Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 16.04.2015, Az. I ZR 130/13

1. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 12576

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Gegenstand

Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Richtlinie über die Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel: Zulassungsfreiheit für im Apothekenbetrieb herstellte Arzneimittel - Weihrauch-Extrakt-Kapseln


Leitsatz

Weihrauch-Extrakt-Kapseln

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 3 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Stehen Art. 3 Nr. 1 und Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG einer nationalen Vorschrift wie § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG entgegen, nach der ein Arzneimittel keiner Zulassung bedarf, das zur Anwendung bei Menschen bestimmt ist und auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt wird und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt ist?

Falls die Frage zu 1 bejaht wird:

2. Gilt dieses Ergebnis auch, wenn eine nationale Vorschrift wie § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG so ausgelegt wird, dass ein Arzneimittel keiner Zulassung bedarf, das zur Anwendung bei Menschen bestimmt ist und auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt wird und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt ist, sofern das Arzneimittel entweder gemäß einer ärztlichen Verschreibung, die nicht notwendig bereits vor der Zubereitung vorliegen muss, jeweils für einen bestimmten Patienten abgegeben wird oder das Arzneimittel in der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet wird und zur unmittelbaren Abgabe an die Patienten bestimmt ist?

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem [X.] werden zur Auslegung des Art. 3 der Richtlinie 2001/83/[X.] und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Stehen Art. 3 Nr. 1 und Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/[X.] einer nationalen Vorschrift wie § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] entgegen, nach der ein Arzneimittel keiner Zulassung bedarf, das zur Anwendung bei Menschen bestimmt ist und auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen [X.] in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt wird und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt ist?

Falls die Frage zu 1 bejaht wird:

2. Gilt dieses Ergebnis auch, wenn eine nationale Vorschrift wie § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] so ausgelegt wird, dass ein Arzneimittel keiner Zulassung bedarf, das zur Anwendung bei Menschen bestimmt ist und auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen [X.] in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt wird und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt ist, sofern das Arzneimittel entweder gemäß einer ärztlichen Verschreibung, die nicht notwendig bereits vor der Zubereitung vorliegen muss, jeweils für einen bestimmten Patienten abgegeben wird oder das Arzneimittel in der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet wird und zur unmittelbaren Abgabe an die Patienten bestimmt ist?

Gründe

1

A. Die Klägerin vertreibt in [X.] unter der Bezeichnung "[X.] Weihrauch" [X.] als Nahrungsergänzungsmittel. Der [X.] betreibt eine Apotheke. Er stellt ebenfalls [X.] her und vertreibt diese über seine Apotheke unter der Bezeichnung "[X.]" als Arzneimittel, ohne im Besitz einer arzneimittelrechtlichen Zulassung zu sein. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der [X.] die Kapseln im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs und unter Einhaltung auch der weiteren Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] herstellt.

2

Der [X.] warb für seine "[X.]" in einer "Patienteninformation" und einer Broschüre. Die Klägerin hat dort aufgestellte Werbebehauptungen als wettbewerbswidrig beanstandet und geltend gemacht, diese verstießen gegen das Verbot der Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel. Sie hat beantragt, den [X.]n unter Androhung von [X.] zu verurteilen, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr für die Arzneimittel der [X.] "[X.] 100 Stück" und "[X.] 200 Stück", sofern sie über keine Zulassung als Arzneimittel verfügen, mit den Aussagen zu werben:

1. (4.) Zu Ihrer Sicherheit

Dieses apothekenpflichtige und verschreibungsfreie [X.] wird für Sie nach den gültigen gesetzlichen Vorgaben und unter Beachtung verschiedener pharmazeutischer Regelwerke (z.B. [X.]opäisches Arzneibuch (Ph.[X.].), [X.], DAC) in unserer nach [X.] EN ISO 9001: 2008 zertifizierten Apotheke durch erfahrenes, pharmazeutisches Fachpersonal als Arzneimittel hergestellt

und/oder

2. (6.) Eine Übersicht zum Stand der [X.] befindet sich in der [X.]-Monographie (Olibanum indicum) und aktuell auf der wissenschaftlichen Weihrauch-Plattform von Prof. Dr. H.P.T. Ammon - dem Begründer der Weihrauchforschung in [X.]opa - im [X.]: www.weihrauch.org

und/oder

3. (7.) Dieses in der Apotheke hergestellte Arzneimittel enthält einen definierten [X.] aus [X.] Weihrauch (Boswellia serrata) in geprüfter Arzneibuchqualität

und/oder

4. (10.) Die [X.] erfüllen höchste Anforderungen an Qualität und Sicherheit:

- [X.] à Forschungsprojekt mit Universitäten

- Extraktherstellung in [X.]

