Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2021, Az. XII ZB 450/20

12. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 9157

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rechtliche Betreuung: Beschwerdeberechtigung eines Dritten gegen die Ablehnung der Betreuung; Erklärung des Rücktritts von einem Erbvertrag gegenüber dessen  Vorsorgebevollmächtigtem


Leitsatz

1. Zur Beschwerdeberechtigung eines Dritten gegen die Ablehnung einer Betreuung, der geltend macht, zur Ausübung eines materiellen Rechts gegenüber dem Betroffenen auf die Betreuerbestellung angewiesen zu sein (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10, FamRZ 2011, 465).

2. Dass der andere Vertragschließende geschäftsunfähig geworden ist, schließt den vertraglich vorbehaltenen Rücktritt vom Erbvertrag ihm gegenüber nicht aus.

3. Der Rücktritt vom Erbvertrag kann bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragschließenden jedenfalls grundsätzlich wirksam gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigtem erfolgen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss der 11. Zivilkammer des [X.] vom 28. September 2020 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Wert: 5.000 €

Gründe

A.

1

Vor ihrer Heirat schlossen die im Jahre 1940 geborene Betroffene und der Beteiligte zu 3 im Jahre 2006 einen notariellen Erbvertrag, in dem sie sich durch vertraglich angeordnete Verfügungen jeweils mit Vermächtnissen bedachten und den notariell zu beurkundenden Rücktritt vorbehielten. Anfang 2015 erteilte die Betroffene ihren beiden Kindern, den Beteiligten zu 1 und 2, eine umfassende Vorsorgevollmacht. In notarieller Urkunde vom 15. April 2020 erklärte der Beteiligte zu 3 den Rücktritt vom Erbvertrag. Die Urkunde wurde der Betroffenen und der Beteiligten zu 1 zugestellt.

2

Wegen Bedenken hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen hat der Beteiligte zu 3 beim Amtsgericht die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung angeregt. Das Amtsgericht hat die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, weil diese mit Blick auf die Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei. Das [X.] hat die Beschwerde des Beteiligten zu 3 zurückgewiesen.

3

Hiergegen [X.]det er sich mit der Rechtsbeschwerde.

B.

4

Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

I.

5

Das [X.] hat ausgeführt, die Beschwerde des Beteiligten zu 3 sei zwar zulässig; es fehle ihm insbesondere nicht an der Beschwerdeberechtigung. Das Rechtsmittel sei jedoch mangels Erforderlichkeit der Betreuung unbegründet. Sei die Betroffene geschäftsfähig, so sei die ihr zugestellte Rücktrittserklärung mit Zugang wirksam. Sei sie dagegen geschäftsunfähig, so entfalte der Rücktritt seine Wirksamkeit in entsprechender An[X.]dung von § 131 Abs. 1 [X.] mit Zugang an die Beteiligte zu 1. Nach richtiger Auffassung genüge nämlich der Zugang der Rücktrittserklärung an einen bevollmächtigten Vertreter. Eines gesetzlichen Vertreters und damit einer Betreuerbestellung bedürfe es hierfür nicht.

II.

6

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

7

1. Das [X.] hat den Beteiligten zu 3 mit Recht als beschwerdeberechtigt angesehen. Die Beschwerdeberechtigung des Ehemanns der Betroffenen folgt hier unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG jedenfalls aus § 59 Abs. 1 FamFG.

8

a) Der Senat hat bereits entschieden, dass der Kläger eines Rechtsstreits hinsichtlich der Entscheidung, mit der das Betreuungsgericht die von ihm angeregte Bestellung eines Betreuers für den prozessunfähigen Beklagten ablehnt, grundsätzlich beschwerdebefugt ist. Denn der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes gebietet es, der klagenden [X.] die Möglichkeit einzuräumen, ihre Forderung auch gegen eine prozessunfähige [X.] durchzusetzen. Um die ordnungsgemäße Vertretung der prozessunfähigen [X.] im Prozess zu gewährleisten, bedarf es dann grundsätzlich der Bestellung eines Betreuers. Hat der Kläger mithin ein rechtlich geschütztes Interesse an der Bestellung eines Betreuers, geht damit im Falle einer abschlägigen Entscheidung des Betreuungsgerichts seine Beschwerdebefugnis einher (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - [X.] 326/10 - FamRZ 2011, 465 Rn. 10 ff. mwN).

