Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.05.2013, Az. V ZB 201/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 5572

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]

vom

23. Mai 2013

in dem Verfahren nach dem [X.]

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 13 Satz 1; [X.] Art. 316e Abs. 4
1.
Das [X.] und Art.
316e Abs.
4 [X.] sind verfas-sungsgemäß.
2.
Die Therapieunterbringung ist nach §
13 Satz 1 [X.] von Amts wegen auch auf-zuheben, wenn sie von Anfang an nicht hätte angeordnet werden dürfen.

[X.], Beschluss vom 23. Mai 2013 -
V [X.] -
OLG S[X.]rbrücken

LG S[X.]rbrücken

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 23. Mai 2013
durch die
Vorsit-zende Richterin
Dr.
[X.], [X.] Lemke, Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
und die Richterin
Weinland
beschlossen:
Die Sache wird an das [X.] zur [X.] in eigener Zuständigkeit zurückgegeben.

Gründe:
I.

Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körper-verletzung vorbestrafte Betroffene wurde
durch Urteil des [X.] vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, weil er in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht hatte. Zugleich ordnete
das Gericht die
Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus ge-mäß § 63 StGB an, weil jener
auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Be-gehung schwerster, sexuell motivierter Straftaten neige. Durch Urteil des Land-gerichts [X.] vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren er-neut die Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, und zwar wegen einer
gefährlichen
Körperverletzung, die dieser
am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte. Der Betroffene
befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im
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Maßregelvollzug. Vom 23. Dezember 2005 bis zum 22. Juni 2007 verbüßte er
die [X.] von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil
des [X.] vom 28. September 1989. Danach war er einstwei-len untergebracht (§
275a Abs. 5 StPO
aF). Mit Urteilen vom 4. April 2007 und 17.
Juli 2009 ordnete das [X.] gegen den Betroffenen ge-mäß § 66b Abs. 3 StGB aF nachträglich die Unterbringung in der Sicherungs-verwahrung an. Beide Urteile hob der [X.] mit Beschlüssen vom 10.
Februar 2009 (4 [X.], [X.], 171) und vom 12. Mai 2010 (4
[X.], [X.], 567) auf. Der Betroffene wurde freigelassen und stand zunächst
unter Führungsaufsicht. Das [X.] ordnete gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 17. Februar 2012 die [X.] bis zum 1. März 2013 an. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.

Unter Berufung auf den Beschluss des Senats vom 12. Juli 2012 ([X.]/12, [X.]Z 194, 97 = NJW 2012, 3181) hat der Betroffene die Aufhebung der Therapieunterbringung beantragt. Diesen Antrag hat das [X.] zu-rückgewiesen. Der Beschwerde des Betroffenen hat es
nicht abgeholfen. Das [X.] möchte das Rechtsmittel
zurückweisen, sieht sich daran aber durch den erwähnten Beschluss des Senats gehindert und hat die Sache deshalb zur Entscheidung vorgelegt. Während des Beschwerdeverfahrens hat die antragstellende Behörde die Verlängerung der Therapieunterbringung [X.], über die noch nicht entschieden ist. Das [X.] hat im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Fortdauer der Unterbringung bis zum 31. Mai 2013 angeordnet.

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II.

Das vorlegende Gericht meint, eine Therapieunterbringung sei nicht nur aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich weggefallen seien, son-dern auch,
wenn diese
von vorneherein nicht vorgelegen hätten. Nach dem Be-schluss des Senats komme eine Therapieunterbringung von Betroffenen, die sich zuvor nicht in der Sicherungsverwahrung befunden hätten, sondern auf Grund eines Unterbringungsbefehls nach §
275a Abs. 5 StPO aF untergebracht gewesen seien,
nicht in Betracht. Danach müsse die Unterbringung des [X.] an sich aufgehoben werden. Allerdings sei es nicht bei dem [X.] geblieben. Vielmehr sei gegen den Betroffenen Sicherungs-verwahrung angeordnet und von dem [X.] nicht wegen Fehlens der sachlichen Voraussetzungen, sondern allein wegen des Rückwirkungsver-bots aufgehoben worden. Nach dem -
später ergangenen
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Urteil des [X.]-verfassungsgerichts vom 4.
Mai 2011 ([X.] 128, 326) habe sie hingegen aufrechterhalten werden können. Hierdurch unterscheide sich der vorliegende Fall von dem durch den Senat entschiedenen.

