.] kann sie den Einwand nicht mehr erheben.

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b) Der Zusatz
in §
767 Abs.
2, letzter Halbsatz ZPO "und durch [X.] nicht mehr geltend gemacht werden können"
verschärft die Präklusion in den Fällen, in denen ein Versäumnisurteil ergangen ist.
Dann sind auch solche Einwendungen von der [X.] ausgeschlossen, deren Gründe zwar nach der letzten mündlichen Verhandlung
entstanden sind, aber durch Einspruch noch geltend gemacht werden können. Hierauf kommt es im Streitfall aber nicht an, weil die Einwendung bereits vor der
dem Urteil zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung entstanden ist. Es kann
deshalb dahinste-hen, ob entgegen der in Rechtsprechung und Literatur vorherrschenden Auffas-sung ([X.], 187, 191; Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 12.
Aufl., §
40 Rn.
86
f; [X.]/Walker/Raebel, Vollstreckung und vorläufiger Rechts-schutz, 5.
Aufl., §
767 ZPO Rn.
33) der vom [X.] (NJW-RR 2000, 659) und von Teilen des Schrifttums vertretenen Ansicht zu folgen ist, wonach der Einwand der Erfüllung im [X.] an ein Versäumnisurteil nur dann präkludiert ist, wenn er zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung über die [X.] noch mit dem Einspruch geltend gemacht werden könnte
([X.], ZPO, 22.
Aufl., §
767 Rn.
40; [X.], Zwangsvollstreckungs-
und Insolvenzrecht, 23.
Aufl., §
12
Rn.
16; [X.], [X.], S.
69
ff, 72; ders.,
JA 1981, 649, 650; [X.]/[X.], Zwangsvoll-streckungsrecht, 3.
Aufl., §
15 I 2; [X.]/[X.], Zwangsvollstreckung, 2.
Aufl., §
13
III 2 S.
215; [X.], NJW 1982, 1862).

c) Die Erwägungen des Berufungsgerichts zu den Besonderheiten des [X.] rechtfertigen keine andere Beurteilung. Auch der Einwand der Erfüllung richtet sich gegen die [X.] eines ergangenen Ur-teils.
Erfüllt ein Schuldner den mit einer Klage geltend gemachten Anspruch seines Gläubigers vor der letzten mündlichen Verhandlung, ist es ihm in glei-cher Weise wie bei anderen rechtsvernichtenden Einwendungen zuzumuten, 11
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den Einwand noch im laufenden Verfahren zu erheben und dadurch eine Verur-teilung zu verhindern. Die Erwartung, der Gläubiger werde von sich aus die prozessualen Konsequenzen aus der eingetretenen Erfüllung ziehen, enthebt den Schuldner nicht der Pflicht, die Einwendung im Prozess vorzutragen.

III.

Das Berufungsurteil war danach aufzuheben (§
562 Abs.
1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Geset-zes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§
563 Abs.
3 ZPO).

Die Klage hat auch mit dem Hilfsantrag, den Beklagten zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 21.
April 2009 zu [X.], keinen Erfolg.

1. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein Gläubiger
in besonders schwer wiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen
nach
§
826 BGB zur Un-terlassung der Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen, aber materiell unrichtigen Titel verpflichtet sein, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechts-stellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des [X.] ausnutzt; dann muss die Rechtskraft zurücktreten (vgl. etwa [X.], Urteil vom 24.
September 1987
-
III
ZR 187/86, [X.]Z 101, 380, 383
ff; vom
9.
Februar 1999 -
VI
ZR 9/98, [X.], 919, 920; vom 11.
Juli 2002 -
XI
ZR 326/99, [X.]Z 151, 316, 327
ff). Dies setzt neben der materiellen Unrichtigkeit 13
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des Vollstreckungstitels und der Kenntnis des Gläubigers hiervon zusätzliche besondere Umstände voraus, welche die Erlangung des Vollstreckungstitels oder seine Ausnutzung als sittenwidrig und es als geboten erscheinen lassen, dass der Gläubiger die ihm unverdient zugefallene
Rechtsposition aufgibt.

2. Solche besonderen, zur Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels hinzutre-tenden
Umstände
liegen hier nicht vor. Nach den Feststellungen der [X.] gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagten zu dem Zeitpunkt, als er den Erlass des Versäumnisurteils beantragte, die Zahlung der Klägerin bereits bekannt war. Er hat deshalb den Titel nicht erschlichen. Zum Versäum-nisurteil kam es vielmehr aufgrund der Prozessführung der Klägerin. Im [X.] auf deren nachlässiges
Vorgehen
(vgl. dazu [X.], Urteil vom 25.
Februar 1988 -
III
ZR 272/85, NJW-RR 1988, 957, 959)
verletzt
die Durchsetzung der titulierten Forderung des Beklagten trotz ihrer bereits erfolgten Erfüllung das Rechtsgefühl nicht in einem solch unerträglichen Maß, dass eine Durchbre-chung der Rechtskraft des Urteils gerechtfertigt wäre. In diesem [X.] ist es ohne Bedeutung, ob die Klägerin den bereits gezahlten Betrag

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wegen Zweckverfehlung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen wieder herausverlangen kann.

Kayser
Raebel
Pape

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 18.11.2010 -
27 O 647/10 -

KG [X.], Entscheidung vom 28.02.2011 -
10 [X.] -

Meta

IX ZR 56/11

01.12.2011

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2011, Az. IX ZR 56/11 (REWIS RS 2011, 887)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 887

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IX ZR 56/11

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