9

b) Nicht anders verhält es sich im Ergebnis dann, [X.]n ein Dritter geltend macht, dem Betroffenen gegenüber eine materiell-rechtliche Willenserklärung abgeben zu wollen und für die Wirksamkeit dieser Erklärung wegen der krankheitsbedingten Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen auf die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters angewiesen zu sein. Diese rechtliche Wertung als richtig unterstellt wäre der Dritte bei Verweigerung einer Betreuerbestellung gegebenenfalls dauerhaft an der Rechtsausübung gegenüber dem Betroffenen gehindert, so dass er trotz [X.] ausnahmsweise in der von § 59 Abs. 1 FamFG geforderten Weise in seinen Rechten beeinträchtigt ist.

c) Der Beteiligte zu 3 beruft sich demnach hier mit Erfolg auf eine solche Beschwerdeberechtigung. Ob er mit Blick auf die Ausübung eines Rücktrittsrechts tatsächlich der Bestellung eines Betreuers für die Betroffene bedarf, ist eine Frage der Begründetheit seines Rechtsmittels.

2. Ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das [X.] die Einrichtung einer Betreuung mit Blick auf die den Kindern der Betroffenen erteilte umfassende Vorsorgevollmacht wegen Fehlens der Erforderlichkeit im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 [X.] abgelehnt hat.

a) Gemäß § 2296 Abs. 2 Satz 1 [X.] erfolgt der - nach § 2296 Abs. 1 [X.] nur höchstpersönlich mögliche - Rücktritt vom Erbvertrag, den sich die [X.]n vorliegend gemäß § 2293 [X.] vorbehalten haben, durch Erklärung gegenüber dem anderen [X.]n. Sind in dem Erbvertrag - wie hier - von beiden Teilen vertragsmäßige Verfügungen getroffen, so wird durch den Rücktritt eines [X.]n der ganze Vertrag aufgehoben; das Rücktrittsrecht erlischt mit dem Tode des anderen [X.]n (§ 2298 Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.]), [X.]n nicht ein anderer Wille der [X.]n anzunehmen ist (§ 2298 Abs. 3 [X.]). Als empfangsbedürftige Willenserklärung bedarf der Rücktritt bei Abgabe in Abwesenheit des [X.]s gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 [X.] des Zugangs bei diesem, um wirksam zu werden.

b) Dass der andere [X.] geschäftsunfähig geworden ist, schließt den vertraglich vorbehaltenen Rücktritt vom Erbvertrag ihm gegenüber - und damit auch die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung - nicht aus.

aa) Jedenfalls für den Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen gemäß §§ 2271 Abs. 1 Satz 1, 2296 [X.] wird in der Literatur allerdings vereinzelt vertreten, er sei gegenüber einem Geschäftsunfähigen nicht möglich. Begründet wird dies zum einen damit, der testierunfähige [X.] habe dann keine Möglichkeit, auf den Widerruf mit einer neuen Verfügung von Todes wegen zu reagieren, so dass seine Situation insoweit der in § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] entspreche, wonach das Recht zum Widerruf mit dem Tode des anderen Ehegatten erlischt. Zum anderen komme die Bestellung eines Betreuers zur Entgegennahme des Widerrufs für den Testierunfähigen regelmäßig nicht in Betracht, so dass dem Geschäftsunfähigen der Widerruf nicht zugehen könne (vgl. [X.]/[X.], 77, 80; [X.], 98, 100 ff. und 2014, 120 f.; wohl auch Klessinger in [X.]/[X.] Praxiskommentar Erbrecht 4. Aufl. § 2271 [X.] Rn. 11; [X.]/[X.]. § 2296 Rn. 8a).

