Bundessozialgericht, Urteil vom 28.02.2013, Az. B 8 SO 4/12 R

8. Senat | REWIS RS 2013, 7801

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Gegenstand

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Überprüfungsantrag - Sozialhilfe - Umwandlung eines Darlehens in einen Zuschuss - Aliud - Ablauf der Vierjahresfrist - Unerheblichkeit fortbestehender Bedürftigkeit - sozialgerichtliches Verfahren - richtige Klageart


Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 29. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist die Gewährung von Sozialhilfe für die [X.] von Februar 1992 bis Juni 1995 als Zuschuss statt als Darlehen.

2

Die Klägerin bezog vom [X.] davon bis [X.] (bestandskräftiger Bescheid vom 29.6.1992) - Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem [X.]. Sie war im Februar 1992 Eigentümerin einer Wohnung, deren Wert nach Auffassung des Beklagten die maßgebliche Angemessenheitsgrenze um 33 100 DM überstieg. Deshalb bewilligte der Beklagte zunächst Sozialhilfe nur darlehensweise bis zum fiktiven Verbrauch dieser Summe. Für den Beklagten war zur Sicherung des Darlehens samt darauf zu zahlender Zinsen eine Sicherungsgrundschuld im Grundbuch eingetragen worden. Seit August 2004 erhält die Klägerin Altersrente. Im Februar 2007 beglich sie das Darlehen samt Zinsen (insgesamt 42 194,37 Euro; davon 16 923,76 Euro Darlehenssumme und 25 270,61 Euro Zinsen), nachdem sie die Wohnung verkauft hatte. Der Beklagte hat jedoch aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung des [X.] ([X.]) [X.] die auf die Zinsforderung geleisteten Zahlungen wieder an die Klägerin zurückbezahlt.

3

Im Juli 2008 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids vom 29.6.1992, weil ihr zu Unrecht Hilfe zum Lebensunterhalt nur als Darlehen gewährt worden sei. Die Rücknahme des Bescheids lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 13.10.2008; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Das [X.] hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, bereits die Frist von vier Jahren zur rückwirkenden Leistungserbringung nach § 44 Abs 4 [X.] - ([X.]B X) stehe dem geltend gemachten Begehren entgegen (Urteil vom [X.]). Die dagegen eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29.6.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das L[X.] im Wesentlichen ausgeführt, § 44 [X.]B X finde nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B[X.]) vorliegend wegen des sog [X.] der Sozialhilfe keine Anwendung, weil die Bedürftigkeit der Klägerin durch den Bezug bedarfsdeckender Altersrente entfallen sei. Ob Hilfe zum Lebensunterhalt zu Unrecht darlehensweise gewährt worden sei, könne deshalb offen bleiben.

4

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 44 [X.]B X. Sie ist der Ansicht, die vom L[X.] herangezogene Rechtsprechung des B[X.] finde vorliegend keine Anwendung.

5

Sie beantragt,
die Urteile des L[X.] und des [X.] sowie den Bescheid vom 13.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheids vom 29.6.1992, soweit darin die Gewährung eines nichtrückzahlbaren Zuschusses abgelehnt worden ist, Sozialhilfe für die [X.] vom [X.] als Zuschuss zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die angefochtene Entscheidung des L[X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Das [X.] hat die Berufung der Klägerin im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen; die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf "Umwandlung" der darlehensweisen Bewilligung von Sozialhilfe in einen Zuschuss und (erneuter) Zahlung der Leistung, nachdem das Darlehen bereits beglichen ist.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 13.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] (§ 95 [X.]G), bei dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - <[X.]> iVm § 9 Gesetz zur Ausführung des [X.] vom 1.7.2004 - Gesetzblatt 534) und mit dem der Beklagte es abgelehnt hat, den Bescheid vom 29.6.1992 insoweit aufzuheben, als darin die nicht rückzahlbare zuschussweise Gewährung von Sozialhilfe (konkludent) abgelehnt worden ist. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4, § 56 [X.]G, auf die auch bei Anwendung des § 44 [X.] ein Grundurteil (§ 130 Abs 1 [X.]G) ergehen kann ([X.], 299, 300 = [X.] 3-4300 § 137 [X.]; B[X.] [X.] 4-4300 § 122 [X.] Rd[X.] 9). Mit dem Überprüfungsantrag kann - neben der Anfechtung - nicht die bloße Verpflichtung des Beklagten zur "Umwandlung" der darlehensweise gewährten Leistung in eine solche als Zuschuss begehrt werden; dem steht die Rechtsprechung zur Korrektur einer darlehensweisen Bewilligung außerhalb des Verfahrens nach § 44 [X.] nicht entgegen (siehe zu dieser Rechtsprechung: [X.], 68 ff Rd[X.] 13 = [X.] 4-4200 § 23 [X.] 1; B[X.] [X.] 4-3500 § 90 [X.] 1 Rd[X.] 13; [X.] 4-4200 § 12 [X.] 12 Rd[X.] 16; [X.] 4-5910 § 88 [X.] 3 Rd[X.] 10; B[X.], Urteil vom [X.] - B 4 [X.]/09 R -, juris Rd[X.] 10). Denn das [X.] kann auch im Rahmen des § 44 [X.] mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage allein jedenfalls dann nicht erreicht werden, wenn - wie vorliegend - die darlehensweise gewährte Leistung bereits zurückgezahlt worden ist ([X.] in juris [X.] [X.], § 37 [X.] Rd[X.] 72.6; zur Korrektur im Rahmen einer Klage gegen den noch nicht bestandskräftigen Darlehensbescheid B[X.] [X.] 4-5910 § 88 [X.] 3 Rd[X.] 10).

