Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.06.2010, Az. 8 B 129/09

8. Senat | REWIS RS 2010, 5355

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Gegenstand

Restitutionsausschluss bei Änderung der Nutzungsart oder Zweckbestimmung vor dem 8. Mai 1945


Leitsatz

Der Restitutionsausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG ist auch anwendbar, wenn die Änderung der Nutzungsart oder Zweckbestimmung bereits vor dem 8. Mai 1945 erfolgt ist.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.

2

Die Beschwerde meint im Zusammenhang mit der geltend gemachten Rückübertragung des streitigen Grundstücks, das früher zum Rittergut P. gehört hat, sei von grundsätzlicher Bedeutung,

ob der einem Anspruch auf Vermögensrückübertragung nach dem [X.] entgegenstehende Ausschlussgrund nach § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] anwendbar ist, wenn das vom Restitutionsanspruch nach § 6 Abs. 6 Buchst. a Satz 1 [X.] erfasste Grundstück von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen genutzt wird,

ob ein öffentliches Interesse an der Nutzung des Grundstücks im Sinne von § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] besteht, wenn der Staat den Grundstücknutzer zur Bedarfsdeckung beauftragt hat und die Grundstücksnutzung lediglich dem fiskalischen Hilfsgeschäft dient,

und

ob der einem Anspruch auf Rückübertragung entgegenstehende Ausschlussgrund nach § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] anwendbar ist, wenn die mit einem erheblichen baulichen Aufwand verbundene Änderung der Nutzungsart oder Zweckbestimmung bereits vor dem 8. Mai 1945 erfolgt ist.

3

Für die Beantwortung dieser Fragen bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Antwort auf diese Fragen ergibt sich ohne Weiteres durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften und aus der bisherigen Rechtsprechung des [X.].

4

§ 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] liegt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] die Absicht zugrunde, bestimmte tatsächliche oder rechtliche Veränderungen an der Nutzungsart oder Zweckbestimmung eines entzogenen Grundstücks oder Gebäudes, an deren Aufrechterhaltung ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, nicht durch die Wiederbegründung der früheren Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen. § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] erfasst nach Art eines Aufwandtatbestandes solche Grundstücke oder Gebäude, an deren geänderter Nutzung gerade im Hinblick auf dafür getätigte bauliche Investitionen ein gesteigertes öffentliches Interesse besteht (Urteile vom 20. Dezember 1999 - BVerwG 7 [X.] 34.98 - [X.] 428 § 3 [X.] Nr. 32, vom 15. November 2000 - BVerwG 8 [X.] 27.99 - [X.] 428 § 3b [X.] Nr. 4, vom 30. November 1995 - BVerwG 7 [X.] 55.94 - BVerwGE 100, 70 = [X.] 428 § 5 [X.] Nr. 5 sowie vom 25. September 2002 - BVerwG 8 [X.] 25.01 - BVerwGE 117, 70 = [X.] 428 § 5 [X.] Nr. 36). [X.] ist mithin die geänderte Nutzung wegen des dafür betriebenen Aufwandes.

5

Das öffentliche Interesse am Fortbestand der Nutzung entfällt nicht deshalb, weil ein Dritter und nicht der Grundstückseigentümer die Nutzung vornimmt. Nimmt der Dritte die Nutzung in der Rechtsform einer Gesellschaft des privaten Rechts vor, so hindert dies allein nicht den Rückgriff auf den Tatbestand des § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] (Beschluss vom 26. Mai 2003 - BVerwG 8 [X.] - [X.] 428 § 5 [X.] Nr. 39; Urteil vom 25. Oktober 2001 - BVerwG 7 [X.] 10.01 - [X.] 428 § 5 [X.] Nr. 31).

6

Am Fortbestand der geänderten Nutzung besteht ein öffentliches Interesse zum Beispiel bei Einrichtungen der Daseinsvorsorge oder sonstigen Nutzungen, die dem Gemeinwohl dienen. Es ist nicht erforderlich, dass die Nutzung des Grundstücks oder Gebäudes in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft erfolgt (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand November 2009, § 5 Rn. 26; Urteil vom 20. Oktober 2001 a.a.[X.]). Ist der Unternehmensgegenstand des [X.] von Anfang an durch die Erfüllung öffentlicher Aufgaben geprägt, schließt weder die Rechtsform des Unternehmens noch dessen Gewinnerzielungsabsicht den [X.] gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] aus.