bb) Demgegenüber sind die Rechtsprechung und der weit überwiegende Teil der Literatur der Meinung, dass die Geschäftsunfähigkeit bzw. [X.] des anderen Ehegatten bzw. [X.]n weder einem Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen noch dem Rücktritt vom Erbvertrag entgegenstehen. Dies ergebe sich vor allem aus dem Rechtsunsicherheiten vermeidenden Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck, sich zu Lebzeiten des anderen von der erbrechtlichen Bindung lösen und die Testierfreiheit so zurückerlangen zu können. Außerdem werde diese Bindung erst durch den mit dem Tod des anderen eintretenden erbrechtlichen Erwerb gerechtfertigt. Jeder Testierende müsse von vorneherein mit einem Widerruf und damit rechnen, dass dadurch seine eigenen wechselbezüglichen Verfügungen unwirksam werden. Das Fehlen einer Möglichkeit, erneut von Todes wegen zu verfügen, sei schlicht Ausdruck des allgemeinen Risikos der [X.] (vgl. [X.] FamRZ 2014, 1484, 1485; [X.] FamRZ 2013, 1842, 1843 f. mwN; [X.] FamRZ 2010, 403, 404; [X.] Beschluss vom 17. Februar 2000 - 301 [X.] - juris Rn. 20; [X.] [X.]/Litzenburger [Stand: 1. November 2020] § 2271 Rn. 17; [X.]/[X.] [Stand: 15. Juli 2020] § 2271 Rn. 45; [X.]/[X.]/[X.] Erbrecht 2. Aufl. § 2271 [X.] Rn. 17, 19; [X.]/[X.]/[X.] [X.] 16. Aufl. § 2296 Rn. 3; [X.]/[X.] [Stand: 3. April 2020] § 2271 Rn. 22; [X.]/Musielak 8. Aufl. § 2296 Rn. 5; [X.]/[X.] [X.] 18. Aufl. § 2271 Rn. 2; [X.]/[X.] 5. Aufl. § 2271 Rn. 15; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] und Erbvertrag 7. Aufl. § 2271 [X.] Rn. 18 ff.; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] Testament und Erbvertrag 7. Aufl. § 2296 [X.] Rn. 6; [X.]/Kanzleiter [X.] [2019] § 2271 Rn. 14; [X.]/[X.] Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen in der Praxis 3. Aufl. Rn. 187; [X.]/[X.] in [X.]/[X.] Handbuch der Testamentsgestaltung 6. Aufl. § 11 Rn. 34b; [X.] Notar 2014, 58, 59; Keim [X.] 2014, 118 f. und [X.] 2010, 358 f.; [X.] 2003, 104, 105 f.; [X.] jurisPR-FamR 12/2010 [X.]. 2; [X.]/Weidlich [X.]. § 2271 Rn. 6; [X.], 235, 236; [X.] 2013, 307, 309 und 2007, 159, 160).

cc) Jedenfalls für die hier maßgebliche Frage, ob das in einem Erbvertrag vorbehaltene Rücktrittsrecht schon mit Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des anderen [X.]n erlischt, ist die letztgenannte Auffassung zutreffend.

(1) Der Gesetzgeber hat in § 2298 Abs. 2 Satz 2 [X.] den Tod des anderen [X.]n als eindeutige und unschwer zu bestimmende zeitliche Zäsur festgelegt, bis zu der das Rücktrittsrecht auszuüben ist (vgl. etwa [X.] FamRZ 2013, 1842, 1844; [X.] Notar 2014, 58, 60; [X.] 2007, 159, 160). Tatsächliche Unsicherheiten, wie sie bei der Anknüpfung etwa an die Testier- oder Geschäftsunfähigkeit unvermeidbar wären, sind auf diese Weise ausgeschlossen.

(2) Es ist zwar zutreffend, dass dem testierunfähig gewordenen anderen [X.]n wegen § 2229 Abs. 4 [X.] die Möglichkeit genommen ist, auf die mit dem Rücktritt veränderte erbrechtliche Lage mittels letztwilliger Verfügungen zu reagieren, obwohl ihm diese Möglichkeit eröffnet sein soll (vgl. dazu etwa [X.], 374 = NJW 1968, 496, 498 f. mwN). Diese Konsequenz ist dem Gesetz andererseits aber auch nicht fremd, wie § 2298 Abs. 2 Satz 3 [X.] belegt, wonach der Überlebende selbst nach dem Tod des anderen [X.]n seine Verfügung durch Testament aufheben kann, [X.]n er das ihm durch den Erbvertrag Zuge[X.]dete ausschlägt. Auch dann geht die erbvertragliche Regelung vollständig ins Leere, ohne dass derjenige [X.], der an ihr festgehalten hat, diesem Umstand noch Rechnung tragen kann.