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids und eine nachträgliche Zahlung von Sozialhilfe liegen nicht vor. Nach § 44 Abs 1 [X.], der auch im Sozialhilferecht Anwendung findet (vgl nur B[X.] [X.] 4-1300 § 44 [X.] 15 Rd[X.] 19), ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht sind. Die Rücknahme steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass Leistungen nach § 44 Abs 4 [X.] noch zu erbringen sind.

Der Klägerin sind für die [X.] zwar Sozialleistungen iS des § 44 Abs 1 [X.] "nicht erbracht" worden. Denn Maßstab dafür ist, welche Sozialleistung (§ 11 Satz 1 Sozialgesetzbuch [X.] - <[X.]B I>) tatsächlich gewollt war, hier also Sozialhilfe als Zuschuss. Diese Leistung ist im Verhältnis zur darlehensweisen gewährten Sozialhilfe ein Aliud (vgl: BVerwG [X.] 436.36 § 17 BAföG [X.] 15; [X.], 180, 183 = [X.] 3-1300 § 44 [X.] 1 S 4) und vom Beklagten im Bescheid vom 29.6.1992 konkludent neben der die Klägerin begünstigenden, hier nicht im Streit stehenden Darlehensbewilligung abgelehnt worden (vgl [X.], 180, 181 = [X.] 3-1300 § 44 [X.]; siehe zur Rückabwicklung insgesamt [X.] in jurisPK-[X.], § 37 [X.] Rd[X.] 72.1 ff).

Ob die Entscheidung des Beklagten, Sozialhilfe nicht als Zuschuss zu erbringen, rechtswidrig war, kann jedoch dahinstehen. Eine Rücknahme ist jedenfalls, wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat, durch die im vorliegenden Fall zwingend (vgl B[X.]E 60, 158, 160 f = [X.] 1300 § 44 [X.] 23 S 53) und uneingeschränkt anwendbare (vgl: [X.], 180, 181 = [X.] 3-1300 § 44 [X.]; B[X.], Urteil vom [X.] [X.]; BVerwG, Beschluss vom [X.] - 11 B 91/92 -, juris Rd[X.] 9) Regelung des § 44 Abs 4 Satz 1 [X.] ausgeschlossen. Danach werden Sozialleistungen, falls ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Der Zeitraum der Rücknahme wird von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (Abs 4 Satz 2). Für die Berechnung tritt nach Satz 3 an die Stelle der Rücknahme der Antrag, wenn dieser zur Rücknahme führt. Dass die Klägerin das Darlehen erst im [X.] zurückbezahlt hat, ist deshalb ohne Belang (B[X.] aaO; BVerwG aaO).

Da § 44 Abs 1 [X.] im Ergebnis auf die Ersetzung eines rechtswidrigen ablehnenden Verwaltungsakts durch einen die Leistung gewährenden Verwaltungsakt abzielt, kann die Klägerin, die Leistungen für den weit außerhalb der Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 Satz 1 [X.] liegenden Zeitraum (Februar 1992 bis Juni 1995) begehrt, keine Leistungen mehr für die Vergangenheit beanspruchen; Folge davon ist, dass sie auch kein rechtliches Interesse mehr an der Rücknahme iS des § 44 Abs 1 [X.] geltend machen kann (vgl dazu B[X.]E 104, 213 ff Rd[X.] 22 = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 20) und kein Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids besteht. Auf die Frage der fortbestehenden Bedürftigkeit der Klägerin (vgl dazu: B[X.]E 99, 137 ff = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 11; B[X.]E 104, 213 ff = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 20; B[X.] [X.] 4-1300 § 44 [X.] 15), auf die das [X.] seine Entscheidung vorrangig und die Klägerin ihre Revision gestützt hat, kommt es damit nicht an.

[X.] beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 8 SO 4/12 R

28.02.2013

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 21. September 2010, Az: S 12 SO 1032/09, Urteil

§ 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 1 SGB 10, § 54 Abs 1 S 1 SGG, § 54 Abs 4 SGG, § 130 Abs 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 28.02.2013, Az. B 8 SO 4/12 R (REWIS RS 2013, 7801)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7801

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