- Erfüllung der Arzneibuch-Anforderungen

- Kapsel-Herstellung in unserer Apotheke

- Definierte Extrakt-Zusammensetzung

- Enthält alle Weihrauch-Wirkstoffe

- Kompetente & persönliche Beratung

und/oder

5. (12.) Weihrauch wird seit Jahrtausenden als Heilmittel eingesetzt

und/oder

6. (13.) Bis heute ist Weihrauch von keinem pharmazeutischen Unternehmen - trotz neuer Forschungsergebnisse - als Arzneimittel in [X.]opa zugelassen worden

und/oder

7. (14.) Unserer Apotheke ist es gelungen, einen definierten und standardisierten [X.] in Kapseln zur Verfügung zu stellen, der alle Anforderungen an ein in der Apotheke hergestelltes Arzneimittel erfüllt

wenn dies geschieht wie in Anlage [X.] (Ziffer 4 und 6) und Anlage [X.] (Ziffern 7, 10 und 12-14).

3

Der [X.] ist der Klage entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, das Verbot der Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel sei im Streitfall nicht einschlägig. Es knüpfe an die Zulassungspflicht des beworbenen Arzneimittels an. Die von ihm beworbenen "[X.]" bedürften jedoch als [X.] gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] keiner arzneimittelrechtlichen Zulassung.

4

Das [X.] hat die Unterlassungsklage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge in vollem Umfang weiter. Der [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

5

B. Für den Erfolg der Revision kommt es darauf an, ob das vom [X.]n beworbene Arzneimittel "[X.]" arzneimittelrechtlich zugelassen werden muss. Dies wiederum hängt von der Auslegung des Art. 3 Nr. 1 und Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/[X.] des [X.]opäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (nachfolgend: Richtlinie 2001/83/[X.]) ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 A[X.] eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.]opäischen [X.] einzuholen.

6

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stünden Unterlassungsansprüche wegen der beanstandeten Angaben gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 UWG in Verbindung mit § 3a [X.] nicht zu. Dazu hat es ausgeführt:

7

Das Verbot einer Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel nach § 3a [X.] sei auf die vom [X.]n hergestellten "[X.]" nicht anwendbar. Die Vorschrift regele nach ihrem klaren Wortlaut ausschließlich ein Werbeverbot für Arzneimittel, die der Zulassungspflicht unterlägen. Sinn der Bestimmung sei es zu verhindern, dass Patienten zum Kauf mangels Zulassung nicht verkehrsfähiger Medikamente veranlasst würden. Im Streitfall habe der [X.] die beanstandeten "[X.]" jedoch in Übereinstimmung mit den Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] als [X.] hergestellt. Die Kapseln seien deshalb zulassungsfrei und ohne Zulassung verkehrsfähig.

8

II. Im Streitfall kommt es auf die Frage an, ob das Arzneimittel "[X.]" einer arzneimittelrechtlichen Zulassung bedarf. Ist dies der Fall, besteht der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG in Verbindung mit § 3a Satz 1 [X.], § 21 Abs. 1 [X.]. Handelt es sich dagegen um ein nicht der arzneimittelrechtlichen Zulassungspflicht unterfallendes Präparat, ist der Verbotsantrag unbegründet.

9

1. Das von der Klägerin begehrte Verbot der Werbung für das Arzneimittel "[X.]" richtet sich nach § 3a Satz 1 [X.]. Nach dieser Bestimmung ist eine Werbung für Arzneimittel unzulässig, die der Pflicht der Zulassung unterliegen und die nicht nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften zugelassen sind oder als zugelassen gelten.

2. Mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts ist für die Nachprüfung in der Revisionsinstanz davon auszugehen, dass die "[X.]" des [X.]n die Voraussetzungen eines Arzneimittels im Sinne von § 2 [X.] erfüllen.

