Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.10.2011, Az. AK 17/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2366

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Gegenstand

Untersuchungshaft und deren Fortdauer: Verdacht der Mitgliedschaft eines deutschen Staatsbürgers in der terroristischen Vereinigung "Islamische  Bewegung Usbekistan"


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

1

Der Beschuldigte, der [X.] Staatsangehöriger ist, wurde am 22. Februar 2011 vorläufig festgenommen und befindet sich seit diesem Tag mit einer Unterbrechung zwischen dem 22. Juli 2011 und dem 30. August 2011 zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 18. Februar 2011 (2 [X.] 64/11).

2

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich seit dem 1. September 2009 als Mitglied an der "[X.]" und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der [X.] (§ 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB).

3

Die Ermächtigung des [X.] aller bereits begangenen und zukünftigen Taten im Zusammenhang mit der "[X.]" liegt seit dem 23. Oktober 2009 vor.

II.

4

Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus sind gegeben.

5

1. Der Beschuldigte ist der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, der "[X.]", dringend verdächtig.

6

a) Bei der [X.] gegründeten Gruppierung "[X.]" handelt es sich nach den [X.] des [X.] vom 26. März 2009, vom 18. Februar 2011 und vom 30. Juni 2011 sowie den Gutachten des Dr. [X.], [X.], Stand: Oktober 2009 und Juli 2011, um eine im Ausland bestehende Vereinigung, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag zu begehen:

7

Das in [X.] gelegene [X.] bildete ursprünglich einen einheitlichen Kulturraum. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde es zwischen den [X.]n, [X.] und kirgisischen Sowjetrepubliken aufgeteilt.

8

Ab dem Jahr 1991 verstand sich die Vorgängerorganisation der "[X.]", deren Mitglieder überwiegend [X.] Islamisten sind, der aber auch [X.]is und [X.] angehören, als Befreiungsbewegung für das [X.], wobei sie zunächst das säkulare Regime des Präsidenten [X.] in [X.] beseitigen und einen [X.] Staat errichten wollte. Etwa [X.] verlegte sie ihr Operations- und Rückzugsgebiet nach [X.]. Am 16. Februar 1999 verübten Mitglieder einen Anschlag unter anderem auf den [X.]n Präsidenten, bei dem 13 Menschen starben und über 100 verletzt wurden. Nach der Tötung einer Vielzahl ihrer Mitglieder durch [X.] zog sie sich Ende des Jahres 2001 nach [X.] zurück.

9

Nach der Abspaltung der "[X.]" konzentrierten sich die Aktivitäten der "[X.]" auf einen Kampf gegen die [X.] Regierung.

Spätestens seit dem [X.] richtete sich die "[X.]" in stärkerem Maße international aus. Von ihr autorisierte Filmbotschaften definieren als Ziel des [X.] die Vertreibung der mit den [X.] verbündeten Streitkräfte aus [X.] und die Ausweitung des Wirkungsbereichs des Islam. Sie belegen die partnerschaftliche Kooperation der "[X.]" mit anderen terroristischen Vereinigungen im afghanisch-[X.]n Grenzgebiet und ihre Bereitschaft, sich bei Einzelaktionen der Führung größerer Terrororganisationen unterzuordnen. Die "[X.]" bekannte sich 2009 zu einem Selbstmordattentat, bei dem unter anderem sieben Zivilisten getötet wurden.

Die "[X.]" ist als [X.] hierarchisch strukturiert. Sie bindet ihre Mitglieder durch einen Gefolgschaftseid an die Gruppierung bzw. ihren Führer. Der Führungsspitze - seit dem [X.] um [X.] Odil - ist eine zehn- bis fünfzehnköpfige [X.] nachgeordnet, die Organisationseinheiten in den Bereichen Sicherheit, Ausbildung, Finanzen, Medien / Propaganda sowie militärische Operationen umfasst.

b) Der Beschuldigte, der als [X.] Staatsangehöriger auch für in [X.] begangene mitgliedschaftliche Betätigungshandlungen nach § 129b Abs. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB [X.] Strafgewalt unterliegt (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, [X.]R StPO § 129b Anwendbarkeit 1; Beschluss vom 15. Dezember 2009 - StB 52/09, [X.]St 54, 264, 267), ist dringend verdächtig, seit dem 1. September 2009 Mitglied der "[X.]" zu sein:

Ausweislich der gemäß dem Artikel 10-Gesetz erstellten Gesprächsprotokolle, die zugleich die Einlassung des Beschuldigten widerlegen, er habe sich lediglich längere Zeit in der [X.] aufgehalten und dort einen Verkehrsunfall gehabt, reiste der Beschuldigte im [X.] 2009 von [X.] nach [X.] und anschließend weiter über den [X.] nach [X.]. Spätestens am 1. September 2009 erreichte er ein Ausbildungslager der "[X.]", absolvierte dort eine Ausbildung und wurde bei dem Umgang mit Kampfmitteln verletzt. Wegen der Einzelheiten des [X.] nimmt der Senat im Übrigen Bezug auf den Inhalt des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 18. Februar 2011.

Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis gliederte sich der Beschuldigte durch seine intensive Mitwirkung anlässlich seiner Ausbildung willentlich und mit dem Einverständnis der für sie verantwortlich Handelnden in die "[X.]" ein. Zwar fehlt es bisher an unmittelbaren Beweisen dafür, dass der Beschuldigte einen Gefolgschaftseid leistete. Außerdem ist die Beteiligung an Kampfhandlungen nicht zweifelsfrei belegt, da sich der Beschuldigte Anfang des Jahres 2010 verletzte, ausweislich der Vermerke des [X.] vom 11. November 2010 (dort [X.]) und vom 31. Januar 2011 (dort [X.]) in den Wintermonaten aber witterungsbedingt die Ausbildung im Vordergrund steht und Kampfhandlungen erschwert sind. Die gemäß dem Artikel 10-Gesetz erstellten Gesprächsprotokolle ergeben aber, dass der Beschuldigte mit ausdrücklicher Zustimmung der dort [X.] in das nicht jedem Interessierten zugängliche Ausbildungslager fand und anschließend in enger persönlicher Verbindung mit dem laut Behördenzeugnis des [X.] vom 7. Januar 2010 hochrangigen Mitglied der "[X.]",  [X.]  , stand, der den Kontakt zur Familie des Beschuldigten in [X.] vermittelte. Diese Umstände belegen den Erwerb der Mitgliedschaft mit der zur Annahme eines dringenden Tatverdachts hinreichenden Sicherheit. In einer Hauptverhandlung wird Gelegenheit bestehen, zu dieser Frage - gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung - weitere Feststellungen zu treffen und abschließend zu klären, ob die Mitgliedschaft des Beschuldigten in der Organisation mit der zu einer Verurteilung erforderlichen Sicherheit zu belegen ist.

Die nach Erlass des Haftbefehls durchgeführten Ermittlungen haben den gegen den Beschuldigten bestehenden dringenden Tatverdacht noch verdichtet. Insbesondere ergibt die Auswertung von Asservaten jihadistischen Inhalts, die bei einer beim Beschuldigten am 22. Februar 2011 durchgeführten Durchsuchung sichergestellt wurden, Aufschluss über seine Motivation und seine fortdauernde Verbundenheit mit den Zielen der "Islamistischen Bewegung [X.]".

2. Es besteht aus den im Haftbefehl dargestellten Gründen nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), so dass es auf den weiteren Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO nicht ankommt. Dass der Beschuldigte - nach den Ergebnissen der Telekommunikationsüberwachung von seiner Familie nachdrücklich dazu angehalten - kurz vor seiner Verhaftung in eine Eheschließung nach [X.] Grundsätzen einwilligte, ändert daran nichts, weil er sich dadurch nicht an einem Verlassen [X.]s gehindert sähe. Der Zweck der Untersuchungshaft kann durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug nicht erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO). Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft steht auch noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden erheblichen Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil noch nicht zugelassen.

Seit der Inhaftierung des Beschuldigten wurden weitere Ermittlungen durchgeführt, die sich - auch wegen des [X.] - als besonders schwierig erweisen. Beim Beschuldigten und weiteren Mitbeschuldigten wurden Wohn- und Geschäftsräume durchsucht. Dabei wurde eine Vielzahl von Beweismitteln sichergestellt. Deren Auswertung beansprucht einen erheblichen Zeitaufwand, weil ein großer Teil der Asservate nur mit Hilfe von Dolmetschern und Islamwissenschaftlern erschlossen werden kann.

Dies hat bisher ein Urteil nicht zugelassen. Indes geht der Senat davon aus, dass - wie vom [X.] angekündigt - gegen den Beschuldigten nunmehr alsbald Anklage erhoben werden wird.

[X.]

Meta

AK 17/11

14.10.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 129a Abs 1 Nr 1 StGB, § 129b Abs 1 Nr 1 StGB, § 129b Abs 1 Nr 2 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB, § 112 Abs 2 Nr 2 StPO, § 116 Abs 1 StPO, § 120 Abs 1 S 1 StPO, § 121 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.10.2011, Az. AK 17/11 (REWIS RS 2011, 2366)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2366

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