Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.03.2021, Az. 4 StR 324/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 8242

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafverurteilung u.a. wegen Geiselnahme: Absoluter Revisionsgrund bei Augenscheinseinnahme in Lichtbilder in Abwesenheit des Angeklagten; Urteilstenor bei teilweiser Abweisung eines Adhäsionsantrags


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. März 2020

a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

aa) soweit der Angeklagte in den Fällen [X.] und II. 3 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe, sowie

b) dahingehend abgeändert, dass es in der Adhäsionsentscheidung anstatt „Im Übrigen wird der [X.] abgewiesen“ heißt „Im Übrigen wird von einer Entscheidung über den [X.] abgesehen“.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „[X.] mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen [Fall [X.]], wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und in Tateinheit mit Bedrohung [Fall [X.]] und wegen vorsätzlicher Körperverletzung [Fall [X.] 1]“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die mit mehreren Verfahrensbeanstandungen und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg in den Fällen [X.] und [X.] und führt im Übrigen zu einer Urteilskorrektur.

2

1. Die Verurteilung in den Fällen [X.] und [X.] kann nicht bestehen bleiben. Die Revision beanstandet zu Recht, dass ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung ‒ die Einnahme eines Augenscheins von mehreren Lichtbildern ‒ in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 230 Abs. 1 StPO).

3

a) Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

In der Hauptverhandlung vom 20. März 2020 ordnete die [X.] gemäß § 247 StPO für die Dauer der Vernehmung der Opferzeugin    [X.]die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer an. Während der anschließenden in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Zeugenvernehmung wurden drei Aktenblätter mit Lichtbildern in Augenschein genommen. Nach Abschluss der Befragung unterrichtete der Vorsitzende den wieder anwesenden Angeklagten über die Aussage der Zeugin.

5

b) Aufgrund der Beweiskraft des [X.] gemäß § 274 StPO steht fest, dass die Lichtbilder nicht lediglich als Vernehmungsbehelf Verwendung fanden, sondern Gegenstand einer förmlichen Beweiserhebung durch Einnahme eines Augenscheins waren. Nach dem im [X.] des § 247 StPO aufgrund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung eng auszulegenden Begriff der Vernehmung (vgl. [X.], Beschluss vom 21. April 2010 ‒ [X.], [X.]St 55, 87, 90 mwN) ist die Erhebung eines anderweitigen [X.], selbst wenn sie in engem Zusammenhang mit der Vernehmung steht, nicht Teil der Vernehmung, so dass die Durchführung der Beweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten durch den Entfernungsbeschluss nach § 247 StPO nicht gedeckt wird (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 14. Januar 2014 ‒ 4 StR 529/13, [X.], 223; vom 5. Oktober 2010 ‒ 1 [X.], [X.], 51). Die Inaugenscheinnahme hätte daher nach § 230 Abs. 1 StPO nicht in Abwesenheit des Angeklagten erfolgen dürfen. Der [X.] ist nicht durch eine Wiederholung des Augenscheins in Anwesenheit des Angeklagten geheilt worden.

6

c) Eine Verfahrenskonstellation, in welcher ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler ausnahmsweise denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Mai 2006 ‒ 4 [X.], [X.], 20; Beschluss vom 30. Januar 2001 - 3 [X.]; [X.] in [X.]/[X.] StPO, 63. Aufl., § 247 Rn. 21 mwN), liegt hinsichtlich der Fälle [X.] und [X.] nicht vor. Zwar hat der Angeklagte diese Taten gestanden, das [X.] hat jedoch ausgeführt, dass dieses Geständnis unter anderem durch die Angaben der Zeugin    [X.]gestützt wird. Zur Tat [X.] hat es zudem darauf verwiesen, dass die Zeugin ihre Angaben anhand der in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbilder ergänzen und präzisieren konnte. Damit hat das [X.] die Zuverlässigkeit der Aussage der Zeugin und die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch auf die in Abwesenheit des Angeklagten in Augenschein genommenen Lichtbilder gestützt.

7

2. Der Verfahrensfehler hat allerdings keine Auswirkungen auf die rechtsfehlerfreie Verurteilung in Fall [X.] 1. Insoweit ist ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler denkgesetzlich ausgeschlossen, da diese Tat eine vorsätzliche Körperverletzung betrifft, bei der die Aussage der Zeugin    [X.]und die in Augenschein genommenen Lichtbilder keine Rolle gespielt haben.

8

3. Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen [X.] und [X.] zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

9

4. Die Adhäsionsentscheidung bedarf der Klarstellung. Gibt das Gericht ‒ wie hier ‒ einem [X.] nur teilweise statt, unterliegt der weitergehende Teil nicht der Abweisung. Vielmehr ist insoweit von einer Entscheidung über den [X.] abzusehen (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO; vgl. hierzu näher [X.], Urteil vom 13. Mai 2003 ‒ 1 StR 529/02, [X.], 565, 566).

Sost-Scheible     

        

Bender     

        

Quentin

        

Rommel     

        

Lutz     

        

Meta

4 StR 324/20

03.03.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Detmold, 20. März 2020, Az: 23 KLs 2/20

§ 230 Abs 1 StPO, § 247 StPO, § 274 StPO, § 338 Nr 5 StPO, § 239b StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.03.2021, Az. 4 StR 324/20 (REWIS RS 2021, 8242)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8242

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 529/13 (Bundesgerichtshof)

Beweisaufnahme im Strafverfahren: Ausschließung des Angeklagten während der Erhebung eines Sachbeweises


1 StR 264/10 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Absoluter Revisionsgrund bei Augenscheinseinnahme in Abwesenheit des Angeklagten


4 StR 533/20 (Bundesgerichtshof)

Revision in Strafsachen: Zulässigkeit der Beweiserhebung durch Augenscheinseinnahme in Lichtbilder in Abwesenheit des Angeklagten


1 StR 264/10 (Bundesgerichtshof)


4 StR 529/13 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

4 StR 529/13

1 StR 264/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.