3. Entgegen der Ansicht der Revision reicht es für ein Verbot der angegriffenen Werbung des [X.]n nicht aus, dass dessen Präparat "[X.]" unstreitig nicht als Arzneimittel zugelassen ist.

a) Das Werbeverbot greift - wovon das Berufungsgericht im Streitfall zutreffend ausgegangen ist - nicht ein, wenn das Arzneimittel nicht der Pflicht zur Zulassung unterliegt. Die Maßgeblichkeit der Zulassungspflicht ergibt sich aus dem Wortlaut des § 3a Satz 1 [X.], wonach eine Werbung nur für solche Arzneimittel unzulässig sein kann, die der Pflicht der Zulassung unterliegen.

b) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, eine unionsrechtskonforme Auslegung der Bestimmung des § 3a [X.] gebiete es, das Werbeverbot auf alle nicht behördlich zugelassenen Arzneimittel auszudehnen.

aa) Allerdings ist bei der Auslegung des Heilmittelwerbegesetzes die Richtlinie 2001/83/[X.] zu berücksichtigen. Mit dieser Richtlinie ist eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgt (vgl. [X.], Urteil vom 8. November 2007 - [X.]/05, [X.], 267 Rn. 39 = [X.], 205 - Gintec; [X.], Urteil vom 29. April 2010 - [X.], [X.], 749 Rn. 31 = [X.], 1030 - Erinnerungswerbung im [X.]; Urteil vom 28. September 2011 - [X.], [X.], 647 Rn. 27 = [X.], 705 - [X.], mwN). § 3a [X.] setzt die Bestimmung des Art. 87 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/[X.] um. Danach untersagen die Mitgliedstaaten die Werbung für ein Arzneimittel, für dessen Inverkehrbringen keine Genehmigung nach den Rechtsvorschriften der [X.] erteilt worden ist.

bb) Daraus folgt jedoch entgegen der Ansicht der Revision nicht, dass die Richtlinie 2001/83/[X.] jegliche Werbung für behördlich nicht zugelassene Arzneimittel verbietet. Die Bestimmungen der Richtlinie 2001/83/[X.] zur Zulassungspflicht nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie und zum Werbeverbot nach Art. 87 Abs. 1 der Richtlinie betreffen nur solche Arzneimittel, die die Anforderungen des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie erfüllen und die nicht Art. 3 der Richtlinie unterfallen. Nach Art. 3 der Richtlinie sind bestimmte Arzneimittel vom Anwendungsbereich der Richtlinie und folglich vom Werbeverbot gemäß Art. 87 Abs. 1 der Richtlinie ausgenommen. Dazu gehören nach Art. 3 Nr. 1 und Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/[X.] unter den dort geregelten weiteren Voraussetzungen auch Arzneimittel, die in einer Apotheke zubereitet werden. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, sieht die Richtlinie 2001/83/[X.] für diese Arzneimittel ungeachtet einer fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung kein Verbot der Werbung vor. Daraus ergibt sich, dass das [X.]srecht kein Werbeverbot für alle nicht behördlich zugelassenen Arzneimittel anordnet, sondern das Werbeverbot davon abhängig macht, ob das Arzneimittel der in der Richtlinie 2001/83/[X.] angeordneten Zulassungspflicht unterliegt.

[X.] Im Streitfall ist unstreitig, dass der [X.] die [X.] in Übereinstimmung mit den Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] herstellt. Nach dieser Bestimmung bedarf ein Arzneimittel keiner Zulassung, das zur Anwendung bei Menschen bestimmt ist und auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen [X.] in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt wird und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt ist (sogenanntes [X.]). Der Erfolg der Revision der Klägerin hängt davon ab, ob die Bestimmung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] nach ihrem Wortlaut (dazu unter [X.] 1 und Vorlagefrage 1) oder zumindest bei einer an Art. 3 Nr. 1 und Nr. 2 der Richtlinie ausgerichteten Auslegung mit den Bestimmungen der Richtlinie 2001/83/[X.] vereinbar ist (dazu unter [X.] 2 und Vorlagefrage 2).

