Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28.07.2020, Az. 1 ABR 4/19

1. Senat | REWIS RS 2020, 440

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Gegenstand

Betriebsvereinbarung - unmittelbare und zwingende Geltung


Leitsatz

Die Betriebsparteien können die normative Geltung einer von ihnen geschlossenen Betriebsvereinbarung nicht an ein Zustimmungsquorum der Normunterworfenen binden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des [X.] vom 15. Juni 2018 - 3 [X.] - teilweise aufgehoben.

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des [X.] vom 15. November 2017 - 37 [X.] - teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt gefasst:

Unter Antragsabweisung im Übrigen wird festgestellt, dass die „Betriebsvereinbarung über variable Vergütung im Lager“ vom 22. Februar 2007 unwirksam ist.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung.

2

Die Arbeitgeberin erbringt logistische Dienstleistungen. Zu diesem Zweck unterhält sie in ihrem Betrieb, in dem der antragstellende Betriebsrat gewählt ist, ein Lager. Hinsichtlich der dort beschäftigten Arbeitnehmer schlossen die Betriebsparteien im Februar 2007 die - vom Betriebsrat mittlerweile gekündigte - „Betriebsvereinbarung über variable Vergütung im Lager“ ([X.]). Nach deren § 2 Nr. 3 setzt sich ein im einzelnen bestimmter Vergütungsbestandteil aus einer nach Maßgabe des § 3 [X.] geregelten anwesenheitsbezogenen und einer durch § 4 [X.] ausgestalteten leistungsbezogenen Komponente zusammen. Die [X.] lautet im Übrigen auszugsweise:

        

„§ 1   

        

Geltungsbereich

        

1.    

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (nachfolgend zusammenfassend Mitarbeiter) des Lagers des Betriebs in P unter Berücksichtigung von § 12.

                 

…       

        

§ 2     

        

Gegenstand der vorliegenden Betriebsvereinbarung

        

1.    

Die bei Unterzeichnung dieser Betriebsvereinbarung (Stichtag) beschäftigten Mitarbeiter erhalten derzeit zum Teil eine ‚Flexible Leistungs- und Anwesenheitsprämie‘ bzw. eine Zulage in Form einer Erfolgsbeteiligung oder sonstigen monatlichen Zulage (‚variable Vergütung‘). Die variable Vergütung wird vollumfänglich zum Gegenstand der vorliegenden Betriebsvereinbarung gemacht und richtet sich zukünftig nach den zwischen den Betriebsparteien gemäß den in der vorliegenden Betriebsvereinbarung geregelten Voraussetzungen.

        

…       

        
        

§ 12   

        

Schlussbestimmungen

        

1.    

Diese Betriebsvereinbarung tritt für alle Mitarbeiter mit Wirkung ab dem 01.07.2007 unter der Bedingung in [X.], dass 80% der abgegebenen Stimmen bis zum Ablauf der vom Unternehmen jeweils gesetzten Frist der Betriebsvereinbarung einzelvertraglich schriftlich zugestimmt haben. Hierzu erhalten die Mitarbeiter ein schriftliches Angebot des Unternehmens.

                 

Wird diese [X.] von 80% unterschritten, kann das Unternehmen dies dennoch für ausreichend erklären; in diesem Fall gilt die Betriebsvereinbarung im Geschäftsjahr 2008 (01.07.2007 bis 30.06.2008) nur für diejenigen Mitarbeiter, die der Geltung einzelvertraglich schriftlich zugestimmt haben. Beträgt die [X.] mindestens 60%, aber weniger als 80% und hat das Unternehmen dies für ausreichend erklärt und beträgt der [X.] im Geschäftsjahr 2008 mindestens 85% im Jahresdurchschnitt, gilt die Betriebsvereinbarung ab dem 01.07.2008 für alle Mitarbeiter, ansonsten gilt sie für alle Mitarbeiter, sobald in einem Geschäftsjahr der [X.] von 85% überschritten wurde.

                 

Für ab dem Stichtag neu eingestellte Mitarbeiter gilt die Betriebsvereinbarung ab In-[X.]-Treten.

        

…       

        
        

5.    

Die Betriebsvereinbarung kann mit einer Frist von 12 Monaten schriftlich gekündigt werden. …

        

6.    