III.

Die Sache ist dem vorlegenden [X.] zur Entscheidung über das Rechtsmittel des Betroffenen in eigener Zuständigkeit zurückzugeben.

1. Die Voraussetzungen für die Vorlage nach § 18 Abs. 1 Satz 1 [X.] waren zwar gegeben. Das vorlegende Gericht möchte die Rechtsfrage, "ob die vorläufige Unterbringung nach §
275a Abs. 5 StPO aF als Vollzug der Siche-rungsverwahrung im Sinne von §§
1, 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] anzusehen ist", [X.] beantworten als der Senat. Der Vorlage steht nicht
entgegen, dass der 3
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Senat die Frage bereits entschieden hat. Denn das vorlegende Gericht zeigt einen neuen Gesichtspunkt, nämlich die Frage auf, ob ein nach § 275a Abs. 5 StPO aF untergebrachter Betroffener im Sinne von §
1 Abs. 1, § 5 Abs. 1
Satz 3 [X.] "nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann", wenn gegen ihn Sicherungsverwahrung angeordnet
war, aber wegen des [X.] aufgehoben worden ist.

2. Der Senat kann über das Rechtsmittel des Betroffenen aber nicht mehr entscheiden, weil die Vorlagefrage durch eine Änderung der maßgebli-chen gesetzlichen Vorschriften geklärt worden ist.

a) Die Vorlagepflicht nach § 18 [X.] soll sicherstellen, dass Ausle-gungsfragen, die von den [X.]en unterschiedlich beantwortet werden, im Interesse einer einheitlichen Anwendung des Therapieunterbrin-gungsgesetzes durch den [X.] entschieden werden. Für eine Entscheidung des [X.] ist deshalb kein Raum, wenn der Ge-setzgeber mit einer Änderung des Gesetzes die notwendige Klärung selbst her-beiführt (Senat, Beschluss vom 23. November 1954 -
V [X.], [X.]Z 15, 207 [dort allerdings mit unrichtigem
Aktenzeichen veröffentlicht]).

b) Dieser Fall ist hier eingetreten.

[X.]) Für die Entscheidung über die nachträgliche Aufhebung der Thera-pieunterbringung des Betroffenen nach § 13 Satz 1 [X.] kam es im Zeitpunkt der Vorlage an den Senat darauf an, ob Therapieunterbringung nach §§
1, 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] auch gegen einen
Betroffenen angeordnet
werden darf, der zwar auf Grund eines Unterbringungsbefehls nach § 275a Abs. 5 StPO aF untergebracht war, bei dem aber eine nachträgliche Sicherungsverwahrung an-6
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geordnet war und allein wegen des [X.] aufgehoben worden ist. Denn die Therapieunterbringung ist nach § 13 [X.] nicht nur aufzuheben, wenn sich nachträglich neue Umstände ergeben, sondern auch, wenn die Vor-aussetzungen für die Anordnung von Anfang an nicht vorgelegen haben. Das hat der Senat für den Fall der Freiheitsentziehung entschieden, die nach § 426 Abs. 1 FamFG ebenfalls von Amts wegen aufzuheben ist, wenn ihre Vorausset-zungen weggefallen sind (Beschluss vom 18. September 2008 -
V [X.], [X.], 299, 300 Rn.
18
f.). Für die Aufhebung einer Therapieunterbringung gilt nichts anderes. Auch ihre Fortdauer ist nicht nur unverhältnismäßig, wenn der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist, sondern in gleicher Weise, wenn eine erneute Prüfung ergibt, dass er (doch) nicht vorgelegen hat.
Es war [X.] für die Entscheidung über den Aufhebungsantrag des Betroffenen zu prü-fen, ob das [X.] auf Fälle wie seinen anwendbar ist.

[X.]) Diese Frage muss nicht mehr beantwortet werden, weil der [X.] die Anwendbarkeit des [X.]es
auf derartige Fälle unter einschränkenden, im Fall des Betroffenen gegebenen Vorausset-zungen
nunmehr
ausdrücklich geregelt hat.

