Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.06.2020, Az. 3 StR 52/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1074

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

VEREINE STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) STRAFVERFAHREN VEREINSVERBOT

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafbarkeit wegen Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot


Leitsatz

Der für eine Strafbarkeit wegen Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot erforderliche mindestens bedingte Vorsatz muss sich auf die Existenz des gegen den ausländischen Verein verfügten vollziehbaren Verbots erstrecken. Dies setzt voraus, dass der Täter - zumindest in laienhafter Parallelwertung - eine hinreichend deutliche Vorstellung davon hat. Der Irrtum über das Bestehen des Verbots ist daher Tatbestandsirrtum, nicht Verbotsirrtum.

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 15. Oktober 2019 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 Satz 2 [X.] aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

I.

2

1. Das [X.] hat zum Tatvorwurf festgestellt, dass sich der Angeklagte am Abend des 25. Mai 2016 in [X.] einem spontanen Aufzug gegen die Bombardierung kurdischer Städte durch das [X.] anschloss. Gegen 22 Uhr rief eine größere Gruppe von Demonstranten, darunter der Angeklagte, begleitet von rhythmischem Klatschen mehrmals "[X.]". Durch bestandskräftige Verfügung des [X.] vom 22. November 1993 war die "[X.]" ([X.]) mit einem vereinsrechtlichen Verbot belegt worden.

3

2. Das [X.] hat sich nicht von einer Kenntnis des Angeklagten zu überzeugen vermocht, "dass die [X.] in [X.] verboten und das Rufen von '[X.]' nicht erlaubt ist" ([X.]). Diese fehlende Kenntnis hat es dahin beurteilt, dass der Angeklagte ohne Vorsatz handelte und somit nicht den subjektiven Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] verwirklichte.

II.

4

Der Freispruch hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Auf der Grundlage der - wie der [X.] in seiner Antragsschrift dargelegt hat - rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist gegen die rechtliche Beurteilung, der Angeklagte habe [X.] gehandelt, nichts zu erinnern.

5

1. Eine Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 Satz 2 [X.] kann in einer propagandistischen Betätigung eines Außenstehenden für den mit dem Verbot (§ 3 Abs. 1 [X.]) belegten ausländischen Verein bestehen (s. [X.], Urteil vom 13. Juni 2019 - 3 [X.], juris Rn. 9 ff. [X.]). Erforderlich ist ein vorsätzliches Verhalten (§ 15 StGB), wobei dolus eventualis genügt. Der Vorsatz muss sich auf die Existenz des vollziehbaren vereinsrechtlichen Betätigungsverbots erstrecken. Dies setzt voraus, dass der Täter - zumindest in laienhafter Parallelwertung - eine hinreichend deutliche Vorstellung davon hat. Der Irrtum über das Bestehen des Verbots ist daher Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 StGB), nicht Verbotsirrtum (§ 17 Satz 1 StGB). Im Einzelnen:

6

a) Die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] stellt ein [X.]strafgesetz dar. Denn sie beschreibt das tatbestandliche Unrecht nicht vollständig selbst, sondern verweist auf ein vollziehbares Verbot im Sinne des § 18 Satz 2 [X.] und damit auf die behördliche Verbotsverfügung, die auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 [X.] ergangen ist. Das [X.] füllt das [X.] aus und vervollständigt damit den Straftatbestand. Zwar beschränkt sich - worauf die Beschwerdeführerin im Ausgangspunkt zutreffend hinweist - bei einem [X.]strafgesetz der Vorsatz grundsätzlich auf die Kenntnis der Umstände, die zu dem aus [X.] und blankettausfüllender Norm "zusammengelesenen" [X.] gehören, und nur die Unkenntnis dieser Umstände begründet einen Tatbestandsirrtum, wohingegen ein Irrtum über Bestehen, Gültigkeit, Anwendbarkeit, Inhalt und Reichweite der blankettausfüllenden Norm als solcher allenfalls einen Verbotsirrtum darstellen kann (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 1995 - 1 [X.], [X.], 24, 25; Beschluss vom 15. November 2012 - 3 StR 295/12, [X.] 2013, 113; LK/[X.]/[X.], StGB, 13. Aufl., § 16 Rn. 37 [X.]). Bei § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] handelt es sich jedoch um ein [X.]strafgesetz, das sich nicht auf eine gesetzliche oder untergesetzliche Norm, sondern auf ein durch Verwaltungsakt verfügtes Verbot bezieht und dessen Tatbestand selbst die Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot zum Gegenstand hat. Für [X.], die den Verstoß gegen eine solche behördliche [X.] regeln, gilt, dass deren Existenz vom Vorsatz umfasst sein muss und somit ein Irrtum hierüber § 16 Abs. 1 StGB unterfällt (vgl. LK/[X.]/[X.] aaO, Rn. 38; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 102).