Nach Ablauf der Kündigungsfrist wirkt diese Betriebsvereinbarung nach, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt wird. ...“

3

Der Betriebsrat hat mit seinem im Februar 2017 eingeleiteten Verfahren die Nichtigkeit, hilfsweise die Unwirksamkeit der [X.] - äußerst hilfsweise einzelner ihrer Regelungen - geltend gemacht. Die [X.] sei keine Betriebsvereinbarung. Jedenfalls verstoße sie gegen die [X.] des § 77 Abs. 3 Satz 1 [X.] und das EFZG sowie - wegen der Absenkung arbeitsvertraglicher Entgelte - gegen das Günstigkeitsprinzip.

4

Der Betriebsrat hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass die „Betriebsvereinbarung über variable Vergütung im Lager“ vom 22. Februar 2007 unwirksam ist;

        

hilfsweise festzustellen, dass §§ 2, 3, 4 und 12 der „Betriebsvereinbarung über variable Vergütung im Lager“ vom 22. Februar 2007 unwirksam sind.

5

Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt.

6

Das Arbeitsgericht hat die - dort hauptsächlich auf Nichtigkeit der [X.] infolge einer erklärten Anfechtung gerichteten - Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Das [X.] hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 15. Januar 2019 hat der Senat die Rechtsbeschwerde hinsichtlich der Abweisung der in den Vorinstanzen hilfsweise angebrachten Feststellungsanträge für den Betriebsrat zugelassen. Diese verfolgt der Betriebsrat mit seiner Rechtsbeschwerde weiter.

7

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das [X.] hat die Beschwerde des Betriebsrats gegen die - dessen Hilfsanträge abweisende - Entscheidung des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit der [X.] gerichtete Hauptantrag ist zulässig und begründet.

8

I. Der Feststellungsantrag begegnet keinen Zulässigkeitsbedenken. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.

9

1. Die Geltung einer Betriebsvereinbarung kann als Rechtsverhältnis zum Gegenstand eines Feststellungsantrags in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren erhoben werden (vgl. [X.] 20. Januar 2015 - 1 [X.] - Rn. 16). Soweit der Betriebsrat (auch) die Ansicht vertreten hat, die [X.] sei keine Betriebsvereinbarung, bewirkt das nicht die Unzulässigkeit seines auf die Feststellung ihrer Unwirksamkeit gerichteten [X.]. Die [X.] ist ein von den Betriebsparteien vereinbartes betriebliches Regelungswerk, dem jedenfalls die Arbeitgeberin die Wirkungen einer Betriebsvereinbarung beimisst.

2. Für den Antrag besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse. Dieses ist aufgrund der Kündigung der [X.] nicht entfallen. Die Betriebsparteien haben mit § 12 Nr. 6 [X.] die Nachwirkung ihrer Regelungen vereinbart (vgl. dazu [X.] 19. Februar 2008 - 1 [X.] - Rn. 20).

3. Die Mitwirkung des Betriebsrats am Abschluss der [X.] steht der Geltendmachung ihrer Unwirksamkeit nicht entgegen. Die Arbeitgeberin qualifiziert die [X.] als objektives betriebliches Recht. Sowohl im eigenen als auch im Interesse der von ihrem Geltungsbereich erfassten Arbeitnehmer muss der Betriebsrat deshalb die Möglichkeit haben, die Wirksamkeit der [X.] zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen (vgl. dazu [X.] 27. Januar 2004 - 1 [X.] [X.] der Gründe, [X.]E 109, 227).

II. Der Antrag ist begründet. Die [X.] ist eine Betriebsvereinbarung. Ihre Schlussbestimmungen in § 12 Nr. 1 sind unwirksam. Mit ihnen haben die Betriebsparteien ihre Regelungskompetenz überschritten. Das bewirkt die Unwirksamkeit der gesamten [X.].

