Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.11.2015, Az. VII B 57/15

7. Senat | REWIS RS 2015, 2565

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Gegenstand

Zur Anwendung des haftungsrechtlichen Grundsatzes der anteiligen Tilgung auf die GmbH einer GmbH & Co. KG


Leitsatz

1. NV: Der Frage, ob bei einer Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG, die über keine eigenen Finanzmittel (Bankkonto) verfügt, bei der Berechnung der Haftungsquote unter Berücksichtigung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung auf die GmbH oder auf die KG abzustellen ist, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

2. NV: Ein GmbH-Geschäftsführer handelt nicht pflichtwidrig, wenn er die Entrichtung fälliger Steuern unterlässt, weil die GmbH über keine finanziellen Mittel verfügt und er die Mittelvorsorgepflicht nicht verletzt hat.

3. NV: Bei der Anwendung des bei der Haftung für Umsatzsteuer geltenden Grundsatzes der anteiligen Tilgung ist auf die Situation des jeweiligen Steuerschuldners abzustellen. Dies gilt auch für die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG, so dass die finanziellen Verhältnisse der KG nicht ohne Weiteres auf die GmbH übertragen werden können.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 24. März 2015  2 K 2007/11 U wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) und sein Bruder waren einzelvertretungsberechtigte Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH, die Komplementärin einer GmbH & Co. [X.] ([X.]) gewesen ist. Über das Vermögen beider Gesellschaften ist inzwischen auf Antrag der Gesellschaftergeschäftsführer das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Für ihre Tätigkeit erhielt die GmbH von der [X.] eine monatliche Vergütung in Höhe von 12.299 € [X.] 19 % Umsatzsteuer. Die [X.] zahlte die Vergütung jeweils zur Hälfte direkt an die Geschäftsführer der GmbH und überwies die Umsatzsteuer vor dem streitgegenständlichen Zeitraum im Wege einer abgekürzten Zahlung an den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--). Die Vergütung einschließlich der Umsatzsteuer wurde bei der [X.] über das Verrechnungskonto des jeweiligen Geschäftsführers verbucht. Gemäß § 9 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrags der [X.] waren der persönlich haftenden Gesellschafterin --unabhängig von einem etwaigen Gewinn und Verlust der [X.] alle Aufwendungen zu erstatten, die im Zusammenhang mit der Geschäftsführung und Vertretung standen. Dies galt insbesondere für die an ihre Geschäftsführer zu zahlenden Vergütungen. Während in den Monaten Januar und Februar 2010 die Geschäftsführer der GmbH insgesamt 12.299 € erhielten, wurde die Umsatzsteuer im streitbefangenen Zeitraum nicht an das [X.] abgeführt. Für die aus dem Leistungsaustausch zwischen der [X.] und der GmbH resultierende und rückständige Umsatzsteuer der Monate Dezember 2009 bis März 2010 nahm das [X.] den Kläger sowie dessen Bruder nach § 69 Abs. 1 der Abgabenordnung [X.]) i.V.m. § 191 Abs. 1 [X.] als Haftungsschuldner in Anspruch. Im Einspruchsverfahren schränkte das [X.] den Haftungszeitraum auf die Monate Januar und Februar 2010 ein. Die Klage hatte keinen Erfolg.

2

Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Kläger sei zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden. Als Geschäftsführer der GmbH sei er verpflichtet gewesen, für die Entrichtung der von der [X.] vorangemeldeten Umsatzsteuer zu sorgen. Es sei nicht ersichtlich, dass es der GmbH unmöglich gewesen sei, von der [X.] neben den Geschäftsführergehältern auch die dazu abzuführende Umsatzsteuer zur Verfügung gestellt zu bekommen. Das [X.] habe den Kläger zu Recht in Höhe von 100 % der Umsatzsteuerrückstände in Haftung genommen, denn eine Haftungsbeschränkung nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung komme im Streitfall nicht in Betracht, weil nicht ersichtlich sei, dass die GmbH im Haftungszeitraum anderen Forderungen als den zu 100 % den Geschäftsführern gutgeschriebenen Vergütungen und der hierauf beruhenden Umsatzsteuer ausgesetzt gewesen sei.

3

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob bei einer Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. [X.], die über keine eigenen direkten Finanzmittel (Bankkonto) verfüge, bei der Berechnung der Haftungsquote unter Berücksichtigung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung auf die GmbH oder auf die [X.] abzustellen sei. Zu klären sei, ob es in [X.] bei der Berechnung der Haftungsquote auf die Situation des [X.]n oder des Angewiesenen ankomme, wenn der [X.] keine eigenen finanziellen Mittel habe. Im Geschäftsverkehr sei es verbreitet, dass die Komplementär-GmbH über kein eigenes Bankkonto verfüge. Das allgemeine Interesse an einer Entscheidung des [X.] ([X.]) ergebe sich aus dem Umstand, dass gegebenenfalls bei der Vertragsgestaltung der GmbH & Co. [X.] und tatsächlichen Durchführung der Geschäftstätigkeit Anpassungen vorzunehmen seien, um das Haftungsrisiko für den Geschäftsführer einer GmbH zu minimieren. Im Übrigen sei die vorliegende Fallkonstellation noch nicht Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewesen. Im Streitfall, bei dem auf die Situation der ausführenden [X.] abzustellen sei, sei zu berücksichtigen, dass die Gesamtverbindlichkeiten der [X.] ca. … Mio. € betragen hätten; infolgedessen sei die Haftungsschuld auf einen Prozent- oder Promillebereich herabzusetzen.