7

Nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.], die den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), befindet sich auf dem Grundstück ein Bekleidungszentrum der [X.]. Dieses ist in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft zu einem bedarfsorientierten Dienstleister umstrukturiert worden und wird in der Rechtsform einer GmbH betrieben, an der die Beklagte zu 25 % beteiligt ist. Ihre Aufgabe ist die Sicherstellung der Bekleidung für die Truppen und deren Ausrüstung. Der Unternehmensgegenstand ist damit von vornherein durch die Erfüllung öffentlicher Aufgaben geprägt. Die unmittelbare Deckung des [X.] der [X.] gehört zum Kernbereich der Aufgaben der [X.]verwaltung (vgl. Art. 87b Abs. 1 Satz 2 GG) und dient damit dem Gemeinwohl, weil nur zureichend ausgerüstete [X.] zur Landesverteidigung in der Lage sind.

8

Der weiteren von den Klägern als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Frage, ob § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] anwendbar ist, wenn die Änderung der Nutzungsart oder Zweckbestimmung bereits vor dem 8. Mai 1945 erfolgt ist, kann die Entscheidungserheblichkeit nicht abgesprochen werden. Die Ausführungen in dem Urteil des [X.] lassen den Schluss zu, dass das Verwaltungsgericht von einem Beginn der Nutzung des Grundstücks für militärische Zwecke bereits vor dem 8. Mai 1945 ausgegangen ist. Hierfür spricht die Feststellung, dass auf dem Grundstück bereits Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre beginnend Lagerhäuser gebaut wurden und diese Fläche dem [X.] zugeordnet war. Auch die nähere Befassung mit dem Einwand der Kläger, dass die militärische Nutzung vor 1945 zumindest begonnen worden sei, bestätigt diese Auslegung des Urteils. Wenn es in dem Urteil heißt, dass "in der Folgezeit ... eine militärische Nutzung spätestens seit dem [X.] vom [X.] belegt" ist ([X.]), bezieht sich dies auf die Nutzung nach [X.], schließt aber eine Nutzung für militärische Zwecke vor 1945 nicht aus.

9

Die gestellte Frage ist zu bejahen. Der Beginn der Nutzung des Grundstücks für militärische Zwecke vor dem 8. Mai 1945 führt nicht dazu, dass der Ausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] entfällt. Zwar hat der Senat in den Urteilen vom 27. Februar 2002 - BVerwG 8 [X.] 1.01 - (BVerwGE 116, 67 <71> = [X.] 428 § 5 [X.] Nr. 34 S. 40) und vom 13. Dezember 2005 - BVerwG 8 [X.] 13.04 - ([X.] 428 § 5 [X.] Nr. 45 S. 92 f.) darauf abgestellt, dass es für die Anwendung des [X.] des § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] auf solche Veränderungen der jeweiligen Grundstücks- oder [X.] ankommt, die zur [X.] [X.] eingetreten sind. In beiden Entscheidungen handelte es sich aber, worauf auch die Kläger hinweisen, um Enteignungen und Nutzungsänderungen nach Gründung der [X.], so dass sich die von ihnen aufgeworfene Frage nicht stellte. Für ihre Bejahung spricht, dass der Gesetzgeber anders als in § 4 Abs. 2 Satz 1 [X.] in § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] keine zeitliche Eingrenzung dahin vorgenommen hat, dass erst nach dem 8. Mai 1945 vorgenommenen Nutzungsänderungen den Ausschlussgrund erfüllen. Hierbei handelte es sich nicht um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers. Zum einen hat der Gesetzgeber in § 5 Abs. 2 [X.] eine auf die Ausschlussgründe des § 5 Abs. 1 [X.] bezogene eigene zeitliche Eingrenzung insoweit getroffen, als die maßgeblichen tatsächlichen Umstände am 29. September 1990 vorgelegen und - wovon das Gesetz als selbstverständlich ausgeht - im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen mündlichen Tatsachenverhandlung noch bestanden haben müssen. Zum anderen erklärt sich die unterschiedliche Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs in § 4 Abs. 2 Satz 1 [X.] auch daraus, dass die [X.] der Alliierten, an denen sich das [X.] für die Wiedergutmachung in der [X.] erlittener Vermögensverluste orientiert (vgl. Urteil vom 22. Februar 2001 - BVerwG 7 [X.] 12.00 - BVerwGE 114, 68 <70> = [X.] 428 § 1 Abs. 6 [X.] Nr. 10 S. 46), einen gutgläubigen Erwerb grundsätzlich nicht anerkannten, sondern nur ausnahmsweise beim Erwerb beweglicher Sachen "im Wege des ordnungsgemäßen üblichen Geschäftsverkehrs" und beim Erwerb von Inhaberpapieren zuließen (Art. 19 Satz 1, Art. 21 [X.], Art. 15 Satz 1, Art. 17 [X.], Art. 16 Satz 1, Art. 18 [X.]).