1. Mit der [X.] haben Arbeitgeberin und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen.

a) Die Maßgaben einer Betriebsvereinbarung sind gesetzlich nicht definiert. § 77 [X.] sieht sie als Fall der in Abs. 1 genannten „Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber“ und enthält in Abs. 2 bis Abs. 6 Regelungen zu ihrem Zustandekommen, ihrer Wirkung und ihrer Beendigung. Danach ist sie eine schriftformgebundene (§ 77 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 [X.]) Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber mit unmittelbarer und zwingender Geltung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 [X.]). Mit ihr ist objektives betriebliches Recht geschaffen, das automatisch auf jedes im Geltungsbereich der jeweiligen Betriebsvereinbarung bestehende Arbeitsverhältnis einwirkt. Dieser Charakter der Betriebsvereinbarung als privatrechtlich kollektiver und objektives Recht setzender [X.] der Betriebsparteien (vgl. [X.] 18. Februar 2003 - 1 [X.] [X.] der Gründe, [X.]E 105, 19) grenzt sie von der [X.] ab. Letztere wirkt nicht normativ. Sollen mit ihr Rechte und Pflichten für Arbeitnehmer begründet werden, bedarf sie der individuellen Umsetzung. Auch hängt ihre Wirksamkeit nicht von der Einhaltung der Schriftform ab.

b) Danach handelt es sich bei der [X.] um eine Betriebsvereinbarung.

(1) Darauf deutet bereits neben ihrer Bezeichnung die in einer Vielzahl ihrer Bestimmungen - so etwa in § 2 Nr. 1 [X.] - verwandte Terminologie „diese Betriebsvereinbarung“ hin. Auch ist die [X.] schriftlich niedergelegt und von beiden Seiten unterzeichnet iSd. § 77 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Halbs. 1 [X.].

(2) Zudem zeigen die [X.] der [X.], dass Arbeitgeberin und Betriebsrat mit der [X.] keine [X.] getroffen haben, bei der sie sich ihrer normativen Gestaltungsmöglichkeit begeben hätten. Vor allem § 2 Nr. 1 [X.] verdeutlicht unmissverständlich, dass die variable Vergütung mit unmittelbar anspruchsbegründender Wirkung für die in den Geltungsbereich der [X.] fallenden Arbeitnehmer geregelt ist. Nichts anderes folgt - entgegen der Annahme des Betriebsrats - aus § 12 Nr. 1 [X.]. Auch danach sollen die inhaltlichen Bestimmungen zu einer variablen Vergütung keiner Umsetzung auf [X.] bedürfen, sondern die [X.] - nach Satz 1 der Regelung - „für alle“ Mitarbeiter mit Wirkung ab dem 1. Juli 2007 in [X.] treten, wenn ein näher festgelegtes Mindestquorum („80% der abgegebenen Stimmen“) erreicht ist (mit der Folge, dass die [X.] dann für alle geltungsbereichsrelevanten Arbeitnehmer gilt), oder ihr Geltungsbereich unter bestimmten Hilfsbedingungen - nach Satz 2 und 3 der Regelung - anders festgelegt ist (mit der Folge, dass die [X.] dann für einen Teil der Arbeitnehmer gilt). Ebenso zeigt die abschließende Regelung in § 12 Nr. 1 [X.], wonach „[f]ür ab dem Stichtag neu eingestellte Mitarbeiter … die Betriebsvereinbarung ab In-[X.]-Treten“ gilt, nachdrücklich den auf eine Normwirkung zielenden Abschluss einer Betriebsvereinbarung.

2. § 12 Nr. 1 [X.] ist unwirksam. Die Vorschrift bestimmt für das Inkrafttreten der [X.] neben einem zeitlichen Moment einen situativen Aspekt. Letzterer ist im Wesentlichen als Quorum „einzelvertraglich schriftlicher Zustimmungen“ der Mitarbeiter - was diejenigen meint, die unter den Geltungsbereich der [X.] fallen - festgelegt. Damit haben Arbeitgeberin und Betriebsrat für die Wirkung der [X.] eine ([X.] geregelt. Hierzu vermittelt das [X.] keine Regelungsbefugnis.

a) Zwar ist der Abschluss einer Betriebsvereinbarung nicht per se bedingungsfeindlich. So kann ihre Wirksamkeit etwa an die Bedingung des Inkrafttretens eines [X.] geknüpft sein (vgl. [X.] 15. Januar 2002 - 1 [X.]/01 - zu [X.]I 1 der Gründe) oder - im Bereich der betrieblichen Altersversorgung - von einer im Beschlussverfahren [X.] gerichtlichen Entscheidung über die Wirksamkeit der Ablösung einer Versorgungsordnung abhängig gemacht werden ([X.] 17. Juni 2003 - 3 [X.] [X.] 2 b der Gründe, [X.]E 106, 301). Insoweit bestehen gegen den Abschluss einer Betriebsvereinbarung unter einer aufschiebenden Bedingung jedenfalls dann keine rechtlichen Bedenken, wenn der Eintritt der vereinbarten Bedingung für alle Beteiligten, auch für die Arbeitnehmer als Normunterworfene, ohne Weiteres feststellbar ist ([X.] 15. Januar 2002 - 1 [X.]/01 - aaO).

