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Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Sicherungshaft eines ausreisepflichtigen libyschen Staatsangehörigen
Der Antrag des Betroffenen auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens gegen den Beschluss des [X.]- 1. Zivilkammer - vom 23. April 2024 wird zurückgewiesen.
I. Der Betroffene, ein libyscher Staatsangehöriger, reiste 2013 in die [X.]ein. Das [X.]lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2015 ab und er wurde mit seit dem 2. Juli 2016 bestandskräftiger Verfügung aus dem [X.]ausgewiesen. Der Betroffene trat wiederholt strafrechtlich in Erscheinung. Er wurde 2014 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt, 2017 unter anderem wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und sechseinhalb Monaten, 2021 unter anderem wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten und 2022 wegen Diebstahls in Tateinheit mit räuberischem Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten. Der Betroffene befand sich bis zum 27. März 2024 in Strafhaft. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 27. März 2024 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis 27. September 2024 angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das [X.]mit Beschluss vom 23. April 2024 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, für deren Durchführung er Verfahrenskostenhilfe beantragt.
II. Der Antrag des Betroffenen auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe ist zurückzuweisen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).Es stellen sich auch keine zweifelhaften Rechts- oder Tatsachenfragen, die unter dem Gesichtspunkt der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auch ohne Erfolgsaussicht im engeren Sinne gebieten würden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2024 - [X.]1/24, juris Rn. 25 mwN).
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Haftanordnung erweise sich insbesondere - auch unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes - als erforderlich und verhältnismäßig. Eine Prognose darüber, ob die beabsichtigte Abschiebung nach [X.]innerhalb der nächsten sechs Monate durchführbar ist, könne hier dahinstehen, denn nach § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG sei [X.]bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten sechs Monate durchgeführt werden könne. Diese Voraussetzungen lägen beim Betroffenen vor, wie sich aus dessen rechtskräftigen Verurteilungen wegen Straftaten gegen Leib und Leben Dritter ergebe. Die Haftanordnung von sechs Monaten erweise sich auch im konkreten Einzelfall als verhältnismäßig. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Abschiebung undurchführbar sei. Zwar hätten bislang Rückführungen nach [X.]über den Luftweg aufgrund von Risiken für die [X.]nicht vorgenommen werden können, zumal das [X.]erst seit dem 1. August 2023 wieder eine dauerhaft besetzte Botschaft in [X.]unterhalte. Die antragstellende Behörde habe aber nachvollziehbar erläutert, weshalb eine Abschiebung wahrscheinlich künftig erfolgen könne, allerdings voraussichtlich nicht binnen kürzerer [X.]als dem beantragten Haftzeitraum. Dass möglicherweise schon ab [X.]2024 begleitete Rückflüge nach [X.]möglich seien, sei keine bloße Hoffnung der Behörde. Diese habe konkret vorgetragen, welche Maßnahmen die [X.]seit [X.]2023 bereits durchgeführt habe und noch durchzuführen beabsichtige, um künftig begleitete Rückflüge zu ermöglichen, so dass eine auf konkrete Tatsachen gestützte begründete Aussicht bestehe, dass in nicht allzu ferner Zukunft begleitete Rückflüge nach [X.]durchgeführt werden können. Im konkreten Fall überwögen das öffentliche Interesse an der Sicherung der Abschiebung und die vom Betroffenen ausgehenden erheblichen Gefahren für Leib und Leben den Freiheitsanspruch des Betroffenen.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand.
a) Gegen die Zulässigkeit des [X.]der beteiligten Behörde bestehen nach den insoweit anwendbaren Maßstäben (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - [X.]123/11, [X.]2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - [X.]5/19, [X.]2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - [X.]74/19, juris Rn. 7; vom 25. Oktober 2022 - [X.]116/19, NVwZ 2023, 1523 Rn. 7; vom 20. Dezember 2022 - [X.]40/20, juris Rn. 7) keine Bedenken, insbesondere enthält dieser hinreichende Ausführungen zur Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb des beantragten Haftzeitraums von sechs Monaten.
b) Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Das Amtsgericht hat aufgrund der mehrfachen rechtskräftigen Verurteilungen wegen vorsätzlicher Straftaten zu Freiheitsstrafen und der Schilderungen der vom Betroffenen vorgenommenen Handlungen in den Urteilen rechtsfehlerfrei angenommen, dass konkrete Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3b Nr. 3 und Nr. 4 AufenthG vorliegen. Dagegen hat sich die Beschwerde nicht gewendet.
c) Die angeordnete Haft ist nicht gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG unzulässig.
aa) Nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist die [X.]unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten sechs Monate durchgeführt werden kann. Der Haftrichter hat auf der Grundlage einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage eine Prognose zur Durchführbarkeit der Abschiebung zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2011 - [X.]265/10, [X.]2011, 302 Rn. 8). [X.]darf angeordnet werden, wenn die Sachverhaltsermittlung und -bewertung ergibt, dass entweder eine Abschiebung innerhalb der nächsten sechs Monate prognostiziert oder eine zuverlässige Prognose zunächst nicht getroffen werden kann. Eine verbleibende Ungewissheit geht zu Lasten des Betroffenen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2011 - [X.]188/11, juris Rn. 15).
bb) Danach ist die angeordnete Haft nicht nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG unzulässig. Das Beschwerdegericht hat zwar ausgeführt, dass die Prognose zu § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG dahinstehen könne. Es ist jedoch im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haft zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund der bereits getroffenen und noch geplanten Maßnahmen der [X.]zur Durchführbarkeit von Rückführungen nach [X.]eine auf konkrete Tatsachen gestützte Aussicht bestehe, dass in nicht allzu ferner Zukunft begleitete Rückflüge nach [X.]durchgeführt werden können. Nach Einschätzung des [X.]ist die Durchführbarkeit der Abschiebung bis zum Ende der beantragten Haftzeit somit zwar ungewiss, aber nicht ausgeschlossen. Rechtsfehler lässt diese tatrichterliche Prognose nicht erkennen. Ob die Haft auch unabhängig von den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nach § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG hätte angeordnet werden dürfen, kann dahinstehen.
d) Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass eine Verletzung des Beschleunigungsgebots nicht vorliegt. Zwar sind auch die vor der Haftanordnung liegenden Zeiten relevant (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - [X.]21/20, juris Rn. 21 mwN). Nach den getroffenen Feststellungen bemüht sich aber die [X.]bereits seit [X.]2023 und somit kurz nachdem die Botschaft in [X.]wiedereröffnet wurde, begleitete Rückflüge nach [X.]zu ermöglichen.
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23.07.2024
Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat
Beschluss
Sachgebiet: ZB
vorgehend LG Heilbronn, 23. April 2024, Az: 1 T 75/24
§ 62 Abs 3 S 1 Nr 1 AufenthG, § 62 Abs 3 S 3 AufenthG, § 62 Abs 3b Nr 3 AufenthG, § 62 Abs 3b Nr 4 AufenthG
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.07.2024, Az. XIII ZB 36/24 (REWIS RS 2024, 5039)
Papierfundstellen: REWIS RS 2024, 5039
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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