(3) Zudem ist bei [X.] des anderen [X.]n - anders als bei dessen Tod - der Erbfall noch nicht eingetreten. Der erbrechtliche Erwerb des jeweils Bedachten aufgrund der im Erbvertrag getroffenen vertragsmäßigen Verfügungen ist jedoch ein wesentlicher Grund dafür, dass das Rücktrittsrecht mit dem Tod des anderen [X.]n erlischt und der Überlebende gebunden ist (vgl. Keim [X.] 2014, 118, 119). Letztlich verwirklicht sich für den [X.] das allgemeine Risiko, einer veränderten Situation aufgrund zwischenzeitlich eingetretener [X.] erbrechtlich nicht mehr Rechnung tragen zu können (vgl. [X.]/[X.] [Stand: 3. April 2020] § 2271 Rn. 22). Ist der Rücktritt im Erbvertrag - wie hier - vorbehalten, ist er auf die Gefahr, dass sich sein Vertragspartner durch einseitige Erklärung von den getroffenen Regelungen lösen kann, zudem ausdrücklich hingewiesen worden; jener wiederum darf darauf vertrauen, dass diese Rücktrittsmöglichkeit - der gesetzlichen Regelung entsprechend - bis zum Tod des anderen besteht.

(4) Nichts Abweichendes ergibt sich schließlich aus verfahrensrechtlichen Erwägungen (aA [X.]/[X.], 77, 80). Insbesondere kommt - wie bereits zur Zulässigkeit der Beschwerde des Beteiligten zu 3 dargelegt - die Bestellung eines Betreuers in Betracht, dem gegenüber die Rücktrittserklärung abgegeben werden kann, obwohl dies gegebenenfalls nicht im rechtlichen Interesse des Betroffenen liegt.

c) Der Rücktritt des Beteiligten zu 3 vom Erbvertrag kann vorliegend - wie das [X.] zutreffend annimmt - wirksam gegenüber der Beteiligten zu 1 als Vorsorgebevollmächtigter erklärt werden, so dass es keiner Betreuerbestellung bedarf.

aa) Ob und inwieweit der Rücktritt vom Erbvertrag bei Geschäftsunfähigkeit des [X.]s auch einem von diesem wirksam rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten zugehen kann, ist allerdings höchstrichterlich noch nicht entschieden.

Vereinzelt wird die Möglichkeit einer Bevollmächtigung für die insoweit parallele Fragestellung des Widerrufs von wechselbezüglichen Verfügungen, für dessen Vornahme § 2271 Abs. 1 Satz 1 [X.] auf § 2296 [X.] verweist, abgelehnt (vgl. [X.] [X.] 2019, 557, 562 f.; [X.] 2013, 307, 309 f. und 2007, 159, 162).

Die weit überwiegende Auffassung nimmt hingegen an, dass der Rücktritt vom Erbvertrag - bzw. der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen - bei Geschäftsunfähigkeit des anderen [X.]n - bzw. anderen Ehegatten - gegenüber einem von diesem wirksam Bevollmächtigten erfolgen kann (vgl. [X.] FamRZ 2010, 403, 405; [X.] [X.]/Litzenburger [Stand: 1. November 2020] § 2271 Rn. 19 iVm § 2296 Rn. 5; [X.]/[X.] [Stand: 15. Juli 2020] § 2271 Rn. 50; [X.]/[X.]-Engels [Stand: 1. Januar 2021] § 2296 Rn. 10; [X.]/[X.]/[X.] Erbrecht 2. Aufl. § 2271 [X.] Rn. 17; [X.]/[X.]/[X.] [X.] 16. Aufl. § 2296 Rn. 3; [X.]/[X.] [X.] 18. Aufl. § 2271 Rn. 2 und § 2296 Rn. 1; [X.]/[X.] [Stand: 3. April 2020] § 2271 Rn. 27 f.; [X.]/[X.]/[X.] [Stand: 18. Mai 2020] § 2296 Rn. 9; [X.]/Musielak 8. Aufl. § 2296 Rn. 5 iVm § 2271 Rn. 8; [X.]/Weidlich [X.]. § 2296 Rn. 3 iVm § 2271 Rn. 6; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] und Erbvertrag 7. Aufl. § 2271 [X.] Rn. 20; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] Testament und Erbvertrag 7. Aufl. § 2296 [X.] Rn. 6; [X.]/Kanzleiter [X.] [2019] § 2271 Rn. 14; [X.]/[X.] Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen in der Praxis 3. Aufl. Rn. 194; [X.]/[X.] in [X.]/[X.] Handbuch der Testamentsgestaltung 6. Aufl. § 11 Rn. 34a; [X.] Notar 2014, 58, 61 f.; Keim [X.] 2010, 358, 360; [X.] jurisPR-FamR 12/2010 [X.]. 2; wohl auch Soergel/[X.]. § 2296 Rn. 3; Keim [X.] 2014, 118, 120).