(1) Mit dem Gesetz vom 20. Dezember 2012 ([X.] I S. 2756) ist
die Überleitungsregelung für das Gesetz zur Neuordnung des Rechts
der Siche-rungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 ([X.] I S. 2300), als dessen Art. 5 das [X.] erlassen worden ist, in Art. 316e [X.] um den heutigen Absatz 4 ergänzt
worden. Nach dieser Vorschrift ist § 1 [X.] unter den dort bestimmten sonstigen
Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsver-wahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor
dem 10
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4.
Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschär-fungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit an-gekommen wäre. Diese Voraussetzungen liegen im
Fall des Betroffenen
vor. Gegen ihn war durch Urteil des [X.] vom
17.
Juli 2009 nachträglich Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Dieses Urteil hat der [X.] mit Beschluss vom 12. Mai 2010 (4
[X.], [X.], 567, 568) mit der Begründung aufgehoben, zwar habe das [X.] die
Voraussetzungen des § 66b Abs. 3 StGB (aF) rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch sei diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m.
Art. 7 Abs. 1 Satz 2 [X.] generell nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen [X.] seien.

(2) Die Regelung in Art. 316e Abs. 4 [X.] erlaubt nicht nur, gegen die von ihr
Betroffenen seit dem Inkrafttreten dieser Änderung am [X.] 2012 (Art. 2 des Gesetzes vom 22. Dezember 2012) Therapieunterbringung neu anzuordnen. Vielmehr ist das [X.] durch diese
Regelung, wenn auch erst von seinem Inkrafttreten an, auf vorher erlassene Entscheidungen über eine Therapieunterbringung anwendbar geworden. Das ergibt sich aus Inhalt, Standort und Zweck der Regelung. Ihren Ausgangspunkt nimmt die Ergänzung bei dem Beschluss des Senats vom 12. Juli 2012 ([X.]/12, [X.]Z 194, 97 = NJW 2012, 3181), mit welchem der Senat die zwi-schen den [X.]en streitige Frage nach einer Anwendung des [X.]es auf Betroffene verneint hat, die nicht in
der Sicherungsverwahrung, sondern auf Grund eines vorläufigen Unterbringungs-befehls nach § 275a Abs. 5 StPO aF untergebracht waren. Dieses Ergebnis 12
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wollte der Gesetzgeber bei hochgradig gefährlichen Betroffenen vermeiden, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet und wieder aufhoben worden war, aber
aufgrund der Weitergeltungsanordnung in dem Urteil des [X.] vom 4. Mai 2011 ([X.] 128, 326) nicht hätte aufgehoben werden müssen (Entwurfsbegründung in BT-Drucks 17/11726 [X.]). Sein Rege-lungsziel hat er aber nicht, was an sich nahe gelegen hätte, durch eine Erweite-rung von § 1 [X.] verwirklicht, sondern durch eine Ergänzung der Überlei-tungsregelung für das [X.] in Art.
316e [X.]. Diese [X.] kann nur den Sinn haben,
nicht nur die Anwendbarkeit des [X.] auf solche Fälle überhaupt zu erreichen, sondern auch, bereits getroffene Entscheidungen über die Therapieunterbringung nachträglich -
wenn auch nur für die Zukunft
-
dem [X.] zu unter-stellen.
Das Gesetz ist damit seit dem 28. Dezember 2012 auch auf die Thera-pieunterbringung des Betroffenen anwendbar, ohne dass es auf die
Frage an-kommt, deretwegen das [X.] die Sache vorgelegt hat.

3. Anders wäre es freilich, wenn die gegen das [X.] selbst und gegen die Ergänzung der Überleitungsvorschrift erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken zuträfen. Das ist aber nicht der Fall. Das Ge-setz
selbst und die Überleitungsregelung in Art. 316e Abs. 4 [X.] sind ver-fassungsgemäß.

