Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.08.2022, Az. VIa ZR 654/21

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8825

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Umfang des Restschadensersatzanspruchs des Neuwagenkäufers nach Eintritt der Verjährung für den Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung


Tenor

Auf die Revision des [X.] zu 1 wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 14. Oktober 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufung des [X.] zu 1 hinsichtlich des Klageantrags zu 1 in Höhe von 17.027,50 € nebst Zinsen und hinsichtlich des Klageantrags zu 2 zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger zu 1 (im Folgenden: Kläger) nimmt die beklagte [X.] wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte ausweislich der von ihm vorgelegten Rechnung am 16. April 2013 von einer Vertragshändlerin der Beklagten ein Neufahrzeug des Typs [X.] zum Preis von 31.200 €. Das Fahrzeug wurde am 16. Juli 2013 ausgeliefert. Es ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe [X.] ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des [X.] (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren [X.] als im Normalbetrieb, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Im Februar 2016 informierte die Beklagte den Kläger über die Notwendigkeit eines in Abstimmung mit dem [X.] zur Beseitigung der Software entwickelten Software-Updates, das in der Folgezeit auf das Fahrzeug des [X.] aufgespielt wurde.

3

Mit der 2020 erhobenen Klage haben der Kläger und die ehemalige Klägerin zu 2 beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 17.888 € nebst [X.] um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen (Klageantrag zu 1) und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen (Klageantrag zu 2). Ferner haben sie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangt (Klageantrag zu 3). Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

4

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag zu 1 in Höhe von 17.027,50 € nebst Zinsen sowie den Klageantrag zu 2 weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat im Umfang des Revisionsangriffs Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7

Der Kläger habe grundsätzlich einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Täuschung hinsichtlich der ursprünglich installierten Motorsteuerungssoftware. Er habe mit dem Erwerb des manipulierten Fahrzeugs einen ungewollten Vertrag geschlossen und daher einen Schaden erlitten. Der Anspruch sei jedoch verjährt. Der Kläger habe Kenntnis vom sogenannten "Dieselskandal" allgemein gehabt und spätestens mit dem Informationsschreiben der [X.] im Februar 2016 auch von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erfahren. Verjährung sei somit spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2019 eingetreten.

8

Ein (unverjährter) Anspruch auf Restschadensersatz aus § 852 Satz 1 BGB komme nicht in Betracht, da der Kläger nicht hinreichend zum Umfang des auf seine Kosten von der [X.] [X.] vorgetragen habe. Zwar habe die Beklagte, veranlasst durch den Neuwagenkauf des [X.], mittelbar eine Neuwagenbestellung der Vertragshändlerin und einen Kaufpreisanspruch gegen diesen erlangt, wobei der erlangte Anspruch nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des [X.] dem [X.] abzüglich einer Händlermarge von 10 % entsprochen habe. Es fehle jedoch - trotz eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises - an hinreichendem Vortrag des [X.] dazu, in welcher Höhe die Beklagte durch die mittelbare Vermögensverschiebung einen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne einer effektiven Mehrung ihres Vermögens erlangt habe. § 852 Satz 1 BGB ziele auf eine Abschöpfung des [X.] ab, weshalb das Erlangte im Sinne der Vorschrift jedenfalls in vertraglichen Austauschbeziehungen nur in der Gewinnmarge des Schädigers zu sehen sei.

II.

9

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

1. Rechtlich zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Schluss gelangt, die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des [X.] gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 31 BGB seien zwar gegeben, die Beklagte könne der Geltendmachung dieses Anspruchs aber die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten (vgl. [X.], Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 17 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 24 ff. [X.], zur [X.] bestimmt in [X.]Z). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

2. Nicht frei von [X.] sind indessen die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht einen Anspruch des [X.] auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB verneint hat.

a) Noch zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere ist der Anwendungsbereich der Vorschrift entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung nicht - einen Anspruch des [X.] ausschließend - teleologisch zu reduzieren (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 54 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 12).

b) Das Berufungsgericht hat auch richtig gesehen, dass durch den Fahrzeugkauf des [X.] eine Vermögensverschiebung vom Kläger zur [X.] stattfand, was Voraussetzung eines Anspruchs gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB ist.