bb) Nach richtiger Ansicht kann der Rücktritt vom Erbvertrag gemäß § 2296 Abs. 2 Satz 1 [X.] bei Geschäftsunfähigkeit des anderen [X.]n jedenfalls grundsätzlich wirksam gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigtem erfolgen.

(1) Gesetzliche Vorgaben stehen einer wirksamen Entgegennahme des Rücktritts vom Erbvertrag durch einen rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter des anderen, zwischenzeitlich geschäftsunfähig gewordenen [X.]n nicht entgegen (vgl. [X.]/[X.] [Stand: 15. Juli 2020] § 2271 Rn. 50).

Ein entsprechender Ausschluss folgt zum einen nicht aus § 131 Abs. 1 [X.]. Zwar wird nach dieser Bestimmung eine Willenserklärung, die einem Geschäftsunfähigen gegenüber abgegeben wird, nicht wirksam, bevor sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht. Mit dieser Regelung ist jedoch nicht die gesetzgeberische Anordnung verbunden, dass Willenserklärungen, die rechtlich einem Geschäftsunfähigen gelten, nicht auch an dessen rechtsgeschäftlichen Vertreter gerichtet werden können. Vielmehr gilt insoweit § 164 Abs. 3 [X.], wonach eine gegenüber einem anderen abzugebende Willenserklärung, die dessen Vertreter gegenüber erfolgt, unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirkt (vgl. [X.] [X.]/Litzenburger [Stand: 1. November 2020] § 2271 Rn. 19 iVm § 2296 Rn. 5; [X.]/[X.] [Stand: 3. April 2020] § 2271 Rn. 28; [X.]/Singer/[X.] [2017] § 131 Rn. 3; [X.]/[X.] Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen in der Praxis 3. Aufl. Rn. 194; Keim [X.] 2010, 358, 359 f.; [X.] jurisPR-FamR 12/2010 [X.]. 2; aA [X.] [X.] 2019, 557, 563).

Zum anderen wird eine rechtsgeschäftliche Stellvertretung bei der Entgegennahme des Rücktritts vom Erbvertrag nicht dadurch gehindert, dass dieser nach § 2296 Abs. 2 Satz 1 [X.] durch Erklärung gegenüber dem anderen [X.]n zu erfolgen hat. Denn anders als bei der Abgabe der Rücktrittserklärung, die gemäß § 2296 Abs. 1 [X.] nicht durch einen Vertreter erfolgen kann, handelt es sich bei der Entgegennahme nicht um eine höchstpersönliche Angelegenheit (vgl. auch [X.]/[X.]/[X.]/[X.] und Erbvertrag 7. Aufl. § 2271 [X.] Rn. 20; aA [X.] [X.] 2019, 557, 563). Der [X.] ist insoweit rein passiver Empfänger der Willenserklärung eines anderen, die mit dem Zugang bei ihm ohne weiteres ihre Wirksamkeit entfaltet. Mangels Höchstpersönlichkeit ist daher im Rahmen des § 2296 Abs. 2 Satz 1 [X.] nach allgemeinen Grundsätzen eine Vertretung zulässig.

Dem kann auch nicht mit Erfolg die prozessuale Regelung des § 51 Abs. 3 ZPO entgegengehalten werden, die den [X.] eines prozessunfähigen Volljährigen einem gesetzlichen Vertreter gleichstellt. Auch [X.]n es an einer vergleichbaren Bestimmung im materiellen Recht fehlt, erlaubt das ersichtlich nicht den Gegenschluss, dass es dort eines gesetzlichen Vertreters bedarf. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit § 51 Abs. 3 ZPO allein die streitige Frage klären, ob derjenige, der eine wirksame Vorsorgevollmacht erteilt hat, dennoch nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit für das gerichtliche Verfahren mit Blick auf § 1902 [X.] einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter benötigt, und auch die prozessuale Anerkennung der Vorsorgevollmacht sicherstellen (vgl. BT-Drucks. 15/2494 S. 39 f.; [X.]/[X.] [Stand: 3. April 2020] § 2271 Rn. 28; [X.] Notar 2014, 58, 62). Für das materielle Recht bleibt es für die gewillkürte Stellvertretung bei den §§ 164 ff. [X.].