a)
Das erste Bedenken richtet sich gegen die Gesetzgebungskompetenz des [X.]. Sowohl das [X.] selbst (Entwurfsbe-gründung in BT-Drucks 17/3404 S. 19 f.) als auch die Änderung der Überlei-tungsregelung durch das erwähnte Gesetz vom 20. Dezember 2012 ([X.] in BT-Drucks. 17/11726 [X.]) sind auf die konkurrierende Gesetz-gebungskompetenz des [X.] für das Strafrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG 13
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gestützt. Dieser Kompetenztitel, so wird eingewandt, erfasse
das Therapieun-terbringungsgesetz (und damit auch die spätere Ergänzung) nicht. Es handele sich in der Sache um Gefahrenabwehr, für die die Gesetzgebungskompetenz allein bei dem Landesgesetzgeber liege. Dass eine
Kompetenz des [X.] nicht bestehe, zeige sich auch daran, dass die Entwurfsbegründung (an den zitierten Stellen) den Sachzusammenhang mit der Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht bemühe
([X.], [X.] 2011, 417, 418; Antrag des [X.] im [X.]rat auf [X.]. 794/2/10; vorsichtiger Kin-zig, NJW 2011, 177, 181; [X.], NJW 2011, 1194). Diese Bedenken sind unbegründet. Das [X.]verfassungsgericht hat sich mit der Frage der Ge-setzgebungskompetenz aus Anlass von [X.] [X.] über die Unterbringung [X.] rückfallgefährdeter hochgefährlicher Straftäter befasst und beide lan-desgesetzlichen Regelungen
für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, weil solche Regelungen von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des [X.] für das Strafrecht erfasst seien und der [X.] von seiner Gesetzge-bungskompetenz abschließend
Gebrauch gemacht habe ([X.] 109, 190). Zum Strafrecht im Sinne des Art.
74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehöre die Regelung aller st[X.]tlichen Reaktionen auf Straftaten, die an die Straftat anknüpften, aus-schließlich für Straftäter gälten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der [X.] bezögen. Das folge aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte der Norm und der St[X.]tspraxis sowie unter systematischem Aspekt aus dem Gedanken des Sachzusammenhangs
([X.] 109, 190, 211 bis 217). An [X.] hat sich der [X.]gesetzgeber gehalten.
Das [X.]sgesetz und die Überleitungsregelung erfassen nur Personen, die we-gen einer in § 66 Abs. 3 Satz 1
StGB genannten
Tat verurteilt worden sind
und wegen des Verbots rückwirkender
Verschärfungen im Recht der Sicherungs--
10
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verwahrung nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden können.

b) Das zweite Bedenken betrifft
die Einhaltung des [X.]. Mit dem [X.] werde, gestützt auf die Gesetzge-bungskompetenz für das Strafrecht, die nachträgliche Anordnung von [X.] ermöglicht, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-hofs
für Menschenrechte als strafrechtliche Sanktionen nicht nachträglich [X.] werden dürften. Es dränge sich der Gedanke einer Umgehung dieser Rechtsprechung auf ([X.], [X.] 2011, 417, 418). Auch mit diesem Einwand hat sich das [X.]verfassungsgericht inhaltlich befasst; es hat ihn zurückgewiesen ([X.] 128, 326, 399).

[X.]) Der [X.] hat in der nach-träglichen Verlängerung der früheren Zehnjahreshöchstfrist
des
§ 67d Abs. 3 Satz 1 StGB in der damals geltenden Fassung eine Verletzung des [X.] nach Art. 7 Abs. 1 [X.] gesehen, weil er die Anordnung der Sicherungsverwahrung als Anordnung einer zusätzlichen Strafe im Sinne dieser Vorschrift der Europäischen Menschenrechtskonvention wertete (Urteil
vom 17.
Dezember 2009 in der Rechtssache 19359/04, [X.], 218, 224 Rn.
126
ff.). Hierfür war die damalige Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung maßgeblich. Sie unterscheide
sich, so der Gerichtshof, im praktischen Vollzug nicht von einer Strafhaft und umfasse keine besonderen
Maßnahmen,
[X.] oder Einrichtungen, die zum Ziel hätten, die Gefährlichkeit
von Siche-rungsverwahrten zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschrän-ken, die unbedingt erforderlich sei,
um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten
([X.], Urteil vom 17. Dezember 2009 in der Rechtssache 19359/04, [X.], 218, 224 Rn. 127-132). Für die Annahme eines Verstoßes 15
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gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 [X.] war danach der unzu-reichende Abstand des Vollzugs der
Sicherungsverwahrung von dem der Frei-heitsstrafe entscheidend.

