2. Strafsenat | REWIS RS 2005, 2511
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1. Die Verfügung des Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer vom 13.05.2005 wird hinsichtlich der Entpflichtung der Rechtsanwälte R., Dr. K., S. und H. aufgehoben.
2. Die Beschwerde des Angeklagten H. E. W. gegen die Entpflichtung der Rechtsanwältin R. wird verworfen.
3. Der Angeklagte H. E. W. hat die Kosten seiner Beschwerde zu tragen.
Im Übrigen fallen die gerichtlichen Kosten der Beschwerden der Angeklagten zu 1. und zu 3. der Staatskasse zur Last. Ihre notwendigen Auslagen tragen die Beschwerdeführer J. H. M. S. und R. G. W. selbst.
G r ü n d e :
I.
Wegen des Sachverhalts wird zunächst auf den Senatsbeschluss vom heutigen Tag in dem Parallelverfahren 2 Ws 223-224/05 und 232/05 verwiesen.
Dazu ist zu ergänzen, dass der Vorsitzende der 1. großen Strafkammer mit Verfügung vom 13.05.2005 die Pflichtverteidiger der drei Beschwerdeführer entpflichtet hat, da dies Rechtsanwälte den Pflichten eines beigeordneten Verteidigers zuwider gehandelt hätten. Gegen diese Verfügung haben die drei Angeklagten jeweils Beschwerde eingelegt.
Mit Verfügung vom 1. Juli 2005 hat der Senat seine Rechtsansicht zur Entpflichtung eines Verteidigers dargelegt und den Beschwerdeführern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
II.
Die Beschwerden sind als Rechtsmittel der Angeklagten zulässig (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 143,Rdnr. 7).
1.
Die Beschwerden der Angeklagten S. und R. G. W. haben in der Sache Erfolg. Mit Erklärungen ihrer zunächst entpflichteten Verteidiger haben sie gegenüber dem Senat und der Strafkammer deutlich gemacht, dass die Verteidiger sich zukünftig prozessordnungsgemäß verhalten werden.
Aufgrund des Verhaltens der entpflichteten Verteidiger in der Hauptverhandlung am 02.05.2005 war - bezogen auf den damaligen Zeitpunkt - die Verfügung vom 13.05.2005, die die Entpflichtung der Verteidiger vorsah, gerechtfertigt, weil die Verteidiger sich, wie im Beschluss des Senat vom selben Tag unter Az. 2 Ws 237-240/05 (und weitere Az.) aufgezeigt, prozessordnungswidrig und pflichtwidrig aus der laufenden Hauptverhandlung ohne Zustimmung des Gerichts entfernt haben. Dieses bewusste und gewollte Handeln gegen die Prozessordnung, das auch nicht durch die Wahrnehmung der Interessen der Mandanten gedeckt war, rechtfertigt neben der Aussetzung der Hauptverhandlung und der Kostenüberbürdung auf den Verteidiger auch die Entpflichtung des Verteidigers in entsprechender Anwendung des § 143 StPO.
Eine Entpflichtung des Verteidigers ist - neben der in § 143 StPO genannten Fallgestaltung - aus wichtigem Grund auch dann zulässig, wenn eine grobe Pflichtverletzung des Verteidigers vorliegt, die befürchten lässt, dass der Zweck der Pflichtverteidigung und ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf nicht mehr gesichert sind (h. M.; vgl. Senat vom 21.01.2000 - 2Ws 39/00-; OLG Hamburg, NJW 1998,621; OLG Nürnberg, StV 1995, 287; OLG Koblenz, NStZ 1982, 43; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 143, Rdnr. 4; Laufhüttte in KK, 5. Aufl., § 143 Rdnr. 4 je m. w.N.). Nicht jedes unzweckmäßige, prozessordnungswidrige oder den Verfahrensablauf störende Verhalten kann eine Abberufung rechtfertigen, vielmehr muss das Fehlverhalten von besonderem Gewicht sein. Das ist der Fall, wenn der Verteidiger vorzeitig und ohne Zustimmung des Gerichts die Hauptverhandlung verlässt (vgl. Senat vom 21.01.2000, a.a.O.; OLG Koblenz, a.a.O.).
Dass der Entpflichtung im vorliegenden Fall keine Abmahnung vorausging, die im Regelfall erforderlich ist, ist unschädlich. Im Zeitpunkt des Verlassens der Hauptverhandlung (um 11.50 Uhr) war den Rechtsanwälten S., H., R. und Dr. K. klar, welche Folgen ihr Verhalten nach sich ziehen kann. Denn in der vorangegangenen Diskussion zwischen den Verteidigern und dem Gericht über die Terminierung auf den 04.05.2005 hatte Rechtsanwalt S. - offensichtlich in Übereinstimmung mit den anderen Rechtsanwälten - bereits um ca. 10.30 Uhr angekündigt, "wenn die Kammer sich weiter weigere, den berechtigten Anliegen der Angeklagten und ihrer Verteidiger Rechnung zu tragen, werde sie erleben, dass sämtliche Verteidiger aus dem Sitzungssaal ausziehen". Diese Bemerkung zeigt, dass den sämtlich prozesserfahrenen Verteidigern die Reichweite ihres Vorgehens klar war. Einer Abmahnung unter Hinweis auf die Folgen ihres Verhaltens bedurfte es daher nicht mehr.