b) Mit ihrem § 12 Nr. 1 ist die Wirkung der [X.] aber an die Bedingung des Erreichens einer vertraglichen [X.] der (potentiell) [X.] geknüpft. Eine solche Gestaltung ist den Betriebsparteien verwehrt. Sie verstößt gegen die normative Geltungsanordnung für Betriebsvereinbarungen und widerspricht dem betriebsverfassungsrechtlichen Strukturprinzip der Repräsentation der Belegschaft durch den Betriebsrat.

aa) Soweit dem Betriebsrat Mitbestimmungs-, Mitwirkungs-, Beteiligungs- und Unterrichtungsrechte zukommen, ist er bei der Ausübung dieser Rechte in der Wahl seiner Mittel - in den Grenzen der allgemeinen Bestimmungen - frei ([X.]/[X.] 20. Aufl. [X.] § 1 Rn. 17). Hingegen stehen die Rechtswirkungen gewählter Mittel nicht zu seiner Disposition. Entsprechend können die Betriebsparteien nicht, wie hier mit § 12 Nr. 1 [X.] bewirkt, den [X.] des § 77 Abs. 4 Satz 1 [X.] außer [X.] setzen.

(1) Zur Wirkungsweise einer Betriebsvereinbarung enthält das [X.] in seinem § 77 Abs. 4 Satz 1 - anders noch als das [X.] 1952 - die ausdrückliche Anordnung einer unmittelbaren und zwingenden Geltung. Mit der 1972 erstmals kodifizierten Regelung wurde die schon zum [X.] 1952 vertretene Auffassung zur Rechtswirkung einer Betriebsvereinbarung (vgl. hierzu [X.] 16. März 1956 - [X.] - [X.]E 3, 1) gesetzlich bestätigt.

(a) Die unmittelbare Geltung einer Betriebsvereinbarung besagt, dass diese ebenso wie Gesetze von außen und unabhängig von der Kenntnis und dem Willen der Arbeitsvertragsparteien auf das Arbeitsverhältnis einwirken und nicht Inhalt des Arbeitsvertrags werden. Arbeitnehmer werden hierdurch heteronomen Regelungen unterworfen, die Arbeitgeber und der von den Arbeitnehmern gewählte Betriebsrat vereinbart haben. Das ist mit dem Grundgesetz vereinbar (ausf. [X.] 12. Dezember 2006 - 1 [X.]/06 - Rn. 17 ff., [X.]E 120, 308).

(b) Die zwingende Geltung von Betriebsvereinbarungen liegt darin, dass abweichende arbeitsvertragliche Regelungen über den gleichen Regelungsgegenstand - soweit sie nicht für die Arbeitnehmer günstiger sind - ausgeschlossen sind (ausf. dazu zB [X.] GK-[X.] 11. Aufl. § 77 Rn. 254).

(2) § 77 Abs. 4 Satz 1 [X.] ist nicht abdingbar. Allenfalls können die Betriebsparteien die zwingende Geltung einer Betriebsvereinbarung für konkrete arbeitsvertragliche Abweichungen ähnlich wie Tarifvertragsparteien öffnen (vgl. zB Fitting [X.] 30. Aufl. § 77 Rn. 130). Ein Zustimmungsvorbehalt oder Vetorecht (eines Teils) der [X.] im Zusammenhang mit der betrieblichen Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarungen läuft jedoch deren von Gesetzes wegen angeordneten unmittelbaren und zwingenden Geltung zuwider. Eine Betriebsvereinbarung gestaltet unabhängig vom Willen oder der Kenntnis der Parteien eines Arbeitsvertrags das Arbeitsverhältnis und erfasst auch später eintretende Arbeitnehmer. Das schließt es aus, ihre normative Geltung - wie hier mit § 12 Nr. 1 [X.] geschehen - an das Erreichen eines Zustimmungsquorums verbunden mit dem Abschluss einer einzelvertraglichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zu knüpfen.

bb) Auch widerspricht § 12 Nr. 1 [X.] dem betriebsverfassungsrechtlichen Strukturprinzip der Repräsentation der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat.