7

Dieses Verständnis entspricht einhelliger Ansicht in der Kommentarliteratur zu § 20 [X.] (s. Groh, [X.], § 20 Rn. 22; MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 20 [X.] Rn. 48; [X.] in [X.]/[X.]/Ruthig, Sicherheitsrecht des [X.], 2. Aufl., § 20 [X.] Rn. 81; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 20 Rn. 31; [X.]/[X.]/Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, 228. [X.]. [Stand: Januar 2020], § 20 [X.] Rn. 30). Für weitere vergleichbar gefasste Straftatbestände ist ebenfalls anerkannt, dass sich der Vorsatz auf das durch [X.] verfügte Verbot beziehen muss, so beispielsweise für das Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG im Fall eines gerichtlichen (§ 44 StGB) oder behördlichen (§ 25 StVG) Fahrverbots (s. BayObLG, Beschluss vom 20. September 1999 - 1 [X.] 215/99, [X.], 122; [X.]/[X.], § 21 StVG Rn. 63 [X.]) oder für den Verstoß gegen ein strafgerichtliches Berufsverbot (§ 70 Abs. 4 StGB, § 132a Abs. 1 Satz 2 [X.]) gemäß § 145c StGB (s. [X.], Beschluss vom 26. Januar 1989 - 1 [X.], [X.]R StGB § 16 Abs. 1 Umstand 1).

8

Dass die behördliche Verbotsverfügung - wenngleich sie sich gegen den ausländischen Verein richtet - Handlungsverbote für jedermann begründet, rechtfertigt keine abweichende Bewertung. Hierfür besteht kein sachlicher Grund. Auch in der Rechtsprechung und im Schrifttum wird in ähnlichen Fällen keine derartige Differenzierung vorgenommen: So gilt für das Recht der Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten, dass derjenige in einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum (§ 11 Abs. 1 OWiG) handelt, der ein ahndungsbegründendes Verkehrszeichen (Allgemeinverfügung) übersieht oder optisch unrichtig wahrnimmt (s. die Nachw. aus der [X.]. der [X.] bei Burmann/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., § 39 [X.] Rn. 64; ferner [X.], OWiG, 5. Aufl., § 11 Rn. 14). Für den Straftatbestand der Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten [X.] gemäß § 84 StGB, der gleichermaßen durch ein Nichtmitglied verwirklicht werden kann (vgl. Absatz 2 Alternative 2), geht die Kommentarliteratur übereinstimmend davon aus, dass der Vorsatz die Entscheidung des [X.]verfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit der [X.] oder ihre Eigenschaft als Ersatzorganisation umfassen muss (vgl. etwa [X.], 12. Aufl., § 84 Rn. 25; MüKoStGB/Steinmetz, 3. Aufl., § 84 Rn. 21 f.; [X.]/[X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 84 Rn. 22).