(2) Die rechtliche Situation, in die der Geschäftsunfähige durch den gegenüber seinem rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter erklärten Rücktritt vom Erbvertrag gebracht wird, unterscheidet sich strukturell nicht von derjenigen, die sich bei einem gegenüber einem Betreuer als gesetzlichem Vertreter erfolgten Rücktritt ergibt (vgl. [X.]/[X.] Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen in der Praxis 3. Aufl. Rn. 194). In beiden Fällen sind die letztwilligen Verfügungen der [X.]n, soweit sie nach §§ 2298, 2299 [X.] vom Rücktritt erfasst werden, mit Zugang der Erklärung unwirksam. Zu einer Reaktion hierauf mittels letztwilliger Verfügung ist der Geschäftsunfähige dann mit Blick auf § 2229 Abs. 4 [X.] jedenfalls bis zur Wiedererlangung seiner Testierfähigkeit nicht in der Lage, ohne dass Bedeutung erlangt, durch [X.] er bei Entgegennahme der Willenserklärung vertreten worden ist. Insofern liegt es auch anders als etwa bei der Anfechtungserklärung des § 2282 Abs. 2 [X.], die für den Geschäftsunfähigen nur ein Betreuer vornehmen kann, oder dem Abschluss eines [X.] für den geschäftsunfähigen Erblasser, bei dem nach § 2347 Abs. 2 Satz 2 [X.] der gesetzliche Vertreter tätig werden muss. Denn dort geht es auch um die Abgabe eigener und nicht nur die Entgegennahme fremder Willenserklärungen (vgl. etwa [X.]/[X.] [Stand: 15. Juli 2020] [X.] § 2271 Rn. 50; Keim [X.] 2010, 358, 359).

Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings, dass mit der gewillkürten Stellvertretung im Rahmen des § 2296 Abs. 2 Satz 1 [X.] allgemein ein höheres Risiko für einen noch testierfähigen Vertretenen verbunden sein kann als mit einer gesetzlichen Vertretung durch einen Betreuer. Denkbar sind dann nämlich insbesondere die Fälle, in denen gerade der zurücktretende andere [X.] zugleich vom Verbot der Selbstkontrahierung befreiter Bevollmächtigter ist, der Vertretene keine Kenntnis vom Rücktritt erhält und so vereitelt wird, dass er etwa durch letztwillige Verfügungen auf den Rücktritt reagiert (vgl. [X.] [X.] 2019, 557, 563; [X.] 2007, 159, 162). Unabhängig davon, ob die Vollmacht den Vertreter dann tatsächlich zur wirksamen Entgegennahme der Erklärung ermächtigt (vgl. dazu etwa [X.]/[X.]. § 2296 Rn. 8c; Keim [X.] 2010, 358, 360) und der Vertreter unter anderem das Risiko eingeht, dass es an einer wirksamen Erklärung des Rücktritts fehlt, steht ein solcher Fall vorliegend nicht in Rede. Vielmehr geht es um eine Vorsorgevollmacht, die nicht dem [X.], sondern einem Dritten erteilt worden ist, und für die eine Missbrauchsgefahr oder Interessenkollision (vgl. dazu [X.] Notar 2014, 58, 61) im Zusammenhang mit der Entgegennahme des Rücktritts vom Erbvertrag weder festgestellt noch anderweitig ersichtlich ist. Wäre dies anders, so müsste das Betreuungsgericht im Übrigen hinterfragen, ob die Angelegenheiten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten insoweit ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 [X.]).