aa) Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten ... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des [X.] geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem [X.] und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 68; jeweils [X.]). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des [X.] erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des [X.] bzw. der Erwerb des [X.] durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen ([X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 14; Urteil vom 21. März 2022 - [X.], [X.], 745 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes ([X.] erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang ([X.], Urteil vom 21. März 2022, aaO, Rn. 28).

bb) Im Streitfall ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang gegeben, da der schadensbegründende Fahrzeugkauf des [X.] nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Neuwagenbestellung der Verkäuferin (Vertragshändlerin) bei der [X.] auslöste, wodurch die Beklagte einen Kaufpreisanspruch gegen die Vertragshändlerin erhielt. Nach Erfüllung dieses Anspruchs hat sich die Bereicherung der [X.] gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB an dem von der Vertragshändlerin gezahlten Entgelt fortgesetzt (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 13 f. [X.]).

c) Durchgreifenden Bedenken begegnen indessen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Anspruchs aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, ist der Restschadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers nicht auf den vom Hersteller mit dem Fahrzeug erzielten Gewinn beschränkt ([X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 81 ff.). Das Berufungsgericht hat den Anspruch des [X.] folglich zu Unrecht mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe nicht hinreichend zur Gewinnmarge der [X.] vorgetragen. [X.] Vortrag ist aus Rechtsgründen nicht erforderlich (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 17).

Erlangt im Sinne von § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB hat die Beklagte die von der Vertragshändlerin ihr gegenüber erbrachte Leistung (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 82; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 16). Die der [X.] für die Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung des Fahrzeugs entstandenen Kosten sind nicht in Abzug zu bringen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bestimmen sie das nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB Erlangte nicht mit. Sie sind auch nicht nach § 818 Abs. 3 BGB berücksichtigungsfähig, weil der [X.] die Berufung auf eine mögliche Minderung ihrer Bereicherung nach § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB verwehrt ist (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], aaO, Rn. 86 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], aaO, Rn. 17). Der Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB unterliegt allerdings wie der ursprünglich bestehende Schadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung (näher [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], aaO, Rn. 16 [X.]). An diesen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmenden Grundsätzen hält der Senat fest.

3. Da die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe kein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu, nicht tragfähig begründet ist, erweist sich auch die darauf gestützte weitere Annahme, der Kläger könne nicht die Feststellung des Annahmeverzugs der [X.] verlangen, als rechtsfehlerhaft (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 18).

III.

Das Berufungsurteil ist im Umfang des Revisionsangriffs aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache insoweit mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zur Höhe des vom Kläger erzielten [X.] getroffen, der im Rahmen des Anspruchs aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB auf den von der [X.] erlangten [X.] anzurechnen ist (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 16). Die Bemessung des [X.] ist primär Sache des insoweit nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters und kann vom Revisionsgericht nicht selbst vorgenommen werden (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022, aaO, Rn. 23 f.).

[X.]     

        

Krüger     

        

Rensen

        

Wille     

        

Vogt-Beheim     

        

Meta

VIa ZR 654/21

01.08.2022

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 14. Oktober 2021, Az: 1 U 13/21

§ 31 BGB, § 195 BGB, § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 818 Abs 1 BGB, § 818 Abs 3 BGB, § 818 Abs 4 BGB, §§ 818ff BGB, § 819 Abs 1 BGB, § 826 BGB, § 852 S 1 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.08.2022, Az. VIa ZR 654/21 (REWIS RS 2022, 8825)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8825

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIa ZR 663/21 (Bundesgerichtshof)


VIa ZR 24/22 (Bundesgerichtshof)

Berechnung des Anspruchs auf Restschadensersatz im sogenannten Dieselskandal


VIa ZR 215/22 (Bundesgerichtshof)


VIa ZR 122/22 (Bundesgerichtshof)

Dieselabgasskandal: Schadensersatz des Fahrzeugkäufers und Darlegungs- und Beweislast für das vom Händler Erlangte


VIa ZR 601/21 (Bundesgerichtshof)

Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Restschadensersatzanspruch des Neuwagenkäufers nach Eintritt der Verjährung des …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VII ZR 365/21

VI ZR 739/20

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.