Das [X.] hat zudem bereits im Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 7 [X.] 19.94 - ([X.], 261 <267> = [X.] 428 § 1 [X.] Nr. 44 S. 117) klargestellt, dass § 5 [X.] auch auf Ansprüche nach § 1 Abs. 6 [X.] anzuwenden ist. Wörtlich ist in dem Urteil ausgeführt:

"Dies wird nunmehr durch das [X.] vom 27. September 1994 ([X.], 2632) bestätigt, das in seinem § 1 Abs. 1 u.a. auf den Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 1 [X.] und damit auch des § 5 [X.] Bezug nimmt. Die Regelungen des § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 [X.] stehen im Übrigen auch nicht in prinzipiellem Widerspruch zu den Grundsätzen des alliierten [X.]. Auch dieses hat der Erkenntnis Rechnung getragen, dass bei rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit der Herausgabe oder bei Entgegenstehen bedeutsamer öffentlicher oder privater Interessen das Prinzip der Rückgabe in Natur nicht uneingeschränkt durchgeführt werden konnte. Dies zeigen beispielhaft die Art. 15 ff. [X.] über die 'Begrenzung der Rückerstattung', die für bestimmte Sachverhalte lediglich eine Entschädigung gewähren (vgl. etwa Art. 15 Nr. 1 - nach der Entziehung erfolgende Enteignung zu einem rechtsstaatlich legitimen Zweck -, Art. 23 Nr. 1 - wesentliche Veränderung unter gleichzeitiger erheblicher Wertsteigerung - und Art. 23 Nr. 2 - nicht mehr abtrennbare Verbindung mit einer anderen Sache -)."

Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die [X.] der Regierungen der [X.] und der [X.] zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 in [X.]. a zu den [X.], die später in § 5 [X.] aufgenommen wurden, ersichtlich Änderungen der Nutzungsart bzw. Zweckbestimmung im Blick hatte, die während des Bestehens der [X.] vorgenommen wurden. Dies erklärt sich daraus, dass die [X.] vom 15. Juni 1990 eine Wiedergutmachung von [X.] im Beitrittsgebiet nicht vorsah. Mit der Aufnahme des § 1 Abs. 6 in das [X.] und der dort bestimmten entsprechenden Anwendung der Vorschriften des [X.]es auf Ansprüche nach § 1 Abs. 6 [X.] änderte sich dies. Wie dargelegt, findet § 5 [X.] für Ansprüche nach § 1 Abs. 6 [X.] Anwendung. Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, eine am 29. September 1990 bestehende Nutzungsänderung allein deshalb als Ausschlussgrund abzulehnen, weil die Änderung der Nutzungsart bzw. Zweckbestimmung bereits vor dem 8. Mai 1945 in Angriff genommen wurde. Damit würde verkannt, dass § 5 Abs. 1 Buchst. a [X.] zwar an eine in der Vergangenheit mit erheblichem baulichem Aufwand vorgenommene Nutzungsänderung anknüpft, das Bestehen des [X.] aber von einer gegenwartsbezogenen Beurteilung abhängig macht. Das Rückübertragungsinteresse des Berechtigten tritt nur zurück, wenn gegenwärtig, d.h. im Zeitpunkt des 29. September 1990 und der letzten gerichtlichen Tatsachenverhandlung, ein öffentliches Interesse am Fortbestand der Nutzungsänderung anzunehmen ist.

Meta

8 B 129/09

29.06.2010

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend VG Dresden, 18. August 2009, Az: 7 K 2281/06, Urteil

§ 4 Abs 2 S 1 VermG, § 1 Abs 6 VermG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.06.2010, Az. 8 B 129/09 (REWIS RS 2010, 5355)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5355

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