(3) Trotz des mit einer Bevollmächtigung allgemein einhergehenden Missbrauchsrisikos (vgl. Keim [X.] 2010, 358, 360) ist es der Wille des Gesetzgebers, durch die rechtliche Anerkennung der Vorsorgevollmacht das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu stärken (vgl. etwa BT-Drucks. 11/4528 S. 122; Senatsbeschluss [X.], 67 = [X.], 1671 Rn. 42). Dieser soll in eigener Verantwortung Vorsorge für die [X.] treffen können, in der er nicht mehr in der Lage ist, seine rechtlichen Angelegenheiten selbst wahrnehmen zu können. Deshalb ist die Rechtsposition des [X.] derjenigen des Betreuers stark angenähert, wie etwa die Bestimmungen in §§ 1901 a Abs. 6, 1901 b Abs. 3, 1904 Abs. 5, 1906 Abs. 5 oder 1906 a Abs. 5 [X.] belegen. Die Vorsorgevollmacht eröffnet mithin die Möglichkeit, mit einer Betreuung nach §§ 1896 ff. [X.] verbundene staatliche Eingriffe zu vermeiden. Damit korrespondiert auch die ausdrückliche Anordnung in § 1896 Abs. 2 Satz 2 [X.], wonach eine Vorsorgevollmacht die Erforderlichkeit der Betreuung entfallen lassen kann.

Aus diesen Grundsätzen folgt, dass ein Vorsorgebevollmächtigter grundsätzlich auch ermächtigt werden kann, für den Betroffenen den Rücktritt vom Erbvertrag als Willenserklärung entgegenzunehmen. Hierfür gilt nichts anderes als für andere gegenüber dem Betroffenen abzugebende empfangsbedürftige Willenserklärungen, die - wie etwa die Kündigung eines Mietvertrags - rechtlich nachteilige Folgen für den Betroffenen bewirken können. Würde man die Möglichkeit der passiven gewillkürten Stellvertretung insoweit beschränken, so wäre damit eine der gesetzlichen Grundkonzeption widersprechende Entwertung der Vorsorgevollmacht verbunden (vgl. [X.]/[X.] [Stand: 3. April 2020] § 2271 Rn. 28; [X.] Notar 2014, 58, 61 f.).

(4) Schließlich gibt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung Anlass, dass der vom Erbvertrag Zurücktretende das Risiko der Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht trägt. Ist etwa zweifelhaft, ob der andere [X.] bereits bei Vollmachterteilung geschäftsunfähig war, kann er beim Betreuungsgericht die Bestellung eines Betreuers für den [X.] anregen, die eine gerichtliche Überprüfung von dessen Geschäftsfähigkeit bei Vollmachterteilung nach sich ziehen wird. Davon abgesehen handelt es sich insoweit um ein Problem, das im Zusammenhang mit jeder empfangsbedürftigen Willenserklärung auftreten kann, die einem Geschäftsunfähigen gegenüber abzugeben ist. Der Schutz des Erklärenden rechtfertigt es nicht, dem [X.] insoweit die sein Selbstbestimmungsrecht verwirklichende rechtsgeschäftliche Regelung mittels Vorsorgevollmacht zu versagen.

d) Danach ist eine Betreuerbestellung im vorliegenden Fall nicht erforderlich im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 [X.]. Die Beteiligte zu 1 ist als umfassend Vorsorgebevollmächtigte rechtlich befugt, den Rücktritt des Beteiligten zu 3 vom Erbvertrag entgegenzunehmen. Gründe, die trotz dieser Bevollmächtigung ausnahmsweise zur Bestellung eines Betreuers zwingen würden, liegen nach den getroffenen Feststellungen nicht vor.

Dose     

      

Schilling     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 450/20

27.01.2021

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Karlsruhe, 28. September 2020, Az: 11 T 222/20

§ 164 Abs 3 BGB, § 1896 Abs 2 S 2 BGB, § 2296 Abs 2 BGB, § 59 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2021, Az. XII ZB 450/20 (REWIS RS 2021, 9157)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 425-426 REWIS RS 2021, 9157

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 554/20 (Bundesgerichtshof)

Betreuungssache: Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde eines in erster Instanz am Verfahren beteiligten nahen Angehörigen des Betroffenen …


2 AZR 794/09 (Bundesarbeitsgericht)

Ordentliche Kündigung - Wirksamwerden gegenüber Geschäftsunfähigem


1 BvR 2833/16 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Willkürverbots (Art 3 Abs 1 GG) durch unvertretbare Handhabung des …


XII ZB 462/20 (Bundesgerichtshof)

Betreuungssache: Anhörung des Betroffenen nach Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens


XII ZB 544/21 (Bundesgerichtshof)

Zulässigkeit der Bestellung eines Berufsbetreuers bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht


Referenzen
Wird zitiert von

I ZB 20/21

Zitiert

XII ZB 326/10

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.