9

b) Für den subjektiven Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] genügt dolus eventualis. Dass sich der Vorsatz auf das vollziehbare [X.] erstrecken muss, bedeutet nicht, dass die positive Kenntnis des [X.] von der behördlichen Verbotsverfügung notwendig wäre. Auf deren sachlichen Inhalt braucht sich der Vorsatz ohnehin nicht zu beziehen (s. [X.]/[X.]/Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, 228. [X.]. [Stand: Januar 2020], § 20 [X.] Rn. 30).

Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass der Täter mindestens in laienhafter Parallelwertung eine hinreichend deutliche Vorstellung von der Existenz des Betätigungsverbots hat (zu § 84 StGB vgl. [X.], 12. Aufl., § 84 Rn. 25; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 84 Rn. 21). Dies ist der Fall, wenn er es für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass der Verein, für den er sich betätigt, in [X.] mit einem Verbot belegt ist, es sich folglich um eine hier "verbotene Vereinigung" handelt (vgl. MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 20 [X.] Rn. 48).

2. Gemessen an den aufgezeigten Maßstäben hat das [X.] rechtsfehlerfrei den subjektiven Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] - infolge eines vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtums - verneint.

Zwar ist in den Urteilsgründen im Rahmen der "Feststellungen zur Tat" lediglich geschildert, dem Angeklagten sei nicht bekannt gewesen, dass auch eine "werbende Tätigkeit für die [X.] aufgrund der Verbotsverfügung des [X.]ministeriums des Inneren vom 22. November 1993 in [X.] verboten" sei ([X.] f.). Hiernach käme in Betracht, dass der Angeklagte bloß einem Irrtum über die Reichweite des Verbots und damit allenfalls einem das Unrechtsbewusstsein berührenden Verbotsirrtum unterlegen war. Im Rahmen der "Beweiswürdigung" sind jedoch - nach dem Grundsatz der Einheit der Urteilsgründe beachtliche (vgl. [X.], Urteil vom 26. Mai 1987 - 1 [X.], [X.]R [X.] § 267 Abs. 1 Satz 1 Feststellungen 1; KK-Gericke, [X.], 8. Aufl., § 337 Rn. 27) - Feststellungen nachgetragen. Nach den dortigen Ausführungen hat das [X.] dem Angeklagten auch insoweit "geglaubt", als er seiner Einlassung zufolge "keine Kenntnis davon" hatte, "dass die [X.] in [X.] verboten ... ist" ([X.]). Die für diese Feststellung angeführten beweiswürdigenden Erwägungen sind dahin zu verstehen, dass die [X.] ebenso wenig hat die Überzeugung gewinnen können, dass der Angeklagte hinsichtlich des vollziehbaren vereinsrechtlichen Betätigungsverbots mit bedingten Vorsatz im oben dargelegten Sinne handelte.

Schäfer     

      

Spaniol     

      

Paul   

      

Berg     

      

[X.]     

      

Meta

3 StR 52/20

10.06.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 15. Oktober 2019, Az: 502 KLs 9/17

§ 18 S 2 VereinsG, § 20 Abs 1 S 1 Nr 4 VereinsG, § 11 Abs 1 StGB, § 16 Abs 1 StGB, § 17 S 1 StGB, § 11 Abs 1 OWiG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.06.2020, Az. 3 StR 52/20 (REWIS RS 2020, 1074)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1074

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

18 Qs 3/18 (LG München I)

Kennzeichen iSd Vereinsgesetzes


3 StR 133/19 (Bundesgerichtshof)

Strafsache: Erheblichkeitsschwelle bei Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot


6 A 4/11 (Bundesverwaltungsgericht)

Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen von Dänemark aus; Betätigungsverbot; Fernsehsender; Gedanke der Völkerverständigung; Organisationsverbot; Vereinsverbot


6 A 7/08 (Bundesverwaltungsgericht)

Vorlage zur Vorabentscheidung; Vereinsverbot; kurdischer Fernsehsender; Ausstrahlung per Satellit


6 A 6/08 (Bundesverwaltungsgericht)

Vorlage zur Vorabentscheidung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

3 StR 133/19

3 StR 295/12

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.