Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.08.2012, Az. 2 StR 279/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 4021

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Gegenstand

Strafzumessung bei schwerer räuberischer Erpressung: Prüfungsreihenfolge bei minder schwerem Fall und vertyptem Strafmilderungsgrund; hinreichend konkrete Erfolgsaussicht bei Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. April 2012

a) im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte der besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit zweifacher fahrlässiger Körperverletzung schuldig ist,

b) im Straf- sowie im [X.] aufgehoben, im Hinblick auf den [X.] mit den zugehörigen Feststellungen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit zweifacher fahrlässiger Körperverletzung“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zudem hat das [X.] die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.].

2

Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit zweifacher fahrlässiger Körperverletzung nach den §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 229, 52 StGB. Die [X.] hat es jedoch - worauf sie selbst in den Urteilsgründen ([X.]) hingewiesen hat - versäumt, die Verwirklichung des [X.] des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in der Urteilsformel durch die Bezeichnung der Tat als „besonders“ schwere räuberische Erpressung zum Ausdruck zu bringen. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend berichtigt, weil die von § 260 Abs. 4 Satz 1 [X.] geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat eine Kennzeichnung der begangenen Qualifikation erfordert (vgl. [X.], [X.], 55. Aufl., § 260 Rn. 25a).

3

Der Strafausspruch und die Maßregelanordnung weisen dagegen durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der [X.] hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„1. Rechtlich zutreffend hat die [X.] zwar zunächst ohne Berücksichtigung des vertypten [X.] des § 21 StGB und unter alleiniger Heranziehung der allgemeinen Strafmilderungsgründe geprüft, ob die Tat als minder schwerer Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB zu werten ist ([X.] f.). Auch hält sich die Wertung der [X.], dass die allgemeinen Milderungsgründe allein die Annahme eines minderschweren Falles nicht tragen können, im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens. Die [X.] hätte jedoch im [X.] an die Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände weiter prüfen müssen, ob der mildere Sonderstrafrahmen unter zusätzlicher Heranziehung des gesetzlich vertypten [X.] des § 21 StGB der Strafzumessung im engeren Sinne hätte zu Grunde gelegt werden können. Erst wenn sie danach weiterhin keinen minderschweren Fall für gerechtfertigt gehalten hätte, hätte sie - wie geschehen ([X.]) - den wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen der Strafzumessung zu Grunde legen dürfen ([X.], Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 [X.], [X.], 271; [X.], Beschluss vom 21. November 2007 - 2 StR 449/07, [X.], 105; [X.], StGB, 59. Auflage 2012, § 50 Rn. 4 m.w.N.). Diese rechtlich zwingende Prüfungsreihenfolge hat das [X.] nicht beachtet.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die [X.] bei zusätzlicher Heranziehung des vertypten [X.] des § 21 StGB einen minder schweren Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB bejaht hätte. Zwar wäre der gesetzlich vertypte [X.] damit „verbraucht“ gewesen (§ 50 StGB), der Sonderstrafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB (1 Jahr bis 10 Jahre Freiheitsstrafe) wäre jedoch für den Angeklagten günstiger gewesen als der nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB (2 Jahre bis 11 Jahre 3 Monate). Im Hinblick auf die von der [X.] festgestellten gewichtigen allgemeinen Strafminderungsgründe ist nicht auszuschließen, dass das [X.] bei Anwendung des Sonderstrafrahmens des § 250 Abs. 3 StGB eine mildere Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten verhängt hätte. Deshalb bedarf es einer Aufhebung des angefochtenen Urteils im Strafausspruch. Da die zum Strafausspruch getroffenen Feststellungen von diesem Rechtsfehler nicht berührt werden, können diese indes bestehen bleiben.

2. Die Maßregelanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB weist ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

a) Zwar hat die [X.] einen Hang des langjährig opiatabhängigen Angeklagten zu übermäßigem Rauschmittelkonsum mit rechtlich tragfähiger Begründung bejaht ([X.], 12). Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass die verfahrensgegenständliche Tat eine Symptomtat im Sinne des § 64 Satz 1 StGB war. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die verfahrensgegenständliche Tat in einem (hinreichenden) symptomatischen Zusammenhang mit der Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten stand. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Tat der Beschaffung von Finanzmitteln zum Drogenerwerb dienen sollte. Hiergegen spricht zum einen, dass der Angeklagte mit Methadon substituiert wurde ([X.], 7), und zum anderen, dass seine (erhebliche) bisherige Delinquenz nicht durch Taten gekennzeichnet ist, die dem Bereich der Beschaffungskriminalität zuzuordnen sind.

Zwar hatte der Angeklagte im unmittelbaren Tatvorfeld erhebliche Mengen Alkohol konsumiert ([X.]), was die sachverständig beratene [X.] veranlasst hat, in Verbindung mit dem konkreten [X.] und Rohpynolkonsum des Angeklagten am Tattag von einer rauschbedingten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit auszugehen ([X.]). Dies genügt jedoch nicht zum Beleg für eine Rauschtat im Sinne des § 64 StGB. Denn zum einen hat die [X.] den angenommenen Rauschzustand bei der Tatbegehung maßgeblich auf den stattgehabten Alkoholkonsum zurückgeführt, zum anderen ist sie von der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten ausgegangen, dass dieser in den letzten drei Jahren vor der Tat keinerlei Alkohol konsumiert hatte, mithin kein Hang zu übermäßigem Alkoholkonsum vorlag ([X.], 11 f.). Einem alkoholbedingten Rausch zur Tatzeit kann damit kein Symptomwert für einen Hang im Sinne des § 64 StGB zuerkannt werden, weil sich der vorhandene Hang des Angeklagten zum Rauschmittelkonsum nicht auf Alkohol, sondern auf Betäubungsmittel bezieht.

b) Im Übrigen hat die [X.] die konkrete Erfolgsaussicht einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt im Sinne des § 64 Satz 2 StGB nicht rechtsfehlerfrei dargetan. Denn die [X.] ist - in Übereinstimmung mit den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen - zu der Feststellung gelangt, dass eine Therapiedauer von etwa drei Jahren erforderlich sei ([X.]). Die maximale Dauer einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beläuft sich allerdings gemäß § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB auf „lediglich“ zwei Jahre. Eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Sinne des § 64 Satz 2 StGB kann deshalb nicht bejaht werden, wenn sie die voraussichtlich notwendige Dauer einer Behandlung die Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB überschreitet ([X.], Beschluss vom 17. April 2012 - 3 StR 65/12).“

4

Dem schließt sich der Senat an.

[X.]

                 [X.]

Meta

2 StR 279/12

08.08.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Marburg, 4. April 2012, Az: 1 KLs 2 Js 15460/11

§ 21 StGB, § 49 StGB, § 64 Abs 2 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 3 StGB, § 67 Abs 5 StGB, § 67d Abs 1 S 1 StGB, § 67d Abs 1 S 3 StGB, § 250 Abs 2 Nr 1 StGB, § 250 Abs 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.08.2012, Az. 2 StR 279/12 (REWIS RS 2012, 4021)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4021

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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