1. Da ein ausdrücklicher Anwendungsausschluss, wie ihn etwa Art. 100 der Richtlinie 2001/83/[X.] für homöopathische Arzneimittel regelt, im Hinblick auf Arzneimittel wie die "[X.]" des [X.]n nicht besteht, ist die Bestimmung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] an Art. 3 der Richtlinie zu messen. In Betracht kommt, dass § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] seinem Wortlaut nach mit Art. 3 Nr. 1 und Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/[X.] unvereinbar ist.

a) Nach Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/[X.] gilt diese Richtlinie nicht für Arzneimittel, die in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet werden (sog. formula magistralis). Ob die Freistellung der in § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] geregelten [X.] von der in § 21 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/[X.] geregelten Zulassungspflicht mit Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/[X.] im Einklang steht, ist nicht zweifelsfrei.

aa) Die Voraussetzungen der [X.] gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] sind insoweit weiter als die unionsrechtliche Regelung des Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/[X.]. Das nationale Recht (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.]) verlangt nicht, dass der Apotheker das Arzneimittel "nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten" zubereitet. Ausreichend ist vielmehr eine Herstellung auf der Grundlage einer nachweislich häufigen ärztlichen Verschreibung. Es genügt nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.], dass die Fertigung des Arzneimittels ohne konkrete ärztliche Verschreibung für einen bestimmten Patienten aufgrund einer auf einer statistischen Annahme beruhenden Prognose erfolgt. Im Schrifttum wird deshalb teilweise vertreten, dass § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] gegen Art. 3 der Richtlinie 2001/83/[X.] verstößt (Anker in [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 21 Rn. 24; [X.] in [X.]/von [X.]/[X.]/[X.], Pharmarecht, 2014, § 3 Rn. 73 in [X.]. 239). Andere Stimmen im Schrifttum gehen dagegen - ohne allerdings das Problem des unionsrechtlichen Erfordernisses einer ärztlichen Verschreibung für einen bestimmten Patienten ausdrücklich zu behandeln - davon aus, dass die [X.] des [X.] im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2001/83/[X.] gerechtfertigt bleibt ([X.]/Wesser, [X.], 168, 176; wohl auch Winnands in [X.]/[X.][X.], [X.], 2012, § 21 Rn. 12).

bb) Nach Ansicht des Senats deutet der Wortlaut des Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie ("nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet") darauf hin, dass für die [X.] der in § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] geregelten [X.] neben den weiteren dort angeführten Voraussetzungen nicht allein eine nachweislich häufige ärztliche oder zahnärztliche Verschreibung ausreicht.

Für dieses Ergebnis spricht auch die Entscheidung "[X.]/[X.]" des Gerichtshofs der [X.]opäischen [X.] ([X.], Urteil vom 11. April 2013 - [X.]/11, [X.], 854 Rn. 46 = [X.], 892), wonach die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie eng auszulegen ist. Diese Bestimmung regelt die Anwendung der Richtlinie in Bezug auf Arzneimittel, die bei einem besonderen Bedarfsfall nach Angaben des Arztes für dessen Patienten hergestellt werden. Diese Erwägung zu einer engen Auslegung dürfte auch für die Ausnahmevorschrift des Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie gelten.

Nicht zweifelsfrei ist dagegen, ob der Sinn und Zweck der Zulassungspflicht, also der wirksame Schutz der öffentlichen Gesundheit (vgl. Erwägungsgrund 2 der Richtlinie sowie [X.], [X.] 2008, 448, 453 mwN), ebenfalls eine enge Auslegung des Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/[X.] nahelegt. Der [X.] ist davon ausgegangen, dass die Arzneimittelsicherheit grundsätzlich nicht durch eine Herstellung in der Apotheke gefährdet ist ([X.], Urteil vom 14. April 2011 - I ZR 129/09, [X.], 1165 Rn. 20 = [X.], 1450 - Injektionslösung). Vielmehr kann eine Vorratsherstellung von bis zu 100 Präparaten einen rationellen Betriebsablauf fördern, indem sich Fehlermöglichkeiten reduzieren und die Genauigkeit der Verteilung der Einzeldosen erhöhen lassen (vgl. [X.]/[X.], [X.], 123. Lieferung 2012, § 21 Rn. 33). Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass ein Fehler in der Rezeptur oder Herstellung nicht nur einen, sondern potentiell täglich bis zu 100 Patienten gefährden kann und insoweit das Gefährdungspotential von [X.] im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] höher ist als bei einer Zubereitung für einen bestimmten Patienten gemäß Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/[X.].