Obgleich die Entpflichtung am 13.05.2005 mithin zu Recht erfolgt ist, sieht der Senat aufgrund des weiteren Verhaltens der Rechtsanwälte R., Dr. K., Strauch und H. deren Entpflichtung nun als nicht mehr verhältnismäßig an. Denn - wie in der Verfügung vom 1.Juli 2005 angesprochen - stellt die Entpflichtung das letzte und den Angeklagten am meisten beeinträchtigende Mittel dar, um einen geordneten Prozessablauf zu sichern. Die Entpflichtung, die nicht der Sanktion vorangegangener Missbräuche dient, soll ein geordnetes Verfahren für die Zukunft sichern (OLG Hamburg, a.a.O.).
Die Pflichtverteidiger der Angeklagten S. und R. G. W. haben im Laufe des Beschwedeverfahrens mit Schriftsätzen vom 7. Juli 2005 bzw. 12.07.2005 erklärt, dass sie die Rechtsansicht des Senats zu einem "prozessualen Notwehrrecht" akzeptieren und ihr prozessuales Verhalten danach ausrichten werden. Die Rechtsanwälte R. und Dr. K. versichern "sich in Zukunft auch dann nicht mehr aus der Hauptverhandlung zu entfernen, wenn sie die Fortsetzung der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden bzw. das erkennende Gericht für rechtswidrig halten". Rechtsanwalt S. sieht die Rechtsansicht des Senat als für ihn "verbindlich" an und erklärt, sich einem "justizförmigen und rechtmäßigen Verfahren nicht zu verweigern". In ähnlicher Weise hat sich Rechtsanwalt H. geäußert und erklärt, er " werde diese Auslegung ... sowohl in diesem, als auch in anderen Verfahren künftig beachten". Auch er werde sich einem justizförmigen und rechtmäßigen Verfahren nicht verweigern. Mit diesen Erklärungen haben die Verteidiger für die Zukunft den Missbrauch prozessualer Rechte ausgeschlossen. Der Senat hat derzeit keinen Anlaß, an der Ernsthaftigkeit dieser Erklärungen zu zweifeln. Dass die Verteidiger in diesen Schriftsätzen gleichzeitig an ihrer ursprünglichen Rechtsansicht festhalten und ihr Verhalten weiterhin als rechtmäßig beurteilen, steht dem nicht entgegen. Es ist das Recht der Verteidigung, eine von der Ansicht des Gerichts abweichende, für den Mandanten günstige Rechtsansicht zu vertreten.
Bei dem derzeitigen Sachstand ist somit zur Sicherung des künftigen Verfahrens eine Entpflichtung der vier genannten Verteidiger nicht mehr erforderlich. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass bei einem veränderten, den oben erwähnten Erklärungen widersprechenden Verhalten der Verteidigung das Gericht nicht gehindert ist, erneut prozesssichernde Anordnungen zu treffen.
2.
Die Beschwerde des Angeklagten H. E. W. ist unbegründet.
Seine Pflichtverteidigerin hat durch das Verlassen der Hauptverhandlung (um 13.10. Uhr desselben Tages) eine grobe Pflichtverletzung begangen, die die am 13.05.2005 angeordnete Entpflichtung rechtfertigt. Vor ihrer Entfernung hat der Vorsitzende auf die Konsequenzen ihres Verhaltens hingewiesen, wie der Angeklagte H. E. W. in seiner Beschwerdeschrift vom 25.05.2005 ausführt. Dazu wird i.e. Bezug genommen auf den Beschluss des Senats im Verfahren 2 Ws 237-240/05 (und weitere Az.) ebenfalls vom 15.07.2005. Somit ist auch die - allgemein für erforderlich gehaltene - Abmahnung durch den Vorsitzenden erfolgt.
Da die Verteidigerin des Angeklagten H. E. W. nach Einlegung der Beschwerde, insbesondere nach Mitteilung des Vermerks des Senats vom 04.07.2005 keine weitere Erklärungen zu ihrem zukünftigen Prozessverhalten abgegeben hat, kann in diesem Fall der Pflichtverteidigung wegen des pflichtwidrigen Verhaltens in der Sitzung vom 02.05.2005 nicht davon ausgegangen werden, dass die Verteidigerin zukünftig auch in Konfliktsituationen die Regeln der Prozessordnung respektieren wird. Zur Sicherung des zukünftigen Verfahrens muss es deshalb bei der Entpflichtung vom 13.05.2005 bleiben.
3.
Soweit die Beschwerde hinsichtlich des Angeklagten H. E. W. zurückgewiesen wurde, folgt die Kostenentscheidung aus § 473 StPO. Im Übrigen beruht sie auf entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1, Abs. 3 S.2 StPO (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 473 Rdnr. 2 ).
Meta
15.07.2005
Oberlandesgericht Köln 2. Strafsenat
Urteil
Sachgebiet: False
Zitiervorschlag: Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 15.07.2005, Az. 2 Ws 280-282/05 (REWIS RS 2005, 2511)
Papierfundstellen: REWIS RS 2005, 2511
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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