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Das [X.] ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der [X.] lässt es unerörtert, ob und inwieweit die Beschwerdebegründung bereits an Mängeln in der Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes leidet (zu den Darlegungserfordernissen vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 25 ff.); denn der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

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1. Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist. Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind (vgl. Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das [X.] in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.] vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, [X.], 559, [X.] 1999, 231, und vom 31. Mai 2000 X B 111/99, [X.], 1461). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des [X.] hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den [X.] geboten erscheinen lassen ([X.]-Beschluss vom 4. Mai 1999 IX B 38/99, [X.]E 188, 395, [X.] 1999, 587).

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2. Nach § 69 Abs. [X.] haften die in den §§ 34 und 35 [X.] bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten u.a. nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden. Bei der Haftung für Umsatzsteuer ist der von der [X.]-Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der anteiligen Tilgung zu beachten, der dem Umstand Rechnung trägt, dass die haftungsrechtliche Inanspruchnahme eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. [X.]) einen auf dessen schuldhafte Pflichtverletzung zurückzuführenden Vermögensschaden voraussetzt. Ein Vertreter handelt deshalb nicht pflichtwidrig, wenn er die Entrichtung fälliger Steuern unterlässt, weil hierzu keine finanziellen Mittel vorhanden sind. Jedoch darf er in Kenntnis der Unzulänglichkeit der evtl. noch vorhandenen Zahlungsmittel keinen Gläubiger einseitig bevorzugen, vielmehr ist von ihm zu verlangen, dass er eine möglichst gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger sicherstellt (vgl. zur Haftung für Umsatzsteuern [X.]-Entscheidungen vom 31. März 2000 VII B 187/99, [X.], 1322; vom 26. August 1992 VII R 50/91, [X.]E 169, 13, [X.] 1993, 8; vom 5. März 1991 VII R 93/88, [X.]E 164, 203, [X.] 1991, 678, und vom 26. März 1985 VII R 139/81, [X.]E 143, 488, [X.] 1985, 539). Zur Berechnung der Tilgungsquote sind die im Haftungszeitraum bestehenden Gesamtverbindlichkeiten den auf diese Verbindlichkeiten geleisteten Zahlungen gegenüberzustellen ([X.]-Urteil vom 27. Februar 2007 VII R 60/05, [X.]E 216, 487, [X.] 2008, 508). Grundsätzlich unbeachtlich ist dabei, aus welchen Quellen die der [X.] zur Verfügung stehenden Mittel stammen. Es kann sich auch um Mittel handeln, die von den Gesellschaftern oder selbst vom Vertreter zur Verfügung gestellt worden sind ([X.]sbeschluss vom 28. Juni 2006 VII B 267/05, [X.]/NV 2006, 1792). Es ist somit keine Haftungsvoraussetzung, dass der Steuerschuldner ein eigenes Konto unterhält, auf das der Vertreter Zugriff hat. Vielmehr ist es als ausreichend zu erachten, wenn der [X.] bzw. dessen Vertreter die Möglichkeit hat, die Steuern wie im Streitfall durch Rückgriff auf anderes Vermögen bzw. durch Anweisung eines [X.] zu entrichten.

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3. Nach den dargelegten Grundsätzen ist auf den jeweiligen Steuerschuldner abzustellen, für den der gesetzliche Vertreter tätig wird. Dies gilt grundsätzlich auch für verbundene Gesellschaften. Bei einer [X.] ist der für die Komplementär-GmbH bestellte Geschäftsführer u.a. für die Entrichtung der von der GmbH geschuldeten Steuern verpflichtet. Wie bereits ausgeführt, ist dabei unbeachtlich, ob er sich hierzu eines eigenen Kontos bedienen kann. Entscheidend ist allein, ob Mittel zur Begleichung der Steuerschulden verfügbar sind bzw. beschafft werden können.

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Im Streitfall stand der GmbH aufgrund der Übernahme der Geschäftsführung der [X.] ein vertraglich vereinbarter Anspruch gegen die [X.] auf Zahlung einer Vergütung [X.] Umsatzsteuer zu, den die GmbH --ungeachtet der finanziellen Situation der [X.]-- hinsichtlich der Vergütung auch durchgesetzt hat. Dass im Haftungszeitraum Ansprüche anderer Gläubiger gegenüber der GmbH bestanden haben, macht die Beschwerde nicht geltend, so dass sich die Frage einer Aufteilung vorhandener Mittel auf mehrere Gläubiger nicht stellt. Zu befriedigen waren lediglich die Forderungen des [X.]. Auch macht die Beschwerde nicht geltend, dass von der [X.] Mittel lediglich in Höhe von 100 % der den Geschäftsführern zustehenden Vergütungen zu erlangen gewesen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die [X.] sowohl die Vergütungen als auch die Umsatzsteuer über entsprechende Verrechnungskonten gebucht hat. Bei diesem Befund kann sich der Kläger nicht auf eine Haftungsbeschränkung nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung berufen. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage ist so zu beantworten, wie es das [X.] getan hat, weshalb eine Zulassung der Revision nicht in Betracht kommt.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VII B 57/15

11.11.2015

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 24. März 2015, Az: 2 K 2007/11 U, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 69 Abs 1 AO, § 191 Abs 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.11.2015, Az. VII B 57/15 (REWIS RS 2015, 2565)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2565

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