b) Ebenfalls nicht zweifelsfrei ist die Frage, ob die Freistellung der in § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] geregelten [X.] von der in § 21 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/[X.] geregelten Zulassungspflicht mit Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/[X.] im Einklang steht. Nach dieser Bestimmung gilt die Richtlinie 2001/83/[X.] nicht für in der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitete Arzneimittel, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind (sogenannte formula officinalis). Zweifel an der Vereinbarkeit von § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] mit dem [X.]srecht bestehen deshalb, weil die [X.] Bestimmung nicht voraussetzt, dass das [X.] nach Vorschrift eines amtlichen Arzneibuchs zubereitet ist (vgl. Anker in [X.]/[X.] aaO § 21 Rn. 24; [X.] in [X.]/von [X.]/[X.]/[X.] aaO § 3 Rn. 73 in [X.]. 239).

2. Sollte die Vorlagefrage 1 bejaht werden, kommt eine einschränkende Auslegung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] in Betracht (dazu [X.] 2 a), die zu einer Vereinbarkeit der Bestimmung mit dem [X.]srecht führen kann (dazu [X.] 2 b). In diesem Fall hätte die Revision Erfolg (dazu [X.] 2 c).

a) Nach Auffassung des Senats hängt die [X.] eines Arzneimittels bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] davon ab, dass das unter den in dieser Bestimmung geregelten Voraussetzungen auf Vorrat hergestellte Arzneimittel gemäß einer ärztlichen Verschreibung, die nicht notwendig bereits vor der Zubereitung vorliegen muss, jeweils für einen bestimmten Patienten abgegeben wird oder das Arzneimittel in der Apotheke unter den in der Bestimmung geregelten Voraussetzungen und zusätzlich nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet wird und zur unmittelbaren Abgabe an die Patienten im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs und der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt ist. Eine solche teleologische Reduktion der Bestimmung zur [X.] von [X.] im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] kann nach Ansicht des Senats Art. 3 Nr. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/[X.] nahelegen.

aa) Die nationalen Gerichte sind aufgrund des [X.] gemäß Art. 288 Abs. 3 A[X.] und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 [X.] gehalten, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des [X.], den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen. Dieser Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten mehr als die bloße Auslegung innerhalb des Gesetzeswortlauts, sondern findet seine Grenze erst in dem Bereich, in dem eine richterliche Rechtsfortbildung nach nationalen Methoden unzulässig ist. Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung fordert deshalb auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform im Wege der teleologischen Reduktion fortzubilden (vgl. [X.], Urteil vom 26. November 2008 - [X.], [X.]Z 179, 27 Rn. 19 ff.).

bb) Die dargelegte einschränkende Auslegung steht mit dem Sinn und Zweck von § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] im Einklang.

(1) Der Grund für die [X.] von [X.] liegt vor allem in der Erhöhung der Arzneimittelsicherheit. Durch die Herstellung von [X.] in einem einheitlichen [X.] und in einer mehrfachen Menge der [X.] lassen sich die Fehlermöglichkeiten reduzieren, die Genauigkeit der Verteilung der Einzeldosis erhöhen; zudem wird eine analytische oder mikrobiologische Nachprüfung ermöglicht (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, [X.]. 7/3060, Seite 73; [X.]/[X.] aaO § 21 Rn. 33; Pelchen/Anders in [X.]/[X.], Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Lieferung 2013, § 21 [X.] Rn. 4; [X.], [X.], 4. Aufl., § 21 Rn. 4; [X.]/Wesser, [X.], 168). Außerdem dient die Bestimmung der Verwirklichung eines rationalisierten Betriebsablaufs und damit dem Zweck, die Wirtschaftlichkeit von Apotheken, einschließlich derjenigen von [X.], sicherzustellen (vgl. [X.]. 7/3060, Seite 73; [X.]/[X.], [X.], 123. Lieferung 2012, § 21 Rn. 33; Anker in [X.]/[X.] aaO § 21 Rn. 24; [X.] aaO § 21 Rn. 4).