[X.]) Dem ist das [X.]verfassungsgericht zwar nicht in der [X.], wohl aber im praktischen Ergebnis gefolgt. Die Sicherungsverwahrung sei zwar keine Strafe im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG ([X.] 109, 133, 167-172; 128, 326, 392 f.). Nach der Wertung von Art. 7 Abs. 1 [X.] habe der un-zureichende Abstand des Vollzugs der Sicherungsverwahrung von dem der Freiheitsstrafe aber zur Folge, dass sich das Gewicht des Vertrauens der [X.] einem absoluten Vertrauensschutz annähere und eine solche Siche-rungsverwahrung nicht rückwirkend angeordnet werden dürfe ([X.] 128, 326, 392 f. und 395). Das [X.]
wäre
deshalb unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen oder unverhältnismäßigen Rückwirkung nur zu beanstanden, wenn es
den Vorgaben des [X.]s nicht ent-spräche.

[X.]) Um dem [X.] zu genügen, müssen der [X.]-
und der Landesgesetzgeber im Rahmen ihrer jeweiligen [X.] ein legislatives Gesamtkonzept entwickeln, das den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen genügt ([X.] 128, 326, 378 f.). Dieses sind das ul-tima-ratio-Prinzip ([X.]O S. 379), das Individualisierungs-
und Intensivierungsge-bot ([X.]O S. 379 f.), das Motivierungsgebot ([X.]O S. 380), das Trennungsgebot ([X.]O S. 380 f.),
das Minimierungsgebot ([X.]O S. 381 f.), das Rechtsschutz-
und Unterstützungsgebot ([X.]O S. 382) und das [X.] ([X.]O S. 382). Dabei ist der [X.]gesetzgeber angesichts seiner konkurrierenden Gesetzgebungs-zuständigkeit für den Bereich des Strafrechts nach Art.
74 Abs. 1 Nr. 1 GG und des Fehlens
einer
Gesetzgebungskompetenz für den Straf-
und Maßregelvoll-17
18
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12
-
zug darauf beschränkt -
aber, wenn er am [X.] grundsätzlich festhalten will, auch gehalten
-,
die wesentlichen Leitlinien vorzu-geben
([X.] 128, 326, 388). Dieser Aufgabe hat er für den Bereich der Therapieunterbringung mit § 2 [X.] entsprochen ([X.] 128, 326, 388). Das [X.] ist deshalb
unter Rückwirkungsgesichts-punkten nicht zu beanstanden.
Nichts anderes gilt für Art. 316e Abs. 4 [X.], soweit darin
die Anwendung des [X.]es auch auf Betroffene angeordnet
wird, die auf Grund eines Unterbringungsbefehls nach §
275a Abs. 5 StPO aF untergebracht waren, deren Sicherungsverwahrung zwar aus Gründen des Vertrauensschutzes aufgehoben worden war, aber nach dem Urteil des [X.]verfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ([X.] 128, 326) hätte aufrecht erhalten werden können.

[X.]) Allerdings führt die Regelung in Art. 316e Abs. 4 [X.] dazu, dass das [X.]
von dem Inkrafttreten des Art. 316a Abs. 4 [X.] an auch auf Therapieunterbringungen anzuwenden ist, die vorher an-geordnet
worden sind. Das wiederum bewirkt, dass solche Therapieunterbrin-gungen nicht mehr nach § 13 [X.] mit der Begründung aufgehoben werden können, das [X.] sei auf sie nicht anwendbar. Diese teilweise unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich zulässig. Die angeord-nete und noch nicht abgelaufene Therapieunterbringung ist ein -
für die Zu-kunft
-
noch nicht abgeschlossener Sachverhalt. In einen solchen Sachverhalt darf der Gesetzgeber zwar angesichts der hohen Bestandsinteressen der [X.] (vgl. [X.] 109, 133, 185 f.; 128, 326, 399) nicht ohne weiteres eingreifen. Möglich ist ein solcher Eingriff aber, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt-
oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Per-son oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Vorausset-zungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e [X.] in der von dem [X.]ver-19
-
13
-
fassungsgericht zugrundegelegten Auslegung erfüllt sind. In solchen Ausnah-mefällen kann (noch)
von einem Überwiegen der öffentlichen [X.] ausgegangen werden
([X.] 128, 326, 399). Nur auf
solchen Fälle ist das [X.] nach Art. 316e Abs. 4 [X.] anwend-bar.

c) Gegen
die Überleitungsregelung in Art. 316e Abs. 4 [X.] wendet der Betroffene schließlich noch ein, es handele sich um ein nach Art. 19 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. Die Regelung erfasse mit ihren engen Tatbe-standsmerkmalen
nur seinen Fall und sei deshalb verfassungsrechtlich unzu-lässig. Auch dieser Einwand ist nicht begründet.