(1) Die Betriebsverfassung beteiligt Arbeitnehmer über abgestufte Beteiligungsrechte an Willensbildung und Entscheidungen des Arbeitgebers im Betrieb. Die Beteiligungsrechte werden nicht von der Belegschaft, sondern von den [X.] - insbesondere Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat - wahrgenommen. Diese sind als Organe der Betriebsverfassung im eigenen Namen kraft Amts tätig; das gilt auch für ihre Stellung gegenüber der Belegschaft und einzelnen Betriebsangehörigen. Als Repräsentant der Belegschaft ist der Betriebsrat von Weisungen oder vom Willen der Arbeitnehmer unabhängig. Er hat seine gesetzlichen Pflichten selbst zu erfüllen (vgl. § 23 Abs. 1 [X.]). Ihm kommt weder ein imperatives Mandat zu noch wäre ein Misstrauensvotum der Belegschaft rechtlich von Bedeutung (vgl. bereits [X.] 27. März 1979 - 2 BvR 1011/78 - zu [X.] a der Gründe, [X.]E 51, 77).

(2) Die auf einer regelmäßigen [X.] Wahl beruhende Repräsentanz der Belegschaft durch den Betriebsrat vermittelt dessen Legitimation zur betrieblichen Rechtsetzung durch die Betriebsparteien (ausf. [X.] 12. Dezember 2006 - 1 [X.]/06 - Rn. 17 ff., [X.]E 120, 308). Sie ist zudem durch den im Grundsatz der Verhältniswahl verankerten Minderheitenschutz bei der Wahl des Betriebsrats sowie seiner Arbeit, Organisation und Geschäftsführung flankiert. Demgegenüber sind die Möglichkeiten der „Beeinflussung“ des gewählten Betriebsrats im Hinblick auf die Art und Weise der Ausübung der ihm obliegenden Aufgaben durch die Arbeitnehmer gesetzlich limitiert (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1, § 86a Satz 2 [X.]). Das schließt eine inhaltliche Gremienarbeit des Betriebsrats unter Berücksichtigung verlautbarter oder eruierter [X.] nicht aus. Eine unmittelbare Bindung der Normwirkung einer Betriebsvereinbarung an diese Interessen - wie hier mit § 12 Nr. 1 [X.] bewirkt - ist jedoch mit der Stellung des Betriebsrats unvereinbar. [X.] Elemente bei der Normsetzung durch die Betriebsparteien sind der Betriebsverfassung fremd.

3. Die Unwirksamkeit ihrer Geltungsanordnung bedingt die Gesamtunwirksamkeit der [X.]. Zwar ist eine Betriebsvereinbarung regelmäßig nur teilunwirksam, wenn der verbleibende Teil auch ohne die unwirksame Bestimmung noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung darstellt. Das folgt - nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB - aus ihrem Normcharakter, der es gebietet, im Interesse der Kontinuität eine einmal gesetzte Ordnung aufrechtzuerhalten, soweit sie ihre Funktion auch ohne den unwirksamen Teil entfalten kann (vgl. [X.] 23. Januar 2018 - 1 [X.] - Rn. 38 mwN, [X.]E 161, 305). Dies betrifft indes die Unwirksamkeit inhaltlicher Teilregelungen einer Betriebsvereinbarung. Der Rechtsgedanke trägt nicht, wenn der [X.] nicht den Inhalt der normativen Vereinbarung betrifft, sondern deren Wirkung und damit die Frage, „ob“ sie als [X.] überhaupt Geltung beansprucht.

        

    Schmidt    

        

    Ahrendt    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    H. Schwitzer    

        

    Rose    

                 

Meta

1 ABR 4/19

28.07.2020

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG München, 15. November 2017, Az: 37 BV 49/17, Beschluss

§ 77 Abs 2 S 1 BetrVG, § 77 Abs 2 S 2 BetrVG, § 77 Abs 4 S 1 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28.07.2020, Az. 1 ABR 4/19 (REWIS RS 2020, 440)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 440


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 ABR 4/19

Bundesarbeitsgericht, 1 ABR 4/19, 28.07.2020.


Az. 37 BV 49/17

ArbG München, 37 BV 49/17, 15.11.2017.


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7 AZR 118/19

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