(2) Die Zulässigkeit der Abgabe nur unter der weiteren Voraussetzung einer ärztlichen Verschreibung für einen bestimmten Patienten ermöglicht weiterhin die Herstellung von [X.] in einem einheitlichen [X.] und in einer mehrfachen Menge der [X.]. Gleiches gilt für die alternative Voraussetzung einer Zubereitung nach Vorschrift einer Pharmakopöe und die anschließende unmittelbare Abgabe an Patienten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Arzneimittel in Apotheken ohnehin gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 ApBetrO nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln des Arzneibuchs im Sinne von § 55 [X.] hergestellt und geprüft werden müssen.

b) Nach Auffassung des Senats stehen die im Wege der teleologischen Reduktion des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] für die [X.] von [X.] alternativ erforderlichen Voraussetzungen mit dem [X.]srecht im Einklang.

aa) Das Erfordernis, dass das unter den in dieser Bestimmung geregelten Voraussetzungen auf Vorrat hergestellte Arzneimittel gemäß einer ärztlichen Verschreibung, die nicht notwendig bereits vor der Zubereitung vorliegen muss, jeweils für einen bestimmten Patienten abgegeben wird, entspricht Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/[X.]. Zwar geht der Wortlaut der Richtlinienbestimmung nicht von einer Abgabe gemäß einer ärztlichen Verschreibung, sondern von der Zubereitung nach ärztlicher Verschreibung aus. Der Bestimmung des Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie kann jedoch nicht entnommen werden, die Privilegierung der Defektur sei vom Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung für einen bestimmten Patienten bereits vor Beginn der Herstellung des Arzneimittels abhängig. Die Gesichtspunkte der Arzneimittelsicherheit und der Wirtschaftlichkeit der Herstellung erfordern dies nicht. Vielmehr wird es beispielsweise in [X.] aufgrund von Erfahrungswerten und unter Berücksichtigung der aktuellen Patientenbelegung regelmäßig sinnvoll sein, den vorhersehbaren täglichen Bedarf an Arzneimitteln im Wege der Defektur vor einer ärztlichen Verschreibung zuzubereiten, um eine spätere Abgabe ohne zeitliche Verzögerung auf der Grundlage einer dann vorliegenden ärztlichen Verschreibung für einen bestimmten Patienten sicherzustellen. Bei dieser Auslegung des Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie ist gewährleistet, dass die Arzneimittel vor dem Inverkehrbringen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Vertretbarkeit vom Arzt und hinsichtlich ihrer Qualität vom für die Herstellung verantwortlichen Apotheker und damit in zweifacher Hinsicht von einer kompetenten und unabhängigen Stelle geprüft werden (vgl. [X.], [X.], 1165 Rn. 20 - Injektionslösung).

bb) Das alternativ in § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] hineinzulesende Erfordernis, wonach das Arzneimittel in der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet werden und zur unmittelbaren Abgabe an die Patienten bestimmt sein muss, ergibt sich unmittelbar aus Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/[X.].

c) Die Frage, ob die vom Senat für richtig erachtete teleologische Reduktion der [X.] gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] mit dem [X.]srecht vereinbar ist, ist entscheidungserheblich. Sollte die [X.] nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] von der Fertigung nach Vorschrift einer Pharmakopöe (Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie) abhängig sein, kommt es darauf an, ob das in Rede stehende Präparat - wie der [X.] behauptet hat - diese Voraussetzung erfüllt. Sollte dies nicht der Fall sein, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob die Abgabe des Präparats nur aufgrund einer ärztlichen Verschreibung zulässig ist. Sollte dies der Fall sein, ist die Werbung gegenüber dem allgemeinen Publikum nach § 10 Abs. 1 [X.] unzulässig.

Büscher                     Schaffert                         Koch

                Löffler                        [X.]

Meta

I ZR 130/13

16.04.2015

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 4. Juli 2013, Az: 3 U 156/12

Art 3 Nr 1 EGRL 83/2001, Art 3 Nr 2 EGRL 83/2001, § 21 Abs 2 Nr 1 AMG, § 3 UWG, § 4 Nr 11 UWG, § 8 UWG, § 3a HeilMWerbG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 16.04.2015, Az. I ZR 130/13 (REWIS RS 2015, 12576)

Papier­fundstellen: MDR 2017, 1258-1259 REWIS RS 2015, 12576

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