[X.]) Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG muss ein Gesetz, soweit ein Grund-recht nach dem Grundgesetz durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Ein Verstoß gegen diese Norm liegt nicht vor, wenn das Gesetz abstrakt ge-fasst ist, sich deswegen nicht genau übersehen lässt, auf wie viele und welche Fälle es
Anwendung findet,
und wenn nicht nur ein einmaliger
Eintritt der Rechtsfolge möglich ist ([X.] 10, 234, 242; 13, 225, 229; 25, 371, 396). Dann ist es auch unerheblich, ob ein Einzelfall den Anlass zu
der gesetzlichen Regelung gab ([X.] 13, 225, 229; 24, 33, 62; 25, 371, 396). So ist es hier.

[X.]) Der Gesetzgeber hat den Fall des Betroffenen zwar zum Anlass für die Ergänzung des Art. 316e [X.] um den heutigen Absatz 4 genommen
(Entwurfsbegründung in BT-Drucks 17/11726 [X.] mit Zitat des Beschlusses des [X.] vom 12. Mai 2010 -
4 [X.]). Er hat aber eine abstrakt-generelle Regelung getroffen, nach welcher das [X.] auch auf alle anderen Betroffenen anzuwenden ist, gegen die Sicherungsverwahrung 20
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angeordnet, aber aufgehoben worden war, bevor das [X.]verfassungsge-richt durch die in dem Urteil vom 4. Mai 2011 getroffene einstweilige Anordnung die vorläufige Aufrechthaltung solcher Sicherungsverwahrungen
mit Maßgaben zuließ
([X.] 128, 326, 332 unter III. und 406 f.).

[X.]) Sie ist auch in der Sache keine Norm, die nur auf den Fall des [X.] Anwendung fände. Der Gesetzgeber hatte in der Schlussphase des Gesetzgebungsverfahrens zum [X.] bemerkt, dass das vorgesehene (und dann auch so verabschiedete) Gesetz Fälle nicht er-fasst, in denen die Unterbringung nicht auf einer gültigen Anordnung der Siche-rungsverwahrung, sondern auf einem Unterbringungsbefehl nach §
275a Abs. 5 StPO aF beruhte (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 12. Juli 2012 -
[X.]/12, [X.]Z 194, 97 = NJW 2012, 3181, 3182 Rn. 22
und Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 17/11726 [X.]). Er hat die aus seiner Sicht an sich sachgerechte Er-streckung des Anwendungsbereichs des [X.]es auf solche Fälle in diesem Gesetzgebungsverfahren nicht mehr verwirklicht, um das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2011 nicht zu gefährden. Bei der Vornahme der danach aus seiner Sicht angebrachten Korrektur dieses legislati-ven Versehens hat er sich entschlossen, nicht alle Fälle einer Unterbringung auf Grund eines Unterbringungsbefehls in den Anwendungsbereich des [X.] einzubeziehen, sondern nur solche, in denen eine sachlich richtige Anordnung der Sicherungsverwahrung zwar wegen des [X.] aufgehoben worden war, nach den Vorgaben des [X.]
in dem erwähnten Urteil vom 4. Mai 2011 aber hätte bestehen bleiben können (Entwurfsbegründung in BT-Drucks 17/11726 [X.]). Diese Ein-schränkung ist sachlich vertretbar und wäre nach dem Verlauf des [X.] zu dem [X.] in dieses aufgenom-men worden, wäre der Fehler noch bei den Beratungen des [X.] [X.]
-
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destags und nicht erst in der zweiten Beratung des [X.]rats aufgefallen. Die -
zudem sachlich gerechtfertigte
-
nachträgliche Einbeziehung einer bei seinem Erlass übersehenen Fallgruppe in ein Gesetz ist kein unzulässiges
Einzelfallge-setz.

[X.]
Lemke
Schmidt-Räntsch

Roth
Weinland

Vorinstanzen:
LG S[X.]rbrücken, Entscheidung vom 18.09.2012 -
5 O 59/11 -

OLG S[X.]rbrücken, Entscheidung vom 08.11.2012 -
5 W 391/12 -

Meta

V ZB 201/12

23.05.2013

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.05.2013, Az. V ZB 201/12 (REWIS RS 2013, 5572)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5572

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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